Wieder mal ein Lebensmittelskandal
Billiges Menschenfutter geht kapitalistisch nur so

von der Gruppe "vonmarxlernen"

02/11

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Und wieder grüßt das Murmeltier. An irgendeiner Stelle kommt es raus. Dann dürfen alle Beteiligten die Sache unter tätiger Mithilfe ihrer professionellen Interviewpartner in BILD und Tagesschau erst mal runterspielen. Huch, wie konnte das denn passieren? Menschliches Versagen ... natürlich schlimm, aber Gesundheitsgefährdung auf alle Fälle ausgeschlossen... Scheibchenweise kommt jeden Tag mehr „Skandal“ raus: Umfang, Zeitdauer... Der Verbraucher ist „verunsichert“, das Ausland reagiert mit dem Verbot deutscher Agrarimporte. Jetzt werden die Minister schärfer im Ton: „beachtliche kriminelle Energie“ ist gesichtet worden, die natürlich streng geahndet werden muss – umso mehr, da diese schwarzen Schafe das Image und damit die Exportmöglichkeiten unserer guten deutschen Produkte versauen. So weit, so wie immer.

„Immer wieder“ heißt „so ist es nun mal!“

Dass allein die Wiederholung des ewig gleichen Spielchens auf eine gewisse Systematik verweist, nehmen alle natürlich durchaus zur Kenntnis. Allerdings nicht in dem Sinne, dass die paar möglichen und nötigen Schlüsse über die Gründe gezogen würden, warum von Lebensmitteln im Jahr 2011 nur noch sehr bedingt die Rede sein kann. Stattdessen wird über diesen neuerlichen Fall von Lebensmittelvergiftung erstaunlich abgeklärt nachgedacht.

  • Die Presse schmiert zum x-ten Mal ihre sachdienlichen Erläuterungen über die lästigen Kollateralkosten einer „industriellen Landwirtschaft“ (als sei das die richtige Kennzeichnung, wenn es um eine kapitalistische geht!) hin und packt ihre Textbausteine über die unglaubliche „Profitgier“ der ertappten Giftmischer aus. Für sie fängt Vergiftung eben erst da an, wo der gesetzlich vorgeschriebene Grenzwert überschritten wird – und damit wird aus anerkanntem Gewinnstreben dann auch moralisch unanständige und schädliche Profitgier! Nach diesen routinierten Umdeutungen kann sie sich den für sie wirklich spannenden Fragen widmen: welcher interessante Stoff war denn dieses Mal die „Ursache“? wer hat „versagt“? und vor allem natürlich: wer ist wie haftbar zu machen?
  • Die Politiker sind einerseits pflichtschuldigst entsetzt und überrascht von den kriminellen Machenschaften, die in ihrem marktwirtschaftlich putzmunteren Volk zu Tage treten. Andererseits sind sie es natürlich nicht wirklich. Nach dem soundsovielten Fall der härteren Art lassen die involvierten Staatssekretäre deshalb durchaus geschickt eine gewisse Hilflosigkeit des Staats heraushängen: man könne schlicht nicht hinter jedes Schwein und jedes Hühner-KZ einen Bullen stellen – so viel Kontrollmacht besitzt selbst der in dieser Hinsicht nicht schlecht aufgestellte deutsche Staat nicht.
  • Das versteht der längst nur noch mäßig aufgescheuchte Verbraucher natürlich. Ihm macht sowieso keiner mehr was vor, er weiß schon ewig Bescheid über die Machenschaften, denen er (nicht nur da!) ausgesetzt ist – bemerkenswerterweise hält er das nicht für einen Grund, sich aufzuregen, sondern nur dafür, wissend abzuwinken. Durchaus im Widerspruch zu dieser Diagnose lässt er sich von Presse und Politik dann allerdings auch noch aufs Butterbrot schmieren und glaubt durch die Bank, dass  letztlich er an allem schuld ist: als dämlicher Konsument nämlich, der mit seinem Billigheimer-Einkaufsverhalten all das „verlangt“ (–> siehe dazu: Stichwort: Konsumentenverantwortung).

