Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

FN-Kandidatin in aufsehenerregender Nachwahl für Parlamentssitz nur knapp geschlagen

02-2015

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01. und 08. Februar 15: Sophie Montel scheitert in Audincourt, erhält jedoch knapp 49% der Stimmen. Die politische Auseinandersetzung in Ostfrankreich wird weitreichende Folgewirkungen haben, denn die Spaltung des konservativen Lagers gegenüber der extremen Rechten wurde betoniert.

Die dreizehn könnte die Glückszahl des französischen Parti Socialiste (PS) gewesen sein. Denn nach dreizehn Wahlniederlagen riss die Unglücksserie für die Regierungspartei von François Hollande und Manuel Valls, zumindest vorübergehend, ab. Zum Triumph besteht jedoch kein Anlass, wie ihr frisch gewählter Abgeordneter Frédéric Barbier am Abend des Sonntag, den 08. Februar 15 denn auch ausdrücklich betonte.

Wird ein Parlamentssitz in der französischen Nationalversammlung frei, etwa durch Ableben oder dauerhaften Berufswechsel einer oder eines Abgeordneten, dann wird eine so genannten Teilwahl im betreffenden Wahlkreis organisiert. Anders als im föderal organisierten Deutschland existiert keine Landesliste, auf der Nachrücker ins Parlament einziehen könnten. Solche Nach- oder Teilwahlen dienen traditionell als Gradmesser für den Einfluss der politischen Parteien im Lauf einer Legislaturperiode. An den ersten beiden Sonntagen im Februar 2015 fand, in zwei Durchgängen, die vierzehnte élection partielle seit dem Antritt der bestehenden sozialdemokratischen Parlamentsmehrheit im Juni 2012 statt.

Es ging dabei um viel. Denn wäre der Parlamentssitz, den der vormalige Abgeordnete und zeitweilige Wirtschaftsminister Pierre Moscovici inne hatte – er ist aufgrund seines Wechsels als EU-Kommissar nach Brüssel auf Dauer verhindert – verloren gegangen, dann hätte die Regierungspartei zugleich ihre absolute Sitzemehrheit im Parlament eingebüßt. Die Partei wäre dann entweder auf die Grünen angewiesen gewesen, die theoretisch zur Regierungsmehrheit gehören, aber seit dem April 2014 ihre Minister aus dem Kabinett zurückgezogen haben, oder aber auf wechselnde Mehrheiten. Überdies wurde der Urnengang allgemein als wichtiger Stimmungstest in Frankreich, genau einen Monat nach den mörderischen Attentaten vom 07. und 09. Januar 15 in Paris, gewertet.

Noch vor wenigen Wochen hätte kaum jemand einen Blumentopf darauf verwettet, dass es der Sozialdemokratie gelungen würde, in die Stichwahl am zweiten Stimmsonntag (08.02.15) einzuziehen. Nun hat sich jedoch gezeigt, dass es ihr gelungen ist. Statt, wie allgemein erwartet, zwischen der konservativ-wirtschaftsliberalen UMP und dem rechtsextremen Front National (FN) wurde die zweite Runde der Wahl zwischen der Sozialdemokratie und dem FN ausgetragen.

Die Kehrseite der Medaille ist, dass der FN dabei wohl wesentlich höher abschneiden konnte, als es ihm mutmaßlich im Wettstreit mit einem konservativen Kandidaten gelungen wäre. Denn die Wählerschaft der bürgerlichen Rechten teilte sich dabei zwischen den zur Auswahl stehenden politischen Blöcken auf.

Am Montag, den 09. Februar behauptete der Vizepräsident des FN, Florian Philippot, „auf manifeste Weise“ habe „eine Mehrheit“ der konservativen Wähler in der Stichwahl für die FN-Kandidatin Sophie Montel gestimmt. Inzwischen wurden die Zahlenergebnisse einer wissenschaftlichen Untersuchung publik, denen zufolge zumindest „die Hälfte“ der UMP-Wähler/innen dies auch wirklich tat(1).

Die 43jährige zählt zum Urgestein des Front National, bei dem sie sich seit dem Alter von 18 betätigt. Als dessen damaliger Chef Jean-Marie Le Pen 1996 erheblichen Gegenwind erhielt ,nachdem er explizit von der „Ungleichheit der Rassen“ als einer angeblichen „Evidenz“ gesprochen hatte, warf Montel sich aktiv zu seiner Verteidigung in die Bresche. Im Stadtrat von Besançon schwadronierte sie damals zu diesem Zweck von der offensichtlichen Überlegenheit „der französischen Kultur“ über jene „der Hunnen und der Bantus“. Wenn ihre Partei also seit nunmehr vier Jahren offiziell einer Strategie der dédiabolisation – „Entdämonisierung“ – huldigt, dann ist Sophie Montels langjährige politische Sozialisierung jedenfalls nicht von diesem Bemühen geprägt.

Die Nachwahl an den beiden Sonntage (01. und 08.02.15) fand nicht in Besançon statt, sondern einige Kilometer entfernt im ostfranzösischen Audincourt, rund vierzig Kilometer von der deutschen und weniger als fünfzehn Kilometer von der schweizerischen Grenze entfernt. Es handelt sich um einen alten Arbeiterbezirk, geprägt von der Tätigkeit bei Peugeot und den Automobilzulieferern, wo die etablierten Linksparteien sehr viel Enttäuschte hinterlassen haben. Um nicht gar zu auffällig anzuecken, enthielt Montel sich weitgehend eines aktiven Wahlgangs. Sie verhielt sich überwiegend still, ging davon aus, dass die Zeit für ihre Partei arbeite, und prangerte höchstens ab und zu die Abwanderung von Industrien und die „islamistische Gefahr“ an.

