Fragen zu einer nicht stattgefundenen Revolution und Replik auf Juliane Schumachers Artikel „Vom Tahrirplatz lernen“

von
Peter Nowak

02/12

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Wie viele Jubiläen hat eigentlich die arabische Revolution? Kaum war der Jahrestag des Umsturzes in Tunesien vorbei, ist der Sturz von Mubarak in Ägypten an der Reihe.

Dabei muss man sich zunächst fragen, warum die ganzen Termine unter dem Oberbegriff arabische Revolutionen verarbeitet werden. Ist schon der Sammeltitel arabisch für diese unterschiedlichen Länder eine sehr europäische Projektion, so ist es doch sehr fraglich, warum auch in linken Medien fast unisono von einer arabischen Revolution gesprochen wird. Dabei wäre der Szenebegriff der Arabellion genauer.

Denn tatsächlich fand in all den Ländern eine Rebellion gegen autoritäre Herrschaft statt, die bisher in keinem Land zu einer Revolution, sondern höchstens zum Elitentausch führte. In Ägypten kann sogar davon gesprochen werden, dass die Eliten nicht einmal ausgetauscht worden. Der Militärrat ist weiterhin an der Macht, nur der lästig gewordene Mubarak und sein Clan verloren die Macht. Die subjektiven Revolutionäre vom Tahrirplatz sind hingegen stark unter Druck, nicht nur vom Militärrat, sondern auch den verschiedenen Varianten des Islamismus.

Schwierige Gemengelage im arabischen Raum

Noch schwieriger ist die Situation in Libyen, wo wie der Kollege Bernard Schmid kenntnisreich nachwies, das Gaddaffi-Regime die Herausbildung von politischen Parteien und Gewerkschaften fast unmöglich machte. Spätestens durch den Eingriff einiger Natostaaten wurde immer unklarer, welche Rolle noch die innenpolitischen Faktoren beim Umsturz hatten. Zudem werfen die sich immer mehr verifizierenden Berichte über Misshandlungen von Afrikaner_innen und tatsächlichen oder vermeintlichen Gadaffianhänger_innen die Frage auf, ob der Umsturz in Libyen überhaupt einen emanzipatorischen Gehalt hat.

Ähnlich schwierig ist die Lage in Syrien. Ein autoritäres Regime wird von einer islamistischen Opposition herausgefordert, die mit der herrschenden Clique wegen der blutigen Niederschlagung eines Aufstands in einer Todfeindschaft verbunden ist. Zudem wird auf syrischen Boden längst auch ein Machtkampf der Regionalmächte Saudi-Arabien und Iran ausgetragen. Wie auch im Jemen, wo es eine ähnliche Gemengelage gibt, gibt es für die emanzipatorischen Kräfte auch in Syrien weder unter dem Assad-Regime noch unter einer islamischen Oberhoheit Grund zur Freude. Zudem könnte ein Sturz des berechenbaren Antizionisten Assad auch das Verhältnis zu Israel zu verschärfen. Ein Teil des syrischen Mittelstandes befürchtet zudem libanesische Verhältnisse in Syrien, wenn der Konflikt sich in eine blutige konfessionelle Auseinandersetzung verwandelt. Der Hass gegen die Aleviten, eine in religiösen Fragen recht liberale Strömung, der in der syrischen Opposition geschürt wird, trägt kaum dazu bei, die Befürchtungen, die unter Anderem der Berliner Islamwissenschaftler Florian Bernhard und die Syrien-Korrespondentin Karin Leukefeld  beschreiben, zu zerstreuen.

So berechtigt Kritik an Leukefelds oft zu unkritische Berichterstattung gegenüber dem Regime sein mag, in ihren Reportagen ( http://www.leukefeld.net/repint.htm ) zumindest, kann man einiges von dem Leben der Menschen in dem Land erfahren, weil sie eine der wenigen noch in Syrien akkreditierten . Journalist_innen überhaupt ist. So falsch es wäre, sich nur aus ihren Artikeln die Situation in Syrien erklären zu wollen, so leichtfertig ist es aber auch, ihre Beobachtungen als bloße Propaganda des Regimes abtun zu wollen. Es ist ein Teil der Realität und sie beschreibt die Ängste eines Teils des alevitischen Bevölkerungsteils des Landes.

Wo bleibt der erhoffte Umbruch?

Auch auf der Veranstaltung, die am 30. Januar von der Gruppe Avanti organisiert, unter dem Titel „Arabischer Frühling- was bleibt vom erhofften Umbruch?“ im Festsaal Kreuzberg stattfand, konnten die Ambivalenzen gerade zur Situation in Syrien nicht wirklich ausgeräumt werden.

