trend spezial:  Die Aufstände in Nordafrika

Gaddafi bombardiert sein Volk
So geht´s nicht!


Ein Kommentar von der Gruppe "vonmarxlernen"

02/11

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onlinezeitung

Angesichts der zugespitzten Lage in Libyen werden deutsche Journalisten fordernd. Was sie bisher mitgetragen haben an „Zynismus“ der europäischen „Realpolitik“, kann jetzt so nicht mehr fortgesetzt werde. In der „Wir“-Form, als berufene Interpreten eines europäischen Standpunkts, in dem für sie Politiker wie europäische Bürger ganz selbstverständlich zusammengeschlossen sind, geben sie kund, was ihnen gehörig erscheint und was nicht – in den dortigen Ländern und in Europas Stellung zu ihnen. In geschichtsträchtigen Augenblicken wie derzeit, wo die Nachbarvölker mit ihren Tyrannen aufräumen, die bislang „unsere“ bad guys vor Ort waren, und sich alle bisherigen Machtverhältnisse auflösen, werden sie auch mal brutal offen, wenn sie ihren Lesern erläutern, was für sie Sache ist:

Wie Gaddafi, dieser Verrückte aus Tripolis, sein Volk behandelt, ist uns – den Vertretern des aufgeklärten Europa – einerseits scheißegal. Wie er es an den Öleinnahmen des Staats, für den er seit 1969 stand, beteiligt oder auch sein Stillhalten erkauft hat, wie er es zu seiner eigenen Verehrung als Geistesgröße („grünes Buch“) verpflichtet und Aufmüpfige mit Geheimdienst und Gefängnis kujoniert hat, war und ist uns einerlei. Wichtig für uns ist nicht die Herrschaftstechnik eines benachbarten Wüstendiktators, sondern allein die berechenbare Erfüllung von nützlichen Funktionen seiner Herrschaft für uns. Dafür nehmen wir auch unwürdige Auftritte der Herrscherperson in Kauf. Nach dem Abschwören gegenüber terroristischen Aktivitäten, das wir im Verein mit Amerika durch militärischen, politischen und wirtschaftlichen Druck bei ihm erreicht haben, hatte er es leicht mit uns, solange er uns zu Diensten war: Mit der Belieferung mit Erdöl, mit der Eröffnung vieler Geschäftsgelegenheiten auf seinem Hoheitsgebiet und mit der Kooperation in Sachen Fernhalten afrikanischer Flüchtlinge von Europa. Dass viele dieser Elendsfiguren, die er in Absprache mit uns am Ausreisen gehindert und eingeknastet hat, nun im Zuge der Rebellion aus ihren Gefängnissen befreit werden, ist peinlich, aber eben auch gefährlich: Mit Wegfall der Machtausübung durch Gaddafi droht uns ein gigantischer Flüchtlingsstrom!

Wenn Gaddafi jetzt aber auf sein Volk schießen lässt – sogar seitens der Luftwaffe, wie man hört -, dann geht das entschieden zu weit. So etwas tut man nicht, wenn man ein guter Herrscher ist. Sein Volk hat man im Griff zu haben, es soll möglichst aus freien Stücken zu seinen politisch Verantwortlichen stehen! Wer sein Volk bedroht und es mit – auch noch militärischer – Gewalt niederhalten muss, ist kein Politiker, auf den es sich zu setzen lohnt; so einer ist schon fix und fertig und sein Ruf ist endgültig ruiniert, auch wenn er noch eine Zeit lang die Oberhand behalten sollte! Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, wo der Westen Farbe bekennen muss: Jetzt müssen wir den Verrückten, der trotz aller hohlen Durchhalteparolen und blutiger Taten seiner Soldateska nichts mehr vermag, bestrafen. Durch Entzug unserer moralischen Rückendeckung, durch mutiges Eingreifen:

„Eines aber darf Europa auf keinen Fall tun: abwarten. Ein Libyen, das zerbricht und in einem Bürger- und Stammeskrieg versinkt, kann die ganze Region in Brand setzen. Seit den Kriegen auf dem Balkan wissen die Europäer um den Wert des frühen Eingreifens. Damals haben sie den Zeitpunkt verpasst. In Nordafrika sollten sie diesen Fehler nicht wiederholen.“ (Martin Winter, „Libyen – Europas Nachbar“, SZ 24.2.)

Ob Europas Politiker diesen Ruf aus München erhören? Ist Guttenberg vorbereitet?


PS. Bundeswehrschiffe sind jedenfalls bereits unterwegs, vielleicht nicht nur zwecks Evakuierung der richtigen Personen aus der Gefahrenzone.

Editorische Anmerkungen

Der Text wurde erstveröffentlicht auf der Website www.vonmarxlernen.de
Wir wurden um Spiegelung gebeten.