Bernard Schmid berichtet aus Frankreich
Kulturkontroverse in Frankreich
Michel Houllebecq: Romanschriftsteller und unterschwelliger rechter Agitator.

02-2015

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Aber ist er nun islamophob – oder eher islamophil? Rassist? Religionsfan? Ambivalent, Zyniker, berechnender Provokateur, oder doch nur Bestsellerautor mit Verkaufsinteresse?

Die Realität holt mitunter die Fiktion ein. Nehmen wir zum Beispiel einmal an, in den Tagen zwischen Weihnachten 2014 und Neujahr 2015 hätte der Verfasser dieser Zeilen – zum Ausklang des alten Jahres – in einer deutschsprachigen Zeitung oder auf einer Webseite einen Text veröffentlicht, in dem folgendes Szenario ausgemalt worden wäre: Am 7. Januar 15 erscheint ein Buch von Michel Houellebecq. Es handelt, leicht vergröbert ausgedrückt, von einer muslimischen Machtübernahme in Frankreich, auf politischer Ebene, mittels einer islamistischen Partei. Am Vormittag desselben Tages erscheint die Satirezeitung Charlie Hebdo der Woche mit Michel Houellebecq auf dem Cover. Bei der Redaktionssitzung kurz vor Mittag greifen zwei mit Kalaschnikows bewaffnete radikal-islamistische „Gotteskämpfer“ an und ermorden die Hälfte der Redaktion, weil die Zeitung „den Propheten beleidigt habe“. Nicht Michel Houellebecq, aber Mohammed. Eine Stunde später geht eine Meldung der Nachrichtenagentur AFP durch die Lande: „Die Zeichner Charb, Cabu, Tignous, Wolinski ermordet.“ In der darauffolgenden Woche werden die Opfer beigesetzt, zwei von ihnen auf dem Pariser Friedhof Père Lachaise. Jenem beinahe legendären Friedhof, der heute wegen Überfüllung nur wenigen Verstorbenen zugänglich ist und wo die Leichen der „Blutwoche“ bei der Niederschlagung der Pariser Kommune begraben liegen.

Man hätte den Frankreichkorrespondenten dieser Zeitung oder dieser Webseite unverzüglich des Alkoholismus oder sonstigen Drogenkonsums geziehen. Der Verfasser wäre darüber untröstlich gewesen, oder auch nicht, um es mit Amüsement zu nehmen.

Und doch ist alles, was soeben aufgezählt wurde, strenge Wirklichkeit. Genauso trugen sich die in diesem Zeitraum Aufsehen erregendsten Ereignisse im französischen Kulturleben und der Innenpolitik zu. Auch wenn der Autor dieser Zeilen sie allerdings tatsächlich nicht vorsehen konnte.

An dem Tag, an dem der zehnfache Mord in ihrer Redaktion begangen wurde, hatte Charlie Hebdo mit Houellebecq auf ihrer Seite Eins aufgemacht. Der fast 57jährige, der seit seinen ersten größeren Medienauftritten vor nunmehr gut fünfzehn Jahren rapide gealtert wirkt, taucht dort mit einer Sprechblase auf, die seine guten Vorsätze oder aber Zukunftsvorhersagen zusammenfasst: „2015 fallen mir alle Zähne aus. 2022 mache ich Ramadan.“

