Im Spiegel der Linken: Griechenland nach der Wahl

Ein Wahlsieg mit Wermutstropfen

von
Tobi Hansen (Gruppe Arbeitermacht)

02-2015

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Aller Stimmungsmache zum Trotz haben die griechischen WählerInnen am 25. Januar die Regierung Samaras aus ND und Pasok abgewählt. Letztere hat fast zwei Drittel ihrer Stimmen verloren (von 12,3 auf 4,9%). Abgewählt wurde damit auch die Politik der EU und der Troika mit ihren Sparprogrammen, Kürzungen und Privatisierungen; abgewählt wurden die Vertreter des griechischen Kapitals, der EU-Bürokratie und v.a. des deutschen Imperialismus.

Stattdessen wählten die GriechInnen die Linksallianz Syriza, die angekündigt hatte, den Sparkurs und zahlreiche Maßnahmen der Troika zu beenden und einen Schuldenschnitt von der EU zu verlangen. Hauptslogan von Syriza im Wahlkampf war „Hoffnung - für ein neues Griechenland und Europa“. Mit dem Spitzenkandidaten Tsipras gewannen sie knapp 10% hinzu und kamen auf 36,3%. Damit wurden sie klar stärkste Kraft vor der Nea Demokratia (ND), die 27,8% erreichte.

Im restlichen Parteienspektrum hielten sich die Überraschungen in Grenzen. Die stalinistische KKE konnte sich bei 5,5% stabilisieren, die Faschisten von Chrysi Avgi konnten ihr Ergebnis mit 6,3% bei leichten Verlusten halten, die „Unabhängigen Griechen“ (ANEL) verloren knapp 3% und kamen auf 4,8%, die Neugründung Potami erreichte 6%. Die ehemalige Regierungspartei Dimar fiel auf unter 1% und auch Ex-Regierungschef Papandreou holte mit seiner Neugründung „Kidiso“ (Bewegung der Demokraten und Sozialisten) nur 2,5% und schaffte den Parlamentseinzug ebenfalls nicht.

Das antikapitalistische Bündnis Antarsya erreichte 0,7% und konnte sich somit zwar im Vergleich zur letzten Wahl (0,4%) steigern, blieb aber gesellschaftlich marginal. Es war diesmal mit der Gruppierung Plan B/MAS, einer Abspaltung von Syriza, gemeinsam angetreten.

Diese Wahl in Griechenland war die erste seit dem Beginn der EU-Schuldenkrise, bei der eine Partei gewonnen hat, die sich offen gegen Austeritätspolitik gestellt hat und gegen die Interessen des deutschen Imperialismus opponierte. Damit ist dieser Wahlausgang auch ein Zeichen gegen die Kürzungen, gegen die Massenverarmung in Griechenland.

Syrizas Koalitionsverhandlungen

Nach den Wahlen hatte Syriza als stärkste Partei drei Tage Zeit, um eine neue Koalition zu präsentieren. Passiert das nicht, dürfen die zweit- und die drittstärkste Partei es versuchen. Vor den Wahlen hatte Syriza erklärt, nur mit Parteien zu koalieren, welche die „Memoranden“ der EU ablehnen und diese im Parlament auch nicht unterstützt haben. Somit reduzierte sich der Kreis möglicher Koalitionspartner auf die KKE, die ANEL und Potami. Für viele überraschend endeten dann bereits die ersten Verhandlungen mit ANEL mit der Verkündung einer gemeinsamen Koalition. Tsipras wurde bereits am Montag als Ministerpräsident vereidigt. Aktuell wird ein Kabinett zusammengestellt.

Mit ANEL ist politisch mit der deutschen AfD vergleichbar. Sie ist eine konservative Abspaltung von ND und richtet sich gegen die Troika-Politik. Bei den Platzbesetzungen 2012 war sie der nationalistische Teil der Protestierenden am Syntagma-Platz. Ihre Ablehnung der Troika-Politik untermalte ANEL stets mit nationalistischer Rhetorik gegenüber Deutschland. So wurde ANEL offiziell auch in Distomo gegründet, dem Ort eines Massakers der SS im 2. Weltkrieg. Abgesehen von der Ablehnung der Troika-Politik ist ANEL eine erz-reaktionäre rechtpopulistische und nationalistische Kraft, welche sich stark auf die orthodoxe Kirche bezieht und chauvinistische Töne gegenüber Mazedonien und der Türkei anschlägt. Zudem steht sie auch für eine offen rassistische Politik gegen MigrantInnen und Flüchtlinge. Parteichef Kammenos war früher Schifffahrtsminister bei der ND, was für gute Kontakte zu Teilen des Kapitals spricht. Seine Frau ist Eigentümerin einer Reederei.

