Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Französische Reaktionen auf schweizerisches Referendum
Konservative und Rechtsextreme sind Feuer & Flamme

02-2014

trend
onlinezeitung

Seit Jahresanfang geht es Schlag auf Schlag, Sonntag auf Sonntag, Aufmarsch auf Aufmarsch. Die Rechte und die extreme Rechte nehmen tageweise oder wochenendweise Besitz von der Straße. Gegenüber ist die politische Linke weitgehend gelähmt, gespalten zwischen Anhängern des „kleineren Übels“ und Verfechterinnen einer Oppositionslinie, frustriert und desorientiert über die eskalierende wirtschaftsliberale Orientierung der Regierung.

Volksabstimmungen in der Schweiz haben die französische extreme Rechte schon immer fasziniert. In den frühen 1970er Jahren beispielsweise bezog der junge Front National (FN) von dorther seine Inspiration, sich für „das Einwanderungsproblem“ zu interessieren. Ursprünglich hatte die französische rechtsextreme Partei nur ein geringes Interesse an der Frage gezeigt: In den Anfangsjahren widmete sich der FN in seiner Propaganda vor allem Themen wie der Ablehnung der Entkolonisierung, dem Kampf gegen Abtreibung und „Werteverfall“ sowie dem Antikommunismus. Einwanderung war im Frankreich der Jahre 1972/73 (noch) kein Gegenstand von polemischen Auseinandersetzungen, und auch in den Augen der Rechten erlaubte es die Zuwanderung aus den früheren Kolonien, die „niedrigen“ Arbeitsplätze zu besetzen und es den Franzosen zu erlauben, „höhere“ Positionen einzunehmen. Der Anstieg der Arbeitslosigkeit ab 1974/75 veränderte diesbezüglich natürlich die Ausgangssituation. Aber ein Blick auf die Eidgenossenschaft half der französischen extremen Rechten dabei.

Am 07. Juni 1970 hatte die so genannte „Schwarzenbach-Initiative“ – ein Volksbegehren, das darauf abzielte, die Zahl der „Ausländer“ pro Kanton auf maximal 10 Prozent zu begrenzen, was darauf hinauslief, dass 300.000 Personen die Schweiz hätten verlassen müssen – 46 % der Stimmen erzielt. Das Volksbegehren war durch die damalige extreme Rechte in der Schweiz rund um die Partei „Nationale Aktion“ (NA) lanciert worden; aber alle großen Parteien, Kapitalverbände und Gewerkschaften wandten sich dagegen. Vor diesem Hintergrund war das Abschneiden des Volksbegehrens mit 46 % Zustimmung ein Bombenerfolg, beinahe ein politisches Erdbeben. Der damalige Chefideologe des FN, François Duprat – im Gegensatz zum heutigen Führungspersonal der Partei ein offener, bekennender Faschist -, erkannte das Potenzial, die Sprengkraft, die der Sache innewohnte. Er eichte seine Partei darauf, systematisch das Thema „Einwanderungsproblematik“ zu beackern. Zur Parlamentswahl im März 1978 führte der Front National erstmals eine Wahlkampagne durch, die die beiden Themen Einwanderung und Massenarbeitslosigkeit miteinander verknüpfte. Damals war der Wahlkampf noch ein Flop – der FN war und blieb in jenen Jahren eine Splitterpartei, und im März 1978 schnitt er mit 0,3 % der Stimmen noch schlechter ab als bei der Parlamentswahl davor, 1973 -, aber die inhaltlichen Fundamente für spätere, sehr erfolgreiche Kampagnen waren gelegt. (François Duprat sollte es nicht mehr erleben: Er flog am 18. März 1978 mit seinem Auto in die Luft. Die Explosion war mutmaßlich durch Aktivisten konkurrierender Strömungen im rechten Lager ausgelöst worden.)

Auch die Volksabstimmung zum Thema „Verbot des Minarettbaus“ vom 29.11.2009 in der Schweiz, die dieses Mal zur Annahme des Volksbegehrens mit rund 53 % der Stimmen führte, faszinierte die extreme Rechte in Frankreich. Und nicht nur diese. In einem Gastbeitrag für die Pariser Abendzeitung Le Monde zeigte sich der damals amtierende Präsident Nicolas Sarkozy zugeneigt. Er versuchte, das Thema auch in Frankreich aufzugreifen (wenngleich er erklärte, ein Referendum zu vergleichbaren Themen im eigenen Land abzulehnen, da Volksabstimmungen zu vereinfachten Ja-Nein-Alternativen zwängen). Sarkozy erklärte, er verstehe die Bevölkerung, die – wie in der Schweiz – ihre Landschaft bewahren wolle; indirekt war dabei mitgedacht: gegen ihr Verschandelung durch Moscheen. Und er führte gegen Ende seines Gastbeitrags aus, die „zuletzt gekommene“ Religion müsse gegenüber den „Alteingesessenen“ besser „diskret“ bleiben.

