Seit Jahresanfang
geht es Schlag auf Schlag, Sonntag auf Sonntag,
Aufmarsch auf Aufmarsch. Die Rechte und die extreme
Rechte nehmen tageweise oder wochenendweise Besitz
von der Straße. Gegenüber ist die politische Linke
weitgehend gelähmt, gespalten zwischen Anhängern des
„kleineren Übels“ und Verfechterinnen einer
Oppositionslinie, frustriert und desorientiert über
die eskalierende wirtschaftsliberale Orientierung
der Regierung.
Volksabstimmungen in
der Schweiz haben die französische extreme Rechte schon immer
fasziniert. In den frühen 1970er Jahren beispielsweise bezog der
junge Front National (FN) von dorther seine Inspiration, sich
für „das Einwanderungsproblem“ zu interessieren. Ursprünglich
hatte die französische rechtsextreme Partei nur ein geringes
Interesse an der Frage gezeigt: In den Anfangsjahren widmete
sich der FN in seiner Propaganda vor allem Themen wie der
Ablehnung der Entkolonisierung, dem Kampf gegen Abtreibung und
„Werteverfall“ sowie dem Antikommunismus. Einwanderung war im
Frankreich der Jahre 1972/73 (noch) kein Gegenstand von
polemischen Auseinandersetzungen, und auch in den Augen der
Rechten erlaubte es die Zuwanderung aus den früheren Kolonien,
die „niedrigen“ Arbeitsplätze zu besetzen und es den Franzosen
zu erlauben, „höhere“ Positionen einzunehmen. Der Anstieg der
Arbeitslosigkeit ab 1974/75 veränderte diesbezüglich natürlich
die Ausgangssituation. Aber ein Blick auf die Eidgenossenschaft
half der französischen extremen Rechten dabei.
Am
07. Juni 1970 hatte die so genannte „Schwarzenbach-Initiative“ –
ein Volksbegehren, das darauf abzielte, die Zahl der „Ausländer“
pro Kanton auf maximal 10 Prozent zu begrenzen, was darauf
hinauslief, dass 300.000 Personen die Schweiz hätten verlassen
müssen – 46 % der Stimmen erzielt. Das Volksbegehren war durch
die damalige extreme Rechte in der Schweiz rund um die Partei
„Nationale Aktion“ (NA) lanciert worden; aber alle großen
Parteien, Kapitalverbände und Gewerkschaften wandten sich
dagegen. Vor diesem Hintergrund war das Abschneiden des
Volksbegehrens mit 46 % Zustimmung ein Bombenerfolg, beinahe ein
politisches Erdbeben. Der damalige Chefideologe des FN, François
Duprat – im Gegensatz zum heutigen Führungspersonal der Partei
ein offener, bekennender Faschist -, erkannte das Potenzial, die
Sprengkraft, die der Sache innewohnte. Er eichte seine Partei
darauf, systematisch das Thema „Einwanderungsproblematik“ zu
beackern. Zur Parlamentswahl im März 1978 führte der Front
National erstmals eine Wahlkampagne durch, die die beiden Themen
Einwanderung und Massenarbeitslosigkeit miteinander verknüpfte.
Damals war der Wahlkampf noch ein Flop – der FN war und blieb in
jenen Jahren eine Splitterpartei, und im März 1978 schnitt er
mit 0,3 % der Stimmen noch schlechter ab als bei der
Parlamentswahl davor, 1973 -, aber die inhaltlichen Fundamente
für spätere, sehr erfolgreiche Kampagnen waren gelegt. (François
Duprat sollte es nicht mehr erleben: Er flog am 18. März 1978
mit seinem Auto in die Luft. Die Explosion war mutmaßlich durch
Aktivisten konkurrierender Strömungen im rechten Lager ausgelöst
worden.)
Auch die Volksabstimmung zum Thema „Verbot des Minarettbaus“ vom
29.11.2009 in der Schweiz, die dieses Mal zur Annahme des
Volksbegehrens mit rund 53 % der Stimmen führte, faszinierte die
extreme Rechte in Frankreich. Und nicht nur diese. In einem
Gastbeitrag für die Pariser Abendzeitung Le Monde
zeigte sich der damals amtierende Präsident Nicolas Sarkozy
zugeneigt. Er versuchte, das Thema auch in Frankreich
aufzugreifen (wenngleich er erklärte, ein Referendum zu
vergleichbaren Themen im eigenen Land abzulehnen, da
Volksabstimmungen zu vereinfachten Ja-Nein-Alternativen
zwängen). Sarkozy erklärte, er verstehe die Bevölkerung, die –
wie in der Schweiz – ihre Landschaft bewahren wolle; indirekt
war dabei mitgedacht: gegen ihr Verschandelung durch Moscheen.
