Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Der Front National nach dem Parteitag
Unter einer neuen Vorsitzenden, doch mit (ur)alter Programmatik – Reportage vom Kongress des FN in Tours

02/11

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56 Jahre in der ersten Reihe mit dabei - und kein bisschen weise geworden. Am vorvergangenen Samstag, den 15. Januar 11 hielt Jean-Marie Le Pen im zentralfranzösischen Tours seine lange erwartete Abschiedsrede als Vorsitzender des rechtsextremen Front National (FN). Diese Funktion legte er am Sonntag, den 16. Januar nieder, um sie an seine 42jährige Tochter Marine Le Pen zu übergeben. Ihr Vater wird im Alter von 82 Jahren zwar noch nichts auf Altenteil gehen, sondern als zukünftiger „Ehrenvorsitzender“ der von ihm gegründeten Partei „automatisches Mitglied“ in allen Führungsinstanzen bleiben. Dennoch steht er in Zukunft erstmals nicht mehr ganz vorne auf der Bühne der aktiven Politik.

Dort mischte er seit Januar 1956 mit. In jenem Monat war er, als damals jüngster Abgeordneter der Nationalversammlung, für die Liste der „Poujadisten“ – einer kleinbürgerlichen Protestbewegung gegen Steuern und Sozialstaat, mit antisemitischen Untertönen – ins französische Parlament gewählt worden. Später führte er die Hardlinergruppen der nationalistischen Rechten während der Kolonialkriege, welche den Regierenden „Verrat“ durch „Preisgabe“ der sich befreienden Kolonien wie Algerien vorwarfen, an und bemühte sich um ihre Zusammenführung. Die angestrebte Bündelung der Kräfte gelang erstmals durch die Schaffung der „Nationalen Front für die französische Einheit“, so lautet der volle Name des Front National, im Oktober 1972. Ihn wird künftig die jüngste seiner drei Töchter führen.

75 Minuten lang lieb Jean-Marie Le Pen vor einem voll besetzten Saal im Kongresszentrum von Tours, der in Emotionen ob des „historischen Augenblicks“ schwelgte, die Stationen seiner politischen Karriere Revue passieren. Und er bereute nichts. Überhaupt nichts. Im Gegenteil: Seine umstrittensten Sprüche, antisemitischen Wortspiele, zu gerichtlichen Verurteilungen Anlass gebenden „Ausrutscher“ verschwieg er nicht etwa. Vielmehr rief er sie wortgetreu im Einzelnen in Erinnerung. 1987: Jean-Marie Le Pen nennt die Frage der Existenz von Gaskammern einen „Detailpunkt in der Geschichte des Zweiten Weltkriegs“. 1988: Er nennt den ,Durafour-crématoire’ den Namen eines jüdischstämmigen Ministers in einem Atemzug mit dem Ausdruck „Verbrennungsofen“ (four-crématoire). 1996 erklärt er gegenüber einem Journalisten: „Ja, ich glaube an die Ungleichheit der Rasse.“

Alle diese Stationen ruft der scheidende FN-Vorsitzende eine nach der anderen selbst in Erinnerung – um darauf zu insistieren, immer wieder sei er das Opfer von Verfolgungen und Schikanen seitens des „politischen Establishments“ im Lande geworden, das sich nicht scheue, „den Sinn meiner Äuberungen gegen mich zu verdrehen“. Deswegen, weil er und seine Partei „die Wahrheit aussprechen“, insbesondere über „den Niedergang Frankreichs“. Anlässlich eines Rückblicks auf die 56 Jahre seiner politischen Karriere beschreibt Le Pen diese ,décadence’ Frankreichs noch einmal eindringlich, wie man es von seinen Reden gewohnt ist: „Entindustrialisierung“, Verlust erst des Kolonialimperiums und dann der nationalen Souveränität gegenüber Europäischer Union und USA, „Masseneinwanderung“.

Die „Übergabe der Fackel“ an seine Tochter funktionierte reibungslos. Vier Wochen lang hatten die eingeschriebenen Parteimitglieder des FN Zeit, um in einer Urabstimmung über die Person des oder der neuen Vorsitzenden zu entscheiden. Zur Auswahl standen Marine Le Pen und der frühere Juraprofessor Bruno Gollnisch. „Die Tochter des Chefs“ trug mit 67,65 Prozent einen guten Zwei-Drittel-Sieg davon.

Gelegenheit zur Mitglieder-Zählung...