Identitäre, Jihadisten, muslimische Brüderschaft

An diesem 07. Januar 15 erschien Houellebecqs neuester Roman unter dem Titel Soumission (Unterwerfung), eine Anspielung auf den Begriff „Islam“ der im Arabischen nichts Anderes als „Unterwerfung“ – unter Gott – bedeutet. Darin schildert er ein Frankreich im Jahr 2022, das am Ende einer „katastrophalen“ zweiten Amtszeit des – heute wenig beliebten – Staatspräsidenten François Hollande kurz vor dem Abgrund steht. Zusammenstöße zwischen Gruppen, die oft unerkannt bleiben, unter denen sich aber rechte „Identitäre“ einerseits und Jihadisten andererseits zu befinden scheinen, häufen sich. Das Land ist sozial ausgeblutet und auf Sinnsuche. Es kommt zu einer Präsidentschaftswahl, und bei dieser bleiben in der Stichwahl nur noch zwei Alternativoptionen übrig: Das Wahlvolk kann entweder für die Rechtsextreme Marine Le Pen stimmen, oder aber für den Kandidaten der Fraternité Musulmane (FM, „Muslimische Brüderschaft“) – eine Anspielung auf die Muslimbrüderschaft, die aber auf französisch Frères musulmans heißt -, Mohammed Ben Abbes. Letzterer ist im Kern kein ideologischer Überzeugungstäter, sondern ein machtpolitisch orientierter Pragmatiker, der vor allem große geopolitische Pläne hegt: Er will Frankreich wieder stärker in Europa einbringen, aber Europa nach Süden hin erweitern, rund um das Mittelmeer. Houellebecq selbst sprach in Interviews von einer Vision eines „erneuerten Römischen Reichs“. Nur eben mit einer Art pax islamica.

Die meisten Romanschriftsteller hätten nun wahrscheinlich Marine Le Pen gewinnen lassen und die, leider nicht gänzlich ausgeschlossene, Vision eines Frankreich unter ihrer Regierung ausgemalt. Doch bei Houellebecq geht die Präsidentschaft an Mohammed Ben Abbes. Aufgrund seiner „pro-europäischen“ Orientierung hatten Sozialdemokraten, Parteien der Mitte und Konservative seine Kandidatur unterstützt. Premierminister wird der Christdemokrat und Mitte-Rechts-Politiker François Bayrou, den es wirklich gibt und der zu den letzten und vorletzten Präsidentschaftswahlen 2007 und 2012 kandidiert hat. Frankreich wird von oben islamisiert, aber mit Kompromissen. Alkohol etwa wird nicht verboten. Die meisten Ministerien gehen an die herkömmlichen Mitte-Rechts-Parteien, nur das Erziehungsministerium sichern sich die Islamisten, um ihre Hochburg daraus zu machen. Aber die Frauen verschwinden zunehmend vom Arbeitsmarkt – die Arbeitslosigkeit sinkt deswegen, wie geschildert wird – und auch aus dem höheren Bildungssystem, es bleiben einige verschleierte Studentinnen übrig. Es formiert sich eine widerständlerische „Bewegung der europäischen Eingeborenen“. Houellebecqs Romanheld ist „François“, ein Hochschullehrer an der Sorbonne, der den Weg des geringsten Widerstands im Leben sucht. Um seinen Job zu behalten, konvertiert er zum Islam und profitiert von der nunmehr legalisierten Polygamie. Soweit der Haupthandlungsstrang.

Infolge des Angriffs auf Charlie Hebdo und der weiteren Attentate in den Folgetagen hat Houellebecq zu Ende der zweiten Januarwoche die Werbung für sein Buch eingestellt, Paris verlassen, laut eigenen Worten „in den Schnee“, und hat sich aus der inländischen Debatte vorläufig zurückgezogen. Inzwischen erschien jedoch auch die deutsche Ausgabe, eine Woche nach der französischen, unter dem originalgetreu übersetzten Artikel „Unterwerfung“. Am Montag, den 19. Januar 15 stellte Houellebecq sein Buch erstmals vor einem Publikum in Deutschland vor, in Köln im Rahmen der Literaturmesse LitCologne, vor einem seit Tagen ausverkauften Saal im „Depot1“ mit 600 Menschen. Innerhalb von drei Tagen waren 100.000 Exemplare der deutschsprachigen Ausgabe verkauft worden, und die französische Wochenzeitung Le Point spricht von „einer triumphalen Aufnahme für Houellebecq in Deutschland“ und von „Houellebecq, Star in Deutschland“.

In Frankreich dagegen hatte sich der erste Hype, der in den Tagen vor dem Erscheinen eingesetzt hatte, zu dem Zeitpunkt schon wieder gelegt. Er wurde, was nachvollziehbar ist, überlagert durch die Debatten rund um „Charlie Hebdo und die Folgen“.