Potami ist mindestens genauso bürgerlich wie ANEL. Im Wahlkampf stellte sie sich als Protestpartei gegen das Establishment dar. Ihr Gründer besitzt den größten Medienkonzern im Land. Auch einige große Bauunternehmer sind in der Partei vertreten.

Die KKE hatte bereits angekündigt, nicht mit Syriza zu koalieren - obwohl sie früher sogar schon einmal mit der ND koaliert hatte. Bestenfalls würde die Fraktion einzelne Maßnahmen der Regierung unterstützen. Für die KKE stellt jede Syriza-Regierung (auch eine Minderheitsregierung) die „Fortsetzung der Unterwerfung unter den Euro und den EU-Imperialismus“ dar. Damit setzt die KKE ihre sektiererische Politik der letzten Jahre fort, als sie sich auch jeder Einheitsfront mit Syriza in den Massen-Protesten verweigert hatte.

Die KKE ist sektiererisch gegenüber Syriza, aber selbst eine reformistische Partei, die den Anti-EU-Flügel des griechischen Bürgertums hofiert. Sie ist das stalinistisch gebliebene Spaltprodukt der griechischen KP, das andere ist die „eurokommunistische“ Synaspismos, Hauptbestandteil von Syriza.

Welche Haltung zur neuen Regierung?

Für revolutionäre KommunistInnen ist es unerlässlich, Syriza gegen das griechische und europäische Kapital zu verteidigen. Die von Tsipras innerhalb weniger Stunden nach seiner Ernennung zum Ministerpräsidenten angekündigten Reformen haben schon jetzt die Alarmglocken bei den europäischen Imperialisten, beim IWF, der EZB und v.a. dem deutschen Imperialismus ringen lassen.

Wiedereinstellung der Beschäftigten im Öffentlichen Dienst, Einführung eines Mindestlohns von 751 Euro, Stopp der Privatisierungen (also des Verschleuderns von öffentlichem Eigentum) - all das verstößt gegen die „Vereinbarungen“ mit der Vorgängerregierung. Zu allem Überdruss stellt sich Griechenland jetzt auch gegen die Sanktionen gegen Russland und die vereinte Kriegstreiberei der westlichen Imperialisten.

Noch - jedenfalls zur Zeit des Verfassens dieses Artikels - versuchen es die Schäubles, Merkels, Junckers, ... mit Diplomatie. Martin Schulz, EU-Parlamentspräsident, Sozialdemokrat, Schönredner und Mensch gewordener Grußdirektor der imperialistischen EU, versucht es mit Verständigung. Danach, wenn die ersten neuen Kredite nötig werden, werden wohl die schweren Bataillone der EU anrücken.

Gegen diese unvermeidlichen Angriffe, Erpressungen Griechenlands muss die europäische ArbeiterInnenklasse ohne Wenn und Aber mobil machen - trotz der Regierungsbeteiligung von ANEL. Wir fordern die Streichung aller Schulden! Die Banken und Konzerne sollen dafür zahlen - nicht die griechischen und anderen europäischen ArbeiterInnen!

Nein zum Pakt mit ANEL! Nein zu jeder Koalition mit offen bürgerlichen Parteien!

Während wir Syriza gegen die bürgerlichen und reaktionären Angriffe verteidigen, genauso klar müssen wir den bürgerlichen Koalitionspartner ablehnen.

Für ANEL gibt es in dieser Koalition mehrere „Grenzlinien“: die Kirche, die Außenpolitik und die Flüchtlingspolitik, bei denen sie Kompromisse ablehnt. Hinzu kommt, dass sie mit dem Verteidigungsministerium einen zentralen Bereich des Staatsapparats unter sich hat und auch jede Auflösung der Sondereinheiten der Polizei verhindert und die Faschisten in der Polizei verteidigen wird.

