Die
Ernährungsindustrie hält das
traditionelle Bild der Landwirtschaft
aufrecht, weil es den Kundinnen und
Kunden ein gutes Gefühl gibt und sie
beruhigt. Viele wissen nicht, dass weite
Teile des Ernährungssektors zwischen
wenigen Konzernen aufgeteilt sind. Und
der Trend zur Machtkonzentration geht
weiter. In den Ländern des Südens wächst
die Mittelschicht und damit ändern sich
auch die Konsum- und
Ernährungsgewohnheiten. Es scheint
gesichert, dass die Nachfrage nach
verarbeiteten Lebensmitteln weltweit
steigt. Ein möglichst großes Stück von
diesem Kuchen abzubekommen – das ist
nicht mehr nur erklärtes Ziel der Agrar-,
Chemie-, und Lebensmittelkonzerne, das
ist auch das Ziel der Banken,
Versicherungen und der IT-Branche.
Übernahmen wie von Monsanto durch Bayer
oder die Aufteilung der Märkte von
Kaiser’s/Tengelmann zwischen Rewe und
Edeka sind nur die Spitze des Eisberges.
Auf allen Stufen der Lieferkette vom
Acker bis zur Ladentheke finden
Konzentrationsprozesse mit einer enormen
Dynamik statt. Und es zeigt sich, dass
die größten Player am schnellsten wachsen
und ihre Interessen und Normen
durchsetzen.
Die
gesellschaftlich relevante Frage „Wann
ist groß eigentlich zu groß?“ ist nicht
leicht zu beantworten. Die Umsetzung
ökologischer und sozialer Werte wie
Menschenrechte, Arbeitsrechte, Klima-
oder Umweltschutz hängt nicht unbedingt
an der Größe eines Unternehmens. Aber in
vielen Bereichen des Agrar- und
Lebensmittelsektors haben einzelne
Akteure durch ihre Marktmacht auch viel
Gestaltungsmacht und politischen
Einfluss. Die Konfliktlinie verläuft
dabei meist entlang der ungleichen
Machtverhältnisse: zwischen Agrar-,
Lebensmittel- und Handelskonzernen auf
der einen Seite und Bauern und
Bäuerinnen, Arbeiterinnen und Arbeitern
auf der anderen Seite. Die Schere
zwischen ihren Anteilen an den
Verkaufserlösen klafft immer weiter
auseinander und die globale Ungleichheit
nimmt zu.
Verbindliche Regeln für Unternehmen,
die Menschen- und Arbeitsrechte
einzuhalten, werden immer wieder
torpediert.
Die
Agrar-, Lebensmittel- und Handelskonzerne
treiben die Industrialisierung entlang
der gesamten Wertschöpfungskette vom
Acker bis zur Ladentheke voran. Sie
fördern mit ihrer Verkaufs-
beziehungsweise Einkaufspolitik eine
Landwirtschaft, bei der die Steigerung
der Produktivität im Mittelpunkt steht
und der Kampf um Marktanteile häufig
zulasten der schwächsten Glieder in der
Lieferkette geht: der Bäuerinnen und
Bauern sowie der Arbeiter und
Arbeiterinnen. Der Preisdruck der
Supermarktketten und Lebensmittelkonzerne
entlang der globalen Lieferkette ist aber
nicht nur eine der Hauptursachen für
schlechte Arbeitsbedingungen und Armut,
sondern auch für den Vormarsch der
industriellen Landwirtschaft verbunden
mit gravierenden Klima- und
Umweltproblemen weltweit. So geht der
Verlust fruchtbarer Böden und der
Biodiversität, die Überdüngung der Ozeane
oder der Ausstoß klimaschädlicher Gase zu
großen Teilen auf das Konto der
industriellen Landwirtschaft. Trotzdem
ist eine sozialökologische
Neuorientierung – von punktuellen
Fortschritten abgesehen – nicht in Sicht.
Im Gegenteil: Verbindliche Regeln für
Unternehmen, die Menschen- und
Arbeitsrechte einzuhalten und die Umwelt
zu schützen, werden immer wieder
torpediert. Das hat viele Gründe. Einer
der wichtigen sind die Machtstrukturen,
die wir in dem vorliegenden Atlas
beschreiben. Nur wenn wir die
Geschäftsmodelle und Wachstumsstrategien
der Konzerne durchschauen, können wir uns
für die notwendigen politischen
Änderungen einsetzen.
Bürger
und Bürgerinnen müssen die
Ernährungspolitik mitbestimmen können.
Weltweit aber erleben wir, dass
demokratische Freiräume beschnitten
werden. In vielen Ländern, in denen
unsere Organisationen tätig sind, wird
die Zivilgesellschaft immer stärker
zensiert, eingeschüchtert und entmutigt.
Damit treffen gerade im Agrar- und
Ernährungssektor zwei Prozesse
aufeinander, die schwieriger nicht sein
könnten: Auf der einen Seite übernehmen
immer weniger Konzerne immer mehr
Marktanteile und damit Gestaltungsmacht
in vielen Regionen der Welt; auf der
anderen Seite werden die Chancen der
Zivilgesellschaft und sozialer
Bewegungen, sich diesen Entwicklungen
entgegenzustellen, zunehmend
eingeschränkt.
Die
Konzerne treiben die Industralisierung
entalng der gesamten
Wertschöpfungskette vom Acker bis zur
Ladentheke voran
Die
avisierten Mega-Fusionen bei den Saatgut-
und Agrarchemiekonzernen –
Bayer/Monsanto, Dow/DuPont,
Syngenta/ChemChina – sind ein Weckruf.
Die Politik und die Wettbewerbsbehörden
müssen sich mit den gesellschaftlich
relevanten Folgen der Fusionen in bereits
hochkonzentrierten Märkten beschäftigen.
Sie müssen eine Reform des
Wettbewerbsrechts vorantreiben, um eine
weitere Konzentration entlang der
gesamten Lieferkette zu verhindern. Die
Debatte um die Neuzulassung von Glyphosat
im vergangenen Jahr hat aber gezeigt, wie
stark die Politik und ihre Institutionen
leider mit den Interessen der Wirtschaft
verwoben sein können.
Immer
mehr Menschen organisieren sich und
kaufen so ein, dass entlang der
Wertschöpfungskette wieder Vielfalt
entstehen kann. Um aber Hunger und Armut
zu beenden und die Umwelt weltweit zu
schützen, reicht das nicht aus. Der
Rückzug der Politik aus der Wirtschaft
ist ein wichtiger Grund für die heutigen
kolossalen Klima- und Umweltschäden und
für die globale Ungerechtigkeit. Daher
ist es höchste Zeit für eine
sozial-ökologisch orientierte politische
Regulierung der Agrar- und
Ernährungswirtschaft. Mit dem Atlas
möchten wir eine breit geführte
gesellschaftliche Debatte dazu anstoßen.
Barbara Unmüßig
Heinrich-Böll-Stiftung
Dagmar Enkelmann
Rosa-Luxemburg-Stiftung
Hubert Weiger
Bund für Umwelt und Naturschutz
Deutschland
Marion Lieser
Oxfam Deutschland
Klaus Milke
Germanwatch
Barbara Bauer
Le Monde diplomatique, deutsche Ausgabe
*) Der KONZERNATLAS
2017 ist ein Kooperationsprojekt von
Heinrich-Böll-Stiftung,
Rosa-Luxemburg-Stiftung, Bund für Umwelt
und Naturschutz Deutschland, Oxfam
Deutschland, Germanwatch und Le Monde
diplomatique.
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Lizenz CC BY 4.0.
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