Bürgerbeteiligung als Absicherung von Elitenherrschaft?
Der Publizist Thomas Wagner setzt sich kritisch mit Diskussionen der Bürger_innenbeteiligung auseinander

von Peter Nowak

02/12

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„Ihre Ideen und Vorschläge sind mir wichtig. Ich freue mich auf Ihre Ideen“. Dieses Zitat von Bundeskanzlerin Merkel kann man auf der Homepage https://www.dialog-ueber-deutschland.de/, die am 1. Februar online geschaltet wurde, lesen. Drei Fragen sollen im Mittelpunk stehen: Wie wollen wir zusammen leben? Wovon wollen wir leben? Wie wollen wir lernen? Merkel: "Jeder kann seine Ideen vorschlagen oder auf gute Praxisbeispiele hinweisen. Diese Vorschläge können dann wiederum kommentiert und bewertet werden," so Merkel.

Für den Publizisten Thomas Wagner ist dieser Bürgerdialog im Internet eine Form das Beispiel eines „demokratisch verkleideten autoritären Regierungsstils“. „Ein zentrales Kennzeichen dieser seit den Tagen von Napoleon III vor mehr als 150 Jahren wird diese Form des direkten Dialogs zwischen Regierenden und der Bevölkerung auch Bonapartismus genannt“, schreibt Wagner in dem Buch „Deutschlands sanfter Weg in den Bonapartismus“ lautet auch der Titel des Buches, das er 011 im Papyrossa-Verlag veröffentlicht hat.

Dort hat er sich kritisch mit verschiedenen Modellen der Bürger_innenbeteiligung auseinandergesetzt, die sich parteiübergreifend großer Beliebtheit erfreuen. So gratulierten dem Verein „Mehr Demokratie e.V.“, der sich für mehr Volksentscheide einsetzt nicht nur Politiker der Linken und der Grünen, sondern auch führende Vertreter der FDP und der Union zu ihrem 20ten Jubiläum. Für eine Direktwahl des Bundespräsidenten gibt es Unterstützung plädiert der konservative Parteienkritiker Hans Herbert von Arnim. Er fordert zudem einen deutlichen Machtzuwachs des Staatsoberhauptes. Diese Forderung wird seit Jahren von verschiedenen Rechtsaußenparteien wie der NPD erhoben. „Unserer Ansicht nach sollte der Bundespräsident auch mehr als nur eine repräsentative Form Funktion haben, um ein Gegengewicht gegen den von zahlreichen Sonderinteressen beherrschten Parteienstaat bilden zu können“, erklärte der parlamentarische Geschäftsführer der sächsische NPD-Fraktion Johannes Müller im Jahr 2007. Die rechte Front setzte bei der letzten Bundestagswahl auf den als „Präsident der Herzen“ titulierten Joachim Gauck. Es sind sicher auch die enttäuschten Gauck-Fans, die Wulff jetzt desavouieren.

Diese Polemik gegen die Sonderinteressen wird von vielen konservativen Parteienkritiker_innen immer wieder erhoben. Einer der bekanntesten Stimmen ist dort der ehemalige Wirtschaftslobbyist Olaf Henkel. Wagner nennt eine solche Form der Parlamentskritik eine „plebiszitär abgesicherte Elitenherrschaft“.. Dabei gehe es vor allem darum, den Einfluss organisierter Intereressenvertretung von Lohnabhängigen oder Erwerbslosen zu minimieren, betont Wagner. Bürgerbeteiligung als Vehikel für eine Verfestigung von Elitenherrschaft, mag auf den ersten Blick paradox klingen. Doch Wagner zeigte an verschiedenen Beispielen auf, wie in rechtskonservativen Kreisen mit dem Verweis auf die schweigende Mehrheit der Bürger_innen soziale Regelungen, Forderungen von Gewerkschaften, aber auch von sozialen Initiativen und Umweltverbänden ausgehebelt werden sollen. Der Parteienstaat, der unterschiedliche Interessen austarieren müsse,, hindert am kraftvollen Durchregieren, lamentieren schon rechtskonservative Parlamentskritiker in der Weimarer Republik.