Aus diesem Anlass wurde auch publik, wie viele Parteimitglieder der FN derzeit zählt. Denn da die Auszählung zum Zwecke der Beglaubigung in Anwesenheit eines Gerichtsdieners vorgenommen wurde, mussten dazu die Register offengelegt werden. Gut 17.000 Mitglieder nahmen derzeit an der Abstimmung teil. Offiziell zählt der FN momentan angeblich 22.400 Beitrag zahlende Parteigänger, wobei jene, die an einem so zentralen Votum nicht teilnahmen, mutmablich als Karteileichen gelten dürfen. Aus diesem Grunde ist klar, dass die Mitgliedszahlen des FN nach wie vor deutlich unterhalb derer des Jahres 1999 – vor seiner ersten Spaltung, die zum Gerichtsstreit zwischen zwei Flügeln um den Anspruch auf den Parteinamen führte – liegen. Damals zählte die Partei gerichtlich beglaubigte 42.000 Mitglieder.

Allerdings hat sie gegenüber den Jahren ihrer tiefen Krise, von 2007 bis 2009, auch wieder stark zulegen können. Ferner fällt auf, dass die Delegierten im Saal allen Altersklassen angehören, wobei die jüngere Generation nicht mehr nur – wie sonst bisweilen beim FN anzutreffen – aus Trägern von extremen Kurzhaarschnitten und Bomberjacken besteht. Viele von ihren Vertretern sind durchaus im bürgerlichen Sinne „vorzeigbar“. Offenkundig ist es dem FN gelungen, erneut Nachwuchs zu rekrutieren. Ansonsten sind die Delegierten überwiegend, zu 80 Prozent, männlich. Frauen, sofern vorhanden, sind meistens betont „sexy“ aufgetakelt. Unter den älteren Generationen gehören viele Delegierte zur Gruppe der Pieds Noirs, der 1962 aus Algerien geflohenen früheren Kolonialsiedler. Wie diese Nachbarn neben mir in der Bank, aus Dax, Agen und Grenoble: „Und wo stammen Sie her? Aus Sétif! Und Sie? Aus jener algerischen Stadt...“

Rund 2.000 Anhänger sind zum Parteitag gereist. Neben den Mandatsträgern durften auch „einfache“ Mitglieder teilnehmen, mussten jedoch zehn Euro Eintritt zahlen: Die finanzielle Lage des FN ist nach wie vor sehr schlecht. Zu Wort kommen sie alle nicht, denn nur die Parteioberen reden an diesem Wochenende. Zuerst, am Sonntag früh, der unterlege Kandidat Bruno Gollnisch.

Gollnisch bleibt im Apparat verankert

Er spricht über die Loyalität zur gewählten neuen Vorsitzenden und davon, dass er sich dem Ergebnis und dem Willen der Mehrheit beugen werde. Es wird also nach dem Parteitag wohl nicht zur Abspaltung  der – oft als „radikaler“ dargestellten – Minderheit kommen. (Deshalb auch darf Jean-Marie Le Pen kurz darauf auf dem Parteitag auch ausrufen, der „Kongress von Tours“ stehe auf der Rechten künfig für die „Einheit der Nationalen“ – wo er auf der Linken eine historische Spaltung symbolisiert. Auf einem Parteitag im Dezember 1920, in der französischen Geschichtsschreibung auch allgemein als ,le congrès de Tours’ bekannt, spaltete sich die damalige französische Sozialdemokratie. Und ihre Mehrheitsfraktion beschloss, sich der Dritten Internationale anzugliedern und sich in „Kommunistische Partei Frankreichs“ umzuwandeln. Nunmehr glaubt Jean-Marie Le Pen – und nicht nur er -, über ein rechtes Gegensymbol zu diesem historischen Datum zu verfügen.)

Bruno Gollnisch betont, seine Leute hätten immerhin fast die Hälfte der Stimmen bei der Wahl zum 100köpfigen „Zentralkomitee“ der Partei erhalten. (42 seiner Mitglieder stehen ihm nahe, laut einem Interview mit Gollnisch in der Lyoner Zeitung ,Le Progrès’ vom 22. Januar 11.) Sie sind also nach wie vor gut im Apparat verankert. Allerdings hat das „Zentralkomitee“ in der Partei – die, wie früher auch die Gaullisten,  historisch die Strukturbezeichnungen der KP als erster historischer Massenpartei in Frankreich übernommen hatte - nicht sehr viel zu sagen. Denn in ihrem Inneren ist die Machtausübung derart zentralisiert, dass sie fast allein beim „Exekutivbüro“ als oberster Spitze und in der engeren Umgebung des oder Vorsitzenden angesiedelt ist.

