Leser*innenbrief
zu:  "Der Kampf um Aleppo und der imperialistische Waffenstillstand" vom 14. Februar 2016

von Anton Holberg

02/2016

trend
onlinezeitung

Was die Herren und Damen der vermeintlichen "Fünften Internationale" (ebenso wie übrigen eine Reihe irgendwelcher 4. Internationalen und natürlich in anderer Art und Weise auch linke Sozialdemokraten von der Art der steril-pazifistischen "Partei die Linke") zu Syrien zu sagen haben, ist lieb gemeint, aber macht es unausweihlich, sie irgendwo im Wolkenkuckungsheim zu lokalisieren. Da sie über keine Macht verfügen, irgendetwas zu bewirken, haben sie damit nicht einmal die Chance, ideologischen Einfluss unter desorientierten werktätigen Schichten zu gewinnen. Es sei ihnen empfohlen, Niccolò Machiavellis "Der Fürst" zu lesen, wo es u.a. heißt:

"Aber da es meine Absicht ist, etwas Nützliches für den zu schreiben, der es versteht, scheint es mir angemessener, der wirklichen Wahrheit der Tatsache nachzugehen als den Wahgebilden jener Leute. Viele haben sich Republiken und Herrschaften erdichtet, die sie in Wirklichkeit niemals gesehen und kennengelernt haben. Denn zwischen dem Leben so wie es ist, und dem Leben, so wie es sein sollte, besteht ein so großer Unterschied, dass derjenige, der nicht beachtet, was geschieht, sondern nur das, was geschehen sollte, viel eher für seinen Ruin als für seine Erhaltung sorgt; denn ein Mensch, der in jeder Beziehung für das Gute einstehen möchte, müsste inmitten so vieler schlechter Menschen zugrunde gehen."

Die Bedeutung dieser an und für sich Selbstverständlichkeit könnte am vorliegenden Text der 5.Internationen an vielen Stellen verdeutlicht werden. Ich möchte es am Beispiel der Kritik in der PYD/YPG als verantwortliche Kraft in "Rojava" (Syrisch Kurdistan) verdeutlichen. Die Autoren schreiben:

"Nachdem sich die YPG unter Führung der Kurdischen Demokratischen Unionspartei (PYD) mit Erfolg um die Gunst beider großer in Syrien operierender imperialistischer Machtblöcke bemüht hat, scheint sie darauf zu bauen, dass dies die volle Autonomie von Rojava in allen künftigen politischen Lösungen sichern soll. D. h., die kurdische Autonomie ist erkauft auf Kosten der syrischen Revolution statt durch den Fall des Assad-Regimes.  

Dieser engstirnige Nationalismus hat zu einer verheerenden Fehleinschätzung geführt. Die kurdischen Kräfte werden nicht nur die Sympathie der demokratischen Elemente unter den syrischen AraberInnen verlieren, sondern auch dem Projekt Rojava wird, falls Assads Regime siegreich bleiben oder ersetzt wird durch eine von Saudi-Arabien, Türkei usw. unterstützte antidemokratische Koalition, ein grausames Schicksal beschieden sein."

Es ist sicher richtig, darauf hinzuweisen, dass die Zukunft Rojavas weder im Falle eines Sieges Assads noch des Sieges der saudisch-türkisch-jihadistischen Allianz gesichert ist bzw. dass sie gar unwahrscheinlich ist. Daraus aber zu schließen, dass die PYD/YPG die Möglichkeit hätte, auch nur im Entferntesten die Kraft zu gewinnen, die sie heute hat und die sie auf jeden Fall in der  Zukunft brauchen wird, wenn sie ihre bisherigen Errungenschaften - gegen wen auch immer - verteidigen will, indem sie auf  "die syrische Revolution", auf die "Sympathie der demokratischen Elemente unter den syrischen Arbeiterinnen" setzt, ist derart abstrus, dass es einem fast de Sprache verschlägt. Die PYD/YPG ist keine revolutionär-marxistische Organisation, sondern eine nationalistische mit einer Reihe bürgerlich-progressiver Eigenschaften. Sie operiert notgedrungen in einer Kriegssituation. In dieser muss sie in erster Linie das reale Kräfteverhältnis heute und nicht z.B. in 10 Jahren beachten. Das reale Kräfteverhältnis in Syrien und darüberhinaus ist - bedauerlicherweise - derart, dass die "syrische Revolution" nurmehr eine Chimäre ist, weil nämlich die "demokratischen Elemente unter den syrischen Arbeiterinnen" zwar existieren aber mehr oder weniger machtlos und marginalisiert sind angesichts der Vielzahl undemokratischer Elemente mit Gewehren in der  Hand, ausländischer finanziell und militärischer potenter Unterstützer und - das gilt  für die takfiristischen Jihadisten vom IS über die Nusra-Front bis hin zu Ahrar ash-Sham - militärischer Erfahrung und zwar ultrareaktionären aber relativ klaren Zukunftsperspektiven. Soweit es revolutionär-proletarische Kräfte in Syrien gibt, sind sie nicht ausreichend organisiert und schon gar nicht bewaffnet, um aktuell Einfluss auf das Geschehen zu haben. Die PYD/YPG aber muss die aktuelle Situation nutzen, um den Kurden in Syrien (und damit übehaupt der kurdischen Nationalen Befreiungbewegung) eine Zukunft zu eröffnen. Ob es diese Zukunft (ein freies Kurdistan - sei es autonom in demokratisierten multinationalen Staaten, sei es als neuer eigenständiger Staat in der Region) geben wird, erscheint mir durchaus fraglich- um es vorsichtig auszudrücken. Aber der Kampf dafür kann nicht einfach vertagt werden und er kann nicht auf der Basis frommer Wünsche geführt werden. In der Tat ist es doch  so, dass sich die PYD/YPG  der real existieren "syrischen Revolution" einfach deshalb nicht angeschlossen hat,  weil  deren Träger, die "gemäßigte" FSA und erst recht  die islamistischen Kräfte, den Kurden in Syrien nicht weniger Zugeständnisse machen wollen als sie  möglicherweise vom (durch den Bürgerkrieg - selbst wenn es diesen gewonnen haben sollte - geschwächten)  Assad-Regime erhalten könnten. Kurzum: eine - zumindest größere - Freiheit für Kurdistan und ebenso eine demokratischere Perspektive für die gesamte syrische Bevölkerung in mehr der weniger weiter Zukunft erfordert - leider - den militärischen Sieg des Regimes angesichts der faktischen Inexistenz eines revolutionär-sozialistischen oder auch nur ernsthaft bürgerlich-demokratischen Pols in Syrien, der es gleichzeitig mit der Assad-Diktatur und seinen barbarischen Feinden aufnehmen könnte.
 

++++++++++++

Per Email am 17.2.2016