Die Demokratievorstellungen des Gottfried Ludewig in Theorie und Praxis

Das solche Ideen heute nicht nur in kleinen Zirkeln diskutiert werden, zeigte der von Wagner beschriebene Vorstoß des damaligen Vorsitzenden des CDU-nahen Studierendenverbands RCDS Gottfried Ludewig. Er schlug 2008 vor, ein doppeltes Wahl- und Stimmrecht für sogenannte Leistungsträger vor. Damit sollte auch der Einfluss der neu ins Parlament eingezogenen Linkspartei begrenzt werden, so Wagner. Bejubelt wurde der Vorschlag von der Rechtsaußenpostille Blaue Narzisse mit den deutlichen Worten. Ludewigs Vorschlag, sei in sich schlüssig, denn er richte sich gegen den „systemimmanenten Fehler der Demokratie, die parasitäre Existenzen bevorzuge“. Gottfried Ludewig hat sich nicht nur theoretisch mit der Einschränkung der Demokratie befasst. Als kurzzeitiger Vorsitzender einer rechten Stupa-Mehrheit im AStA der Technischen Universität Berlin (TU-Berlin) sorgte er für die Zerschlagung einer über lange Jahre aufgebauten linken Infrastruktur. So wurde die AStA-Druckerei verkauft. Nach knapp einem Jahr wurde der rechte AStA wieder abgewählt. Aber Ludewig und Co. dachte nicht daran, den Posten zu räumen. Schließlich hatte er die Zerstörung der Infrastruktur noch nicht beendet. Mit allen juristischen Tricks versuchte der abgewählte AStA kommissarisch im Amt zu bleiben ( http://astawatch.wordpress.com/ ). Dazu gibt es einige Indymedia-Artikel: http://de.indymedia.org/2007/10/197125.shtml.

Ludewig ist nicht der einzige in den großen Parteien, der über die Einschränkung der Demokratie nachdenkt. Dass dabei sogar außerparlamentarische Bewegungen wie Teaparty-Bewegung in den USA unter dem Motto der Bürger_innenbeteiligung zur Verfestigung von Elitenherrschaft beitragen, ist oft nicht so leicht einsehbar Wagner hat mit seinem Buch daher den Blick auf ein wichtiges Thema gerichtet, das auch für Aktivist_innen von außerparlamentarischen Bewegungen zu empfehlen ist. Es ist ein Gegenmittel gegen eine verkürzte oder falsche Staatskritik, wie sie zum Beispiel bei einem Teil der deutschen Occupy-Bewegung auftritt, die sogar darüber diskutieren, eine Imitation der Tea.Party-Bewegung in Deutschland werden wollen.

Siehe. http://www.nachdenkseiten.de/?p=12024  und: http://www.neues-deutschland.de/artikel/217171.deutsche-teaparty.html

Rätemodell als Alternative?

Wagner analysiert die unterschiedlichen Formen von Demokratieabbau unter dem Label Bürger_innenbeteiligung. Die Schwäche des Buches ist, dass er kaum auf linke Alternativen jenseits der Linkspartei eingeht. Die Selbstorganisation im Betrieb, in der Schule, im Stadtteil, im Jobcenter, der Aufbau von Rätestrukturen, und eine Organisierung, die sich weigert, als Bürger_innen angesprochen zu werden, sondern darauf besteht, als Teil von Erwerbslosen, Lohnabhängige, etc. zu kämpfen gehört dazu . Das und nicht linksozialdemokratische Parteimodelle sind eine Alternative zu bürgerlicher Demokratie und ihren rechten Kritiker_innen.

 

Thomas Wagner
Direkte Demokratie als Mogelpackung.
Oder Deutschlands sanfter Weg in den Bonapartismus


Neue Kleine Bibliothek 168
143 Seiten

Papyrossa-Verlag,
Köln 2011

11,90 Euro / ISBN: 978-3-89438-470-8