Neuer und alter Staatsfeind Nr. 1: „Linksextremismus“
Harald Bergsdorf/Rudolf van Hüllen: Linksextrem – Deutschlands unterschätzte Gefahr
besprochen von Frank Behrmann

02/12

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„Linksextrem – Deutschlands unterschätzte Gefahr?“, heißt das neue Machwerk zum Thema. Seine Autoren – Harald Bergsdorf und Rudolf van Hüllen – waren bereits für die Landeszentrale für politische Bildung NRW oder als Referatsleiter des Bundesamts für Verfassungsschutz tätig - ausgewiesene Experten in Sachen Hetze gegen konsequent emanzipatorische Politik.

Zu Beginn wird, wie es sich in einem ordentlichen Haushalt gehört, erst einmal definiert. Rechte wie linke Extremisten eine ihre „antipluralistische Gesinnung“, sie missachteten „die normative Gleichwertigkeit aller Individuen – unabhängig von Unterschieden der Religion, sozialen Herkunft, Abstammung, Hautfarbe, Nationalität und körperlich-geistigen Gesundheit“ (S. 15). Mit diesem kontrafaktischen Links = Rechts-Gefasel haben sich die beiden Autoren selbst zu reinen Propagandisten erklärt. Hier hätte meine Lektüre vernünftigerweise enden sollen.

Hat sie aber nicht. Eines der Merkmale linksextremen Denkens sei sein absoluter Wahrheitsanspruch: „Über Wahrheiten kann man nach ihrer Auffassung schlichtweg nicht abstimmen. Damit deutet sich die letzte Botschaft an: Weil sich die ´richtige´ Politik prinzipiell mit Verstandeskräften verwirklichen lässt, dürfen ´falsche´ Ideen auch dann keine Rolle spielen, wenn sie bedauerlicherweise noch die Überzeugungen von Mehrheiten bestimmen.“ (S. 23) Getreu Rousseaus (!) Ideen veträten auch Linksextremisten „das ganze Programm einer Diktatur, in der eine Minderheit von Wissenden gegen eine tumbe Masse Verblendeter und Manipulierter die Zukunft gestaltet“ (S. 24).
An dieser Stelle muss eingeräumt werden, dass es für diese Vorwürfe Anhaltspunkte in der Geschichte der sozialistischen Staaten gibt, bei deren Aufbau die Kommunistische Partei jede Eigeninitiative erstickte, die Selbstbestimmung der Bevölkerung unterband und keinerlei Kontrolle der Werktätigen über den Staatsapparat zuließ. (M.E. einer der entscheidenden Ursachen für das Scheitern dieser ersten Anläufe zu einer freien Gesellschaft.) Als Leninismus überlebten diese paternalistischen Vorstellungen eines „sozialistischen“ Gesellschaftsaufbaus von oben – spielen in ihrer undemokratischen Reinform in der Linken jedoch eine zunehmend geringere Rolle. Andere Strömungen der revolutionären Linken, die sich zumeist in Kritik und Abgrenzung zu dem hierarchischen Staats- und Parteimodell entwickelten, werden von Bergsdorf und van Hüllen an dieser Stelle schlicht unterschlagen, um stringenter argumentieren zu können.

