Die Lehre vom finanzmarktgetriebenen Kapitalismus – eine bürgerliche Legende.

Von Guenther Sandleben

02/2017

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Wer einigermaßen mit der ökonomischen Literatur vertraut ist wird wissen, dass die Vorstellung von der Herrschaft des Finanzkapitals zumindest nach der großen Wirtschafts- und Finanzkrise von 2008/09 zu einer herrschenden Lehre geworden ist. Die politische Bedeutung dieser Lehre ist nicht zu unterschätzen. Sie ist Sammelpunkt einer diffusen Kapitalismuskritik, die politisch von weit rechts bis hin zu linksorientierten Diskursen reicht. Auch Stephen Bannon, Chefberater von Trump und Ideengeber für die Wende hin zu „America First“, soll ein „scharfer Kritiker des Finanzkapitalismus“ sein.(1)

Inzwischen hat sich zwar wegen der offensichtlichen Schwäche der Banken und der niedrigen Zins- bzw. Verwertungsraten von Finanzkapitalen die theoretische Diskussion etwas verlaufen, eine kritische Auseinandersetzung mit dieser Lehre hat aber nicht stattgefunden. Auch viele „Marxisten“ teilen noch immer die Vorstellung von der Herrschaft des Finanzkapitals und geben den Versuch nicht auf, sie mit der Kritik der politischen Ökonomie von Marx zu verbinden. Das bisherige Resultat solcher Bemühungen ist nicht nur ein brutaler Eklektizismus, der untauglich ist, die sich vor unseren Augen abspielenden ökonomischen Katastrophen zu begreifen, sondern auch eine völlige Verunstaltung der Marxschen Theorie. Aus der einstigen Kritik der politischen Ökonomie ist eine Rechtfertigungslehre bestehender Verhältnisse geworden.(2)

Nachfolgend wird die These entwickelt, dass die Lehre vom finanzmarktgetriebenen Kapitalismus selbst in den „marxistischen“ Variationen nicht über das theoretische Feld bürgerlicher Argumentationsweisen hinausgekommen ist. Sie hat mit der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie nur insofern etwas zu tun, als sie diese in apologetischer Absicht bürgerlich uminterpretiert und dabei verfälscht. Unter falscher Flagge wird gesegelt. Solche Fälschungsversionen bilden Blockaden in der Aneignung der Kritik der politischen Ökonomie und eines kritischen Verständnisses des Bestehenden. Dagegen richtet sich der folgende Artikel, der ganz dem kürzlich verkündeten Motto folgt: „Vergesst die Marxisten, lest Marx! Denn der ist modern.“(3)

Anmerkungen

1) „Stephen Bannon ist ein scharfer Kritiker des Finanzkapitalismus, wie man aus einer im Internet dokumentierten Rede erfahren kann…Der Kapitalismus müsse zurückgeführt werden zu seiner eigentlichen Bestimmung: Wohlstand für die Breite der Gesellschaft zu schaffen. Bannon klingt fast wie ein Occupy-Jünger, wenn er in seiner Vatican-Rede die ’Partei von Davos‘ angreift, jene liberale Elite, die auf dem Rücken der Mittelschicht den ‚Globalismus‘ predige, in dem Waren, Geld und Menschen frei zirkulieren. Er will dagegen eine andere globale Vision setzen: nationale Souveränität, markiert durch Zölle und Grenzen“. Jörg Lau: America first! In: Die Zeit vom 26.1.2017

2)Vergleiche dazu: Sandleben, Guenther / Schäfer, Jakob: Apologie von links, Köln / Karlsruhe 2013

3) Lisa Nienhaus: Er ist wieder da. In: Die Zeit vom 26.1.2017. Titelthema: Hatte Marx doch Recht?

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Editorischer Hinweis

Wir erhielten den Aufsatz vom Autor für diese Aufgabe.