Stadtumbau & Stadtteilkämpfe
Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse
Sozialdemokratie und kommunale Wohnungsbaupolitik in den 1920er Jahren am Beispiel von Hamburg und Wien

von Adelheid von Saldern

022014

trend
onlinezeitung

Als Fazit des Vergleichs der Wohnungsbaupolitik in Hamburg mit der in Wien ist festzustellen, daß die Varianz hinsichtlich der ausgeübten Praxisformen sehr groß ist. Zwar gibt es gemeinsame Grundzüge. Vor allem sind hier die Erreichung großer Quantitäten im Wohnungsbau und die massenhafte Durchsetzung eines relativ hochwertigen qualitativen Standards in bezug auf die Wohnungsausstattung zu nennen, wodurch dem neuen, öffentlich geförderten Kleinwohnungsbau der 20er Jahre historische Bedeutung zukommt. Doch die Unterschiede überwogen. In der Architektur sind sie besonders auffallend, obwohl gerade hier Hamburg einen Mittelweg zwischen den Extremen rein funktionalistischen Bauens und der Wiener WohnhofArchitektur einzuschlagen bemüht war. Nicht nach Hamburg, sondern nach Frankfurt kamen deshalb auch die Architekten und Städteplaner aus der ganzen Welt, um sich die Früchte des Neuen Bauens bzw. des funktionalistischen Baustils anzusehen. Nach Wien reisten sicherlich weniger Architekten, dafür mehr Kommunalpolitiker, Pädagogen, Sozialhygieniker, Journalisten und jene, die hier die erste Arbeiterregierung der Welt, wie Kautsky dies einmal emphatisch ausdrückte, bestaunen wollten. Unterschiede zwischen Wien und Hamburg ergaben sich auch im Hinblick auf die Kapitalverwertungsinteressen. In Wien waren diese zwar nicht durchgängig strukturell eliminiert (Erhaltung des Privatbesitzes auf dem Wohnungssektor, vor allem im Althausbestand), aber in funktioneller Hinsicht de facto suspendiert bzw. im Gemeinde Wohnungsbau sogar ganz ausgeschaltet worden. In Deutschland dagegen blieben die Kapitalverwertungsinteressen gerade im Neubausektor gewahrt, woraufhin größere Quantitäten an Wohneinheiten (aller­dings mit sozial nicht vertretbaren Kostenmieten) erstellt wurden. (Nur beim Altbaubestand verminderte die gesetzliche Mietpreisregelung zeitweise die Profite beträchtlich.) Große Teile der SPD hatten ganz auf die Karte des (subventionierten) Sozialen Wohnungs­baus gesetzt. Zweifelsohne erzielten sie damit relativ bedeutsame Erfolge — nicht nur hinsichdich der schon erwähnten Quantitäten und Qualitäten im Wohnungsneubau, sondern so­gar auch bezüglich der Mietpreishöhe: Die subventionierten Mieten verzeichneten einen ge­ringeren Anstieg als die allgemeine Preisentwicklung und die Baukosten jener Jahre.(191)

(192) Trotz dieser beachtlichen Erfolge wurde jedoch schon damals evident, daß mit einer Politik des Sozialen Wohnungsbaues das erstrebte Ziel nicht erreicht werden könne: nämlich sozial vertretbare und gleichzeitig kostendeckende Mieten! (Erst im Laufe mehrerer Jahrzehnte, nachdem die Neubauviertel der 20er Jahre zu Altbauvierteln geworden waren, wurde die Schere geschlossen !)

Beachtenswert sind ferner die unterschiedlichen Konzepte beim Aufbau einer alternativen Ökonomie und Kultur. In Deutschland konzentrierten sich die Bemühungen der Gewerk­schaften und eines (großen) Teils der SPD auf die Gründung und Förderung gemeinwirt­schaftlicher Unternehmen, von den Konsumvereinen übet Arbeiterbanken bis hin zu den ge­meinnützigen Wohnungsgesellschaften und Bauhütten. (Freilich »blieb es nicht aus«, daß sich viele gemeinwirtschaftliche, den Gewerkschaften nahestehende Kapitalgesellschaften hinsichtlich ihrer betriebswirtschaftlichen und arbeitsorganisatorischen Struktur — die vor­rangig auf Effizienz und Leistung ausgerichtet war — immer mehr der Denk und Arbeits­weise privatwirtschafdicher Kapitalgesellschaften anglichen, noch bevor der deutsche Fa­schismus sämtlichen alternativen ökonomischen und kulturellen Ansätzen ohnehin ein Ende bereiten sollte.)

Der wesendiche Unterschied zu Wien lag auf diesem Gebiet zum einen in dem konzeptionell und strukturell entkoppelten Nebeneinander von Kommunalwirtschaft und Gemeinwirt­schaft, von Ausnahmen wie Frankfurt einmal abgesehen. (Allerdings gelang es bei kommunal­politisch günstiger Konstellation, zumindest eine relativ enge informelle Vernetzung zwischen Gemein Wirtschaft und Kommunalbürokratie zu erreichen — sei es in Form persönlicher Ver­bindungen, sei es in Form objektbezogener Kooperation.)