Dieses Mal ist eine Infragestellung der Freizügigkeitsregeln für EU-Bürger/innen, die am 09. Februar 14 in der Schweiz durch 50,3 % der abstimmenden Bevölkerung befürwortet wurde. Dafür gäbe es auch in Frankreich eine Basis, vor allem im Hinblick auf Staatsbürger/innen Rumäniens und Bulgariens. Im öffentlichen politischen Diskurs wird die Frage, ob nicht die Bevölkerung über (die Verhinderung von) Einwanderung abstimmen dürfe und ob nicht die Schweizer Recht hätten, allerdings eher auf allgemeine Weise – nicht speziell im Bezug auf die EU und ihre Regelungen zur Freizügigkeit innerhalb der EU – aufgeworfen und diskutiert.

Am Montag früh nach der Abstimmung, dem 10. Februar 14, reagierte der konservative Spitzenpolitiker und Ex-Premierminister François Fillon bei den Sender BFM-TV und RMC mit den Worten, es sei „absolut natürlich“, dass „ein Land die Anzahl der Ausländer auf seinem Territorium verringern möchte“. Am Mittwoch, den 12. Februar d.J. forderte sein Parteifreund Christian Estrosi, Bürgermeister von Nizza (der fünftgrößten Stadt in Frankreich), „eine ähnliche Volksabstimmung auch in Frankreich“. Dazu schlug er vor, ein Referendum zum Thema am selben Tag wie die Europaparlamentswahl, also am 25. Mai 14, abzuhalten. Seine Partei, die konservativ-wirtschaftsliberale Formation und stärkste Oppositionspartei UMP, ist allerdings gespalten, da sie auch ausgesprochene „Pro-Europäer“ und Unionsfans wie etwa die beiden Ex-Premierminister Alain Juppé und Jean-Pierre Raffarin in ihren Reihen zählt. Deswegen einigte sich die UMP nunmehr innerparteilich auf einen Formelkompromiss. Ihr Slogan im Vorfeld der Europaparlamentswahl wird demnach lauten: „Wir lieben Europa so sehr, dass wir es verändern möchten“ - womit eine Infragestellung der Freizügigkeit insbesondere für rumänische und bulgarische Staatsbürger/innen und eine mögliche teilweise Wiedereinführung innereuropäischer Grenzkontrollen intendiert werden.

Auch der Front National zeigt sich natürlich begeistert vom Ausgangs des Schweizer Referendums, und fordert ebenfalls eine Volksabstimmung zum Thema „Immigration“ in Frankreich. Seine Chefin Marine Le Pen erklärte etwa in einer ersten Reaktion: „Die Schweizer haben viel gesunden Menschenverstand gezeigt. Ich möchte, dass man ihrem Beispiel folgt, und ich denke, wenn man eine Abstimmung in Frankreich zum selben Thema abhalten würden, dann würden die Franzosen mit breiter Mehrheit für eine Beendigung der Masseneinwanderung stimmen. Natürlich fordere ich die Franzosen dazu auf, sich in dieser Richtung zu bewegen, auf den Weg der Freiheit, der Souveränität, der Verteidigung unserer Ökonomie und unserer Sozialsysteme sowie unserer Identität.“ Ähnliche Reaktionen aus ihrer Partei folgten.

Hingegen warnte der sozialdemokratische französische Außenminister Laurent Fabius die Schweiz vor einer Verschlechterung ihrer Beziehungen zur EU, die man nunmehr zu „überdenken“ habe. Ein Parteisprecher der französischen Sozialdemokratie, Eduardo Rihan Cypel, kritisierte: „Wir kannten die Tendenz der UMP, dem Front National hinterherzulaufen. Neu ist, dass heute die UMP dem FN auf dem Terrain der extremen Rechten vorausläuft!“ Und sein Parteifreund und ebenfalls –sprecher David Assouline sprach von einem „schlechten Wind“, der da aus der Schweiz herüberwehe.

Editorische Hinweise

Wir bekamen den Artikel vom Autor für diese Ausgabe.