Invasion“ & Ängste

Bevor es vorübergehend relativ still um Houellebecq wurde, mangelte es nicht an Kritik. Überwiegend wurde seine Intention dabei zunächst so verstanden, als nähre er Ängste vor einer „islamischen Invasion“ in Frankreich, wie sie im Zuge der „Überfremdungs“kampagnen einer erstarkten extremen Rechten im Lande so oft beschworen wird. Dieser Vermutung gaben Äußerungen von Houellebecq selbst aus jüngerer Vergangenheit Nahrung. Im Jahr 2002 hatte der Schriftsteller in Paris vor Gericht gestanden, weil er sich in wenig differenzierter Art und Weise geäußert hatte: „Der Islam ist die dümmste aller Religionen.“ Er war allerdings freigesprochen worden, weil er versichern konnte, er missachte „alle Monotheismen“. (Vgl. http://jungle-world.com/artikel/2002/40/23171.html) Allerdings hat Houellebecq seine Ansichten zu dieser Frage offensichtlich geändert, denn wie sich herausstellen sollte, ist seine Einstellung diesbezüglich längst nicht mehr so negativ.

Die erste Lesart des Buches von Houellebecq, dessen Aufbau und Handlung in seinen Grundzügen – aber nicht den Details – seit dem 17. Dezember 14 bekannt geworden war, lautete: Es handelt sich um eine Warnung vor der islamischen Überfremdung. Edwy Plenel, Gründer und Leiter der Internetzeitung Mediapart, vergleich Houellebecq etwa mit dem Fernsehjournalisten und rechten Hetzer Eric Zemmour: Ersterer sei für den Roman, was Letzterer im Bereich des politischen Essais leiste. Zemmour, der unter anderem im Herbst durch eine tendenzielle Rehabilitierung des Vichy-Regimes für Aufruhr sorgte, kam in den letzten Wochen wieder ins Gerede. Am 15. Dezember 14 wurde in Frankreich ein Interview publik, das Ende Oktober im italienischen Corriere dela Sera erschienen wird. Darin wird Zemmour provokativ gefragt, ob er „die Deportation von fünf Millionen Muslimen aus Frankreich“ befürworte. Eric Zemmour antwortet darauf nicht mit Ja und nicht mit Nein, er weist den Begriff der Deportation nicht zurück und verwendet ihn auch nicht. Er begnügt sich damit, zu antworten, es seien viele Dinge machbar, die man vorher nicht für möglich gehalten hätte. Man hätte ja auch zuvor die Vertreibung von ein paar Millionen „Volksdeutschen“ nach 1945 oder die Aussiedlung von knapp einer Millionen französischen Algeriensiedlern bei der Entkolonisierung wohl nicht für durchführbar gehalten. Die Antwort wurde allgemein als Einverständnis gewertet.

Den Vergleich zu Zemmour zogen nicht nur französische Medien. In Belgien schrieb die Zeitung L’Avenir, Frankreich sei „krank an seinen Schriftstellern“, und bebilderte den Artikel über Houellebecq am 06. Januar 15 mit einem Foto vom Auftritt Zemmours in Brüssel vom selben Tage. In Frankreich schrieb unterdessen der Verlagslektor Pierre Assouline in der Literaturzeitschrift La République des Livres, Houellebecq sei „subversiver und unverantwortlicher denn je“, und in der Literaturbeilage von Le Monde nannte Raphaëlle Leyris ihn „zweideutig und pervers“. Hingegen begeisterte sich der Direktor der Literaturbeilage des konservativen Le Figaro, Etienne de Montety, für „Houellebecq, das Marketingtalent“. In derselben Ausgabe erklärte der Rektor der Moschee von Bordeaux, Tareq Oubrou: „Houellebecq ist die Softvariante von Zemmour.“

Marine Le Pen, Bloc identitaire und ähnliche Reaktionen

An einer möglichen politischen Nutzanwendung für ihre eigene Agitation interessiert, erklärte Marine Le Pen am 05. Januar d.J., die Vision von Michel Houellebecq „könnte Wirklichkeit werden“. Sie wolle das Buch lesen, das zu dem Zeitpunkt noch nicht erschienen war. Ihr Abgeordneter Gilbert Collard pflichtete bei, die Machtübernahme durch eine muslimische Partei sei angeblich „aus demographischen Gründen“ wirklich möglich.

