Stadtumbau & Stadtteilkämpfe
Council Housing
Öffentlicher Wohnungsbau in Großbritannien

Leseauszug aus einem Diskussionpapier der Ruhr-Uni Bochum

02-2014

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Die Geburtsstunde der britischen Wohnungspolitik kann im Housing and Town Flanning Act von 1909 gesehen werden (vgl. Kaufmann 2003: 155). 1915 standen dann bereits zentrale Instrumente der Wohnungspolitik, wie z.B. das Recht, Quartiere in besonders schlechtem Zustand zu erneuern und für das Allgemeinwohl Wohnungen zu bauen, bereit. Die Wohnungspolitik war dabei seit Anbeginn ein besonders umstrittenes Politikfeld (vgl. McGuire 1981: 115). Nach der massiven Zerstörung von Wohnraum im Zweiten Weltkrieg war die Schaffung von neuem Wohnraum ein zentrales politisches Thema der Nachkriegsjahre (vgl. Lowe 2005: 247). Die Bedeutung der Wohnungspolitik in dieser Zeit machte sie im Bewusstsein der Bürger zu einem wichtigen Teil des britischen Wohlfahrtstaates (vgl. Malpass 2004: 209). Trotz dieses Umstandes ist eine der Grundlagen der britischen Wohnungspolitik die Annahme, dass „the private market will provide for most people most of the time" (ebd.: 210).

Britische Kommunen beziehen Finanzmittel von der Zentralregierung, um selbst Wohnungen bauen zu lassen und sie in Besitz zu nehmen (vgl. McGuire 1981: 118). Bis zu den späten 1960er Jahren wurde der Zugang zu diesen Wohnungen anhand von Wartelisten und Beurteilungen u.a. der Haushaltsführung der Nachfrager und nicht nach der Bedürftigkeit der Antragsteller geregelt. Kommunale Wohnungen sollten breiten Bevölkerungsschichten zur Verfügung stehen und somit war die Einkommenssituation keine ausschlaggebende Bedingung bei der Wohnungsvergabe. Dies führte zu Kritik aufgrund von vermeintlichen Fehlsubventionen. Ab den 1970er Jahren wurden deshalb Bedürftigkeitsprüfungen eingeführt. Im Jahr 2000 waren in 90 Prozent aller Gemeinden solche Kriterien der Bedürftigkeit, wie z.B. das Einkommen und die Dringlichkeit der Unterbringung, für die Vergabe kommunaler Wohnungen ausschlaggebend (vgl. Fitzpatrick/Pawson 2007: 167).

Die Einnahmen und Ausgaben aller Wohnungen der Kommune werden gepoolt und mit staatlichen Subventionen im Housing Revenue Account (HRA) zusammengeführt, das jährlich ausgeglichen werden muss (vgl. Mullins/Murie 2006: 160f). Somit können teurere Wohnungen im Bestand quer finanziert werden und deren Miete niedriger gehalten werden, als dies z.B. in der BRD mit dem Prinzip der Kostenmiete, das weiter unten erläutert wird, der Fall wäre. Die Mieten in kommunalen Wohnungen sind insgesamt vergleichsweise niedrig, weswegen der Sektor lange Zeit auch für einkommensstärkere Mittelstandshaushalte attraktiv war (vgl. McGuire 1981: 136f).

Zentrale Besonderheiten der britischen Wohnungspolitik von Ende des 2. Weltkriegs bis 1975 waren der Umstand, dass „only two of the three major types of housing tenure - Council housing and owner-occupancy - were subsidized" (Lowe 2005: 248), dass Finanzmittel relativ zentral vergeben wurden und dass der Staat einen großen Teil des Wohnraums selbst besaß (vgl. ebd.). Die folgende Phase der Wohnungspolitik ist durch die umfassende Privatisierung des kommunalen Wohnraums geprägt und endete mit dem Abtritt der Regierung unter den Tones und der Wahl Tony Blairs zum Premierminister im Jahr 1997 (vgl. ebd.: 365ff).

