Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Der Front National vor den Europaparlaments- und Kommunalwahlen

02-2014

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Seit Jahresanfang geht es Schlag auf Schlag, Sonntag auf Sonntag, Aufmarsch auf Aufmarsch. Die Rechte und die extreme Rechte nehmen tageweise oder wochenendweise Besitz von der Straße. Gegenüber ist die politische Linke weitgehend gelähmt, gespalten zwischen Anhängern des „kleineren Übels“ und Verfechterinnen einer Oppositionslinie, frustriert und desorientiert über die eskalierende wirtschaftsliberale Orientierung der Regierung.

Am 25. Mai 14 finden die Europaparlamentswahlen statt (auf den britischen Inseln drei Tage zuvor), und davor die französischen Rathauswahlen. Diese sind im ganzen Land, in zwei Wahlgängen, auf den 23. und 30. März 14 angesetzt.

Bei den EP-Wahlen wusste man, mit welchen Kräften der Front National verbündet ist: Am 15. November 13 wurde in Wien ein Wahlbündnis geschlossen, das neben der französischen Partei fünf andere rechtsextreme Formationen umfasst. Es handelt sich um die österreichische FPÖ, die italienische Lega Nord, den belgischen Vlaams Belang, die „Schwedendemokraten“ (SD) sowie eine slowakische nationalistische Partei. Zusätzlich ist Marine Le Pen mit dem wasserstoffblonden Niederländer Geert Wilders und seiner „Partei für die Freiheit“ PVV verbündet: Beide Parteichefs trafen am 13. November 13 in Den Haag zusammen.

Nun hat Marine Le Pen bzw. ihr europapolitischer Berater Ludovic de Danne auch präzisiert, mit wem man in Europa n i c h t kooperieren möchte(1). Keine Zusammenarbeit geben soll es demnach künftig mit der ungarischen Partei Jobbik: Diese sei zu „anti-israelisch“ (und vor allem offen antisemitisch!). Ferner seien ihre Positionen zur Türkei „merkwürdig“ und unakzeptabel, erklärte der europapolitische Le Pen-Berater. Tatsächlich geben sich die ungarischen Rechtsextremen aus historischen Gründen sehr türkeifreundlich: Nach dem Ersten Weltkrieg wandten sich die ungarischen radikalen Nationalisten, angewidert vom Trianon-Vertrag (durch den das Staatsgebiet Ungarns erheblich verkleinert wurde), von Westeuropa ab, von dem man sich „verraten und verkauft“ fühlte. Zuspruch fanden bei ihnen stattdessen der japanische Nationalismus und der türkische Kemalismus. Ende Oktober und Anfang November 2013 weilte Jobbik-Chef an vier türkischen Universitäten und proklamierte seine angebliche unverbrüchliche Liebe zur Türkei. Als zweite nicht kooperationsfähige Partei nannte de Danne auch die bulgarische Formation Ataka, ohne nähere Gründe dazu zu nennen. Mutmaßlich sind Aussprüche von Parlamentariern der Ataka-Partei, die sich etwa dafür aussprachen, Roma zu „Seife“ zu verarbeiten, aus Sicht der Franzosen nicht besonders vorzeigbar.

An dritter Stelle nannte Ludovic de Danne auch die britische BNP als Partei, mit welcher man lieber nicht kooperieren möchte. Als Grund benannte er eine Passage in den Statuten der BNP, welche die Mitgliedschaft allein „Weißen“ vorbehält (und die übrigens pro forma vor kurzem bereits abgeändert worden ist). Wirklicher Hauptgrund für die Ablehnung der Kooperation dürfte – neben offen geschichtsrevisionistischen Anwandlungen von BNP-Chef Nick Griffin – aber wohl auch sein, dass der französische Front National auf einen viel größeren und einflussreicheren, umworbenen Kooperationspartner auf den britischen Inseln schielt: die EU-feindliche „Partei für die Unabhängigkeit des Vereinigten Königreichs“ (UKIP) unter Nigel Farage. Im aktuellen Meinungsklima hat die UKIP einen Aufschwung erlebt, sie könnte derzeit wohl rund 20 % der Stimmen kassieren, und in manchen Umfragen rangiert sie inzwischen vor den regierenden Konservativen unter David Cameron. Der ausgesprochen schlechte Umgang des amtierenden Premierministers mit der seit sechs Wochen anhaltenden Flutkatastrophe in weiten Teilen Englands hat den Umschwung von den Torys hin zur UKIP in den letzten Tagen und Wochen noch begünstigt, ebenso wie der sehr starke Anti-Einwanderungs-Diskurs gegenüber Neuzuwanderung aus Ost- und Südosteuropa.