Der außerparlamentarische rechtsextreme Bloc identitaire, den Houellebecq in dem Buch ebenfalls zitiert hatte – als möglichen Urheber von Gewaltaktionen – schrieb einen Offenen Brief an ihn. Das auf sprachlich hohem Niveau und in Universitätsslang verfasste Schreiben beklagt, Houellebecq kenne den Verein wohl zu wenig, und fordert ihn zu einem Treffen auf. Zugleich „beruhigt“ der Bloc identitaire ihn, unter anderem auf Verweis auf die PEGIDA-Demonstrationen in Deutschland: Sein Horrorszenario werde „nie“ Wirklichkeit werden, man werde als autochthone Europäer der Bedrohung mannhaft widerstehen, und die Kombination aus „einer aktiven Avantgarde und einer Volksmehrheit“ sichere „historische Siege“. Gegen „Islamisierung und Immgration“.

Alles ganz anders, und ein ideologisches Missverständnis?

Dabei ist jedoch alles andere als sicher, ob genau dies – die Beschwörung solcher Gefahren – auch wirklich die Intention des Verfassers ist. Houellebecqs Protagonist „François“ führt seine Positionen wenig aus, vielmehr kommen vor allem seine Diskussionspartner in ausführlichen Dia- und Monologen zu Wort. Auch Michel Houellebecq legt sich in Interviews ungern auf eine bestimmte gesellschaftliche Position fest, sondern redet sich bei Nachfragen gern darauf hinaus, doch nur ein Autor zu sein. Ein Schriftsteller, der zwar die Polemiken nicht suche, ihnen allerdings „auch nicht angestrengt ausweiche“, wie er in einem Fernsehgespräch erklärte. Und, wie Houllebecq selbst relativierend anführt: „Es ist mir kein Beispiel bekannt, in dem ein Roman den Weltlauf verändert hätte. Essais vielleicht, ja, das ,Kommunistische Manifest’ – aber nicht Romane.“

Aber manchmal drückt er doch deutlichere Positionen aus. Bei seinem Auftritt in den Abendnachrichten des Fernsehsenders France 2 vom 06. Januar 15 (vgl. http://www.francetvinfo.fr) widerspricht Houllebecq in seinen Schlussworten, als er zur Pointe kommt, dem für einen „weltoffenen Islam“ eintretenden Islamforscher Malek Chebel, der Houellebecq vorgeworfen, dem Publikum ein „Angstgemälde“ vorzusetzen und seine furchtgenährten Fantasmen zu schüren: „„Ich finde überhaupt nicht, dass es sich bei dem in meinem Buch um einen radikalen Islam handelt, es handelt sich im Gegenteil um eine der sanftesten Varianten, die man sich vorstellen kann.“ Ich finde nicht, dass es sich dabei um einen Islam handelt, der Angst macht. Nein, da bin ich nicht mit Malek Chebel einverstanden.“

Gingen also manche Kritiker davon aus, dass Houellebecq bewusst einen Horrorzustand herbei beschwören wollte, wenn er Frankreich unter der Regierung der Fraternité musulmane beschrieb, so sieht der Verfasser selbst dies anscheinend anders. Er betreibt also im Grunde eher Apologie, als einen Schrecken an die Wand malen zu wollen. Houellebecq fügte in seinem Fernsehgespräch hinzu, aus seiner Sicht sei es eigentlich „der erste Teil des Buches, der Angst macht“. Also jene Abschnitte vor der Schicksalswahl von 2022, in denen ein desorientiertes Frankreich mit gewalttätigen Auseinandersetzungen, deren Urheber eher unklar bleiben, ausgemalt wird.

Aber er dementiert auch, dass es ihm etwa darum gehe, über „Überfremdung“ und die Zusammensetzung der französischen Wohnbevölkerung zu schreiben – also über das, was Rechte aller Schattierungen umtreibt, wenn sie die Chiffre „Islamisierung“ sagen und die angebliche fremdländische „Überflutung“ ihres Landes meinen. Houllebecq vertritt jedenfalls die Auffassung, dies sei nicht sein Thema, weder vom einen noch vom anderen Standpunkt aus.