In den anderen Bereichen konnte sich anscheinend Syriza durchsetzen und wird dort die Minister stellen. Die schnelle Einigung lässt auch darauf schließen, dass zumindest im Parteivorstand von Syriza diese Koalition vorbereitet wurde - darauf hätte die Linke in Syriza mit einem politischen Kampf reagieren müssen.

Mit dieser Koalition hat Syriza eine offen bürgerlich-nationale Partei in die Regierung geholt. Dies hat v.a. zwei Gründe: Zum einen ist dies schon ein Fingerzeig Richtung EU, dass auch die künftige Regierung fest auf dem Boden des Kapitalismus in Griechenland steht. Bei den angestrebten Verhandlungen mit der EU will sich Tsipras, was die Außen- und Sicherheitspolitik angeht, „kompromissfähig“ zeigen.

Zum anderen ist ANEL für Tsipras auch die „eingebaute Entschuldigung“ gegenüber den Forderungen der Linken - in Syriza wie auch in den sozialen Bewegungen und in der radikalen Linken. Der bürgerliche Koalitionspartner dient gut dazu, eine linkere Politik und radikalere, gar anti-kapitalistische Maßnahmen, als „mit ANEL nicht machbar zu begründen.

Die neue Koalition ist nicht einfach eine seit Jahrzehnten praktizierte Regierung aus bürgerlichen Arbeiterparteien mit offenen Agenturen des Kapitals. Sie ist eine Volksfront, in der die Bourgeoisie das Veto behält in einer entscheidenden Klassenkampfsituation in Griechenland und der EU.

Welche Aufgaben für die radikale Linke?

Kaum ist die Koalition perfekt, sammeln sich schon diejenigen, die dieses Vorgehen prinzipienlos verteidigen, ja es sogar als cleveren Schachzug von Tsipras darstellen. Dies geht auch einher mit der Behauptung, Syriza wäre ANEL überlegen, weil es mehr Experten und Wissenschaftler in der Partei hätte und dadurch schon den Einfluss von ANEL zurück drängen könnte.

Syriza hatte drei Tage Zeit für Sondierungs- und Koalitionsgespräche. So hätte Syriza Zeit gehabt, verschiedenen Parteien und Abgeordneten Angebote zu machen. Da ja nur zwei Sitze zur absoluten Mehrheit fehlen (149 von 151), wäre es durchaus möglich gewesen, einzelne „Überläufer“ für die eigene Fraktion zu gewinnen. Im letzten Parlament gab es immerhin mehr als 20 Abgeordnete, die ihre Fraktion verließen. Ebenso wäre es möglich gewesen, eine Minderheitsregierung zu bilden, dieses Recht hat eine Fraktion ab 120 Abgeordneten.

Diese Minderheitsregierung hätte ihre Maßnahmen und Gesetze ins Parlament einbringen können, um z.B. mit wechselnden Mehrheiten erste Schritte ihres Programms umzusetzen. Wenn diese Regierung z.B. von der KKE keine Unterstützung für einzelne fortschrittliche Maßnahmen bekommen hätte, wären auch Neuwahlen eine Option für Syriza gewesen. Zudem hätte die KKE dann ein großes Problem bei ihren AnhängerInnen bekommen - hätte sie doch die Verantwortung zu tragen für den Sturz der ersten Regierung in Europa, die die Memoranden der Troika ablehnt. Taktisch hätte eine Syriza-Minderheitsregierung die KKE vor sich hertreiben können, hätte aufzeigen können, ob die KKE für eine Erhöhung des Mindestlohns stimmt oder für eine kostenlose Stromversorgung für diejenigen, denen der Strom abgeklemmt wurde - oder ob es der KKE „aus Prinzip“ wichtiger gewesen wäre, gegen Syriza und Tsipras zu stimmen. Bei Neuwahlen hätte die KKE wie schon 2012 wahrscheinlich Stimmen an Syriza verloren, welche dann für eine absolute Mehrheit gereicht hätten, während ND wohl kaum 10% Rückstand hätte aufholen können.

Die Ablehnung jeglicher Regierungszusammenarbeit hindert jetzt auch die KKE und damit auch zehntausende organisierte ArbeiterInnen in der Gewerkschaft PAME daran, Druck auf Tsipras und Syriza auszuüben. So kommt die Revolution in Griechenland sicher keinen Schritt weiter. Stattdessen kann die KKE weiter passiv die „linke Opposition“ mimen.

