Deutsches Europa nimmt Gestalt an

von Tomasz Konicz

02/12

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Am vergangenen Montag (30.1.2012) konnte die Regierung von Bundeskanzlerin Angela Merkel ihren bislang größten außenpolitischen Erfolg erringen. Auf einem Brüssler Gipfeltreffen stimmten 25 der 27 EU-Staaten einem von Berlin maßgeblich konzipierten „Fiskalpakt“ zu, der eine rigide Sparideologie institutionalisiert und die Regierungen der betroffenen Länder zu strikter Austeritätspolitik zwingt. Nur die Regierungen Großbritanniens und Tschechiens verweigerten sich dem deutschen Diktat. Alle anderen EU-Mitglieder würden sich Bundeskanzlerin Angela Merkel „beugen“, so die Finantial Times Deutschland wörtlich.

Die neuen Regelungen des Fiskalpakts verpflichten alle EU-Länder zur Einführung sogenannter „Schuldenbremsen“ nach deutschem Vorbild, die die künftige strukturelle Neuverschuldung auf 0,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) begrenzen sollen. Bei Verstößen drohen Sanktionsverfahren vor dem Europäischen Gerichtshof, die Strafen in Höhe von 0,1 Pozent der Wirtschaftsleistung nach sich ziehen können. Defizitverfahren gegen einzelne Länder sollen künftig schneller umgesetzt werden, da die Unterzeichnerstaaten gegen diese kein Veto mehr einlegen dürfen.

Die zunehmenden chauvinistischen Töne aus den Reihen der Bundesregierung verhagelten dieser aber ihren eigenen Triumph. Für europaweite Empörung sorge die im Vorfeld des Gipfels von Berlin lancierte Forderung nach einem „EU-Sparkommissar,“ der die Kontrolle über die Haushaltspolitik in Athen übernehmen sollte. In dem „Sicherung der Fügsamkeit“ betitelten Strategiepapier forderte die Bundesregierung nichts weniger als die Entmündigung Griechenlands, dem die Zuständigkeit für den Kernbereich staatlicher Souveränität – die Haushaltspolitik – entrissen werden sollte.

Die Empörung in Griechenland auf diesen Kontrollvorstoß Berlins war einhellig. In den griechischen Medien wird von einem deutschen "Gauleiter" gesprochen, den Merkel nach Griechenland entsenden wolle. In der Zeitung "To Vima" hieß es: Deutschland fordere die "bedingungslose Kapitulation der griechischen Finanzen". Die griechische Regierung erklärte unverzüglich: "Es ist ausgeschlossen, dass wir das akzeptieren. Diese Kompetenzen fallen unter nationale Souveränität.".

In Deutschland wagte es immerhin der Linke-Chef Klaus Ernst, die Bundesregierung an die historischen Parallelen zu erinnern, die bei solch ungehemmten Dominanzstreben Berlins sich einstellen: "In Griechenland erinnern sich die Menschen bei solchen Vorschlägen, gerade wenn sie aus Deutschland kommen, ganz automatisch an den dunkelsten Teil ihrer Geschichte." Der österreichische Bundeskanzler Werner Faymann warnte, man solle "niemanden in der Politik beleidigen", während Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn zu größerer Vorsicht mahnte: "Ich denke dass das größte Land in der Europäischen Union, Deutschland, etwas vorsichtiger sein sollte." Einwände erhoben auch deutsche Abgeordnete im EU-Parlament.

Neben dem kaum noch gezügelten Großmachtchauvinismus der politischen Klasse Berlins, der schon etliche diplomatische Verwicklungen zeitigte (wie etwa Kauders berüchtigten Ausspruch, „in Europa wird jetzt deutsch gesprochen“), sind es aber vor allem die desaströsen Folgen der von Berlin in Europa durchgesetzten Krisenpolitik, die in Europa den Unwillen auf die deutsche hegemonialmacht rasch anschwellen lassen. Der italienische Ministerpräsident Mario Monti warnte jüngst Deutschland offen vor einer „kräftigen Rückwirkung“, sollte Berlin sich weiterhin maßnahmen entgegenstellen, „die den finanziellen Druck auf andere Euro-Mitglieder erleichtern könnten.“ Dabei war es gerade diese Blockade Berlins, die Europas Staaten zum Einlenken gegenüber dem deutschen Diktat nötigte und die Realisierung des „Deutschen Europa“ erst ermöglichte.

