Emmely: Wir haben gewonnen
Das Buch "Gestreikt. Gekündigt. Gekämpft. Gewonnen."

besprochen von Anne Seeck

02/12

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Emmely beschreibt in dem Buch, wie eine Kündigung ihr Leben veränderte. Es begann alles mit dem längsten Streik im Einzelhandel 2007/2008. Bei Kaiser´s wurde Emmely als "Rädelsführerin" gehandelt. Dann kam am 25.1.2008 der Kündigungsvorwurf. Ihr wurde vorgeworfen, dass eine zweite Unterschrift auf zwei Pfandbons im Gesamtwert von 1,30 Euro fehlte. Dabei hatten die Marktleitung und die Kassiererin die Pfandbons akzeptiert. Drei Tage später wurden ihr Bons vorgelegt, die nur die Unterschrift der Kassiererin trugen. 31 Jahre war sie in dem Betrieb beschäftigt gewesen. Sie wollte gegen die Kündigung kämpfen.

Nach dem ersten verlorenen Prozess brach ihr "Rechtsverständnis zusammen", sie wollte in die höhere Instanz gehen. "Wer nicht kämpft, hat schon verloren.", so ihr Slogan. "Ich fing an, meinen Alltag umzugestalten...und ich änderte meine Denkweise..Nach Alternativen wollte ich suchen...Ich hatte eine Rolle übernommen, die mein gesamtes Leben über den Haufen warf. Ich kämpfte nicht mehr nur für meine Belange, sondern für all die Menschen in unserem Land, denen etwas Ähnliches passiert war oder noch passieren könnte." (Gestreikt.Gekündigt.., S. 13f.)

Der zweite Prozess war von einer starken Öffentlichkeit begleitet. Er wurde vor allem vor dem Hintergrund der hohen Boni für Bankmanager trotz des Kollapses des Finanzsystem gesehen. Zudem wurde Klaus Zumwinkel, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Post, wegen Steuerhinterziehung von 1,2 Millionen Euro zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Die Bevölkerung hatte den Eindruck, die Justiz messe mit zweierlei Maß. Viele erkannten sich in Emmely wieder: "immer höhere Arbeitsbelastung, immer niedrigere Löhne, Hetze und Schikane auf der Arbeit und die Aussichtslosigkeit gegen Kündigungen auf Verdacht oder wegen Bagatellen vor Gericht zu klagen". Es gab eine "breite gesellschaftliche Empörung".

"Sie war das einzige Widerstandsmoment, das im Kontext der Finanzkrise in Deutschland breit diskutiert wurde." Jörg Nowak schreibt, "dass die Spontanität fehlte, um den Fall als Möglichkeit zum politischen Eingreifen zu nutzen, was die Schwäche der Linken und der Widerstandskultur in Deutschland zeigte. Wieviel sozialer Sprengstoff in diesem Fall steckte, war den Politikern dagegen ziemlich klar." Sie wählten die Umarmungsstrategie, denn die Empörung gegen "die da oben" könne gefährlich werden. Damit war aber der Fall für die außerparlamentarische Linke erledigt, da sich etablierte Akteure auf den Fall Emmely bezogen. Die Chance zum "öffentlich wirksamen Eingreifen" blieb leider ungenutzt, so Nowak. Die Chance nutzten dagegen Beschäftigte, für sie wurde der Fall zur nützlichen Referenz."Der Protest hat damit auch gezeigt, wie schnell die Herrschenden Angst bekommen können, wenn sich breite Empörung regt und in Momenten einer Krise der herrschenden Verhältnisse gezielt politisch interveniert wird.", schreibt Nowak zum Abschluß seines Vorwortes. (Gestreikt. Gekündigt..., S. 7-10)

Die juristische Ebene

Emmely hat gewonnen. Die Rechtsdurchsetzung gegen Verdachtskündigungen ist natürlich sehr wichtig. Gut, dass es noch engagierte Rechtsanwälte gibt. Aber zugegenermaßen fehlte mir die Konzentration, um die Sprache im juristischen Teil zu verstehen. Ein Artikel kommt mit 15 Seiten + 10(!) Seiten Anlagen und Anmerkungen daher.

Und die Rolle der Gewerkschaften?....

Emmely war als kämpferische Gewerkschafterin bei einem Streik im Einzelhandel von Anfang 2007 bis Sommer 2008 aufgetreten. Sie schlug zum Beispiel vor, Flugblätter in die Briefkästen der Anwohner zu werfen. Keiner ihrer Vorschläge wurde von den Streikleitung aufgegriffen und unterstützt. Die Tarifkommission, meistens Betriebsräte, sprachen von "wir", wenn sie die Betriebsleitung meinten. Der Streik wurde eine Woche vor Weihnachten ausgesetzt, was auch Emmely wütend machte. Danach streikten von ehemals 1000 Beschäftigten nur noch 400. Wie das Co-Management der traditionellen Gewerkschaften funktioniert, verdeutlicht der Fall Emmely auch nach ihrer Kündigung. Die von Verdi gestellte Verteidigerin wollte keine öffentliche Kampagne. Die bei Verdi für den Einzelhandel zuständige Sekretärin trug ein Abfindungsangebot an Emmely heran, dass diese entschieden ablehnte. Der Betriebsrat von Kaiser`s meinte, Demonstrationen und das Verteilen von Flugblättern würde die Kollegen einschüchtern und der von verdi unterstützte Aufruf zum Kaufboykott würde der wirtschaftlichen Grundlage des Betriebes schaden. Nach dem Medienhype taten die Gewerkschaften dann so, als hätten sie die Solidaritätsarbeit geleistet. Dabei hatten die Beschäftigtenvertretungen auf Kapitalseite gestanden.