Doch jetzt stellt sich die Frage, wie die antikapitalistischen Linken innerhalb und außerhalb von Syriza auf diese neue Koalition reagieren? Dabei muss v.a. das verbreitete Sektierertum der griechischen radikalen Linken überwunden werden. In unserem Artikel vor der Wahl skizzierten wir das folgendermaßen:

„Dazu ist es notwendig, die Kritik an der Politik und Strategie von Syriza offenzulegen - aber auf eine Art und Weise, die uns nicht von den Massen isoliert, die diese Partei unterstützen. Wir müssen zeigen, dass wir keine Regierung brauchen, die sich auf Reformen im Rahmen der kapitalistischen Wirtschaft beschränkt.“

Eigentlich müsste es dazu von der KKE, von Antarsya, wie auch von der linken Plattform in Syriza eine gemeinsame Taktik gegen diese entstandene Volksfront-Regierung geben. Selbst im Parlament wäre dies möglich. Der linke Flügel von Syriza verfügt sicher über 20-30 Abgeordnete. Zusammen mit den 15 Abgeordneten der KKE könnten sie eine sehr alte und prominente Forderung der Bolschewiki aus dem Jahr 1917 wiederholen: „Raus mit den bürgerlichen Ministern!“ Damit könnte ANEL schon bei der Regierungsbildung Widerstand entgegengebracht werden.

Während sich KKE und Antarsya gegenüber einer solchen bolschewistischen Taktik passiv und sektiererisch verhalten, ist ein Großteil der linken Plattform von Syriza dabei, sich von Tsipras einwickeln zu lassen, und wird von ihm in die Regierungsverantwortung eingebunden. Andere Organisationen wie DEA (Internationale Arbeiterlinke) lehnen die Koalition zwar ab - sprechen aber nicht offen aus, dass die Linke in Syriza für den Bruch der Koalition kämpfen und für eine Alleinregierung von Syriza oder eine Koalition mit der KKE eintreten muss.

Die sozialen Bewegungen und die Gewerkschaften müssen jetzt mobilisieren, um erstens Syriza zu zwingen, ihre Versprechungen umzusetzen und weiter gehende Forderungen zu artikulieren und damit Syriza sowohl unter Druck zu setzen als auch, deren Maßnahmen, wo sie richtig sind, zu unterstützen. Zweitens würde dann auch klar, dass ANEL als politischer Partner unbrauchbar ist und die Koalition mit ihr beendet werden muss.

Damit die Bewegung nicht einfach von den reformistischen oder zentristischen Führungen als Manövriermasse missbraucht und gebremst werden kann, ist es nötig, dass Basiskomitees vor Ort und in den Betrieben gebildet werden, deren Führungen wählbar und abwählbar und der Basis direkt rechenschaftspflichtig sind. Diese Strukturen müssen eine gemeinsame Forderungsplattform erarbeiten und einen allgemeinen Aktionsplan für die Bewegung. So - und letztlich nur so - kann Syriza (und die KKE) voran getrieben und verhindert werden, dass Tsipras die Interessen der WählerInnen und der Arbeiterklasse auf dem Altar von Verhandlungen mit der EU opfert.

Dies kann und muss zu einer breiten Einheitsfront führen - nicht nur zu sozialen Fragen. Ein wichtiges Thema dabei muss auch die Frage der MigrantInnen und der Flüchtlingspolitik sein, gerade auch um gegen die nationalistische Politik von ANEL konsequent vorzugehen. Formal befürwortet ANEL, dass die Flüchtlinge legale Aufenthaltspapiere bekommen, allerdings nur, um sie dann in andere EU-Staaten abzuschieben. Die Verbesserung der sozialen und medizinischen Lage der Flüchtlinge wie deren schnelle Anerkennung und das Recht auf Unterkunft muss eine wichtige Forderung an Syriza werden - auch um die Widersprüche mit ANEL zuzuspitzen.

Einheitsfront und Arbeiterregierung

Letztlich muss eine Mobilisierung der radikalen parlamentarischen und außerparlamentarischen Linken dazu führen, dass von Syriza und KKE die Bildung einer Arbeiterregierung gefordert wird. Als erster Schritt dazu müssen beide Arbeiter-Parteien u.a. Linke zusammen arbeiten. Dazu braucht es den Druck von Basiskomitees, die die Mobilisierung vorantreiben und dabei sowohl richtige Maßnahmen der Regierung unterstützen als auch den Bruch mit ANEL fordern.