Inhaltlich betont Gollnisch, dass „die Verteidigung der traditionellen Werte“ für seine Partei „keineswegs spiebig, sondern sehr modern“ sei. Dabei meint er Ehe, Familie und das Verbot von Abtreibungen. An diesem Punkt bestehen Differenzen zu der, doppelt geschiedenen und in „Moralfragen“ relativ aufgeschlossenen, neuen Vorsitzenden. Anm.[1]

Und Gollnisch gedenkt „unserer Toten: der Toten vom Februar 1934, des Indochina- und Algerienkriegs...“ Am 6. Februar 1934 hatte in Paris vor dem Parlament ein Putschversuch von rechtsextremen Kampfverbänden stattgefunden. Da es den FN zu dem Zeitpunkt nicht gab, bedeutet Gollnischs Ausspruch ein klares Anknüpfen an eine Geschichte der pro-faschistischen Rechten, mit der die eigene Partei in eine Reihe stellt. Marine Le Pen hält solche historischen Bezüge für eher unklug.

Marine Le Pen greift Alles ab: Menschenrechtserklärung; Wirtschaft, Soziales und Ökologie...

Die neue Chefin ihrerseits spricht in ihrer Rede vom Sonntag Nachmittag betont oft von der Republik, ein Wort, das bis im Herbst 2006 – als es unter ihrem Einfluss Einzug in das Vokabular des FN nahm – bei der extremen Rechten eher tabu war. Denn in Frankreich erinnert es an eine historisch-politische Traditionslinie, die 1789 begründet wurde, gegen die aber Teile der extremen Rechten wie ihr monarchistischer und ihr katholisch-fundamentalistischer Flügel stets opponiert hatten. Marine Le Pen zitiert sogar die Allgemeine Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789, was bis dahin in Teilen der extremen Rechten eher ein Sakrileg darstellte. Um an das, in ihrem Artikel 2 enthaltene, „Recht auf Widerstand gegen politische Unterdrückung“ anzuknüpfen – in der Perspektive einer Republik mit stark plebiszitären Elementen, die der FN fordert. Gegen die „Herrschaft der Altparteien“ beruft die rechtsextreme Partei sich auf „die Bevölkerung“, die sich in Volksabstimmungen äubern dürfen müsse. Am liebsten über Fragen wie Todesstrafe oder Einwanderung. Als besonders vorbildhaft gilt dabei seit einigen Wochen die Schweiz, mit ihren Abstimmungen über das Minarettverbot von 2009 und über Abschiebungen von „straffälligen Ausländern und Sozialschmarotzern“ von Ende November 2010.

Ferner spricht Marine Le Pen vor allem von wirtschaftlichen und sozialen Fragen. Sie redet einem ökonomischen Protektionismus das Wort, schildert ausführlich die negativen Auswirkungen des Euro auf Frankreich und stellt die derzeitige internationale Arbeitsteilung in Frage: Es müsse eine „Zurückholung“ von – etwa nach Asien ausgelagerten – Produktionen gebe, was auch die ökologische Schädlichkeit der zunehmende Transporte mindere. Eine Idee, die keineswegs nur auf der extremen Rechten geäubert, von ihr jedoch in einen spezifischen Begründungszusammenhang eingebaut wird. Und bei ihr vor allem im Kontext einer industriellen Wiederaufrüstung Europa sowie einer Wiederherstellung des französischen Weltmachtrangs steht...

Die strategischen Unterschiede zwischen beiden bisherigen Kandidaten um den Parteivorsitz sind beträchtlich. Dennoch betont Marine Le Pen, ab diesem Tag gebe es „keine Marinisten oder Gollnischianer mehr, sondern nur noch Aktivisten des FN“. Sie bietet ihrem unterlegenen Kandidaten sogar die „erste Vizepräsidentschaft“ der Partei an, was dieser jedoch ausschlägt. Gollnisch bleibt jedoch Mitglied im „Politischen Büro“ als zweithöchstem Führungsgremium, wo politische Grundsatzbeschlüsse debattiert werden.