Zumindest vermied der Titel den Revolutionsbegriff. Allerdings wurde sie von Elais Perabo moderiert, der eine Gruppe „Adopt a Revolution“ gegründet hat. Wobei sich die Frage stellt, welche Revolution es in Syrien gibt und ob man die adoptieren kann, wie ein Kind. Die Antwort wurde auch auf der Veranstaltung nicht gegeben. Die ägyptische Sozialistin Ola Shahb schilderte die Probleme, mit denen eine klassenkämpferische Linke zur Zeit in ihrem Land konfrontiert ist. Sie berichtete auch, dass linke Gruppen durchaus auch wegen ihrer Organisationsfähigkeiten bei ihren Bündnispartner_innen anerkannt sind. Ein keineswegs . ganz pessimistischer Einblick wurde geliefert. Im Falle Syriens gestaltete sich ein solcher Überblick schon deshalb schwieriger, weil die beiden Referenten Aktham Abazzid und Hozan Ibrahim schon länger im Ausland leben müssen. Trotzdem konnten sie recht anschaulich den Abgesang des baathistischen Regines schildern. Angetreten unter dem Motto eine arabische Revolution initiieren zu wollen, ist nur ein autoritärer Machtblock übrig geblieben, der nur Angst hat, weggefegt zu werden. Mittlerweile sind Radionachrichten aus Israel vor allem bei jüngeren Syrer_innen die Möglichkeit, etwas Anderes als die Propagandasendungen des Regimes zu hören, berichtet Aktham Abazzid. Das ist insofern erfreulich, als es ein Indiz dafür ist, dass die antiisraelischen Reflexe, die das Regime über Jahrzehnte zum Machterhalt pflegte, an Bedeutung verlieren. Syrien hat wie viele anderen Regime in der Region, immer das Feindbild Israel gepflegt, das Schicksal der Palästinenser_innen beschworen und ist dabei wahrscheinlich für weit mehr palästinensische Tode als Israel verantwortlich. Schließlich hat Syrien zeitweise auf Seiten der libanesischen Rechten in den libanesischen Bürgerkrieg eingegriffen. Sollten die antiisraelischen Reflexe nicht mehr funktionieren, böte das auch Hoffnung auf Möglichkeit einer Kooperation in der Zukunft. Dass eine solche Aussicht den erklärten Antizionisten von der jungen Welt Rüdiger Göbel nicht gefällt, ist verständlich. Deswegen hat er auch prompt die Veranstaltung in die Nähe von der Regierungspolitik gerückt ( http://www.jungewelt.de/2012/02-01/040.php ).

Dabei wären kritische Nachfragen durchaus angebracht. Die Rolle der Islamisten in der syrischen Opposition wurde nicht angesprochen, die Rolle Saudi-Arabiens ebenso wenig. Wenn dann die Rolle der „Freien Syrischen Armee völlig unkritisch dargestellt wurde, muss man sich fragen, ob manche nicht schon längst auf einen Bürgerkrieg setzen. Dass aber ist das Horrorszenario eines großen Teil der alevitischen Bevölkerung in Damaskus. Die Referenten räumten ein, dass es in Damaskus viele Anhänger_innen der Regierung gibt, die vor allen eine Machtübernahme durch die Islamisten fürchten. Hier sind sich in der Beschreibung der Realität Karin Leukefeld und der der syrischen Oppositionellen gar nicht so weit nicht auseinander .Es ist eben diese alevitische Mittelschicht, die Leukefeld beschreibt und die auch im Tageszeitungsbeitrag „Fünf Stimmen aus dem Krieg“ )

Dort wird deutlich, dass die syrische Opposition eben nicht nur die unbewaffnete Bevölkerung ist:

"Es gibt immer wieder Schießereien"

„Ein westlicher Diplomat berichtete der taz am Montagmorgen: "In den Vororten von Damaskus hat es heftige Kämpfe gegeben, besonders in Harasta und Duma. Es schien am Wochenende, als sei der Kreis der Vororte rings um die Hauptstadt von der Armee der Desertierten, der Free Syrian Army, eingenommen worden, dann startete die Regierungsarmee aber eine Offensive. Die Free Syrian Army kämpft seit Neuestem auch mit Panzerfäusten, wie man auf mehreren Videos im Internet sehen konnte.“

Da wäre doch die Frage, wer diese Gruppierung, die wie Florian Bernhardt nachgewiesen hat, auch eindeutig islamistische Symbole verwendet, bewaffnet. Die Spur führt nach Saudi-Arabien.

Ein weiterer Nachrichtensplitter, de nicht in die offizielle Lesart des Syrien-Konflikts passt, und Leukefelds Beschreibungen bestätigt:

"Christen haben Angst vor einem Bürgerkrieg"

„Die große Angst vor einem Bürgerkrieg ist besonders unter den Christen verbreitet, da sie als Minderheit stets vom Regime geschützt wurden und offiziell weiter hinter ihm stehen. Sie haben Angst, dass religiöse Säuberungskommandos sie im irakischen Stile vertreiben könnten."

Dass religiöse Minderheiten bisher vom Regime geschützt werden, wird heute gerne verschwiegen, wenn über Syrien berichtet wird. Auch das von Leukefeld beschriebene libanesische Szenario wird in den Statements angesprochen.

Leider kamen diese unterschiedliche Stimmen auf der Avanti-Veranstaltung nicht angesprochen.