Zum anderen lag der Unterschied zu Wien auf diesem Gebiet in der Unterschätzung der Be­deutung von gemeinsam nutzbaren Räumen für den Aufbau einer an den Alltagsbedürfnissen der Menschen anknüpfenden (alternativen) politischen Kultur. Zwar gab es auch in Deutsch­land den Wiener Wohnhöfen entsprechende Ansätze, so in Hamburg. Vor allem sind hier die der Arbeiterbewegung nahestehenden (kleinen) Wohnanlagen einiger Baugenossenschaften zu nennen. (Die Weimarer Zeit gilt als die Blütezeit der deutschen Baugenossenschaften!) Doch solche Genossenschaften gerieten im Gesamtgeschehen mit der Zeit immer mehr ins Hintertreffen, zumal sie von seiten der SPD und der Gewerkschaften nur eine begrenzte und nicht spannungsfreie Unterstützung erfuhren.

Ferner muß noch auf die unterschiedlichen Kulturauffassungen der SPD und der SDAP hin­gewiesen werden. Während die SPD — ungeachtet emanzipativer Intentionen — stärker als die SDAP politisch neutralisierend wirkende Kulturauffassungen vertrat (Wettstreit um das allgemeine kulturelle Erbe der Menschheit) und danach vielfach auch handelte, scheuten sich die Wiener Sozialdemokraten nicht, den Wohnungsbau und die Wohnhöfe offen in den Dienst des Aufbaues einer klassenorientierten, an die Alltagsbedürfnisse der Menschen an­knüpfenden und sich auch politisch artikulierenden Solidargemeinschaft zu stellen. Alltag und Politik waren dort vergleichsweise eng miteinander verzahnt. Die Wohnhöfe bildeten das wichtigste räumliche Scharnier. Beiden Parteien gemeinsam war der Versuch, nicht zuletzt über eine verbesserte Wohnkultur den »neuen Menschen« zu schaffen und die »kulturelle Hebung« des Volkes — als Vorbedingung zur Verwirklichung der sozialistischen Ziele — zu erreichen (»Kultursozialismus«).

Die alte, jedoch noch immer diskutierte Frage, ob es überhaupt sinnvoll gewesen sei, im »ka­pitalistischen Meer« eine »halbsozialistische Insel« aufzubauen und auf eine Weiterentwick­lung zu hoffen, läßt sich nicht abstrakt beantworten. Es müssen hierfür die konkreten politi­schen Bewegungen und Kämpfe berücksichtigt werden: Ließ sich dadurch etwas »in Bewe­gung setzen«? Wurden wichtige Nervenstränge der hegemonialen Kultur davon tangiert? Für das »Rote Wien« kann man diese Fragen bejahen. Daß dies alles schließlich mit einer to­talen Niederlage endete, geschah nicht zwangsläufig.

Deshalb kommt dem »Roten Wien« noch heute historischpolitische Relevanz zu. Obwohl die sozialutopischen Komponenten, die stets auch mit dem »Roten Wien« verbunden waren, unübersehbar sind (oder gerade deshalb?), beginnt man sich heute emeut — im Zuge des Zu­sammenbruchs des Sozialen Wohnungsbaus »alter Art« — auf dieses historisch bedeutsame Experiment der 20er Jahre zu besinnen.

Für deutsche Sozialdemokraten der Weimarer Zeit war das »Rote Wien« trotz partieller Kritik (besonders hinsichtlich der Architektur und der Kleinheit der Wohnungen) das große Vorbild.(193) In vielen Variationen lobten sie die vorzügliche Steuer und Wohnungspolitik der Wiener Schwesterpartei. Doch zog man daraus keine politischen Konsequenzen, nicht einmal im Hinblick auf gleichlautende konkrete Forderungen. Fast scheint es so, als ob es für deut­sche Sozialdemokraten damals verbindlich wurde, Wien als unverbindliches Vorbild hinzu­stellen.

Anmerkungen

191) In: Kukmann, S. 344; vgl. auch Novy, Gemeindewohnungsbau, S. 18 f. Novy bezeichnet das »Rote Wien« als — wohl bewußt überspitzt formuliert — sozialistischen Transformationsver­such. Allerdings darf dabei nicht vergessen werden, daß der Hausbesitz nicht enteignet worden war, so daß stets die Möglichkeit bestand, ohne besonders große Schwierigkeiten zu privatkapi­talistischen Verhältnissen auf diesem Sektor zurückzukehren; vgl. auch Krätke, S. 236,

192) So Witt, S. 406.

193) Zum Vorbildcharakter vgl. z, B. Die Gemeinde, Jg. 4, 1927, H. 17, S. 786 ff.; H. 6, S. 260 ff.; Jg. 7, 1930, H. 24, S. 1151; Lippmann, S. 336; Fülberth, Theorie, S. 376.

Editorische Hinweise

Der Text wurde entnommen aus:  Adelheid von Saldern, Sozialdemokratie und kommunale Wohnungsbaupolitik in den 1920er Jahren am Beispiel von Hamburg und Wien, Archiv für Sozialgeschichte 25 (1985) http://library.fes.de/