Seit Jahresanfang
geht es Schlag auf Schlag, Sonntag auf Sonntag,
Aufmarsch auf Aufmarsch. Die Rechte und die extreme
Rechte nehmen tageweise oder wochenendweise Besitz
von der Straße. Gegenüber ist die politische Linke
weitgehend gelähmt, gespalten zwischen Anhängern des
„kleineren Übels“ und Verfechterinnen einer
Oppositionslinie, frustriert und desorientiert über
die eskalierende wirtschaftsliberale Orientierung
der Regierung.
Am 19. Januar
d.J. demonstrierten so mehrere Zehntausende Abtreibungsgegner in
Paris. An ihrem „Marsch für das Leben“ nahmen laut
Veranstalterangaben 40.000, der Polizei zufolge jedoch 16.000
Menschen teil. Ihr Demonstrationszug findet zwar alljährlich
statt, aber in diesem Jahr war er besonders gut besucht, da er
an das aktuelle Geschehen anknüpfen konnte. Das vor kurzem
angekündigte Gesetz zum Quasi-Verbot der Abtreibung im
Nachbarland Spanien, das am 20. Dezember 13 vorgelegt wurde,
inspirierte die selbsternannten Lebensschützer.
Unter ihnen
befanden sich als promineste Demonstrant/inn/en der
Europaparlamentsabgeordnete des Front National (FN) Bruno
Gollnisch und die rechtskatholische Ex-Wohnungsbauministerin
Christine Boutin. Auch ein Senator der spanischen „Volkspartei“
(PP) und Mitverfasser des jüngst verabschiedeten
Abtreibungsverbotsgesetzes in Spanien, Luis Peral, marschierte
in den vordersten Reihen mit. Am vergangenen Samstag fand
dagegen die – zahlenmäßig schwächere – Mobilisierung der
Befürworterinnen und Befürworter des Rechts auf
Schwangerschaftsunterbrechung statt, die vor der spanischen
Botschaft protestierten. In Frankreich selbst braucht man sich
im Augenblick keine kurzfristigen Sorgen um dieses Recht zu
machen, es wurde im Gegenteil soeben durch die
sozialdemokratisch-grüne Regierung ausgeweitet, zumindest
theoretisch. Seit 1975 war es erlaubt, die Schwangerschaft in
den ersten drei Monaten abzubrechen, wobei das Gesetz
präzisierte, dies gelte für Frauen in „Leidsituationen“.
Letzterer Begriff wird nunmehr aus dem Gesetz gestrichen, wobei
er bislang in der Praxis kein Hindernis für eine Abtreibung mehr
darstellte. Allerdings wird es in der Praxis vielerorts
schwerer, Abbrüche vorzunehmen, weil durch die Sparpolitik viele
Zentren geschlossen und Krankenhäuser zusammengelegt werden.
Am
darauffolgenden Sonntag, den 26. Januar 13 waren es mehrere
Zehntausend Menschen, die im Rahmen des so genannten „Tags des
Zornes“ an einem Protestmarsch in Paris teilnahmen. Dieses
Ereignis bündelte unterschiedliche Kräfte, und formal gab es
keinen zentralen Veranstalter, sondern lediglich in lockeren
Initiativgruppen zusammengeschlossene, weitgehend unbekannte
Aufrufer. In Wirklichkeit wurde die Sache weitgehend durch die
„Identitären“, eine außerparlamentarische neofaschistische
Aktivistenbewegung, gesteuert. Gemeinsame Klammer der
teilnehmenden Kräfte war hauptsächlich die Forderung nach einem
Rücktritt von Präsident François Hollande, da in den Augen der
Einen Frankreich durch die Verabschiedung des Gesetzes zur
Homosexuellenehe in eine „sozialistische Diktatur“ überführt
worden ist, während Andere einen angeblich „linken“ Staatschef
für grundsätzlich illegitim halten. „Hollande-Rücktritt“ war
denn auch die wichtigste Internetadresse, unter der
Informationen zu dem Aufmarsch zu finden waren. An ihm nahmen
laut Veranstalter angeblich 120.000, der Polizei zufolge 17.000
Menschen teil. Die Wahrheit dürfte irgendwo zwischen zwanzig-
und vierzigtausend liegen.