Im L’Obs – dem soeben frisch umbenannten Wochenmagazin, das früher Le Nouvel Observateur hieß -, wo Houllebecqs Interview vom 05. Januar 15 unter dem Titel „Die Republik ist tot“ erschien, führt er dazu jedenfalls aus: „Es ist in meinem Buch quasi überhaupt nicht von Einwanderung die Rede. Die Einwanderung ist ein leichter Beschleuniger, aber die Islamisierung kommt aus dem Inneren. Marine Le Pen kann die Einwanderung aufhalten, doch sie kann nicht die Islamisierung aufhalten: Das ist ein spiritueller Prozess, ein Paradigmenwechsel, eine Rückkehr des Religiösen. Also, ich glaube nicht an diese These vom ,Bevölkerungsaustausch’“ – eine Anspielung Houellebecqs auf das Verschwörungstheorem des rassistischen Schriftstellers Renaud Camus, der unter dem Titel Le Grand remplacement wiederholt von einem bewussten Plan zum Austausch von einheimischen durch fremdstämmige Bevölkerungsgruppen sprach und von verschiedenen rechten Strömungen aufgegriffen wird. Houellebecq fährt fort: „Es ist keine Frage der rassischen Zusammensetzung der Bevölkerung, sondern es geht um die Frage ihres Wertesystems und ihrer Glaubensvorstellungen.“

Houellebecqs Kernthema, das ist nämlich die „Wiederkehr des Religiösen“, die er in mehreren Interviews als allgemeinmenschliches Bedürfnis im Zusammenhang mit der Sinnsuche bezeichnet. Houllebecq hatte bislang allgemein als Atheist gegolten und sich als solcher ausgewiesen, doch ein Atheist, der zugleich ein Unbehagen an der Sinnentleertheit der westlichen, liberalen, individualistischen Gesellschaftsordnung verspürt. Dieses brachte er in mehreren seiner Bücher zum Ausdruck.

In „Elementarteilchen“ von 1998 zum Beispiel stellt sich sein damaliger Held auf Sinnsuche – „Michel“, rein zufällig mit demselben Vornamen wie der Autor ausgestattet – unter anderem die Frage, ob er Anschluss an den rechtsextremen Front National suchen soll. Er verwirft diese Idee jedoch im Buch: „Sauerkraut essen mit Bier trinkenden Idioten, was soll mir das bringen?“ Rettung bringt damals im Schlussteil des Romans die Gentechnik, weil diese es erlauben wird, die sexuelle Fortpflanzung und damit das individuelle Begehren auszuschalten, und eine Art New Age-Ideologie. Houellebecq wurde daraufhin im Winter 1998/99 scharf angegriffen, weil er unter anderem die Ideale der bürgerlichen Revolution für historische Makulatur erkläre. Und er antwortete damals darauf, er finde etwa rechtsextreme katholische Fundamentalisten „sympathisch“ finde, von denen ihn jedoch eine Sache unterscheide: „Ich glaube nicht an Gott.“ (Vgl. http://jungle-world.com/artikel/1999/03/32089.html ) Der Roman „Elementarteilchen“ hieß deswegen so, weil der Titel die vereinzelten abendländischen Individuen symbolisieren sollte, die hin und wieder auf ihren Umlaufbahnen zusammenstoßen. Und in „Die Karte und das Gebiet“ von 2010 ließ Houellebecq sich ebenfalls über die gottesferne Sinnentleertheit der Gesellschaft und stellte christliche Priester als tragische Helden dar, die niemand mehr versteht. Abhilfe brachte hier zum Abschluss eine Überwucherung der Überreste dieser Zivilisation durch dichte Vegetation. (Vgl. http://jungle-world.com/artikel/2011/01/42373.html )

Wie es heute um seine persönlichen Überzeugungen in Bezug auf die Haltung zur Religion oder zu den Religionen steht, weiß man nicht wirklich, denn so viel verrät Houellebecq nicht über sein Innenleben. In einem Interview mit der deutschen Tageszeitung Die Welt ließ, den Tod seiner Eltern habe für ihn seinen bisherigen Atheismus „nicht gut verkraftet“. Houellebecqs grundlegende und oft wiederkehrende Fragestellung, die nach der Sinnentleerheit der westlichen Gesellschaft, die bei ihm auch in Verbindung mit Religiosität oder ihrer Abwesenheit gebracht wird, hat sich bei ihm in jedem Falle verdichtet.