Bärbel Schönafinger schreibt in dem Buch: "Ich halte das für einen erschütternden und in seinen Konsequenzen weitreichenden Befund. Im konkreten Fall ist die Arbeiterin alleine, sie wird nur vertreten, insofern ihre Interessen sich zufällig mit denen des Kapitals überschneiden (Sozialpartnerschaft) und sonst hat sie, als machtloses Subjekt (sic!) das Maul zu halten und jede Infamie auszuhalten...Emmelys Fall zeigt uns also mit großer Deutlichkeit, dass die Institutionen der Beschäftigtenvertretung in der BRD so heruntergekommen sind, dass ihr historischer Zweck, die Beschäftigten stärker zu machen, völlig pervertiert ist. Am Beispiel Emmelys läßt sich belegen, dass sie de facto dazu da sind, die Lohnabhängigen schwächer zu machen und sie einzuschüchtern." ( Gestreikt. Gekündigt...; S. 49)

Aber genug der Gewerkschaftsschelte. Auch in den Gewerkschaften gibt es engagierte Menschen. So berichtet Samira von Erika Ritter. Ohne sie wäre eine Verbindung zum Streik und somit zu Emmely nie entstanden. "In Erika Ritter schienen zwei Herzen zu wohnen, das eine war das der Gewerkschaftsfunktionärin bzw. der an Weisungen gebundenen und berufsmäßig Zwängen unterliegenden Gewerkschafterin, das andere kennzeichnete die Person, auf die wir uns bezogen: offen für Bündnisse und Interventionen mit autonomen und anarchistischen Gruppen. Verbündete wie Erika Ritter muss es geben." (Gestreikt. Gekündigt..., S.56) In dem Buch kommt auch ein Gewerkschaftssekretär zu Wort. Anton Kobel berichtet kompetent über den Einzelhandel in Deutschland. Aufgrund der stagnierenden Umsätze verschärfe sich die Konkurrenz. Um ihre Umsätze zu steigern, weiten die Unternehmen ihre Verkaufsflächen aus, betreiben Personalabbau und eine aggressive Preispolitik. Die Löhne liegen dagegen am Ende der Gehaltsskala in Deutschland. Lohndumping ist an der Tagesordnung. Den Kampf um das Ladenschlußgesetz verloren die Gewerkschaften, das bedeutete vor allem für viele Frauen eine Ausweitung der Arbeitszeiten. Die Beschäftigten werden wiederum überwacht, so bei Schlecker. Die Überwachung wird mit Ladendiebstählen und Inventurdifferenzen begründet. M.E. gilt es das Wissen der Gewerkschaften zu nutzen, sie haben viel mehr Ressourcen als die radikale Linke. Auch für die Bündnisarbeit sind Gewerkschafter notwendig. Bei aller Kritik, Gewerkschaften sind wichtig. Besonders die Menschen an der Basis gilt es zu gewinnen.

Und die Soziologin?...

Die Situation von prekär Beschäftigten sei oft von vielen privaten Problemen geprägt, so Ingrid Artus: "prekäre Familien- und Haushaltskonstellationen, Kämpfe um den Aufenthaltsstatus, schwierige Wohnsituationen, Sorgen wegen Krankheiten, Alkoholismus- und Drogenprobleme kommen überdurchschnittlich vor. Zum biographischen Erfahrungsschatz gehört, dass man vom Schicksal 'herumgeschubst' wurde und sich weitgehend passiv als SchwächereR erlebte: in der Schule, in der Familie, beim Sozial- oder Arbeitsamt." Das führe zu einem Praxissinn, "eine Art pragmatischer Alltagsverstand...Indem die Welt auf den alltäglichen Erfahrungshorizont verkleinert wird, wird sie sowohl subjektiv erträglich als auch in ihrer Verlaufslogik realistisch vorhersehbar und pragmatisch gestaltbar..." Die prekär Beschäftigten gingen daher in Deckung und funktionieren möglichst unauffällig. Das sei ein "pragmatischer Überlebensreflex", der "auf einer recht realistischen Einschätzung betrieblicher Machtverhältnisse" beruhe. Und trotzdem gebe es die Emmelys, die typischerweise zur Stammbelegschaft gehören und schon lange im Betrieb arbeiten. "Manchmal ist ihre in der Vergangenheit hart erkämpfte betriebliche Position akut bedroht." (z.B. bei Krise des Unternehmens oder eigener Verschlissenheit).Das eigene Schicksal wird als "kollektive Problemlage" interpretiert. Typisch sind auch Auseinandersetzungen um Respekt und Anerkennung, z.B. wie oft man auf Toilette gehen darf oder ob eine Überwachungskamera in der Umkleidekabine installiert wird. Für Gewerkschaftsfunktionäre erscheine es verrückt, sich für Mitglieder mit mikrigen Beiträgen und bei häufigem Arbeitsplatzwechsel einzusetzen. (Gestreikt. Gekündigt..., S. 126ff.) Es bedarf der Zusammenschlüsse von "Verrückten". Das sei nicht hoffnungslos, das zeigen viele Beispiele.

