Die Geburtsstunde der britischen Wohnungspolitik kann
im
Housing
and Town Flanning Act
von 1909 gesehen werden (vgl. Kaufmann 2003: 155).
1915 standen dann bereits zentrale Instrumente der
Wohnungspolitik, wie z.B. das Recht, Quartiere in
besonders schlechtem Zustand zu erneuern und für das
Allgemeinwohl Wohnungen zu bauen, bereit. Die
Wohnungspolitik war dabei seit Anbeginn ein besonders
umstrittenes Politikfeld (vgl. McGuire 1981: 115).
Nach der massiven Zerstörung von Wohnraum im Zweiten
Weltkrieg war die Schaffung von neuem Wohnraum ein
zentrales politisches Thema der Nachkriegsjahre (vgl.
Lowe 2005: 247). Die Bedeutung der Wohnungspolitik in
dieser Zeit machte sie im Bewusstsein der Bürger zu
einem wichtigen Teil des britischen Wohlfahrtstaates
(vgl. Malpass 2004: 209). Trotz dieses Umstandes ist
eine der Grundlagen der britischen Wohnungspolitik die
Annahme, dass „the private market will provide for
most people most of the time" (ebd.: 210).
Britische Kommunen beziehen Finanzmittel von der
Zentralregierung, um selbst Wohnungen bauen zu lassen und sie in
Besitz zu nehmen (vgl. McGuire 1981: 118). Bis zu den späten
1960er Jahren wurde der Zugang zu diesen Wohnungen anhand von
Wartelisten und Beurteilungen u.a. der Haushaltsführung der
Nachfrager und nicht nach der Bedürftigkeit der Antragsteller
geregelt. Kommunale Wohnungen sollten breiten
Bevölkerungsschichten zur Verfügung stehen und somit war die
Einkommenssituation keine ausschlaggebende Bedingung bei der
Wohnungsvergabe. Dies führte zu Kritik aufgrund von
vermeintlichen Fehlsubventionen. Ab den 1970er Jahren wurden
deshalb Bedürftigkeitsprüfungen eingeführt. Im Jahr 2000 waren
in 90 Prozent aller Gemeinden solche Kriterien der
Bedürftigkeit, wie z.B. das Einkommen und die Dringlichkeit der
Unterbringung, für die Vergabe kommunaler Wohnungen
ausschlaggebend (vgl. Fitzpatrick/Pawson 2007: 167).
Die Einnahmen und Ausgaben aller Wohnungen der Kommune werden
gepoolt und mit staatlichen Subventionen im
Housing Revenue
Account
(HRA) zusammengeführt, das jährlich ausgeglichen
werden muss (vgl. Mullins/Murie 2006: 160f). Somit
können teurere Wohnungen im Bestand quer finanziert
werden und deren Miete niedriger gehalten werden, als
dies z.B. in der BRD mit dem Prinzip der Kostenmiete,
das weiter unten erläutert wird, der Fall wäre. Die
Mieten in kommunalen Wohnungen sind insgesamt
vergleichsweise niedrig, weswegen der Sektor lange
Zeit auch für einkommensstärkere Mittelstandshaushalte
attraktiv war (vgl. McGuire 1981: 136f).
Zentrale Besonderheiten der britischen Wohnungspolitik von Ende
des 2. Weltkriegs bis 1975 waren
der Umstand, dass „only two
of the three major
types of housing tenure -
Council housing
and owner-occupancy - were subsidized" (Lowe 2005:
248), dass Finanzmittel relativ zentral vergeben
wurden und dass der Staat einen großen Teil des
Wohnraums selbst besaß (vgl. ebd.). Die folgende Phase
der Wohnungspolitik ist durch die umfassende
Privatisierung des kommunalen Wohnraums geprägt und
endete mit dem Abtritt der Regierung unter den
Tones
und der Wahl Tony Blairs zum Premierminister im Jahr
1997 (vgl. ebd.: 365ff).
