Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Studie zu Antisemitismus und muslimischem Rassismus – Und Kritik an ihr

02/2016

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Jüdisches Leben in Frankreich, aber auch Antisemitismus im Lande stellen derzeit stark wahrgenommene Diskussionsthemen dar. „Jude-Sein in Frankreich“ lautet etwa in der laufenden Woche das Titelthema der Wochenzeitschrift L’Express (Ausgabe vom 03. Februar 16), und das Wochenmagazin Le Un macht just zur selben Zeit auf mit der Schlagzeile: „Warum die Juden Angst haben.“

Nahrung erhielt diese Debatte ebenfalls durch eine Aufsehen erregende, aber auch von einigen Stimmen kritisierte Studie, die erstmals am 31. Januar 16 der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde. Damals publizierte die Sonntagszeitung JDD (Journal du dimanche) Auszüge aus einer breit angelegten Umfrage respektive Studie(1), die durch die „Stiftung für das französische Judentum“ – Fondation pour le judaïsme français – in Auftrag gegeben worden war. Anlass dazu waren politische Konflikte, Anfeindungen zwischen Bevölkerungsgruppen sowie Angriffe auf jüdische Einrichtungen in der Pariser Vorstadt Sarcelles gewesen, die sich im Juli 2014 parallel zur letzten größeren militärischen Auseinandersetzung im Gazastreifen abspielten.

Vom 15. bis 24. Juli desselben Jahres befragte das Meinungsforschungsinstitut Ipsos daraufhin im Auftrag der Stiftung zunächst 1005 Personen, die für einen Querschnitt der in Frankreich lebenden Bevölkerung repräsentativ sein sollten und die dafür nach klassischen Methoden ausgewählt wurden. Hinzu kamen dann zwei als „qualitative Erhebungen“ präsentierte Runden, bei denen im Februar und März 2015 insgesamt 500 sich als „Muslime“ definierende Personen sowie von Februar bis Juni des Jahres 313 als „jüdisch“ ausgewiesene Menschen befragt wurden.

Die Sonntagszeitung JDD widmete der Vorstellung der Untersuchung eine volle Doppelseite, auf der den beiden Gruppen getrennte Artikel – unter den Überschriften „Die große Angst der Juden“ (2)sowie „Die Muslime werden Opfer von Ausgrenzung/Ablehnung“(3) – gewidmet wurden. Eine gemeinsame Einleitung(4) versuchte, die Vorurteile und Stereotypen sowie Ablehnungsgründe zu umreißen, mit denen beide Bevölkerungsgruppen konfrontiert seien. Ein globalerer Artikel („Das große Misstrauen“) umriss die allgemeine Situation. Arie Goldmann, der Präsident der Stiftung, wird mit den Worten zitiert, man habe mit der Veröffentlichung der Ergebnisse gezögert und habe „das Ende der Wahlkampfperiode“ – rund um die Regionalparlamentswahlen im Dezember 2015 – abwarten wollen.

Was sagt die Umfrage, die natürlich auch in den übrigen Medien gehörige Aufmerksamkeit hervorrief(5), selbst aus? Sie beginnt mit einem allgemeinen Kapitel über „das Zusammenleben in Frankreich“. Darin wird angegeben, 61 Prozent aller Befragten sähen die Zukunft in Frankreich pessimistisch und bezeichneten ihre Zukunft als verbaut – was natürlich mit der allgemeinen sozialen Lage zusammenhängt. Danach werden Fragen und Antworten zu bestimmten Bevölkerungsgruppen aufgelistet. Demnach denken etwa 38 Prozent, es seien über zwanzig Prozent der Wohnbevölkerung muslimisch (in Wirklichkeit geschätzte 8 %), und gar 57 Prozent glauben, es seien über zehn Prozent jüdisch (in Wirklichkeit rund ein Prozent).

Was die französischen Juden betrifft, so erklären demnach 90 Prozent der Befragten, dass man sie für „gut integriert“ halte – davon 27 % „absolut“ und 63 % „eher gut“. Ein weit höherer Wert als bei Muslimen, Schwarzen und Roma, wobei sich ihre Situation auch dadurch unterscheidet, dass Juden und Jüdinnen in Frankreich anders als in den 1920er Jahren nur selten Neuzuwanderer sind.

Doch antisemitische Stereotypen finden sich in einigen Fällen von hohen Anteilen der Befragten bestätigt. 91 Prozent bejahen demnach die Aussage, dass „Juden untereinander zusammenhalten“ – davon 35 % „total“ und 56 % „eher“ -, wobei sich aus dem Material nicht deutlich ergibt, ob dies in den Augen der Antwortenden einen Kritikpunkt oder aber eine positive Projektion darstellte.

Dass Juden insgesamt „viel Macht“ haben, denken demnach 56 Prozent in unterschiedlicher Intensität – 14 Prozent „total“, der Rest „eher“ -, ebenso viele sehen sie als „reicher als den Durchschnitt“ (11 Prozent davon „total“). In den Medien sehen insgesamt 41 Prozent demnach Juden als „ein wenig zu präsent“ an, davon 11 Prozent „total“ Unter den Befragten des Panels, das als „muslimische Personen“ bezeichnet wird, liegen diese Gesamtwerte dabei jeweils um etwa zehn Prozentpunkte höher als im Durchschnitt, außer bei der Frage nach den Medien, wo die Abweichung nach oben demnach 25 Prozent beträgt.

Was den Antisemitismus betrifft, so lautet eine Fragestellung, ob jüdische Menschen „eine Mitverantwortung an seinem Aufstieg“ trügen. Dabei antworten 14 Prozent, sie trügen „eine erhebliche“, sowie 42 Prozent, sie trügen „eine kleine“ (minime) Mitschuld.

Kritik an der Umfrage wurde in verschiedenen Medien laut. Im Onlineportal der liberalen Pariser Abendzeitung Le Monde war beispielsweise von „einer Umfrage über Stereotypen, die selbst voller Stereotypen steckt“, die Rede(6). Kritisiert wird u.a. die Konstruktion der beiden Panels für „jüdische“ und „muslimische“ Menschen. In Frankreich sind so genannte statistiques ethniques, also die Erhebung von personenbezogenen Daten über u.a. religiöse Zugehörigkeit und Abstammung, gesetzlich verboten. Angaben über Religionsangehörigkeit in Umfragen beruhen deswegen auf freiwilligen subjektiven Eigenangaben. Demnach können zum Beispiel fundamentalistische Muslime weitaus eher geneigt sein, sich einem Panel zugehörig fühlen zu wollen, als moderat praktizierende oder nur formal einer Religion angehörende Menschen. Und die beiden Panels seien zu klein, um wirklich als repräsentativ zu gelten; ihre Befragung erfolgte per Internet, und nicht telefonisch wie für den Panel, der einen Durchschnitt der „Allgemeinbevölkerung“ abbilden sollte. Auch ließ die Fragestellung, ob man in jüngerer Zeit „Probleme mit einem....“ – mit einem Muslim, Afrikaner, Rom oder Juden (letztere Option bejahen nur vier Prozent) gehabt habe, weder die Möglichkeit offen, „mit keinem“ zu antworten; noch die Antwort: „mit einem Ur-/Bio-/Herkunftsfranzosen“.

Niemand bestreitet allerdings ernsthaft, dass es einen Fundus rassistischer und antisemitischer Stereotype gibt. Und dass er gefährlich ist.

Anmerkungen

Editorische Hinweise

Wir bekamen den Artikel vom Autor für diese Ausgabe.