Transfergesellschaften: ärztlicher Dienst am Krankenbett des nationalen Kapitals
Unter tatkräftiger Mithilfe von DGB Gewerkschaften

von Herbert Thomsen

02-2013

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Die kapitalistischen Produktionsverhältnisse und die aus der Konkurrenz resultierende Notwendigkeit die Produktionsanlagen ständig zu modernisieren (Rationalisierung), unprofitable Betriebsteile abzustoßen und oder zu schließen, sowie bei regelmäßig wiederkehrenden Krisen Teile von Belegschaften auszusortieren, führen laufend zur Vernichtung von Produktionsanlagen und damit auch zur Streichung der damit verbundenen Arbeitsplätze.

Arbeitsplätze und vor allem der daraus erzielte Lohn sind jedoch die einzige Existenzsicherungsquelle der Arbeiterinnen und Arbeiter. Bei Massenentlassungen, Betriebsschließungen usw. setzt sich folglich die kapitalistische Logik, Profitsicherung (damit auch Existenzsicherung des Kapitalisten als Kapitalist) gegen die Existenzsicherung der ArbeiterInnen durch.

Weltweit führen solche Ankündigungen der Streichung von Arbeitsplätzen zumeist in der Dimension der Schließung von Betrieben zu erheblichem Widerstand der Betroffenen der in ihrer Existenz bedrohten ArbeiterInnen. nicht selten, so sie nicht durch Polizei, Militär oder verlockende Abfindungsangebote daran gehindert werden, kommt es zu Betriebsbesetzungen, Streiks, Demonstrationen usw. Diese können auch Auslöser für politische Auseinandersetzungen gegen Staat und Kapital werden. In nicht wenigen Fällen sind sie für viele Beteiligte und BeobachterInnen, zumeist mit ähnlicher Gefährdungsstufe als Lohnabhängige, auch ein Katalysator für Einsichten in die Krisenhaftigkeit und die Funktionsweise kapitalistischer Produktionsverhältnisse.

Da die Unternehmen jedoch bei Gefahr des eigenen Untergangs, nicht auf die Entlassungen verzichten können sind sie gezwungen, diesen Abbau von Jobs so billig und so widerstandslos als möglich zu gestalten. In Deutschland geltende, ursprünglich von der Arbeiterbewegung erkämpfte, und von den Unternehmerverbänden daher heftig bekämpfte Regelungen führen jedoch zu Risiken, die die billige und schnelle Abwicklung von Betrieben, Standorten und Betriebsteilen beeinträchtigen. Dies sind vor allem lange Kündigungsfristen für langjährig beschäftigte ArbeiterInnen und Abfindungsansprüche. Und nicht zuletzt können Betriebsbesetzungen und Streiks den ungestörten profitablen Produktionsablauf erheblich stören.

Deshalb sind Mittel die Kosten von Entlassungen gering und überschaubar machen dringend gesucht. Als probates Mittel und in den letzten Jahren erfolgreich praktiziert, haben sich die „Transfergesellschaften“ (TfG) erwiesen. Die Einrichtung von Transfergesellschaften ist im SGB III (Gesetz zur Arbeitsförderung und Arbeitslosengeld) in den § 110 ff gesetzlich normiert. Das entlassungswillige Unternehmen und der Betriebsrat einigen sich unter Einschaltung der Agentur für Arbeit auf die Einrichtung einer Transfergesellschaft. Diese nimmt für maximal ein Jahr die zur Entlassung vorgesehenen ArbeiterInnen auf und beschäftigt diese zu einem Lohn, der sich im Wesentlichen aus dem Transferkurzarbeitergeld (bezahlt von der Bundesagentur für Arbeit in Höhe von 60 bzw. 67 Prozent des letzten Lohnes) und einem Aufstockungsbetrag des Unternehmens zusammensetzt. Im Durchschnitt beträgt der Lohn ca. 80 Prozent des letzten Einkommens. Eventuell ausgehandelte Abfindungen aus einem Sozialplan gehen in den Etat der Transfergesellschaft ein, die hieraus die nicht durch Transferkurzarbeitergeld gedeckten Lohnkosten auszahlt. In dieser Transfergesellschaft sollen von den Betreibern Qualifizierungen und Hilfen zur Arbeitsplatzsuche angeboten werden. Hierzu zahlt die Bundesagentur Zuschüsse an die Transfergesellschaft, die auch Prämien für die erfolgreiche Arbeitsvermittlung beinhaltet.

