Knoppismus und Hitlerei
Warum TV-Dokus nicht zur Aufklärung über den Faschismus beitragen

von
Frank Behrmann

02-2013

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JedeR kennt die Langeweile beim Ansehen deutscher Fernsehdokumentationen, wenn es wieder einmal ums „3. Reich“ und Hitler, den Holocaust oder den 2. Weltkrieg geht. Dabei sind doch sehr viele Menschen an diesen Themen interessiert. Und Kenntnisse über den Nationalsozialismus sollte jedeR haben. Aber diese Art Sendungen tragen so gut wie nichts zur Aufklärung bei! Woran liegt das?

Das Hamburger Abendblatt (9.1.13) vermutet einen Überdruss beim Zuschauer: „Wer um Himmels willen möchte so viel Hitler sehen? Und warum werden immer dieselben Geschichten mit denselben Bildern erzählt?“ Es würden die falschen Fragen gestellt, Fragen, die einer Erklärung des Geschehenen nicht näher kämen. Stattdessen wäre zu fragen: „Wie konnte es sein, dass jemand 1940 am Klavier Chopin spielte und zwei Jahre später in Ostpolen Menschen mit dem Spaten den Schädel einschlug?“ Eigentlich sollten Fernsehdokumentationen dazu anregen, sich selbst zu fragen: „Wie hat die eigene Familie gehandelt und warum? Wären wir selbst Täter geworden? Oder Widerständler?“

Ich möchte einige Aspekte hinzufügen:

- Ein Bildmedium wie das Fernsehen, das mit den immer gleichen Bildern arbeitet, überholt sich selbst. Die Bilder nähren den Eindruck, alles bereits gesehen zu haben - so wird auch optisch Überdruss produziert.

- Statt an ernsthaften Erklärungen zu arbeiten, die mehr als nur Teilaspekte reflektieren, wirken die Sendungen häufig schnell und ohne große Überlegung zusammen gestellt.

- Die zahlreichen detailverliebten Einzeldarstellungen tragen mehr zur Verwirrung als zum Entstehen eines Gesamtbildes des Nationalsozialismus bei, weil sie kaum in die politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen eingebettet werden.

- Das „Wieso, Weshalb, Warum?“ verschwindet hinter einem ständigen Moralisieren.

- Das häufige Psychologisieren bleibt oberflächlich und verführt dazu, den Faschismus als pathologisches Problem brutalisierter Einzelner miss zu verstehen.

- Hitler wird immer als alles überragender und allein entscheidender Führer dargestellt – Fragen nach den Motiven der glühenden Nazis, aber auch der durchschnittlichen MitläuferInnen treten dem gegenüber genauso in den Hintergrund wie die nach den seinerzeit virulenten Weltanschauungen.

- Durch die aus deutscher Sicht produzierten Reportagen wird ein national verengter Blickwinkel gefördert. Dadurch gerät aus dem Blick, dass die brutalsten Konsequenzen des „3. Reichs“ andernorts erduldet worden sind.

Für diese Methodik steht der Name Guido Knopp – über ihn schrieben die Antifaschistischen Nachrichten (Nr. 8/02): „Für Knopp und seine jeweiligen Co-Autoren scheint es unvorstellbar, dass deutsche Offiziere der nationalsozialistischen Ideologie anhingen oder gar Antisemiten waren. … Da ist die Rede von brennendem Ehrgeiz und einem falsch verstandenen Pflichtbewusstsein. Die Offiziere seien Hitlers quasi dämonischer Ausstrahlung erlegen, wozu ihre politische Unbedarftheit, ja Naivität beigetragen habe.“

Nur leicht übertreibend könnte man sagen, dass hier eine Gesellschaft gezeichnet wird, die Menschheitsverbrechen beging, weil ein verrückter, aber dämonischer Führer oder wahlweise ein kleine Clique Besessener das so wollte. Die meisten Deutschen hätten das mitgetragen, weil sie der Ausstrahlung der Parteiführer erlagen und aus schlichter Dummheit.

Ökonomische Fragen werden kaum einmal gestellt. Interessen aufgrund der wirtschaftlichen Situation werden allenfalls Erwerbslosen zugeschrieben (die Hitler gewählt hätten, um Arbeit zu bekommen) - nicht aber der herrschenden Klasse, bei der die FernsehmacherInnen niemals von den Konsequenzen ihres bedingungslosen Willens, die eigene ökonomische Machtstellung aufrechtzuerhalten, sprechen. „Wer aber vom Kapitalismus nicht reden will, sollte auch vom Faschismus schweigen.“ (Max Horkheimer)

Nur selten ist von materiellen Motiven die Rede: In wessen Interesse lag es, Hitler an die Macht zu bringen? Wie konnte der Nationalsozialismus so reibungslos seine Macht festigen? Welche gesellschaftlichen Kräfte traten ihm dabei zur Seite und weshalb? Warum haben so viele Menschen den Faschismus begeistert mitgetragen, warum standen so viele dem Morden gleichgültig gegenüber? Bei unterschiedlichen politischen Herrschaftsformen waren es doch stets die gleichen Klassen und Schichten, die die Gesellschaft vom Kaiserreich bis zur Bonner Demokratie prägten und dominierten. Einzig der Einfluss des Adels schwand nach 1945.

Der Nationalsozialismus wird nicht in sein historisches Umfeld eingebettet, sondern außerhalb jeder chronologischen Kausalität betrachtet. Er erscheint dadurch als eine hermetisch abgeschlossene Gesellschaftsformation, als eine Episode von 12 Jahren, die kaum etwas mit den Jahren davor zu tun gehabt hat. So wird der Faschismus entpolitisiert und in ein von der realen Gesellschaft losgelöstes „tragisches Ereignis“ umdefiniert, das sich Erklärungsversuchen entzieht. Der darin liegende Freispruch für alle, die nicht der NSDAP-Spitze angehörten, ist offenkundig. Es ist wie in der Karikatur, in der der Großvater seinem Enkel erklärt, 1933 seien Marsmenschen in Deutschland gelandet.

Für die politische Bildung ist dieser Befund katastrophal. Gehaltvolle Darstellungen über die Hintergründe des Nationalsozialismus könnten dagegen immunisieren, eine auch nur annähernd ähnliche politische Bewegung zu unterstützen. Dass diese Art des Fernsehjournalismus, der von seichter Unterhaltung immer weniger zu unterscheiden ist, mit Guido Knopps Verrentung der Geschichte angehört, ist leider unwahrscheinlich.

Mit der in Mode gekommenen Kombination aus einem 08/15-Spielfilm mit einer thematisch zugeordneten Dokumentation geht die Trivialisierung historischer Ereignisse in die nächste Runde. Im Februar wird die ARD den Film „Nacht über Berlin“ ausstrahlen, in dem es um den Reichstagsbrand und eine Liebe in dieser Zeit gehen wird. Für den nachfolgenden Sendeplatz wurde schnell noch die Dokumentation „Nacht über Deutschland“ zusammengeschustert, „um das Profil als Qualitätssender zu schärfen“.

Editorische Hinweise

Wir erhielten den Text vom Autor für diese Ausgabe.