Die britische Times fasste diese ökonomisch desaströse und machtpolitisch erfolgreiche Politik der Bundesregierung – die alle Maßnahmen zur Abschwächung der Krisendynamik blockierte - durchaus treffend zusammen:

„Das Grundproblem liegt nicht in der Effizienz der deutschen Wirtschaft, obwohl diese schon auch zum Auseinanderklaffen der wirtschaftlichen Schicksale beigetragen hat, sondern vielmehr im Verhalten der deutschen Politiker und Zentralbanker. Nicht nur legt die deutsche Regierung konsequent Veto gegen die einzigen Strategien ein, die der Eurokrise hätten Herr werden können – kollektive europäische Garantien für nationale Staatsanleihen und ausgedehntes Eingreifen der Europäischen Zentralbank. Nein, zu allem Übel ist Deutschland auch verantwortlich für fast alle irrigen Strategien, die die Eurozone bisher eingesetzt hat, angefangen bei den verrückten Zinssatzerhöhungen durch die EZB im vergangenen Jahr bis zu den exzessiven Forderungen nach Sparmaßnahmen und den Bankverlusten, die nun Griechenland mit einem chaotischen Zahlungsausfall bedrohen.“

Quelle: http://www.presseurop.eu/de/content/article/1452081-deutschland-raus-aus-dem-euro

Das Desaster des deutschen Sparterrors offenbart sich vor allem in Griechenland, dass aufgrund der von Berlin durchgesetzten Kahlschlagspolitik am Abgrund steht. Die verhängnisvolle ökonomische Abwärtsspirale, die Athen aufgrund exzessiver Sparmaßnahmen in den Staatsbankrott treibt, ist durch die dramatische Entwicklung in Hellas hinreichend empirisch belegt – und dennoch hält Berlin die Augen vor diesen unbequemen Zusammenhängen krampfhaft verschlossen: Die von Berlin und Brüssel oktroyierten drastischen Sparpakete ließen die staatliche und private Nachfrage in Griechenland rasant einbrechen, was eine verhängnisvolle, sich selbst verstärkende Abwärtsspirale auslöste, bei der die einbrechende Konjunktur die Staatseinnahmen schrumpfen, und das rasch anschwellende Arbeitslosenheer die Staatsausgaben anschwellen ließ. Das Ergebnis ist wohlbekannt. Vor Beginn der Sparprogramme bewegte sich die griechische Staatsverschuldung 2009 bei rund 120 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, derzeit ist sie auf rund 163 Prozent des BIP angestiegen und soll dank des nun kurz vor dem Abschluss stehenden Schuldenschnitts auf rund 120 Prozent des BIP bis 2020 absinken. Damit würde der Schuldenberg in Griechenland auf ein Niveau absinken, das Athen vor Beginn der "Sparmaßnahmen" aufwies.

Athen setzte in den vergangenen Jahren mehrmals drastische Sparmaßnahmen um, die entgegen der landläufigen Propaganda hierzulande sehr konsequent und "erfolgreich" waren. Zwischen 2009 und 2011 wurde das strukturelle Staatsdefizit in Athen um unglaubliche 11,4 Prozent des BIP abgesenkt, während es in Spanien nur rund 6,2 Prozent und in Irland nur vier Prozent waren. Zum Vergleich: zwischen 2003 und 2007, in den vier Jahren der Implementierung der "Agenda 2010", sank das strukturelle Haushaltsdefizit in Deutschland um gerade mal 2,6 Prozent. Griechenland hat sein strukturelles Staatsdefizit somit in drei Jahren mehr als vier Mal so stark verringert wie Deutschland in vier Jahren während der hierzulande durchgeführten Sozialdemontage. Trotzdem meldete jüngst Griechenland weiteren Finanzbedarf von 15 Milliarden Euro an, was wohl die Berliner Politik zu ihrem Vorschlag der haushaltspolitischen Entmündigung Athens hinreißen ließ. Das liegt daran, dass der Sparterror Athen in eine tiefe Rezession trieb, die nun schon vier Jahre anhält und sich immer mehr verstärkt. Das griechische BIP schrumpfte 2008 um 0,2 Prozent, in den zwei Folgejahren waren es 3,3 und 3,5 Prozent, und in 2011 sogar um 5,5 Prozent. Ein Ende dieses von Deutschland maßgeblich verursachten Desasters, das mit einem gigantischen Pauperisierungsschub einhergeht, ist nicht in Sicht. Stattdessen fordern Berliner Politiker weitere Reformen: „Für Reformstillstand gibt es kein Geld“, sagte etwa CSU-Chef Horst Seehofer.

