Aus der Perspektive eines radikalen Gewerkschafters
Richard Müllers Buch über die Novemberrevolution
von Peter Nowak

02/12

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Geschichte wird von den Siegern geschrieben. Diese These lässt sich am Beispiel der historischen Aufarbeitung der Novemberrevolution in Deutschland gut nachweisen. Während der rechte Sozialdemokrat Friedrich Ebert, der die Revolution nach eigenen Bekunden hasste, wie die Sünde, noch immer mit dem Ereignis in Verbindung gebracht wird, ist Richard Müller weitgehend vergessen. Dabei war der Metallarbeiter und Vorsitzende der Revolutionären Obleute einer der wichtigsten Träger der Revolution. Für kurze Zeit stand er als Vorsitzender des Berliner Vollzugsrates, den höchsten nachrevolutionären Räteorgan vor. Doch schon bald setzte die rechte SPD-Führung mit Hilfe der monarchistischen Freikorps der Revolution auch blutig ein Ende.

Müller versuchte vergeblich in der neugegründeten KPD eine revolutionäre Gewerkschaftspolitik umzusetzen, wurde aber schon 1922 im Zuge von Fraktionskämpfen ausgeschlossen. Nachdem er sich aus der öffentlichen Politik zurückzog, veröffentliche er zwischen 1924 -1925 seine dreibändige Geschichte der Revolution unter dem Titel „Vom Kaiserreich zur Republik“. In den 70er Jahren war sie von einem kleinen Verlag wiederaufgelegt worden. Auf dieser Grundlage hatte der linke Historiker Bernt Engelmann damals den zweiten Band seiner vielgelesenen Anti-Geschichtsbücher über die Entstehung der Weimarer Republik verfasst. Danach war Richard Müller wieder vergessen, bis ihn der Berliner Historiker Ralf Hoffrogge mit einer Biographie wiederentdeckte. Bei einer Diskussionsveranstaltung über dieses Buch entstand auch die Idee, Müllers Geschichtsbücher wieder aufzulegen. Die Berliner Buchmacherei hat diese Arbeit mit Bravour erledigt. In einen Band zusammengefasst und mit einem ansprechenden Einband versehen, ist dieses einzigartige Geschichtsbuch zu einem günstigen Preis wieder zugänglich.

Neben der spannend zu lesenden Geschichtsarbeit Müllers, die den Vergleich mit Trotzkis im Exil geschriebenen „Geschichte der Oktoberrevolution“ nicht scheuen muss, sind es die zahlreich in dem Buch enthaltenen Dokumente, die das Buch zu einer wahren Fundgrube machen Viele dieser Aufzeichnungen aus internen Diskussionen von SPD, USPD oder Gewerkschaften wären heute nicht mehr zugänglich.

Man braucht nur die Stellungnahme aus dem gewerkschaftliches „Korrespondent des Buchdruckerbandes“ zu Beginn des 1. Weltkrieges lesen, und sieht, dass hier Töne laut wurden, die nicht ganz 20 Jahre später in den NS-Staat führten. „Die Heldentaten unserer großartigen Wehr zu Land und zur See löste eine überwältigende Massenempfindung aus, die die beste Gewähr für den endgültigen Sieg bildet“, heißt es dort.

Revolutionäre Gymnastik

Neben solchen militaristischen Tönen sind in dem Buch auch die Zeugnisse der Antikriegsopposition dokumentiert. Dabei werden auch die Differenzen nicht verschwiegen, die beispielsweise zwischen den Spartakusbund und den Revolutionären Obleuten bestanden. Müller bezeichnete die ständige Mobilisierung zu Demonstrationen, die vor allem Liebknecht propagierte als „revolutionäre Gymnastik“. Politische Differenzen verhinderten auch, dass sich die Obleute der KPD nach deren Gründung anschlossen. Vor allem die Dominanz des syndikalistischen Flügels, der sich gegen eine Wahlbeteiligung der KPD aussprach verhinderte die Annäherung. Erst nach dem endgültigen Scheitern der Novemberrevolution versuchte Müller mit einem Großteil der Revolutionären Obleute seine Ziele in der KPD umzusetzen. In der Auseinandersetzung des gescheiterten März-Aufstandes von 1923, den Müller als sektiererisch und voluntaristisch ablehnte und bekämpfte, wurde er aber wieder aus der KPD ausgeschlossen. Nachdem er noch einige Jahre eine linke Gewerkschaftspolitik außerhalb von politischen Parteien konzipierte, zog sich Müller aus dem politischen Leben zurück. Von dem Naziregime wurde er scheinbar nicht beachtet, starb er in den 40er Jahren des letzten Jahrhunderts eines natürlichen Todes. Anschließend verschwand er im Dunklen der Geschichte, wie es der Marburger Politologe Wolfgang Abendroth ausgedrückte. Doch seine Konzepte sind nicht ohne Wirkung geblieben.

Ralf Hoffrogge weist im Vorwort darauf hin, dass die wesentlich von Müller mitformulierten Rätekonzepte der Revolutionären Obleute in den späten 60er und frühen 70er Jahren Einfluss auf die Mitbestimmungsdebatte des DGB hatten. Es wäre zu wünschen, dass auch die Neuauflage von Müllers Monumentalwerk die aktuellen Debatten für linke Perspektiven anregen könnte. Vor allem aber sollte sie helfen, das offizielle Bild zur Novemberrevolution zu korrigieren. Während in fast jeder Stadt eine Straße an Friedrich Ebert erinnert, sucht man den Namen des radikalen Gewerkschafters und Räteaktivisten Richard Müller bisher vergeblich.

Richard Müller
Eine Geschichte der Novemberrevolution

Neuherausgabe aller 3 Bände (756 Seiten) in einem Buch

Buchhandelspreis: 19,95 €

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