Von 1976 bis 1996 sank der Anteil der kommunalen Wohnungen von 31,6 auf 19,6 Prozent aller Wohnungen (vgl. Tabelle 3.1). Gleichzeitig stieg der Anteil des privaten Wohneigentums von 53,8 auf 66,9 Prozent. Zwar war zu dieser Zeit europaweit ein Trend zu mehr Wohneigentum auszumachen, aber nirgendwo war das Ausmaß so groß wie in GB und Irland. Während zu Beginn des letzten Jahrhunderts Briten noch mehrheitlich zur Miete wohnten, so lebten gegen Ende des 20. Jahrhunderts die meisten in Eigentum (vgl. Mullins/Murie 2006: 87). Auf dem privaten Mietmarkt wurde im Jahr 2001 in GB nur noch knapp jede zehnte Wohnung angeboten.

Das Right to Buy als Teil des Housing Act von 1980 ist eines der wichtigsten Entwicklungen in der britischen Wohnungspolitik der Nachkriegszeit. Es hat zum Inhalt, dass Haushalte in kommunalen Wohnungen diese kaufen können und dabei abhängig von der bisherigen Wohndauer einen Nachlass erhalten. Im Laufe der Zeit wurden diese Nachlässe ausgeweitet, um die ehrgeizigen, politischen Ziele der Privatisierung erreichen zu können. Ende der 1980er Jahre wurde so mitunter bis zu 80 Prozent Nachlass gewährt. In dieser Dekade wurden jährlich etwa 100.000 Wohnungen verkauft (vgl. Lowe 2005: 366).

Trotz zum Teil positiver Effekte, kam es durch diese Regelung auch zu mitunter gravierenden negativen Folgen. Das Right to Buy trug vielfach zu einer Verstärkung von Ungleichheit bei. Erstens wurde die Ungleichheit zwischen Eigentümern und Mietern in kommunalen Wohnungen verschärft. Zweitens stieg die Ungleichheit zwischen den verschiedenen Mietern kommunaler Wohnungen, je nachdem ob sie in Quartieren mit beliebten Wohnungen lebten, die gekauft wurden, oder ob sie in Quartieren lebten, in denen niemand Wohnungen kaufen wollte. Zudem nahm durch den Rückgang kommunaler Wohnungen die Zahl Obdachloser zu und mehr Menschen mussten durch Subjektförderung bei der Unterkunft finanziell unterstützt werden (vgl. Lowe 2005: 367).

Die Privatisierung wurde auch durch den Housing Act von 1988 vorangetrieben. In diesem Gesetz wurde die kommunale Ebene von der Aufgabe der Wohnraumschaffung enthoben. Stattdessen sollte sie als „Aktiverer" agieren und „oversee the building, management and allocation of housing in its own area" (ebd.: 388). Wohnraum sollte von den Kommunen nur noch für Obdachlose bereitgestellt werden. Allerdings hatte dieses Gesetz weniger Wirkung als von der konservativen Regierung erhofft (vgl. ebd.: 368). Die Wohnungspolitik in dieser Phase sorgte dennoch dafür, dass die kommunalen Wohnungen zu einem „ghetto for the disadvantaged" (ebd.: 369) wurden.