Dies könnte in Form einer Initiative innerhalb der Gewerkschaften und sozialen Bewegungen vonstatten gehen, mit der die KKE aufgefordert wird, für soziale Maßnahmen von Syriza zu stimmen. Dafür dürfte es einige Möglichkeiten geben. Die Erhöhung des Mindestlohns, Krankenversicherung auch für Arbeitslose, Wiedereinstellung von 3000 Beschäftigten im Gesundheitsbereich usw. Dort muss Druck auf KKE/Pame aufgebaut werden.

Diese Einheitsfront muss sich auch gegen die Repressionsorgane des griechischen Staates organisieren. Die griechische Polizei wird dominiert von Faschisten, gegen sie müssen sich die ArbeiterInnen auch militant aufstellen. Hier liegt auch eine große Gefahr für die kommenden Monate für die neue Regierung. Chrysi Avgi hat weiterhin das Potenzial zu einer Massenkraft zu werden. Dagegen muss sich die WählerInnenschaft von Syriza, KKE und Antarsya organisieren. Im gesamten Verwaltungsapparat des Staates sitzen die Lakaien und Höflinge des griechischen Kapitals.

Die Forderung nach einer Arbeiterregierung beinhaltet daher auch den Aufbau eigener Organe der Klasse, welche die Vorhaben und die Umsetzung der Gesetze kontrollieren und letztlich in der Lage sein müssen, den bürgerlichen Staatsapparat, der die Umsetzung einer wirklich alternativen und fortschrittlichen Politik boykottieren wird, zu zerschlagen und durch Organe der Klasse wie Räte, Milizen, Kontrollorgane und Basiskomitees zu ersetzen. Wenn Syriza und ANEL z.B. eine höhere Besteuerung der Kapitalisten in Griechenland fordern, so muss es Ziel der ArbeiterInnenbewegung sein, dies genau zu kontrollieren und effektiv durchzusetzen. Gegebenenfalls müssen Steuersünder dann auch entschädigungslos unter Arbeiterkontrolle enteignet werden - spätestens da wird aber ANEL nicht mehr mitgehen.

Eine Syriza-Alleinregierung oder eine Koalition aus Syriza-KKE wäre zwar noch immer eine Regierung, die versucht, Reformen für die ArbeiterInnenklasse mit dem bürgerlichen System zu kombinieren, also eine „bürgerliche Arbeiterregierung“ - aber sie könnte in der aktuellen Lage ein wichtiges Mittel sein zur weiteren Zuspitzung des Klassenkampfes, ein Zwischenstadium, das der Masse deutlich macht, dass sie über ein Programm der sozialen Reform hinaus zum Sturz der Kapitalismus schreiten muss, wenn sie ihre Lage dauerhaft verbessern, die Übel der Krise nicht nur mildern, sondern ihre Wurzeln bekämpfen will.

In einer solchen Bewegung muss dann auch die bisherige Politik der linken Organisationen auf den Prüfstand. Entscheidend dabei muss die Frage des Aufbaus einer revolutionären Partei in Griechenland sein, die sowohl mit dem Keynesianismus/Reformismus von Syriza, aber ebenso mit dem Sektierertum der nationalreformistischen KKE und des zentristischen Bündnisses Antarsya bricht.

Was macht die europäische radikale Linke?

Sicher sind Teile der radikalen Linken über die Geschwindigkeit und Richtung der Koalitionsregierung überrascht, aber das entledigt diese nicht der Antwort darauf, wie wir mit dieser Situation umgehen und welche Taktik gegenüber dieser Volksfront-Regierung anzuwenden ist. Falsch und völlig unproduktiv ist sicher eine Position „Tsipras wird sich was dabei gedacht haben, deswegen ist das auch richtig und muss unterstützt werden. Ausserdem wollen wir keine Ratschläge erteilen.“

Bloße Passivität, gepaart mit abstrakter Ablehnung auf der anderen Seite, ist aber genauso falsch, weil es weder der „Linken“ noch den „Revolutionären“ und schon gar nicht den ArbeiterInnen eine Perspektive weist.