Von 1976 bis 1996 sank der Anteil der kommunalen
Wohnungen von 31,6 auf 19,6 Prozent aller Wohnungen
(vgl. Tabelle 3.1). Gleichzeitig stieg der Anteil des
privaten Wohneigentums von 53,8 auf 66,9 Prozent. Zwar
war zu dieser Zeit europaweit ein Trend zu mehr
Wohneigentum auszumachen, aber nirgendwo war das
Ausmaß so groß wie in GB und Irland. Während zu Beginn
des letzten Jahrhunderts Briten noch mehrheitlich zur
Miete wohnten, so lebten gegen Ende des 20.
Jahrhunderts die meisten in Eigentum (vgl.
Mullins/Murie 2006: 87). Auf dem privaten Mietmarkt
wurde im Jahr 2001 in GB nur noch knapp jede zehnte
Wohnung angeboten.

Das
Right
to Buy
als Teil des
Housing
Act
von 1980 ist eines der wichtigsten Entwicklungen in
der britischen Wohnungspolitik der Nachkriegszeit. Es
hat zum Inhalt, dass Haushalte in kommunalen Wohnungen
diese kaufen können und dabei abhängig von der
bisherigen Wohndauer einen Nachlass erhalten. Im Laufe
der Zeit wurden diese Nachlässe ausgeweitet, um die
ehrgeizigen, politischen Ziele der Privatisierung
erreichen zu können. Ende der 1980er Jahre wurde so
mitunter bis zu 80 Prozent Nachlass gewährt. In dieser
Dekade wurden jährlich etwa 100.000 Wohnungen verkauft
(vgl. Lowe 2005: 366).
Trotz zum Teil positiver Effekte, kam es durch diese
Regelung auch zu mitunter gravierenden negativen
Folgen. Das
Right
to Buy
trug vielfach zu einer Verstärkung von Ungleichheit
bei. Erstens wurde die Ungleichheit zwischen
Eigentümern und Mietern in kommunalen Wohnungen
verschärft. Zweitens stieg die Ungleichheit zwischen
den verschiedenen Mietern kommunaler Wohnungen, je
nachdem ob sie in Quartieren mit beliebten Wohnungen
lebten, die gekauft wurden, oder ob sie in Quartieren
lebten, in denen niemand Wohnungen kaufen wollte.
Zudem nahm durch den Rückgang kommunaler Wohnungen die
Zahl Obdachloser zu und mehr Menschen mussten durch
Subjektförderung bei der Unterkunft finanziell
unterstützt werden (vgl. Lowe 2005: 367).
Die Privatisierung wurde auch durch den
Housing
Act
von 1988 vorangetrieben. In diesem Gesetz wurde die
kommunale Ebene von der Aufgabe der Wohnraumschaffung
enthoben. Stattdessen sollte sie als „Aktiverer"
agieren und „oversee the building, management and
allocation of housing in its own area" (ebd.: 388).
Wohnraum sollte von den Kommunen nur noch für
Obdachlose bereitgestellt werden. Allerdings hatte
dieses Gesetz weniger Wirkung als von der
konservativen Regierung erhofft (vgl. ebd.: 368). Die
Wohnungspolitik in dieser Phase sorgte dennoch dafür,
dass die kommunalen Wohnungen zu einem „ghetto for the
disadvantaged" (ebd.: 369) wurden.
Mit dem Verkauf von kommunalen Wohnungen ging
gleichzeitig ein Rückgang der Fertigstellungen neuer
kommunaler Wohnungen einher. 1975 wurden noch 145.600
neue Wohnungen von den Kommunen gebaut. 1995 lag diese
Zahl bei nur noch 1.900. Allerdings nahm zur gleichen
Zeit die Zahl der von Wohnungsgesellschaften gebauten
Wohnungen zu (vgl. ebd.: 367). Auch dies konnte aber
den anteilsmäßigen Rückgang von Mietwohnungen aller
Art am Wohnungsmarkt nicht stoppen. Auch die
Bestandsförderung wurde sträflich vernachlässigt. Es
wurde nicht genug in den Wohnungsbestand investiert,
um dessen Zustand zu erhalten oder gar zu verbessern.
