„Es
gibt zu viele Gewerkschaften in Frankreich!“
Dieser Ausspruch, getätigt in einer Fernsehsendung Ende
Januar, war nicht der Stoßseufzer
eines eingefleischten Wirtschaftsliberalen aus den
Reihen der Rechtsopposition. Es handelte sich um eine
wohl kalkulierte Aussage aus dem Munde eines
gestandenen rechten Sozialdemokraten, des amtierenden
Staatssekretärs Jean-Marie Le Guen.
Sein Ausspruch war eine direkte
Reaktion auf Vorgänge, die sich in den Tagen zuvor bei
der Kulturkaufhauskette FNAC ereigneten. Drei
Minderheitsgewerkschaften, darunter die CFDT - also der
Ableger des zweitstärksten und an der Spitze
regierungsfreundlichen Dachverbands - und zwei kleinere
Organisationen, hatten ein Abkommen zur Einführung von
Sonntagsarbeit unterzeichnet. Doch drei andere
Gewerkschaften, nämlich die CGT, FO und Solidaires,
hatten dagegen ihr „Vetorecht“ ausgeübt. Ein solches
droit d’opposition gegen frisch unterzeichnete
Kollektivvereinbarungen wird vom französischen
Arbeitsrecht immer dann Gewerkschaften zuerkannt, wenn
diese als Nichtunterzeichner mindestens 50 Prozent der
Stimmen bei den letzten Wahlen im Unternehmen
repräsentieren. Da das Veto innerhalb der dafür
vorgesehenen achttägigen Frist eingelegt worden war, ist
die Vereinbarung zur Sonntagsarbeit somit Makulatur und
kann nicht in Kraft treten.
In gar nicht so ferner Vergangenheit
betrachteten die Arbeitgeberseite und - oft zumindest -
auch die Regierungen es als Vorteil, dass die
französischen Gewerkschaften auf mehrere
Richtungsverbände aufgeteilt sind und, aus historischen
Gründen, keine Einheitsgewerkschaft existiert. Ihnen ging
es darum, die Verbände gegeneinander auszuspielen und zu
schwächen, vor allem aber den stärksten Dachverband, die
CGT, im Schach zu halten. Auch die Gewerkschaften wussten
allerdings damit umzugehen, und es herrschte lange Zeit
eine Art Arbeitsteilung zwischen ihnen: Die radikaleren,
klassenkämpferischen Verbände entfalteten Druck, und die
„gemäßigteren“ oder
„kompromissfreudigeren“ unter ihnen unterzeichneten
Abkommen. Bei ihrer Aushandlung jedoch konnten die
Letztgenannten immer mit dem Daumen nach hinten auf die
Ersteren verweisen, um zu rechtfertigen, dass sie sich
keine gar zu schlechten Ergebnissen leisten konnten.
Das Alles
hat sich gewandelt, seitdem Kollektivverhandlungen oft
nur noch dazu dienen, soziale Rückschritte abzusegnen
oder den Unternehmen „Flexibilitäts“spielräume bei den
Arbeitszeiten zu eröffnen. Die
Unterzeichnerorganisationen diskreditieren sich in den
Augen der anderen nachhaltig, und die übrigen sind dazu
gezwungen, vor allem eine Oppositionshaltung einzunehmen.
Dass dem so ist, dazu haben die hohe Arbeitslosigkeit und
die Existenz einer „Reservearmee“ auf dem so genannten
Arbeitsmarkt beigetragen. Aber auch die relative Schwäche
der Gewerkschaften selbst.
Frankreich
weist einen niedrigen Organisationsgrad von insgesamt
acht Prozent der Gewerkschaften auf. Er war schon immer
niedriger als in Deutschland, aber man darf hier nicht
Äpfel mit Birnen vergleichen: Die deutschen
Gewerkschaften sind überwiegend Mitgliedergewerkschaften,
und die IG Metall schätzte im vergangen Jahrzehnt, ein
Prozent ihrer Mitglieder seien Aktive. Dagegen bestehen
französische Lohnabhängigenorganisationen nicht nur, aber
zu einem weitaus höheren Anteil aus Aktiven. Besondere
Vorteile sind mit einer rein passiven Mitgliedschaft
ohnehin nicht verbunden. Abhängig Beschäftigte können
rechtlich auch ohne gewerkschaftliche Unterstützung
streiken, und Streikgeld wird ohnehin nicht bezahlt,
sondern die Lohnabhängig kommen selbst für ihren
Verdienstausfall auf. Wer sich also bei einer
Gewerkschaft organisiert, möchte dort in der Regel etwas
bewirken. Dennoch ist der Organisationsgrad, der in den
1970er Jahren noch 25 Prozent trug, bedenklich tief
gesunken.
Entwurf zur „Reform“ des
Arbeitsrechts
Die Möglichkeit, dass Gewerkschaften
im Betrieb unter Umständen ein von Minderheitsverbänden
unterschriebenes Abkommen zu Fall bringen können, würde
die rechtssozialdemokratische Regierung nun gerne
aushebeln. Den Rahmen dafür liefert eine geplante „Reform
des Arbeitsrechts“, deren Textentwurf im 9. März dem
Kabinett vorgelegt werden soll. Die
Minderheitsgewerkschaften könnten demnach ein
„Referendum“ - eine Abstimmung des Personals im
Unternehmen - anstrengen, dessen Ergebnis das Veto der
Mehrheitsgewerkschaften zu Fall bringen kann. Alle
Gewerkschaften bis auf die CFDT opponieren gegen dieses
Vorhaben. Da das Instrument nur auf Ebene der einzelnen
Unternehmen und nicht „in der Fläche“ – der Branche -
greifen soll, würde es dort ansetzen, wo die
Gewerkschaften i.d.R. schwächer sind und wo das
erpresserisch eingesetzte „Arbeitsplätze-Argument“ am
ehesten zieht. So lautet etwa die Kritik der CGT, des
stärksten Dachverbands.