Die Veranstaltung verpasste daher auch die Chancen die Frage zu diskutieren, wie Menschen hierzulande mit dem emanzipatorischen Kräften in den arabischen Ländern unterstützen können. Im Zentrum hätte die Frage dabei stehen müssen, wie linke, emanzipatorische Kräfte sich organisieren müssen, damit eine revolutionäre Situation entsteht und nicht nur einen Elitentausch erreichen.

Mit Schwarmdummheit zur Revolution?

Doch die Journalistin Juliane Schumacher, stellt sich in ihrem in der Tageszeitung veröffentlichten Aufsatz „Vom Tahrirplatz lernen“, diese Frage nicht. Sie hat mehrere Monate in Ägypten gelebt und dort mit linken Basisaktivist_innen zusammengearbeitet. Sie hat in den vergangenen Monaten in verschiedenen Reportagen, u.a. in der tageszeitung und der Jungle World sehr präzise beschrieben, wie diese Bewegungen immer mehr marginalisiert worden sind und in Ägypten sich eigentlich nur ein Sturz des Mubarak-Clans vollzogen hat. Auch in dem Aufsatz „Vom Tahrirplatz lernen“ wird die „Rückkehr der Angst bei den Aktivist_innen sehr gut beschrieben. Doch an keiner Stelle findet sich eine Reflektion, ob diese Situation vielleicht mit Fehlern der Aktivist_innen zu tun haben könnten. Schlimmer noch: Sie empfiehlt genau das Programm, dass die emanzipativen Kräfte in die Niederlage und vielleicht bald wieder in die Folterkeller und Gefängnisse führt, als Lehre für die Aktivist_innen hier.

Nur eine Textprobe:

„Die meisten Menschen auf dem Tahrirplatz hatten nie eine politische Theorie studiert. Und doch organisierten sie sich selbstverständlich auf eine derart basisdemokratische Art, dass es jedes linke Camp mit seinen Tausenden von Regeln zur Hierarchie-Minimierung zur Ehre gereicht hätte. Und warfen ohne jede Diskussion jeden hinaus, der im Name einer Partei, einer Theorie, im Namen anderer sprach oder sich zu sehr in den Vordergrund drängte - sei er salafitische Scheich, Präsidentschaftskandidat oder besonders aktiver Aktivist.

Dieser Lehrsatz ist unter der Überschrift zusammengefasst: „Revolution braucht keine Theorie“.

Wenn aber Aktivist_innen, die vielleicht Marx, Lenin, oder Bakunin gelesen haben und auch der Meinung sind, von ihnen etwas lernen zu können, wenn Gewerkschaftler_innen, die sich kollektiv zusammengeschlossen haben und nicht mehr nur für sich allein sprechen wollen, wenn Aktivist_innen, die sich durch theoretische und praktische Praxis eine natürliche Avantgarde erworben haben, ohne Diskussion (!) hinaus geworfen worden, muss man sich nicht wundern, wenn die Islamisten triumphieren. Dass einem salafitischer Scheich ganz egal sein kann, ob er aus einem Protestcamp geworfen wird, weil er seine Wählerbasis in ganz anderen Kreisen hat, ist Schumacher keine Zeile Wert.

Des weiteren dekretiert die Journalistin ganz im Occupy-Stil, wie eine linke Bewegung garantiert auf die Verliererseite gerät. Die Nennung der Überschriften erübrigt weitere Kommentare: „Mensch sein statt Individuum“, „Herz statt Verstand“. Wenn Schumacher damit eine Selbsterfahrungsgruppe ehemaliger Linker aufmachen will, die nach ihren Erfahrungen am Tahrirplatz „eine gewisse Entfremdung von den politischen Bewegungen, in denen ich lange aktiv war“ notiert, ist das verständlich. Interessant wäre freilich, welche linken Bewegungen es gewesen sind und worin die Entfremdung durch die Ereignisse in Ägypten bestanden hat. Wenn sie aber den letzten Punkt ihrer Lehre Ernst nimmt, „Auch wir brauchen eine Revolution“, dann sollten ihre Vorschläge als Beispiel dienen, wie es auf keinen Fall dazu kommt.

Denn dazu braucht es mehr als Selbsterfahrungskitsch im Kirchentagslang „Der Kern der Revolution war ein zutiefst menschliches Miteinander, dieses Mitgefühl, das die gemeinsame menschliche Verletzlichkeit zum Ausgangspunkt nahm, und Menschen dazu brachte, über sich selbst hinauszuwachsen“. So haben viele junge Leute aus den Mittelstand des globalen Nordens reagiert, als sie in den 70er Jahren nach Nicaragua, El Salvador oder Argentinien gekommen sind und dort auf für sie unvorstellbare Armut aber auch einen Widerstand gestoßen.. Einige sind wirklich über sich selbst hinausgewachsen und haben sich linken Gruppierungen, Gewerkschaften und manche auch bewaffneten Gruppen angeschlossen. Die meisten hatten sich zumindest oberflächlich theoretisches Grundwissen angeeignet.

 

Editorische Hinweise

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