Insofern ist sich die ganze Gesellschaft ziemlich einig: um diese Art immer wieder „passierender“ Lebensmittelskandale wird man auch in Zukunft wohl kaum herumkommen. Was man damit eigentlich sagt über den Zustand der elementar notwendigen „Versorgung“, deren ach so effiziente Bewältigung doch das Aushängeschild der kapitalistischen Produktionsweise sein soll, und was notwendig dazu gehört zur kapitalistischen Produktion der Lebens-Mittel – das will genau deswegen dann aber doch keiner so richtig wahrhaben. Deshalb einige kurze Überlegungen dazu – die übrigens auch schnell klarmachen, warum die Vergiftung schlicht dazugehört!

Kapitalistische Lebensmittelproduktion ...

In der Marktwirtschaft wird alles produziert, um damit Geld zu verdienen – das ist eine Binsenweisheit. Die hat es aber in sich. Beim Produzieren aller möglichen Güter – von Lebensmitteln bis zur Kohle – steht der Gesichtspunkt, dass man mit ihnen möglichst viel Geld einheimsen will, an oberster Stelle. Was man mit diesen Gütern anfangen kann, wie lange sie halten, wie gut sie schmecken bzw. wie gesundheitsverträglich sie sind, tritt dahinter ebenso zurück wie die Frage, unter welchen Bedingungen sie produziert werden – von der Länge des Arbeitstages bis hin zu Gefahren und Verschleiß für Leib und Leben der Arbeiter. Keine sehr verträgliche Angelegenheit für Produzenten und Konsumenten also, dieses kapitalistische oder marktwirtschaftliche Prinzip.

Bei Milch und Weißkohl ist das einerseits genau so wie bei Autos und Unterhosen. Andererseits können die Produzenten – kleine Bauern, große Agrarkapitalisten – nur dann zuverlässig Gewinn erwirtschaften, wenn sie einige Sonderbedingungen in den Griff kriegen:

  • Sie haben es bei der Aufzucht von Tieren wie beim Wachsen von Salatköpfen mit der Natur zu tun. Sprich: ein Hähnchen braucht 12 Wochen, den Salat kann der Hagel treffen usw. All das auszuschalten, was an diesem Herstellungsprozess irgendwie zufällig und von den Launen des Wetters abhängig ist, und ihn tendenziell immer weiter zu verkürzen, damit das vorgeschossene Kapital schneller umschlägt – das sind die Hauptkennzeichen der modernen „industriellen“ Landwirtschaft.
  • Das gelingt natürlich umso besser, je größer der Betrieb ist. Maschinen und große Flächen, auf denen deren Einsatz sich lohnt, Gewächshäuser, große Ställe usw.: Wachsen oder weichen, heißt die Devise, zu der gehört, dass in der Bundesrepublik jedes Jahr deutlich mehr als zehntausend Höfe sterben. Der dafür nötige Kredit sorgt dann seinerseits für den entsprechenden Zwang, um jeden Preis die Verträge mit Molkereien, Schlachthäusern und Handelsketten zu erfüllen.
  • Für schnelles und verstetigtes Wachstum von Tieren und Pflanzen braucht es selbstverständlich auch die Forschungsergebnisse der Wissenschaft und ihre Anwendung in Form von Düngemitteln, Pestiziden, Wachstumshormonen usw. – schon in diesen ganzen Abteilungen ehrbarer Institute und deutscher Großkonzerne findet sich eine ganze Menge von dem Prinzip wieder, Naturprozesse auf Teufel komm raus rentabel zu machen, das dann als „kriminelle Energie“ in den tatsächlich illegalen Praktiken aufgespürt wird.
  • Kostengünstige Vorprodukte als Mittel der eigenen Konkurrenz mit dem Preis bringt den Einsatz von Futtermitteln ins Spiel. Die sind billig, weil sie aus Abfallprodukten anderer landwirtschaftlicher oder technischer Produktionsprozesse nutzbringend recycelt werden können – keine Frage, dass diese Verwertung eigentlichen Produktionsmülls auch schon mal dafür genutzt wird, den ein oder anderen Schadstoff kostengünstig mit zu entsorgen. Auch hier ist das Prinzip der Kostensenkung und Rentabilitätsrechnung aller Beteiligten natürlich als betriebswirtschaftlich notwendig und sinnvoll anerkannt und hat einer ganzen Branche von Zulieferern interessante Geschäftsmöglichkeiten mit immer neuen Stoffen eröffnet.