In seinem ausführlichen Interview für das konservativ-reaktionäre Wochenendmagazin Le Figaro Magazine (Fig Mag), das dort am 09. Januar 15 unter dem Titel „Es ist das Abendland, das Selbstmord begeht!“ publiziert wurde, macht Houellebecq etwa einige Ausführungen dazu. Dort führt er etwa aus: „Nicht nur der Islam prosperiert. Auch dem Katholizismus geht es nicht so schlecht. Die Bewegung gegen die Homosexuellenehe (in Frankreich) war sehr beeindruckend, und eine authentische Generationenbewegung.“ Und an anderer Stelle: „Die Wiederkehr der religiösen Tatsache (du fait religieux) ist eine weltweite Bewegung, ein Tiefenphänomen. Der Atheismus ist zu traurig. Ich glaube, dass wir in diesem Moment dem Ende einer historischen Bewegung beiwohnen, die am Ausgang des Mittelalters begonnen hat. Die einzige Theorie, die im Augenblick als echter Verlierer dasteht, das ist diejenige Ideologie, die mit dem Protestantismus begonnen hat, ihren Höhepunkt im Jahrhundert der Aufklärung und zur (Französischen) Revolution führte, und die auf die Autonomie des Menschen und die Macht der Vernunft gegründet ist. Das ist eine Ideologie, die schlecht aufgestellt ist; ich habe sie übrigens in meinem Roman nicht zu Wort kommen lassen.“

Und im L‘Obs ergänzt er, betreffend die von ihm ausgemachte Strömung über Protestantismus, Aufklärung und bürgerliche Revolution: „All dies wird nur eine paranthèse– wörtlich „eine Klammer“, also ein abgeschlossener Abschnitt – „in der Geschichte gewesen sein“.

Rassistische Tiraden im Sinne etwa des Bloc identitaire sind das nun nicht. Beruhigend ist diese Vorstellung Michel Houellebecq jedoch ebenfalls nicht.

Hohe Ambivalenz

Doch Houellebecq wäre nicht Houellebecq, würde man ihn auf diese Aussage als gesellschaftliche Stellungsnahme festnageln können. Denn die Pariser Abendzeitung Le Monde zitiert ihn wiederum mit Aussprüchen, die anlässlich seines Kölner Auftritts vom 19. Januar d.J. aufgeschnappt wurden. (Vgl. http://www.lemonde.fr/ )

Demnach äußerte Houellebecq, die Idee sei „verlockend“, dass – wie die „identitären“ Kräfte behaupteten – „in letzter Instanz die Biologie entscheidender sei als die ideologische Ebene.“ Also letztlich eben doch, was er in einem oben angeführten Interview selbst als „die rassische Zusammensetzung“ der Gesellschaft bezeichnete. Und am selben Ort erklärte Houellebecq auch, er habe zwar „kein islamophobes Buch“ verfasst, als solches möge man seinen Roman nicht auffassen – aber wer ein solches Buch schreiben möge, habe „alles Recht dazu“, behauptete er unter Berufung auf die freie Meinungsäußerung.
Aber ist dies nun Houellebecq letztes Wort, drückt dies letztlich seine gesellschaftliche oder (indirekt) politische Haltung aus? Wir wissen es nicht, es muss vorläufig dahingestellt bleiben. Aber wei
ß Houellebecq es selbst, oder experimentiert er einfach nur mit unterschiedlichen rechten Posen, ohne in jeder von ihnen voll aufzugehen? Im Augenblick wird dies noch ein Rätsel bleiben müssen.

Editorische Hinweise

Wir erhielten den Artikel vom Autor für diese Ausgabe.