In den Krisenjahren 2009/10 waren in Deutschland ca. 150 000 ArbeiterInnen in solchen Transfergesellschaften angestellt. Derzeit beginnt ein neuer Boom für deren Betreibenden.

Die in die Transfergesellschaft „übernommenen“ ArbeiterInnen beenden zu einem Stichtag „ihr“ Arbeitsverhältnis mit dem Unternehmen und treten gleichzeitig in das „Arbeitsverhältnis“ bei der Transfergesellschaft ein. Damit verzichten sie auf alle Rechtsansprüche gegenüber dem Unternehmen, z.B. auf Kündigungsschutz oder auf Abfindung zielende Klagen. Ihr einziger Vorteil der Beschäftigung bei der Transfergesellschaft besteht darin, dass sich ihr individueller Rechtsanspruch auf Arbeitslosengeld I um ein Jahr nach hinten verschiebt.

Die offizielle Begründung in den Gesetzespassagen des SGB III für die Transfergesellschaften unterstellen eine hohe Weitervermittlung in Arbeit, zum Teil nach vorheriger Qualifikation und Bewerbungshilfe. Dem scheint jedoch nicht so zu sein. Eine Untersuchung des Instituts zur Zukunft der Arbeit, IZA, kam zu dem Schluss, dass die Vermittlungsquoten aus Transfergesellschaften in neue Arbeitsverhältnisse keineswegs höher sind als die Vermittlungsbemühungen für die normalen Erwerbslosen durch die Bundesagentur für Arbeit.

Das Qualifizierungsprogramm in den Transfergesellschaften ähnelt weitgehend dem Maßnahmenangebot für „normale“ Erwerbslose. Bewerbungstrainings, Simulation von Vorstellungsgesprächen, Jobrecherche im Internet, Word-Übungen und das Anmalen von Ausmalbildern. Und natürlich sind auch krönende Ausbildungen wie Staplerfahrerscheine und die Eignungsnachweise für das Sicherheitsgewerbe dabei.

Schließlich sind es die gleichen Träger, mit zum Teil dem gleichen Personal, die sowohl die Hartz IV EmpfängerInnen als auch den in der Transfergesellschaft geparkten Erwerbslosen betreuen.

Selbstverständlich gibt es in der Transfergesellschaft auch Sanktionen für Menschen die nicht richtig mitspielen. Wer zum Beispiel unter Berücksichtigung der zulässigen Gehaltsabsenkung den von der Transfergesellschaft angeordneten Weg zur Leiharbeitsfirma nicht antritt, bekommt eine Sperre. 12 Wochen, wie auch sonst bei Arbeitslosengeldbezug üblich.

Es handelt sich also nicht um einen Kuschelkurs mit BetreuerInnen, die Streicheleinheiten verabreichen. Schließlich wird billige und willfährige Arbeitskraft benötigt und dies erzeugt der Apparat am besten mit Druck und Sanktionen. Natürlich gibt es auch Anreize: Die Sprinterprämie wird für diejenigen gezahlt, die zügig einen neuen Job finden.

Da für die TeilnehmerInnen in Transfergesellschaften augenscheinlich keine besseren Qualifizierungen und auch keine höheren Vermittlungsquoten nachweisbar sind, muss der Sinn woanders liegen.

Damit ist die Sinnhaftigkeit dieses Konstrukts hauptsächlich in den Vorteilen für die Unternehmen zu suchen, die sich LohnarbeiterInnen in größerem Umfang entledigen wollen. Ein 50igjähriger, 26 Jahre im Betrieb beschäftigter Arbeiter kommt immerhin auf eine Kündigungsfrist von 7 Monaten. Würde er betriebsbedingt gekündigt müsste das Unternehmen ihm in dieser Zeit Lohn zahlen, obwohl sein „Arbeitsplatz“ unter Umständen längst nicht mehr existiert. Und er erhielte noch 13 Monatsgehälter als Abfindung. Teuer im Hinblick auf jegliche Umsatzrendite. Der Übertritt dieser ArbeiterInnen in eine Transfergesellschaft bei gleichzeitigem Verzicht auf große Teile dieser Ansprüche wäre toll – für das Unternehmen.