... und ihre staatliche Beaufsichtigung

Für die werden Grenzwerte festgelegt. Dass es so etwas gibt, zeugt eigentlich schon im Ausgangspunkt davon, dass bei der Herstellung der Lebensmittel der Zweck eben nicht die Versorgung der Gesellschaft mit Lebensmitteln ist, sondern dass die Agrarprodukte nur der fast lästige und entsprechend ruppig behandelte Umweg zum Geld sind. Genau so will der Staat seine Landwirtschaft haben – anders wäre sie ja auch nicht so „effizient“ und marktwirtschaftlich erfolgreich. Nur so sorgt sie nämlich dafür, dass die Konkurrenz der Landwirte volkswirtschaftlich den schönen Effekt hat, dass die Preise für Lebensmittel extrem gesunken sind und damit als wichtiger Bestandteil des Lohns auch dafür sorgen, dass der Preis der deutschen Arbeitskraft stabil niedrig bleibt.   

Andererseits soll der gesunde Profitsinn seiner Bauern nicht gleich die Volksgesundheit untergraben – schließlich wird die auch noch in allen möglichen anderen Funktionen gebraucht, beim Arbeiten, Kinderkriegen und so zu. Also legen die staatlichen Behörden in ihrer salomonischen Weisheit Grenzwerte fest, die den Gebrauch der schädlichen Stoffe nicht gänzlich untersagen, aber auch nicht alles zulassen, sondern eine geregelte Vergiftung gestatten.
Dafür muss es dann wiederum Kontrollen geben – denn ein entsprechendes Gesetz zu erlassen ist natürlich keineswegs gleichbedeutend damit, dass damit das Interesse vom Acker ist, gegen das es sich richtet. Selbst wenn mal einer der Bauern oder Agrarkapitalisten es einsehen würde, dass diese Art der Produktion Land und Leuten schadet – mit der Konkurrenz, die sie sich gegenseitig machen und in der sie gegeneinander bestehen wollen, zwingen sie sich, zum eigenen Vorteil versteht sich, tatsächlich wechselweise die Verwendung immer kostengünstigerer Futterstoffe, immer mehr Wachstumshormone, immer wirksamerer Schädlingsbekämpfungsmittel usw. auf. Kein Wunder, dass die staatlichen Behörden immer neuen Stoffen und Methoden hinterherlaufen. Und kein Wunder auch, dass sie angesichts dieses Sachverhalts, kombiniert mit dem Interesse einer kostengünstigen Behandlung der Frage, inzwischen (wie man bei den Berichten des neuesten Skandals erfahren konnte) mehr und mehr auf die Selbstkontrolle der involvierten Betriebe setzen.

So löst sich also das anfangs zitierte Rätsel, warum es „immer wieder“ dazu kommt.

Anders geht es nämlich gar nicht in der vernünftigsten aller denkbaren Wirtschaften: Es gilt – staatlich anerkannt und von allen als Bedingung ihres Lebens praktiziert – das Prinzip, dass die Gesellschaft sich in ihrer Konkurrenz ums Geld mit aller Rücksichtslosigkeit behandelt. Und ganz entsprechend hat man es mit den ständig und dauerhaft eintretenden Wirkungen zu tun. Diesen relativ simplen Rückschluss will aber niemand ziehen. Lieber wendet man sich „immer wieder“ mit seiner Empörung über fehlenden Anstand in der Wirtschaft oder staatliches Versagen an – ja, an wen eigentlich? Na klar doch, an den Staat!

Editorische Anmerkungen

Der Text wurde erstveröffentlicht auf der Website www.vonmarxlernen.de
Wir wurden um Spiegelung gebeten.