Dies hängt u.a. mit der Finanzierung durch die HRA
zusammen. Durch die Verpflichtung, dass Konto jedes
Jahr auszugleichen, sind langfristige Investitionen
oder das Ansparen von Geld für Investitionen kaum
realisierbar. Durch die Zustandsverschlechterung der
kommunalen Wohnungen verlieren diese weiter an
Attraktivität und werden dauerhaft stigmatisiert (vgl.
Hills 2001: 1893).
Mit der Machtübernahme durch
New
Labour
1997 waren große Hoffnungen an einen Umschwung in der
Wohnungspolitik verbunden. „Housing, together with
social security, was the area of welfare of greatest
potential importance to New Labour's concept of
joined-up government" (Lowe 2005: 428). Tatsächlich
unternahm die neue Regierung aber erstaunlich wenig in
diesem Politikfeld (vgl. Mullins/Murie 2006: 74f).
In GB können zusammenfassend mehrere wichtige Trends
im Zusammenhang mit der hier behandelten Fragestellung
ausgemacht werden. Kommunale Wohnungen machen einen
zunehmend kleineren Teil des Wohnraums aus. Ginsburg
(vgl. 2005: 115) geht davon aus, dass der kommunale
Wohnungssektor bis etwa 2020 komplett abgebaut sein
wird. Kommunale Wohnungen sind verstärkt zum
Auffangnetz für v.a. ökonomisch benachteiligte
Bevölkerungsgruppen geworden (vgl. Mullins/Murie 2006:
258). Gründe dafür sind u.a. der schrumpfende private
Mietsektor, der die Auswahl für arme Haushalte
einschränkt, die wachsende Ungleichheit seit Ende der
1970er Jahre und insbesondere das
Right
to buy,
das die Konzentration armer Haushalte im kommunalen
Wohnungssektor verstärkt und die Investitionen in die
restlichen kommunalen Wohnungen reduziert hat (vgl.
Fitzpatrick/Pawson 2007: 171). Mit dieser
Marginalisierung der kommunalen Wohnungen geht eine
symbolische Abwertung einher (vgl. Lee/Murie 1999:
627). Kommunale Wohnungen werden von Haushalten, die
es sich leisten können, gemieden. Zur räumlichen
Konzentration von Armut hat auch die Zuweisung von
Wohnraum nach Bedürftigkeit ohne ausreichende
Berücksichtigung der Wohnwünsche beigetragen (vgl.
Fitzpatrick/Pawson 2007: 172). Diese Tendenzen werden
verstärkt, wenn Kommunen Sanktionen, wie z.B.
Sperrzeiten, für Haushalte verhängen, die Wohnangebote
ablehnen. Nur Haushalte, die in der Lage sind, längere
Wartezeit zu Uberbrücken, können sich so erlauben,
Wohnangebote in unbeliebten Wohnquartieren abzulehnen
(vgl. ebd.: 172). Das Angebot an bezahlbarem Wohnraum
zur Miete ist sowohl von kommunaler Seite, aber auch
von privater Seite heute selbst für die in den
Arbeitsmarkt integrierten Haushalte niedrig. Ein
großer Teil von Haushalten muss finanzielle Hilfe des
Staates in Anspruch nehmen, um die Miete zu zahlen
(vgl. Lowe 2005: 431). Wohneigentum ist weit
verbreitet und mehr als zwei Drittel der britischen
Haushalte leben in den eigenen vier Wänden (vgl.
Tabelle 3.1).
Editorische Hinweise
Der Text
wurde entnommen aus: Philipp Lersch,
Öffentlicher Wohnungsbau und residentielle Segregation:
Räumliche Strukturen der Wohnortwahl am Beispiel
Großbritannien und Deutschland / Diskussionspapiere
aus der Fakultät für Sozialwissenschaft – 09-1 /
Ruhr-Universität Bochum
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