Der Entwurf sieht auch vor, Themen wie
Arbeitszeit und Überstunden künftig stärker
einzelbetrieblichen Abkommen zu überlassen. Zwar will
Premierminister Manuel Valls erklärtermaßen,
dass auch künftig noch Überstundenzuschläge existieren.
Er sagt nur nicht, in welcher Höhe. Die geltende
Regelung, mindestens 10 bzw. mindestens 25 Prozent je
nach Unternehmensgröße,
würde damit fallen.
Aber auch in der Fläche stehen die
Gewerkschaften heute schwächer dar als noch bis im Jahr
2010, dem Jahr der letzten Sektoren und Regionen
übergreifenden sozialen Bewegung. Diese wandte sich
damals gegen die inzwischen vor-vorletzte regressive
„Rentenreform“, doch endete mit einer Niederlage. Die
letzte zentrale Auseinandersetzung zwischen einer
Sozialprotestbewegung und einer Regierung, aus welcher
die Gewerkschaften siegreich hervor gingen, ist
inzwischen zehn Jahre her. Es war die von Februar bis
März 2006, die sich gegen Angriffe auf den
Kündigungsschutz der unter 30jährigen richtete.
Bossnapping.. und die Rache des Staates
Umso eher kommt es zu sich schnell
radikalisierenden Einzelkonflikten auf Unternehmensebene,
die auch den Gewerkschaften mitunter aus dem Ruder
laufen. So kam es zu Beginn der letzten massiven
Wirtschaftskrise im ersten Halbjahr 2009 zu einer Welle
von „Bossnapping“-Aktionen, bei denen Führungskräfte für
einige Stunden oder ein bis anderthalb Tage festgesetzt
wurden, um die Eröffnung von Verhandlungen oder Rücknahme
von Massenentlassungen zu erzwingen.
In der Folgezeit liefen einzelne
Konflikte mit solchen Aktionsformen weiter, ohne eine
derart geballte Aufmerksamkeit wie 2009 zu erregen. Nun
hat jedoch die bürgerliche Justiz dem einen Riegel
vorzuschieben versucht. Am 12. Januar verurteilte ein
Gericht im nordfranzösischen Amiens acht frühere
Lohnabhängige des Reifenfabrikanten Goodyear, die zwei
Manager für dreißig
Stunden – ohne Gewalt – festgesetzt hatten, zu je zwei
Jahren Haft. Davon je neun Monate ohne Bewährung. Das
Urteil frappiert durch sein extremes Strafmaß.
Bei Goodyear hatte es vor nunmehr zwei Jahren 1.143
Entlassene gegeben. Zwölf Betroffene begingen in der
Zwischenzeit Selbstmord, in mindestens drei Fällen ist
ein direkter Zusammenhang zur Massenkündigung erwiesen.
Gegen das überdurchschnittlich harte
Urteil wurde natürlich Berufung eingelegt, es regt sich
aber auch massiver Protest. Eine Petition der CGT erhielt
in kurzer Zeit zahlreiche Unterschriften, inzwischen sind
es über 150.000. Am vorigen Donnerstag fanden zudem
Protestaktionen in 80 französischen Städten dagegen
statt. Allein in der Hauptstadt Paris versammelten sich
über die Mittagszeit rund 10.000 Menschen auf der Place
de la Nation, infolge eines Streikaufrufs fielen zudem
Teile des Nahverkehrs aus. Zwischen dem 16. und dem 29.
Februar finden nun u.a. in Paris, Marseille, Lyon, Lille,
im nordfranzösischen Béthune sowie in Amiens selbst (Ort
der Verurteilung) Gründungstreffen für
übergewerkschaftliche Solidaritätskomitees statt.
Dass aber Gewerkschafter überhaupt zu
einem solchen Strafmaß
verurteilt werden konnten, dafür ist auch die angeblich
„sozialistische“ Regierung verantwortlich. Zum Einen sind
StaatsanwältInnen, anders als RichterInnen, direkt an
Weisungen aus dem Justizministerium gebunden. Es war in
diesem Falle aber die Staatsanwaltschaft, die die
Strafsache weiter verfolgte, als die beiden betroffenen
Manager ihre eigenen Anzeigen zurückgezogen hatten; das
Verfahren hätte danach auch eingestellt werden können.
„Hätte.“ Zum Anderen hat die sozialdemokratische
Parlamentsmehrheit im Mai 2013 einen Gesetzentwurf der
Linksfront (Front de Gauche) „in die Ausschüsse
verwiesen“, und in Wirklichkeit beerdigt und begraben. Er
hatte eine Amnestie für Straftaten, die sich nur aus
sozialen oder Umweltkonflikten heraus erklären lassen,
zum Gegenstand. Präsident François Hollande versprach
damals, auch wenn der Entwurf nicht im Parlament
debattiert und angenommen würde, werde er andertweitige
Abhilfe gegen das Risiko einer Kriminalisierung sozialer
Bewegungen schaffen. Beim dem Versprechen ist es
geblieben.
Editorische Hinweise
Wir bekamen
den Artikel vom Autor für diese Ausgabe. Es handelt sich um
eine LANGfassung eines Artikels, der in gestraffter
Form am Freitag, den 12. 02. 2016 in der Tageszeitung
,Neues Deutschland’ veröffentlicht wurde.
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