Und er führte gegen Ende seines Gastbeitrags aus, die „zuletzt
gekommene“ Religion müsse gegenüber den „Alteingesessenen“
besser „diskret“ bleiben.
Dieses Mal ist eine
Infragestellung der Freizügigkeitsregeln für EU-Bürger/innen,
die am 09. Februar 14 in der Schweiz durch 50,3 % der
abstimmenden Bevölkerung befürwortet wurde. Dafür gäbe es auch
in Frankreich eine Basis, vor allem im Hinblick auf
Staatsbürger/innen Rumäniens und Bulgariens. Im öffentlichen
politischen Diskurs wird die Frage, ob nicht die Bevölkerung
über (die Verhinderung von) Einwanderung abstimmen dürfe und ob
nicht die Schweizer Recht hätten, allerdings eher auf allgemeine
Weise – nicht speziell im Bezug auf die EU und ihre Regelungen
zur Freizügigkeit innerhalb der EU – aufgeworfen und diskutiert.
Am
Montag früh nach der Abstimmung, dem 10. Februar 14, reagierte
der konservative Spitzenpolitiker und Ex-Premierminister
François Fillon bei den Sender BFM-TV und RMC mit den Worten, es
sei „absolut natürlich“, dass „ein Land die
Anzahl der Ausländer auf seinem Territorium verringern möchte“.
Am Mittwoch, den 12. Februar d.J. forderte sein Parteifreund
Christian Estrosi, Bürgermeister von Nizza (der fünftgrößten
Stadt in Frankreich), „eine ähnliche Volksabstimmung auch
in Frankreich“. Dazu schlug er vor, ein Referendum zum
Thema am selben Tag wie die Europaparlamentswahl, also am 25.
Mai 14, abzuhalten. Seine Partei, die
konservativ-wirtschaftsliberale Formation und stärkste
Oppositionspartei UMP, ist allerdings gespalten, da sie auch
ausgesprochene „Pro-Europäer“ und Unionsfans wie etwa die beiden
Ex-Premierminister Alain Juppé und Jean-Pierre Raffarin in ihren
Reihen zählt. Deswegen einigte sich die UMP nunmehr
innerparteilich auf einen Formelkompromiss. Ihr Slogan im
Vorfeld der Europaparlamentswahl wird demnach lauten: „Wir
lieben Europa so sehr, dass wir es verändern möchten“ -
womit eine Infragestellung der Freizügigkeit insbesondere für
rumänische und bulgarische Staatsbürger/innen und eine mögliche
teilweise Wiedereinführung innereuropäischer Grenzkontrollen
intendiert werden.
Auch der Front National zeigt sich natürlich begeistert vom
Ausgangs des Schweizer Referendums, und fordert ebenfalls eine
Volksabstimmung zum Thema „Immigration“ in Frankreich. Seine
Chefin Marine Le Pen erklärte etwa in einer ersten Reaktion:
„Die Schweizer haben viel gesunden Menschenverstand gezeigt.
Ich möchte, dass man ihrem Beispiel folgt, und ich denke, wenn
man eine Abstimmung in Frankreich zum selben Thema abhalten
würden, dann würden die Franzosen mit breiter Mehrheit für eine
Beendigung der Masseneinwanderung stimmen. Natürlich fordere ich
die Franzosen dazu auf, sich in dieser Richtung zu bewegen, auf
den Weg der Freiheit, der Souveränität, der Verteidigung unserer
Ökonomie und unserer Sozialsysteme sowie unserer Identität.“
Ähnliche Reaktionen aus ihrer Partei folgten.
Hingegen warnte der sozialdemokratische französische
Außenminister Laurent Fabius die Schweiz vor einer
Verschlechterung ihrer Beziehungen zur EU, die man nunmehr zu
„überdenken“ habe. Ein Parteisprecher der französischen
Sozialdemokratie, Eduardo Rihan Cypel, kritisierte: „Wir
kannten die Tendenz der UMP, dem Front National
hinterherzulaufen. Neu ist, dass heute die UMP dem FN auf dem
Terrain der extremen Rechten vorausläuft!“ Und sein
Parteifreund und ebenfalls –sprecher David Assouline sprach von
einem „schlechten Wind“, der da aus der Schweiz
herüberwehe.
Editorische Hinweise
Wir
bekamen den Artikel vom Autor für diese Ausgabe.
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