Erstaunlich war,
wie vordergründig unterschiedlich die Kräfte waren, die durch
die Initiative gebündelt worden. Hauptberufliche Moslemhasser,
wie die Kryptofaschisten von der Publikation Riposte Laïque
(„Gegenschlag der Säkularisten“) oder vom „Komitee Lepante“ –
nach dem Ort einer Seeschlacht zwischen Franzosen und Osmanen im
Jahr 1571 benannt – demonstriert mit besessenen Antisemiten und
vordergründig-demagogischen angeblichen „Moslemfreunden“, unter
ihnen die Anhänger von Dieudonné M’bala M’bala, der selbst
verhindert war. Dessen engster politischer Kumpan Alain Soral,
der vor kurzem in einem Buch präzisierte: „Ich bin nicht
rechtsextrem, ich bin französischer Nationalsozialist“ und mit
einer Mischung aus Antisemitismus und Demagogie bisweilen auch
ethnische Minderheiten in Frankreich umgarnt, war dagegen
persönlich anwesend. Offen wie in der Form noch nie seit 1945
wurden aus einzelnen Demoblöcken heraus Slogans gerufen wie:
„CRS (Bereitschaftpolizei), Polizei der Juden“ oder „Jude,
Frankreich gehört Dir nicht“. Im Anschluss an die Demonstration
verkündete die Sprecherin des fanatischen Flügels der Gegner der
Homosexuellenehe, Béatrice Bourges, von diesem Tag an trete sie
in den Hungerstreik, bis ein Absetzungsverfahren gegen Präsident
Hollande eingeleitet werde. Dies wird mutmaßlich nicht der Fall
sein, zu befürchten ist dennoch, dass Bourges so schnell nicht
aus dem Leben abtritt.
Am vergangenen
Sonntag (02.02.13) waren es wiederum alte Bekannte, die
aufmarschierten, um zum x-ten Mal gegen die Öffnung der Ehe für
homosexuelle Paare – das Gesetz dazu ist seit acht Monaten in
Kraft getreten – und gegen die „Familienphobie“ der Regierung zu
demonstrieren. Mit dabei waren die Anhänger von Béatrice
Bourges, die FN-Abgeordnete Marion Maréchal-Le Pen, die
Rechtskatholikin Christine Boutin und viele Andere; 80.000
Menschen waren es laut Polizei in Paris und 500.000 nach Angaben
der Veranstalter. In Lyon waren es zwischen 20. und 40.000. Die
Gallionsfigur der Demonstrationen gegen die Homosexuellenehe vor
einem Jahr, Virginie Telemme alias „Frigide Barjot“, rief
dagegen explizit gegen eine Teilnahme auf. In ihren Augen hat
die Bewegung zu extreme Züge angenommen.
Am
darauffolgenden Montag (03. Februar 14) zog die französische
Regierung ihr für 2014 geplantes „Familiengesetz“, das unter
anderem Näheres zum Adoptionsrecht für – nunmehr verheiratete –
homosexuelle Paare und zur Möglichkeit künstlicher Befruchtung
beinhalten sollte, für das laufende Jahr zurück. Dies wurde als
Sieg für das am Vortag aufmarschierende rechte Spektrum
interpretiert. Dass der Rückzieher und Einknicker der Regierung
unter François Hollande und Premierminister Jean-Marc Ayrault
ausgerechnet am Tag nach dem Aufmarsch bekannt gegeben wurde,
war ursprünglich nicht geplant: Eigentlich sollte der Beschluss
dazu erst 14 Tage später verkündet werden, wie die französische
Wochenzeitung ,Le Canard enchaîné’ vom Mittwoch, den 05. Februar
14 schreibt. Doch der allgegenwärtige und
quasi-größenwahnsinnige Innenminister Manuel Valls, welcher noch
zu jedem Thema seinen persönlichen Senf absondern zu müssen
glaubt, preschte eigenmächtig vor und machte dem ursprünglichen
Vorhaben – bei dem es weniger nach einem Nachgeben gegenüber dem
rechten und homophoben Mob ausgesehen hätte – einen Strich durch
die Rechnung. Viele Regierungsmitglieder, unter ihnen die
zuständige Familienministerin Dominique Bertinotti, waren über
den geplanten Rückzieher (der lediglich zwischen den
Regierungsspitzen -Hollande, Ayrault und einigen wenigen Anderen
– ausgekungelt worden war) nicht einmal auf dem laufenden und
sind nun erzürnt. Auch die mitregierenden französischen Grünen,
die ,natürlich’ ebenfalls nicht konsultiert worden waren,
scheinen richtig sauer.