Mit dem Verkauf von kommunalen Wohnungen ging gleichzeitig ein Rückgang der Fertigstellungen neuer kommunaler Wohnungen einher. 1975 wurden noch 145.600 neue Wohnungen von den Kommunen gebaut. 1995 lag diese Zahl bei nur noch 1.900. Allerdings nahm zur gleichen Zeit die Zahl der von Wohnungsgesellschaften gebauten Wohnungen zu (vgl. ebd.: 367). Auch dies konnte aber den anteilsmäßigen Rückgang von Mietwohnungen aller Art am Wohnungsmarkt nicht stoppen. Auch die Bestandsförderung wurde sträflich vernachlässigt. Es wurde nicht genug in den Wohnungsbestand investiert, um dessen Zustand zu erhalten oder gar zu verbessern. Dies hängt u.a. mit der Finanzierung durch die HRA zusammen. Durch die Verpflichtung, dass Konto jedes Jahr auszugleichen, sind langfristige Investitionen oder das Ansparen von Geld für Investitionen kaum realisierbar. Durch die Zustandsverschlechterung der kommunalen Wohnungen verlieren diese weiter an Attraktivität und werden dauerhaft stigmatisiert (vgl. Hills 2001: 1893).

Mit der Machtübernahme durch New Labour 1997 waren große Hoffnungen an einen Umschwung in der Wohnungspolitik verbunden. „Housing, together with social security, was the area of welfare of greatest potential importance to New Labour's concept of joined-up government" (Lowe 2005: 428). Tatsächlich unternahm die neue Regierung aber erstaunlich wenig in diesem Politikfeld (vgl. Mullins/Murie 2006: 74f).

In GB können zusammenfassend mehrere wichtige Trends im Zusammenhang mit der hier behandelten Fragestellung ausgemacht werden. Kommunale Wohnungen machen einen zunehmend kleineren Teil des Wohnraums aus. Ginsburg (vgl. 2005: 115) geht davon aus, dass der kommunale Wohnungssektor bis etwa 2020 komplett abgebaut sein wird. Kommunale Wohnungen sind verstärkt zum Auffangnetz für v.a. ökonomisch benachteiligte Bevölkerungsgruppen geworden (vgl. Mullins/Murie 2006: 258). Gründe dafür sind u.a. der schrumpfende private Mietsektor, der die Auswahl für arme Haushalte einschränkt, die wachsende Ungleichheit seit Ende der 1970er Jahre und insbesondere das Right to buy, das die Konzentration armer Haushalte im kommunalen Wohnungssektor verstärkt und die Investitionen in die restlichen kommunalen Wohnungen reduziert hat (vgl. Fitzpatrick/Pawson 2007: 171). Mit dieser Marginalisierung der kommunalen Wohnungen geht eine symbolische Abwertung einher (vgl. Lee/Murie 1999: 627). Kommunale Wohnungen werden von Haushalten, die es sich leisten können, gemieden. Zur räumlichen Konzentration von Armut hat auch die Zuweisung von Wohnraum nach Bedürftigkeit ohne ausreichende Berücksichtigung der Wohnwünsche beigetragen (vgl. Fitzpatrick/Pawson 2007: 172). Diese Tendenzen werden verstärkt, wenn Kommunen Sanktionen, wie z.B. Sperrzeiten, für Haushalte verhängen, die Wohnangebote ablehnen. Nur Haushalte, die in der Lage sind, längere Wartezeit zu Uberbrücken, können sich so erlauben, Wohnangebote in unbeliebten Wohnquartieren abzulehnen (vgl. ebd.: 172). Das Angebot an bezahlbarem Wohnraum zur Miete ist sowohl von kommunaler Seite, aber auch von privater Seite heute selbst für die in den Arbeitsmarkt integrierten Haushalte niedrig. Ein großer Teil von Haushalten muss finanzielle Hilfe des Staates in Anspruch nehmen, um die Miete zu zahlen (vgl. Lowe 2005: 431). Wohneigentum ist weit verbreitet und mehr als zwei Drittel der britischen Haushalte leben in den eigenen vier Wänden (vgl. Tabelle 3.1).

Editorische Hinweise

Der Text wurde entnommen aus: Philipp Lersch, Öffentlicher Wohnungsbau und residentielle Segregation: Räumliche Strukturen der Wohnortwahl am Beispiel Großbritannien und Deutschland / Diskussionspapiere aus der Fakultät für Sozialwissenschaft – 09-1 / Ruhr-Universität Bochum