Andernorts werfen die Autoren Fragen auf, um deren Beantwortung niemand herumkommt, der am Ziel einer sozialen Revolution festhalten möchte. Z.B.: „Die anarchistische Utopie stellt an den Altruismus des Menschen ungeheure Anforderungen, ihr liegt ein geradezu unendlich optimistisches Menschenbild zugrunde.“ (S. 34) In der Tat ist es eine Hauptaufgabe der libertären Strömungen, herauszuarbeiten, wie die Strukturen einer Gesellschaft sein müssten, damit sich alle Menschen gleichberechtigt an ihr beteiligen und ihre unterschiedlichen Wünsche, Ideen und Lebensentwürfe darin verwirklichen können – und die dabei ohne staatlichen Zwang, Unterordnung und Hierarchien auskommt.
Auch einige Szenemarotten sind nicht pauschal vom Tisch zu wischen. Über die Autonomen heißt es: „Hinter der basisdemokratischen Fassade existieren handfeste informelle Hierarchien.“ (S. 53) Oder: „Die Anzahl derjenigen unter ihnen, die sich qualifiziert zu ideologischen Fragen äußern kann, ist überschaubar.“ (S. 65) Darauf folgen bei den beiden Antiextremisten die in der Rubrik „Autonome“ verpflichtenden Ausführungen zur Gewalt. Bei diesem Thema gehen ihnen die Pferde durch: Es gebe „untereinander grassierende Gewalt. Sie ergibt sich aus dem existenzialistischen Gewaltbegriff der Szene, der sie als ´befreiend´ und Teil der ´Selbstverwirklichung´ betrachtet“ (S. 47/8). Anknüpfend an Armin Pfahl-Traughber behaupten sie, Gewalt bedeute Autonomen „ein Faszinosum und einen Lustgewinn mit charasmatischer und ekstatischer, irrationaler und rauschafter Dimension. Das ist nicht weit weg von den Charakteristika rechtsextremer Gewalt.“ (S. 69)

Dieser Abschnitt zu AnarchistInnen/Autonomen ist charakteristisch für das ganze Buch: Los geht´s zumeist mit einer Kritik, die zumindest teilweise berechtigt ist, oder mit Einwänden, deren Widerlegung man zurecht erwarten darf. Diese werden sodann verallgemeinert und der gesamten Strömung (oder gleich der gesamten radikalen Linken) übergestülpt. Dann folgen Übertreibungen, die die Polemik ins schier endlose ausdehnen. Der „Linksextremist“ steht am Ende eines solchen Abschnittes als wesenlose Kampfmaschine da, die sich blind dem vermeintlichen Willen und Nutzen seiner Ideologie unterwirft.

Schreckgespenst Linkspartei

Der zweite Teil des Buches beschäftigt sich mit der Linkspartei. Sie ist das eigentliche Anliegen, da die Bedeutung der anderen Strömungen der Linken in Bezug auf eine tatsächliche Gefährdung der FDGO als gering eingeschätzt wird. Autonome könnten „mangels strategisch angelegter Konzepte für eine ´Systemtransformation´ keinesfalls ... die Verfassungsordnung“ gefährden und „gerade die klassischen ML-Organisationen (sind) dabei auszusterben“ (S. 179/80). So betrachtet bleibt, wenn auf der Linken eine „unterschätzte Gefahr“ wahrgenommen werden soll, nur noch die Linkspartei.

„´Die Linke´ ist weder eine einwandfrei extremistische noch eine klar demokratische Partei“, und deshalb möchten die Autoren ihren extremistischen Kern herausarbeiten, ihre Verschleierungstaktiken entlarven, um so aufzuzeigen, dass die demokratischen PolitikerInnen in dieser Partei (deren Existenz immerhin eingeräumt wird) nur benutzt würden. „Im Gesamtkontext ihrer Ideologie scheinen viele Bekenntnisse der ´Linken´ zur Demokratie oft eher taktisch motiviert.“ (S.116) „Aktivitäten und Äußerungen aus der ´Linken´ überschreiten immer wieder die Grenzen dessen, was im politischen Wettbewerb und Auseinandersetzungen an Polemik noch legitim und hinnehmbar ist.“ (S. 116/7) Was nicht hinnehmbar ist, ist entweder bereits verboten oder müsste es werden, nur so kann diese Äußerung zu Ende gedacht werden.

In diesen Kapiteln geht es ausschließlich um die Denunziation der Partei. Die Argumentation ist simpel: In der DDR war alles schlecht und verbrecherisch. Wer anderer Meinung ist - entweder das eine oder andere dort für eine Errungenschaft hält oder sich gegen die pauschale Verurteilung aller FunktionsträgerInnen der DDR wendet, wer sich nicht deutlich von der DDR distanziert oder verdächtigt wird, das nur aus taktischen Erwägungen zu tun – ist DDR-AnhängerIn und also ExtremistIn. Beschlossen und verkündet!