Dieser verheerende Sparterror lässt auch die Lage in anderen südeuropäischen Staaten wir Spanien oder Portugal eskalieren - und wurde nun auf Betreiben Berlins im Rahmen des „Fiskalpaktes“ institutionalisiert und somit allen europäischen Staaten vorgeschrieben. Dabei geht inzwischen die gesamte Eurozone aufgrund dieser verfehlten Krisenpolitik in Rezession über. Selbst der Internationale Währungsfonds (IWF) geht in seiner jüngsten Prognose davon aus, dass die Eurozone in diesem Jahr in eine Rezession übergehen wird. Eine ähnliche Prognose gab Mitte Januar auch die Weltbank ab. Somit drohen weitaus mehr Länder in eine ähnliche wirtschaftliche Abwärtsspirale zu geraten, wie sie derzeit Griechenland verwüstet und sich in Spanien, Portugal und Italien ankündigt - und bei Sparterror, Wirtschaftseinbrüche und Massenelend in verhängnisvolle Wechselwirkung treten.

Inzwischen zeichnen sich aber auch deutlich die Maßnahmen ab, mit denen Berlin „seine“ Eurozone trotz einbrechender Rezession zu stabilisieren trachtet. Unmittelbar nach der Absegnung des deutschen Fiskalpaktes auf dem Brüssler Gipfel wurde bekannt, dass die EZB den europäischen Finanzmarkt mit Liquidität in bislang unbekanntem Ausmaß überfluten wird: An die eine Billion Euro (rund 1000 Milliarden!) wollen die europäischen „Währungshüter“ am 29. Februar den Banken zum Minimalzins von einem Prozent auf drei Jahre zur Verfügung stellen, um diese zum Erwerb der weitaus höher verzinsten Staatsanleihen im Euroraum zu motivieren. Bei der ersten Geldflutung der EZB ende Dezember - die kurz nach dem Krisengipfel im Dezember durchgeführt wurde, bei dem Merkel ihre nun realisierte Forderung nach einem Fiskalpakt durchsetzen konnte – nahmen Europas Geldhäuser „nur“ knapp 500 Milliarden Euro an Liquidität von der EZB auf. Nach der damaligen Geldflutung ist die Zinsbelastung vieler EU-Staaten tatsächlich zurückgegangen, wobei hiervon in erster Linie das Zentrum der Eurozone rund um Deutschland profitierte, während der Rückgang des Zinsniveaus in der südlichen Peripherie eher gering blieb. Mit dieser Maßnahme wird mit Duldung Berlins somit genau die Gelddruckerei betrieben, die Deutschlands Führungsriege bislang vehement ablehnte – mit dem Unterschied, das diese nun „indirekt“ über die Finanzmärkte erfolgt. Zudem wurden nun Berlins Forderungen nach einer Umformung der EU gemäß deutscher Interessen weitgehend erfüllt.

Schließlich berichtete die Finantial Times Deutschland(1), dass der Umfang des „Rettungsschirms“ der EU nahezu verdreifacht werden soll. Hierbei sollen die Mittel im provisorischen Rettungsfonds EFSF und dem „dauerhaften“ Stabilitätsmechanismus (ESM) zusammengeführt werden. Zu diesen 1000 Milliarden Euro soll noch der IWF rund 500 Milliarden beisteuern, von denen die Europäer 150 Milliarden Euro als Kredite beisteuern sollen. Die restlichen 350 Milliarden sollen außerhalb Europas aufgebracht werden, wobei aber etliche Staaten bereits Vorbehalte (Brasilien, Großbritannien) oder rundweg Ablehnung (USA) signalisiert haben. Bundeskanzlerin Merkel brach folglich kurz nach dem Krisengipfel in Brüssel zu einer China-Visite auf, um für ein verstärktes Engagement Pekings bei der Stabilisierung des „Deutschen Europa“ zu werben.

Anmerkungen

1) http://www.ftd.de/politik/europa/:schuldenkrise-super-rettungsschirm-im-anflug/60161987.html  

Editorische Hinweise

Den Artikel erhielten wir vom  Autor. Weitere Artikel finden sich auf dessen BLOG: http://www.konicz.info/