Farid Smahi macht Türe knallend den Abgang

Am Sonntag Mittag kommt es zum Eklat im Pressezentrum. Stimmengewirr, zerbrechende Gläser, Schreie ertönen. Woher kommt der Aufruhr? Farid Smahi taucht auf: Der algerischstämmige Franzose und hauptberufliche Erzieher, der 1998 der Partei beitrat, war bislang Mitglied im Politischen Büro des FN. Die Partei wies immer einzelne arabischstämmige Mitglieder auf, die meistens aus der Gruppe der Harkis stammen - also jener Nordafrikaner, die zwischen 1954 und 1962 in der Kolonialarmee für den Erhalt der französischen Herrschaft kämpften, und ihrer Nachfahren. Doch im jüngsten innerparteilichen Wahlkampf hielt der Mann zu Gollnisch. Im neuen „Politischen Büro“, dem noch einzelne Vertreter des unterlegenen Flügels angehören, taucht sein Name nicht mehr auf.

Deswegen schreit Smahi nun herum: „Zwölf Jahre lang war ich der Kanacke vom Dienst! Und jetzt werde ich aus rassistischen Gründen herausgesäubert!“ Andere Führungsmitglieder versuchen ihn zu beruhigen. Farid Smahi zieht jedoch, Dutzende von Journalisten und Kameras im Tross, quer durch die Kongresshalle bis vor die Tür. Er will eine politische Affäre aus seinem Abgang machen: „Marine Le Pen gehört zu jenen Teilen der nationalen Rechten, die von einer Lobby bezahlt werden, um Front gegen die Muslime zu machen und einen Angriff auf den Iran vorzubereiten.“ Kurz, sie ist – ihm zufolge – durch „die zionistische Lobby“ eingekauft worden. Umstehende Kongressteilnehmer reden auf ihn ein, manche beruhigend, andere drohend: „Du beschimpfst den FN als rassistisch? Du wirst schon sehen!“ Daraufhin zieht er schimpfend von dannen, mit den Worten: „Ich gehe wie ein Kanacke, mit meinen Koffern!“

Aufruhr & Zwischenfälle

Danach wird es wieder ruhig. Auch aus der Stadt Tours, auberhalb des Kongresszentrums, ist am Sonntag Nachmittag die Spannung gewichen. Am Vorabend noch hing ständig ein Hubschrauber über dem Stadtzentrum. Am Samstag Nachmittag war es nach einer antifaschistischen Demonstration mit rund 2.000 Teilnehmern, überwiegend aus Gewerkschaften wie der ,Union syndicale Solidaires’ und der Linken, zu Reibereien zwischen der Polizei und Autonomen gekommen. Tränengas wurde unmittelbar vor dem Rathaus eingesetzt.

Und am Abend war ein Journalist, der sich in den nichtöffentlichen Teil des Kongresses – das Galadiner mit Tanz – eingeschleust hatte, seinen Angaben zufolge durch den Ordnerdienst des FN misshandelt worden. Er selbst, Michaël Szames, behauptet, dabei auch Opfer „rassistischer Äuberungen“ aufgrund seiner jüdischen Abstammung geworden zu sein (ohne dabei allerdings irgendeine konkrete Äuberung zu zitieren, abgesehen von jener, er sei vom Ordnerdienst als „Scheibjournalist“ bezeichnet worden). Tagsüber wurde ferner auch ein Kamerateam der Sendung ‚Le petit journal’ vom Privatfernsehsender ,Canal +’ vom Parteitag verwiesen; und ein Fernsehjournalist des Senders M6 – Azzedine Ahmed-Chaouch – war am Samstag früh am Halleneingang abgewiesen worden. Er hatte zuvor ein Buch über Jean-Marie Le Pen unter dem Titel ,Le testament du diable’ (Des Teufels Testament) verfasst, welches bei dessen Partei keinen Gefallen erregt haben dürfte.

Die genauen Vorfälle vom Samstag Abend sind bislang ungeklärt, abgesehen von der auf beiden Seiten unbestrittenen Tatsache, dass der Journalist (Szames) unsanft aus dem Saal hinausgeworfen wurde. Bei einem Auftritt vor der Presse nutzte Jean-Marie Le Pen den Zwischenfall jedoch am Sonntag um 13 Uhr für einen seiner berüchtigten Aussprüche: „Dass er Jude sei, war weder an seinem Presseausweis noch, wenn ich es mich mal zu sagen traue, an seiner Nase zu erkennen.“

Zumindest Le Pen senior bleibt ganz der Alte. Inwiefern seine Partei sich in den kommenden Monaten entwickeln wird, bleibt abzuwarten.