Und die Linkspartei sei undemokratisch, weil sie mehr Demokratie fordert! Wenn sie nämlich für „mehr Bürgerentscheide“ eintritt, will sie „die parlamentarische Demokratie offenbar durch geradezu demokratische Überforderung schwächen“. – Demokratische Überforderung! – „Dadurch will sie die Macht gewählter Parlamente verringern und die bundesdeutsche Demokratie zu einer kaum regierbaren Vetokratie umwandeln. Auf diese Weise möchte sie die Unterlegenheit des ´Kapitalismus` gegenüber dem ´Sozialismus´ unterstreichen.“ (S. 114)

Sind solche Bücher gefährlich? Haben sie Relevanz? Die Antwort muss ambivalent bleiben. Einerseits sind sie – immerhin mit Ausnahmen - argumentativ viel zu schwach, als dass sie für eine ernsthafte Auseinandersetzung Futter liefern könnten. Der hetzerische, diffamierende Charakter scheint an allen Ecken und Enden durch. Andererseits sollen sie überhaupt nicht dazu dienen, Andersdenkende zu überzeugen, sondern sollen sog. MultiplikatorInnen, wie z.B. LehrerInnen oder JournalistInnen Gründe an die Hand geben, warum linksradikale Standpunkte außer in ihrer verballhornten Form in Diskussionen erst gar nicht auftauchen sollten.

In der aktuellen Debatte um die Beobachtung der Linkspartei durch den Verfassungsschutz, sind die Argumente derer, die diese umfassende Schnüffelei gutheißen, den in diesem Buch vorgebrachten sehr ähnlich. Undifferenziertes Draufhauen ist bei diesem Thema selbst in der seriösen Presse gang und gäbe – man ist mittlerweile so offensiv, nicht mehr mit einzelnen „ExtremistInnen“ in der Partei oder DKPlerInnen auf ihren Wahllisten zu kommen, sondern die Linkspartei wird in Bausch und Bogen unter Extremismusverdacht gestellt.

Staatsmännisch daherkommende Publikationen gegen den bundesdeutschen Linksradikalismus häufen sich (siehe u.a.  Wo bleiben eigentlich Kristina Schröders Gelder?). Das ist ein deutlicher Hinweis darauf, dass dieser Art Angriffe nach Kristina Schröders Anweisungen, den sog. Linksextremismus stärker ins staatliche Visier zu nehmen, zwar nicht gehaltvoller, aber zahlreicher geworden sind. Und diese Linie wird von der Bundesregierung weiter verfolgt werden. In einem Interview sichert Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich zu, „den Kampf gegen den Linksextremismus (zu) verstärken.“ Und die Bundesfamilien- und Jugendministerin fügt hinzu, dass „es eine Selbstverständlichkeit (ist), dass diejenigen, die Extremismus bekämpfen, auch fest auf dem Boden unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung stehen“ (FAZ, 4.1.12).

Gegen die Strategie der Verleumdung konsequent linker Politik gibt es nur ein wirksames Gegengift: Emanzipatorische Standpunkte wieder stärker in die Öffentlichkeit tragen, Perspektiven für eine andere Welt erarbeiten, inhaltlich wieder besser werden. Die Idee einer freien Gesellschaft – ohne Ausbeutung und Unterdrückung – ist nach wie vor im Sinne der großen Mehrheit der Menschheit. Auch in Deutschland. Verstecken müssen wir uns mit diesen Zielen nun wirklich nicht!
 

Harald Bergsdorf/Rudolf van Hüllen
Linksextrem – Deutschlands unterschätzte Gefahr
Zwischen Brandanschlag und Bundestagsmandat

Verlag. F. Schöningh
Paderborn/München/Wien/Zürich 2011,

200 S.
EUR 24.90