Es gibt in diesem Europa keine „Wunschregierungen“ und keine „Wunschparteien“. Stattdessen müssen KommunistInnen Taktiken anwenden, welche eine breite Mobilisierung der Klasse ermöglichen, die Widersprüche zum reformistischen Programm Syrizas zuspitzen und gleichzeitig gegen die Regierungsbeteiligung von ANEL argumentieren.

Schon Ende Februar gibt es den ersten „Lackmustest“ für die neue Regierung, wenn die nächsten Verhandlungen über eine Kredittranche von 6 Mrd. Euro anstehen. Hier wird Syriza erstmals herausgefordert, real gegen die Sparpolitik der Troika vorzugehen. Hier kann die europäische Linke nicht abseits stehen, sondern muss aktiv Solidarität mit den griechischen ArbeiterInnen und Bauern, Jugendlichen und RentnerInnen aufbauen. Diese Solidarität darf jedoch nicht unkritisch gegenüber Syriza sein, muss aber sehr wohl konsequent gegen die Troika und den deutschen Imperialismus Stellung beziehen. Hier muss auch klar sein, dass wir auch eine Volksfront-Regierung gegen die Erpressung des deutschen Imperialismus und der EU-Bürokratie in Schutz nehmen, wie wir auch Maßnahmen gegen Privatisierungen und die Rücknahme von Kürzungen verteidigen müssen.

Dazu müssen wir die europäischen Linksparteien, die Gewerkschaften, Blockupy-Bündnisse, Anti-Krisenbewegungen zu gemeinsamen Konferenzen und Aktionen aufrufen. Schon im Mai kann es auch in Spanien zu einem Regierungswechsel kommen. Die in den Umfragen führende „Podemos“ hat ihren Widerstand gegen die Austeritätspolitik der EU angekündigt. Dies kann die vorherrschende Politik des Kapitals in Europa herausfordern. Es gibt in Italien und Belgien soziale Kämpfe gegen die Kürzungen. Alle diese Kämpfe müssen wir mit einer europäischen Perspektive vereinen.

Dazu brauchen wir gemeinsame Aktionen, müssen Solidarität organisieren und für ein Europa der Beschäftigten, der Arbeitslosen, der Jugend, der Frauen und der RentnerInnen eintreten. Dabei müssen revolutionäre Organisationen in diesen Einheitsfronten für einen Bruch mit dem Reformismus und dem entstandenen Populismus - wie bei Podemos - eintreten und für eine sozialistische klassenkämpferische Position werben. Dringlicher denn je braucht es eine revolutionäre ArbeiterInnenpartei. Erster Adressat dafür ist besagte Linke, die beginnen muss, ein revolutionäres Aktionsprogramm auszuarbeiten entlang der Linie des Kampfes für eine Arbeiterregierung. Ausgehend von der Unterstützung wirklicher Regierungsreformen muss über den Weg, Doppelmacht- und Kontrollorgane des Proletariats zu bilden, die Mehrheit der organisierten Arbeiterbewegung von der Volksfrontpolitik des EU-Reformismus und dem Nationalreformismus weg für revolutionäre Politik gewonnen werden. Die Achsen für dieses Herangehen haben wir in diesem Artikel aufzuzeigen versucht und schlagen sie der Diskussion in der griechischen radikalen Linken und darüber hinaus vor.

Dem Europa des Kapitals stellen wir keine erneute reformistische Illusion entgegen, sondern die „Vereinigten sozialistischen Staaten von Europa“. Eine „alte“ Losung der revolutionär-kommunistischen Bewegung, die heute aktueller denn je ist.

  • Nein zur Regierungsbeteiligung von ANEL! Für eine Regierung aus Syriza-KKE, die sich auf die Mobilisierung der Massen stützt!

  • Volle Mobilisierung der ArbeiterInnen, der sozialen Bewegungen und Gewerkschaften mit Forderungen an Syriza!

  • Für Basiskomitees in Betrieben und Stadtteilen, um die Regierung auf Schritt und Tritt zu kontrollieren!

  • Streichung der Schulden Griechenlands! Für den Aufbau einer Solidaritätsbewegung gegen Troika, EU-Bürokratie und den deutschen Imperialismus!

Editorische Hinweise

Wir erhielten den Artikel von:

ARBEITERMACHT-INFOMAIL
Nummer 796
29. Januar 2015

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