Seine Tochter blieb anlässlich ihrer gemeinsamen Pressekonferenz bei der Position – die sie im innerparteilichen Wahlkampf eingenommen hatte -, eine Allianz mit der konservativen Regierungspartei UMP lehne sie ab. Ein solches Bündnis (das derzeit immer häufiger suggeriert wird, durch rund 100 UMP-Abgeordnete[2] von insgesamt 320 angestrebt und - laut einer jüngsten Umfrage - durch 35 Prozent der UMP-Anhänger in der Wählerschaft befürwortet wird) wäre ihren Worten zufolge das künstliche Zusammenfügen von Gegensätzen: „Globalismus oder Nation, Schutz der Unseren oder Freihandel und Wirtschaftsliberalismus...“

Es bleibt abzuwarten, ob sie auf Dauer bei dieser Linie gegenüber der UMP bleiben wird; im innerparteilichen Wahlkampf war dies aus ihrer Sicht unabdingbar, da ihre Gegner innerhalb der Partei (in deren Augen sie für eine „Aufweichung“ ihres ideologischen Profils steht) sie sonst an dieser Flanke angegriffen hätten. In der bisherigen Konstellation konnte sie den Vorwurf zurückgeben, da sie ihrerseits Gollnisch während des innerparteilichen Wahlkampfs als angeblichen Befürworter eines Regierungsbündnisses mit der UMP angriff, sich selbst als dessen Gegnerin hinstellend. Durch einen italienischen Journalisten danach befragt, ob sie nicht den Weg von Gianfranco Fini in seinem Land – der in einem Regierungsbündnis mit Berlusconi, und inzwischen in einer Einheitspartei mit dessen Gefolgsleuten endete - einzuschlagen trachte, erwiderte Marine Le Pen am Sonntag: „Fini ist derart weit abgedriftet, dass er inzwischen auf der Linken gelandet ist. Da sieht man, wohin sein Weg führte...“ (Gianfranco Fini hat innerhalb der Rechts-Rechts-Koalition in Italien zum Teil wesentlich softere Positionen etwa zu Einwanderungspolitik und „Ausländerwahlrecht“ als der dritte Verbündete, die rassistische Regionalpartei Lega Nord.)

Die neue Vorsitzende – in den ersten Tagen ihres Amts

Am darauffolgenden Montag, den 17. Januar räumte Marine Le Pen bei einem Interview auf ,Radio Monte Carlo’ – RMC – ein, diese Äuberung ihres Vaters & Amtsvorgängers (über den hinausgeworfenen und angeblich misshandelten Journalisten) lasse sich als „ungeschickt“ bezeichnen. Genauer, sie bejahte dies auf die entsprechende Nachfrage eines Journalisten hin, mit den Worten: „Ja. Aber vielleicht dürften Sie Jean-Marie Le Pen bald hinterher trauern“, in Anspielung auf ihr eigenes Debattiergeschick. Marine Le Pen hatte die Worte voraus gesandt, ihr Vater habe „sicherlich keinen schlechten Gedanken“ bei diesem Ausspruch gehegt. Doch hätte er in ihren Augen besser gesagt, dies – das Jude-Sein des Journalisten – lasse sich „nicht auf seiner Stirn“ ablesen (statt „an seiner Nase“), denn „dies hätte die Polemik vermieden“.

Dass Marine Le Pen keineswegs „moderat“ ist, bewies sie aus Anlass desselben Interviews, das auch beim Fernsehsender BFM TV ausgestrahlt wurde. Bei ihm machte sie sich auch das langjährige Credo des FN, seinen hauptsächlichen Programmkern – die ,préférence nationale’ oder „Bevorzugung der Inländer“ – ausdrücklich zu eigen. Völlig treu zur Parteitradition in dieser (für ihre Programmatik zentralen) Frage stehend, erklärte sie darüber hinaus: „Wir müssen unsere Sozialhilfe, unsere Sozialpolitik für unsere Landsleute reservieren; genauso wie den vorrangigen Zugang zu Arbeitsplätzen und zu Wohnungen.“ Und sie fügte hinzu: „Ab dem Moment, wo ein Ausländer in unser Land gekommen ist und er in Langzeit-Arbeitslosigkeit steckt, denke ich, dass er nach Hause (Anm.: d.h. in sein Herkunftsland) zurückkehren können muss.“ Daneben stellte sie die Existenz von herkunftsbezogenen Diskriminierungen etwa auf dem Arbeitsmarkt für Franzosen mit Migrationshintergrund in Frage. Nach solchen Diskriminierungen befragt, erwiderte sie den Journalisten: „Sie sind es, die solches behaupten! Ich für meinen Teil habe Untersuchungen gesehen, die besagen, dass es Behinderte sind, die  eher Schwierigkeiten haben, einen Arbeitsplatz zu finden.“ Neben den Körperbehinderten spielte sie auch die Einwohner/innen ärmerer ländlicher Zonen gegen die Franzosen migrantischer Herkunft und/oder Bewohner von Sozialghettos in den Trabantenstädten aus: Erstere seien es, die gröbere Schwierigkeiten anträfen als die Letztgenannten.