Montel lag nach dem ersten Wahlgang mit 32,6 Prozent in Führung, gefolgt vom PS-Kandidaten Barbier mit 28,9 Prozent. Der UMP-Bewerber fiel mit 26,5 Punkten durch. Dieser vorläufige Ausgang hing sicherlich auch mit der politischen Großwetterlag zusammen: Politisch von der Atmosphäre nach den Anschlägen profitiert hat vor allem die amtierende Regierung. Hinter ihr haben viele Franzosen die Reihen geschlossen. Auch wenn das Klima zwar teilweise integrativ, in anderen Strömungen aber auch nationalistisch und repressiv geprägt ist – im französischen Parlament sangen erstmals seit 1919 Abgeordnete quasi aller Lager stehend die Nationalhymne, und innerhalb von zwei Wochen wurden mehr Anschläge auf muslimische Einrichtungen verübt als im ganzen Jahr 2014 -, konnte die UMP nicht so sehr davon profitieren wie die aktuell Regierenden. Einerseits, weil sie in der Opposition ist, andererseits durch die peinliche persönliche Profilierungssucht ihres alt-neuen Vorsitzenden Nicolas Sarkozy. Er hatte sich bei der Pariser Demonstration am 11. Januar d.J. aus der dritten Reihe, wo protokollmäßig sein Platz war, in die erste vorgedrängelt und durchgequetscht, wie viel kommentierte Fotos belegen.

Aufgrund der Tatsache, dass sie bei der Stichwahl nicht mehr vertreten war, traten die grundlegenden Spaltungslinien im konservativen Lager nun umso ungeschminkter zutage. Seit einem Vierteljahrhundert lautet dort die Gretchenfrage: Wie hältst Du es mit der Gretchenfrage, und damit einigen Eckwerten der bürgerlichen Demokratie? Die innerparteilichen Fronten haben sich dabei nach rechts verschoben. Denn bis vor vier Jahren galt es als selbstverständlich, dass bürgerliche Rechte bei einer Stichwahlentscheidung zwischen Sozialdemokraten und Rechtsextremen „republiktreu“ wählen. Erstmals hatte Nicolas Sarkozy diese alte Linie bei den Bezirksparlamentswahlen im März 2011 über den Haufen geworfen.

In der ersten Februarwoche 2015 vertrat Sarkozy nun eine Position, die darauf hinauslief, sich zwar inhaltlich gegen die extreme Rechte auszusprechen, aber der eigenen Anhängerschaft das Wahlverhalten offen zu lassen – also keine Stimmempfehlung auszusprechen. Doch Sarkozy wurde mit seiner Haltung im UMP-Vorstand überstimmt. Bei einer knappen Kampfabstimmung sprachen sich 19 Teilnehmer für die Position Sarkozys aus, doch 22 für den Gegenvorschlag, der darauf hinauslief, keine der beiden Kandidaturen sei akzeptabel. Die UMP rief also offiziell dazu auf, nicht oder ungültig zu votieren. Am Sonntag der Stichwahl waren dann auch neun Prozent der Stimmzettel ungültig gemacht worden.

Diese Positionierung bedeutete vor allem einen Bruch mit der Haltung der so genannten „republikanischen Front“, die in der Vergangenheit bei der bürgerlichen Rechten vorherrschend war und der zufolge die Sozialdemokratie – anders als der FN – zum Verfassungsbogen zähle. Eine Minderheit konservativer Spitzenpolitiker sprach sich dennoch dafür aus, am Sonntag sozialdemokratisch zu stimmen, so Ex-Premierminister Alain Juppé und die gescheiterte Pariser Bürgermeisterkandidatin Nathatlie Kosciusko-Morizet. Umgekehrt ließ der Abgeordnete und Ex-Minister Thierry Mariani vom rechten Parteiflügel durchblicken, dass der FN für ihn letztlich das kleinere Übel darstelle. Dessen „Werte“ seien zwar ein Problem, aber viel schlimmer seien doch die „Auflösung der Republik“ und des Nationalstaats sowie die Arbeitslosigkeit. Und für diese seien, man ahnte es, doch die vermeintlich regierenden „Linken“ verantwortlich.

Nicolas Sarkozy schaffte es nicht, Ruhe in seinen Parteiladen einkehren zu lassen. Auch deswegen nicht, weil er – wie sich hinterher herausstellte – aus finanziellen Gründen auf Vortrag in Abu Dhabi weilte, als am Montag und Dienstag nach der ersten Wahlrunde (02. und 03. Februar) die heiße Phase der Debatte losging. Als diese ausbrach, saß er im Flugzeug. 150.000 Euro für 45 Minuten Vortrag - das konnte sich der Ex-Präsident nicht entgehen lassen, dessen vergangene und gegenwärtige Finanzierung durch Golfmonarchien, früher auch andere arabische Diktaturen, weithin bekannt ist. Nachdem dies gegen Ende der Woche dann auch der Öffentlichkeit bekannt wurde, verfiel Sarkozys Popularität rasant weiter. Innerhalb von Stunden verlor er bei den UMP-Sympathisanten 26 Prozentpunkte an Beliebtheitswerten.

Am Ende siegte zwar der PS-Kandidat in Audincourt mit 51,4 Prozent der Stimmen, relativ knapp und mit unter 900 Stimmen Abstand. Doch die Debatte um Positionierungen gegenüber der extremen Rechten ist nun wieder über Monate hinaus befeuert worden. Der Mitte-Rechts-Politiker Yves Jégo stellte am Montag, den 08.02.15 fest, dass es nun „nicht mehr unwahrscheinlich“ sei, dass der FN an die politische Macht gelangen (oder an ihr teilhaben) könnte.


Anmerkungen