Und die Linken?...

Interessant in dem Buch der Abschnitt "Die blinden Flecken im Fall Emmely" von Samira van Zeer. "Ich fand es vorstellbar, dass eine Kassiererin Geld veruntreut, welches einem Konzern "gehört"....Vorstellbar war aber auch, dass Emmely als einer Streikbeteiligte des Kaisers- Konzerns eine Falle gestellt bekam." Wie auch immer. "Opportunistische und angepasste Linke werden diesen Aspekt (Anm. die Umverteilung der Eigentumsverhältnisse...) nie aufgreifen. Wenn Emmely offensiv gesagt hätte: 'Also, Leute. Ich hab die Pfandbons einkassiert, weil ich verdammt noch mal ein moralisches Recht dazu hab'. Ich brauch' jetzt eure Unterstützung, damit ich nicht rausflieg'..da hätte ein Großteil der ach so fortschrittlichen Linken doch blöd geguckt. Die Unterstützungsszene für Emmely wäre nicht entstanden. Das sollte doch zu denken geben..." Durch die Skanadalisierung in den Medien wurde der Fall entpolitisiert. Der Kapitalismus solle doch etwas wärmer sein. "Und die Linken? Viele gefielen sich darin jetzt plötzlich, es mit einer kämpfenden Kassierin zu tun zu haben." Samira beschreibt, wie Welten zusammen kam, "die einfach schmerzten. Akademische Mittelschichtslinke, die sich nah an den sozialen Kämpfen kuscheln und wärmen wollen. Soziale Kämpfe 'führen' zu wollen, basieren oft nur auf abstrakten Ansprüchen. Man schnupperte Gewerkschaftsluft und vor allem gesellschaftliche Machtpositionen. In erster Linie aber weiß man, dass man nie an der Kasse sitzen wird!...Eine opportunistische, anbiedernde, mittelschichtsorientierte Politik von Linken stärkt vielleicht die Gewerkschaft und mündet in Organizerjobs- sie stärkt keine Kämpfe, sie bereichert sich höchstens an ihnen. Eine Aussicht auf die getrost verzichtet werden kann. Dort wo Basisstrukturen entstehen, werden solche Leute immer kommen, weil sie von ihnen zu profitieren wissen..." (Gestreikt, Gekündigt..., S. 50-57)

Gegen das Vergessen...

Ich hoffe für Emmely, die ich bei einer politischen Bildungsreise nach Paris kennenlernte, dass sie von der Linken nicht instrumentalisiert wurde, sondern viele langjährige Kontakte dadurch entstanden sind. Emmely stehe für das französische Moment, "seine Würde zu verteidigen". Viele in der Linken würden es als unter ihrer Würde ansehen, an der Kasse zu sitzen. Emmely sitzt dort seit 30 Jahren und wollte auch wieder dahin. Sie hat eine spannende Zeit erlebt, man stelle sich jetzt die Monotonie der Kasse vor. Sie hat gewonnen oder wir haben gewonnen?

Mein Dank gilt der Erinnerung an Archi Kuhnke am Ende des Buches. Ich lernte ihn leider erst bei seinem Abschied kennen. Selten habe ich in der Linken solch eine interessante Persönlichkeit erlebt, der selbst vor seinem Tode noch vor Leben sprühte. Seine Rede auf einer Demonstration beginnt "Liebe aufbrechende Massen!" und endet "Wir brauchen in dieser Krise Zehntausende, nein, Hunderttausende ihre Interessen einfordernde und standhaft sich wehrende Emmelys!"

"Meinem Slogan 'wer nicht kämpft, hat schon verloren' bin ich treu geblieben, aber lasst euch sagen 'wer kämpft, kann gewinnen', ihr auch." (Emmely)

Komitee „Solidarität mit Emmely“ (Hg.):
Gestreikt. Gekündigt. Gekämpft. Gewonnen.
Die Erfahrungen der „Emmely“-Kampagne

ISBN 978-3-940865-27-4 ·

AG  SPAK 2011
144 S. · 9,50 €

PS: Das Buch ist wichtig und interessant. Was mich aber extrem gestört hat, ist die DDR-Fahne inmitten einer Demonstration auf dem Buchcover. Wie wärs mit einer Deutschland-, Israel- oder USA-Fahne gewesen? Die Bildauswahl hätte etwas sensibler sein können...