Die aktuelle
rechte, anti-aufklärerische, homophobe und reaktionäre
Massenmobilisierung wurde auch durch die anfänglichen Erfolge
einer rechten Schulboykottbewegung mit befördert. Am 24. und 27.
Januar 14 wurde in rund einhundert französischen Schulen der
Unterricht durch ein relativ massives Fernbleiben von
schulpflichtigen Kindern im Grundschulalter beeinträchtigt.
Geographisch betrachtet, hatte die so genannte Bewegung JRE (für
,Journée de retrait de l’école’, also „Tag des Rückzugs aus /
Herunternehmens von der Schule“) nur punktuell Erfolge – es gibt
insgesamt 40.000 Schulen in Frankreich -, aber die einhundert
stark beeinträchtigten Schulen waren möglicherweise nur die
Spitze des Eisbergs, während es andernorts nur einzelne Kinder
betraf. Hintergrund des Aufrufs, der darauf abzielt, dass die
Eltern ihre Kinder für einen bestimmten Tag pro Monat aus der
Schule nehmen, ist die Einführung des so genannten
„ABCE-Egalité-Programms“, also einer Unterrichtseinheit für
Grundschüler/innen, die ihnen die Rechtsgleichheit zwischen den
beiden Geschlechtern vermitteln soll. Derzeit wird dieses
Unterrichtsprogramm an insgesamt 600 Schulen probeweise
eingeführt.
Bei der aktuell
erprobten Unterrichtseinheit geht es um so harmlose Dinge wie
darum, dass Kinder ein Märchen lesen, in welchem ein stolzer und
charmanter Prinz eine schöne und holde Prinzessin errettet, die
in einem Turmverlies schmachtend auf ihn wartet. Daraufhin
sollen die Grundschüler/innen sich fragen, ob nicht etwa auch
die weibliche Protagonisten einmal die aktive Rolle im Märchen
übernehmen könnte. Absolut harmlos also, doch in Gerüchten wird
etwas Anderes daraus gemacht: „Unterricht in Masturbation“,
„Werbung für Homo- und Transsexualität“, „Jungs müssen sich als
Mädchen verkleiden“ (und ob der Infragestellung ihrer Identität
furchtbar leiden), „die Kinder sollen sich gegenseitig ihre
Geschlechtsteile im Unterricht berühren“ – all solche
Behauptungen und noch weitere kursierten in SMS-Botschaften, die
an Eltern gerichtet wurden. Den Vogel schoss eine SMS-Kampagne
im Raum Strasbourg ab, welche die folgende Behauptung zum Inhalt
hatte: „Da kommen Juden in die Schulen und untersuchen das
Geschlecht Ihrer Kinder.“ Die Kurznachricht zirkulierte unter
Eltern aus der dortigen türkischen Community.
Lanciert hatte die Kampagne der Antisemit und
Verschwörungstheoretiker Alain Soral mitsamt seinem Umfeld,
insbesondere in Gestalt der vor kurzem zu Sorals Theorien
„bekehrten“ früheren Linken und einstmaligen antirassistischen
Aktivistin Farida Belghoul. Unterschiedliche reaktionäre Milieus
– darunter christliche Fundamentalisten, einige salafistische
Moscheen,... – griffen die Kampagne dankbar auf. Auch die
stärkste Oppositionspartei in Frankreich, also die UMP, spielt
mindestens ein doppeltes Spiel dazu: Einerseits verurteilt sie
den reaktionären Schulboykott offiziell, andererseits jedoch
drückt sie konkret vor Ort ihr betontes „Verständnis für die
Sorgen und Ängste der Eltern“ aus und beschuldigt die
sozialdemokratische Regierung, angeblich „ideologisch verseuchte
Lehrpläne“ aufzulegen. Als Bürgermeister von Meaux (wo eine
salafistische Moschee sich an die JRE-Kampagne dranhängte und
diese auf lokaler Ebene ziemlich erfolgreich war) ging
UMP-Parteichef Jean-François Copé stark in letztere Richtung und
kehrte vor allem seine Opposition zur Unterrichtspolitik der
Regierung heraus.
Editorische Hinweise
Wir
bekamen den Artikel vom Autor für diese Ausgabe.
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