Dass sie politisch durchaus sehr geschickt vorgehen kann, bewies Marine Le Pen anlässlich einer Pressekonferenz, die sie am Mittwoch, den 19. Januar 11 in den Räumen des Europaparlaments in Strasbourg abhielt. Dabei wurde sie auch danach befragt, was sie zu dem höchst umstrittenen, da autoritären, neuen Mediengesetz in Ungarn denke. Darauf erwiderte Marine Le Pen, sie „teile die Besorgnisse“ und fügte hinzu: „Das Mindeste, was sich sagen lässt, ist, dass die Presse uns (d.h. dem Front National) nichts schenkt. Aber die Presse muss frei bleiben.“ Und: „Die Kultur Frankreichs ist die Gedankenfreiheit, die Meinungsfreiheit, und in der Konsequenz, auch wenn es manchmal unangenehm ist, die Pressefreiheit.“ Der Regierung der konservativ-nationalistischen FIDESZ in Ungarn wird eine erhebliche Einschränkung der Pressefreiheit vorgeworfen. (Allerdings hatte Marine Le Pen noch am Vorabend – am 18. Januar – in einem ausführlichen ,Chat’, einem Internetgespräch mit Leser/inne/n der liberalen Pariser Abendzeitung ,Le Monde’, dort eine etwas andere Position eingenommen. Dort führte sie vielmehr aus: „Ich bin für die Pressefreiheit und akzeptiere, auch wenn es mühsam/schmerzhaft ist, deren Exzesse. Aber ich bin vielleicht noch stärker der Freiheit und der Souveränität der Völker verpflichtet. Wenn das ungarische Volk ein Gesetz zur Einschränkung der Pressefreiheit abstimmt/annimmt, dann ist dies sein Recht.“[3])

Nachdem sie sich mit ihren Worten vom Mittwoch, den 19. Januar in dieser Angelegenheit als eher „liberal“ positioniert hatte, packte sie kurz darauf gleich noch einen wahren (doch nicht unerwartet kommenden) Horror oben drauf. Durch einen Journalisten danach befragt, ob der französische FN sich in der ungarischen rechten Regierungspartei FIDESZ wiedererkenne, antwortete sie rundheraus, die „uns am nächsten stehende“ Partei in Ungarn sei Jobbik. Also die offen antisemitische Bewegung, die bei den letzten Europaparlamentswahlen satte 17 Prozent der Stimmen erhielt und unter allen erfolgreichen rechten Wahlparteien in Europa der historischen Nazipartei am stärksten ähneln dürfte.

Anmerkungen

[1] Marine Le Pen erlaubt sich ein paar Stunden später, beim Umtrunk mit den Presseleuten am Sonntag Mittag, sogar relativ lockere Sprüche, wo unter den Altkadern eher ideologische Verbissenheit angesagt wäre. Befragt durch einen italienischen Journalisten, ob sie sich als „Jeanne d’Arc von heute“ sehe – die Nationalikone der extremen Rechten, auch als „Jungfrau von Orléans“ bekannt, wird von ihrem Vater oft als politische Säulenheilige herbeizitiert -, antwortet die „Cheftochter“ etwa lachend: „Durch meine drei Kinder dürfte ich für die Funktion (Anm.: als Jungfrau von Orléans) wohl eher disqualifiziert sein.“

[2] So jedenfalls der Vorsitzende der Liga für Menschenrechte (LDH), Jean-Michel Dubois, in ,La Nouvelle République’ (in Tours erscheinende Regionalzeitung) vom 16. Januar 11. Dubois war aus Anlass eines antifaschistischen Gegenkongresses, der am 15. Januar in Tours rund 500 Menschen versammelte, in die Stadt gereist, wo am folgenden Tag der FN-Kongress stattfand.

 

Editorische Anmerkungen

Wir erhielten den Artikel vom Autor für diese Ausgabe.