Was fehlt ? Ja genau, die Betriebsräte, Gewerkschaften und Interessensvertreter die die Einrichtung einer solchen Transfergesellschaft fördern und unterstützen. Denn ohne sie geht es nicht, Massenentlassung, Betriebsschließung mit Sozialplan und Transfergesellschaft geht nur durch Einverständnis und Mitwirkung des Betriebsrates.

Dazu ein Blick auf die Entstehung einer Transfergesellschaft. Diese wird für jeden geschlossenen Betriebsteil oder Betrieb neu gegründet oder eine überregionale Transfergesellschaft errichtet eine Außenstelle. Betreibende, sprich GesellschafterInn ist weder das Unternehmen noch der Betriebsrat, sondern ein „Dritter“, der eine entsprechende Zertifizierung / Eignung bei der Bundesagentur für Arbeit nachgewiesen hat. Dies sind zumeist Firmen, die die Durchführung von zahlreichen Transfergesellschaften nachweisen können. Die jeweilige Transfergesellschaft besteht für ein Jahr, der Träger zieht weiter oder betreibt mehrere Transfergesellschaften gleichzeitig. 400 solcher, auf die Gründung und Errichtung von Transfergesellschaften spezialisierte Unternehmen, gibt es bundesweit. Wird in einem Betrieb entlassen, bewerben sich bei der Unternehmensleitung und dem Betriebsrat zahlreiche Betreibenden um die Auftragsvergabe. Die Entscheidung, welcher Anbieter den Zuschlag bekommt, fällt zumeist der Betriebsrat. Dies ist dann das einzig wirklich Relevante, was der Betriebsrat noch zum Wohl der Entlassenen entscheiden kann, soviel Entgegenkommen des Unternehmens muss denn wohl auch mal drin sein. Der Betrieb von Transfergesellschaften ist ein lohnendes Geschäft, der Jahresumsatz der Branche beläuft sich auf weit mehr als eine Milliarde Euro.

Wer sind die Betreiberfirmen von Transfergesellschaften?

Mypegasus und Weitblick gelten als die größten Betreiberfirmen in der Branche. Sogar einen Bundesverband (BVTB) mit einem Positionspapier, einem Ehrenkodex gleich, haben sie verfasst, Papier ist bekanntlich geduldig.

Die Betreibenden lassen sich grob in drei Gruppen einteilen: die kleine Gruppe der Unabhängigen zumeist örtlich begrenzten Unternehmen, eine ebenfalls kleine Gruppe die den Unternehmerverbänden und ihren Bildungswerken zuzurechnen ist, und letztlich die gewerkschaftsnahen oder gewerkschaftseigenen Unternehmen. Diese „gewerkschaftlich Orientierten“ betreiben die Masse der Transfergesellschaften. Drei Beispiele:

Weitblick ist eine hundertprozentige Tochter des DGB eigenen Berufsfortbildungswerks (bfw) mit zahlreichen Niederlassungen im gesamten Bundesgebiet. Nebenbei ist Weitblick im Saarland auch noch als Leiharbeitsfirma tätig. Referenz: Heidelberger Druck abgewickelt.

Mypegasus ist ein klassisches Beispiel für „Nähe“ zu einer DGB Gewerkschaft. Mypegasus wurde von RA Peter Hannekuhl gegründet. Er war alleiniger Gesellschafter. Gleichzeitig war er jedoch über lange Jahre beim Hauptvorstand der IG Metall als Justitiar angestellt. Referenz: Abwicklung von 2500 Opel ArbeiterInnen im Jahre 2004.

Die ebenfalls nicht kleine TfG Refugio aus Baden Württemberg wurde aus der Rechtsanwaltskanzlei Filzek & Gatzky gegründet. Die beiden Rechtsanwälte sind auf Arbeitsrecht spezialisiert und haben jahrelang im Auftrag von IG Metall und DGB Gewerkschaften deren Mitglieder vertreten. Es bestehen also laufende „Geschäftsbeziehungen“.