Aktuell möchte die UKIP auf der anderen Seite des Ärmelkanals allerdings nicht wirklich mit dem FN kooperieren, sondern lieber mit dem bürgerlichen Nationalisten und „gaullistisch“ inspirierten EU-Kritiker Nicolas Dupont-Aignan. Allerdings ist es im Augenblick eher unwahrscheinlich, dass Dupont-Aignan und seine Leute ins nächste Europaparlament einzieht, während der FN laut eigenen Angaben mit 15 bis 20 Sitzen dort rechnet(2). Im Oktober 2013 sah eine Umfrage zur Europaparlamentswahl den FN erstmals als stimmenstärkste Partei abschneiden und bei 23 Prozent der Stimmen liegen. Am vorigen Freitag, den 14. Februar 14 wurde eine neue Umfrage für ,Le Figaro‘ publik. Demnach kann der FN mit 20 Prozent der Stimmen bei der EP-Wahl rechnen und würde damit zur zweitstärksten Partei in Frankreich. Knapp vor ihm läge demnach die konservativ-wirtschaftsliberale UMP (die ihrerseits einen gewachsenen nationalkonservativen bis quasi-rechtsextremen Flügel aufweist) mit 22 % der Stimmabsichten, und die Sozialdemokratie mit 16 % würde erst auf dem dritten Platz folgen(3).

Im Hinblick auf die Rathauswahlen trifft der FN hingegen auf einige Probleme. Hatte die Partei noch im Herbst 2013 angegeben, sie werde voraussichtlich in 700 Städten mit über 9.000 Einwohner/inne/n Listen aufstellen (insgesamt gibt es in Frankreich rund 3.000 solcher Städte und alles in allem 36.000 Kommunen, in den kleineren treten allerdings nur parteifreie Listen an), so scheinen es derzeit unter 500 zu werden. Der Hauptgrund dafür ist, dass es der rechtsextremen Partei an qualifiziertem und vorzeigbarem Personal mangelt: Ihre Intelligenzschicht ist zwar vorhanden, aber doch relativ dünn. Darunter kommt eine Mitgliedschaft mit einem Profil, das man lieber nicht allzu offen zur Schau stellt, zum Vorschein.

Zuletzt wurde am vergangenen Freitag, den 14. Februar d.J. ein Kandidat auf der Liste des FN im zentralfranzösischen Châteauroux ausgeschlossen. Es handelt sich um den 25jährigen Bastien Durocher. Er hatte ursprünglich die „gute Idee“ besessen, seine Tätowierungen auf einem bei Facebook publizierten Foto zur Schau zu stellen. Auf ihm sieht man deutlich eine Tätowierung auf seinem Unterarm prangen, welche die SS-Division Charlemagne verherrlicht – Letztere bestand aus französischen Freiwilligen bei der Waffen-SS und war im ganzen besetzten Europa aktiv. Durocher hatte dieses Foto im Herbst 2011 gelöscht, aber Antifaschist/inn/en hatten ihrerseits die (dieses Mal wirklich) gute Idee, einen Screenshot – eine Bildschirmkopie – davon aufzubewahren. Die Aufnahme kam nun ans Tageslicht. Durocher geriet in die Defensive und rechtfertigte sich, es handele sich um „Jugendsünden“ (er sei damals 19 gewesen), und er habe angeblich einen Termin am 04. März d.J., um die Tätowierung zu beseitigen. Ein, nun ja, ziemlich schlechter Eindruck war aber bereits entstanden. Der örtliche Spitzenkandidat des FN, Matthieu Colombier, erklärte zwar zunächst am 13. Februar 14, er behalte „sein Vertrauer zu Durocher aufrecht“(4). Am folgenden Tag änderte er jedoch seine Position, und der FN-Spitzenfunktionär Nicolas Bay erklärte gegenüber der Tageszeitung ,Libération‘ (Ausgabe vom 15./16. Februar 14), er habe ihm bedeutet, dieser Meinungswandel sei „eine gute Idee“. Durocher wurde also doch noch ’rausgekantet. Ein saumäßig guter Eindruck dürfte jedoch bereits hinterlassen worden sein…

Anmerkungen

Editorische Hinweise

Wir bekamen den Artikel vom Autor für diese Ausgabe.