Hieraus lässt sich durchaus ein lukratives Geschäftsmodell generieren. Betriebsräte, überwiegend in einer DGB Gewerkschaft organisiert, fällen die Entscheidung welcher AnbieterIn den Zuschlag für die Gründung einer TfG erhält und darunter befinden sich Firmen aus dem „eigenen“ Laden. Unabhängige Anbieter beschweren sich in der Wirtschaftspresse laufend, dass sie trotz aller Dumpingangebote in der Metallindustrie kein Bein an die Erde bekommen.

Und für manchen bald Ex BR, fällt dabei auch ein neuer Job ab. Zahlreiche ex Betriebsräte tummeln sich in der Branche (selbst auf einigen Webseiten wird damit geworben, weil sie ja die KollegInnen so gut verstehen). Und als Auftragsagenten lassen sie sich auch gut verwenden, denn von Kollege zu Kollege, Metaller zu Metaller, da stimmt die Chemie und der Auftragsvergabe steht nichts mehr im Wege!

Aber eigentlich geht es nicht um Vetternwirtschaft oder lukrative Nebengeschäfte einzelner FunktionärInnen!

Es geht um das Zusammenspiel von Betriebsräten, unter Beteiligung einiger DGB Gewerkschaften und gewerkschaftseigenen oder -nahen Firmen bei der Entsorgung überflüssiger Arbeitskräfte zum Wohle einzelner Unternehmen und dem Funktionieren des ganzen Systems. Personelle Verquickungen sind da nur das Schmiermittel, das die geräuschlose Entsorgung befördert. Schließlich müssen Betriebsräte auch die wichtige Aufgabe übernehmen, den Einzelnen, von Entlassung bedrohten, den Übertritt in eine TfG schmackhaft zu machen und sie zum Teil zum Verzicht auf höhere Ansprüche auf Lohn während der Kündigungsfrist und Abfindung als lohnend zu vermitteln.

Damit wird Ansätzen von Widerstand gegen Betriebsschließungen der Wind aus den Segeln genommen, wenn das einheitliche gewerkschaftliche Ziel in solchen Fällen die Überführung der „Überflüssigen“ in eine TfG ist. In der Tarifrunde für das KFZ Handwerk Niedersachsen und Bremen im Jahre 2010 wurde denn auch von der IG Metall die Einrichtung einer landesweiten TfG als Verhandlungsposition erhoben und das Angebot an die Unternehmer gemacht, einen Teil der Tariferhöhung in diese TfG zu stecken. Dieses Herangehen von DGB Gewerkschaften basiert auf der Anerkenntnis der notwendigen Personalreduzierung als Folge kapitalistischer Konkurrenz. Und es transportiert diese Logik in das Denken und Handeln der KollegInnen.

Eine Werbeschrift der DGB Firma Weitblick trägt dann auch folgerichtig die Überschrift:

„Personalanpassung sozialverträglich gestalten“

Von einigen AnalytikerInnen des DGB wird dieses systemkonforme Verzichten der DGB Gewerkschaften, in dem die mit dem Kapital gemeinsam durchgezogenen Transfergesellschaften nur ein kleiner Mosaikstein sind, als „Standortkorporatismus“ bezeichnet. Darunter lassen sich weiterhin die mit DGB Unterstützung erfolgte Absenkung der Löhne in der Leiharbeit, Tarifverträge zur Flexibilisierung der Produktionsabläufe und die allgemeine Lohnzurückhaltung fassen.

Aus Sicht der DGB Mehrheiten soll durch ein Bündnis mit dem „deutschen“ Kapital dessen Konkurrenzfähigkeit im globalen Kampf um Märkte und Profite verbessert werden. Die sozialpartnerschaftliche Illusion dabei ist, die ArbeiterInnen am Standort Deutschland würden davon längerfristig profitieren. In den letzten 15 Jahren haben sie einseitige Vorleistungen auf Empfehlung „ihrer“ Einheitsgewerkschaften erbracht.

Somit übernehmen einige DGB Gewerkschaften eine zentrale, staatsförmige Aufgabe zum Funktionieren einer reibungslosen, profitablen Kapitalverwertung im Standort Deutschland.

Bremen 9.2.2013

Editorische Hinweise

Wir erhielten den Text von Herbert Thomsen, der bei  IWW Bremen aktiv ist.