Das Philosophische Wörterbuch  BAND 2

hrg. von Georg Klaus & Manfred Buhr

02/11

trend
onlinezeitung

Sprache - aus den Bedürfnissen des gesellschaftlichen Lebens, insbesondere der Produktionstätigkeit, hervorgegangenes und sich ständig entwickelndes System verbaler Zeichen,
das der Formierung der Gedanken  im Prozeß der  Erkenntnis der objektiven Realität durch die Menschen dient und den Austausch ihrer Gedanken und emotionalen Erlebnisse sowie die Fixierung und Aufbewahrung des erworbenen Wissens ermöglicht.

Die Lautsprache ist zusammen mit dem Denken unter dem entscheidenden Antrieb der gesellschaftlichen Arbeit entstanden. Wie ENGELS schrieb, «trug die Ausbildung der Arbeit notwendig dazu bei, die Gesellschaftsglieder näher aneinanderzuschließen, indem sie die Fälle gegenseitiger Unterstützung, gemeinsamen Zusammenwirkens vermehrte und das Bewußtsein von der Nützlichkeit dieses Zusammenwirkens für jeden einzelnen klärte. Kurz, die werdenden Menschen kamen dahin, daß sie einander etwas zu sagen hatten. Das Bedürfnis schuf sich sein Organ: Der unentwickelte Kehlkopf des Affen bildete sich langsam aber sicher um, durch Modulation für stets gesteigerte Modulation, und die Organe des Mundes lernten allmählich einen artikulierten Buchstaben nach dem ändern aussprechen» (20, 446 f).


Sprache und Denken bilden von ihrem Ursprung und ihrer Funktionsweise her eine untrennbare Einheit. «Die Sprache ist so alt wie das Bewußtsein - die Sprache ist das praktische, auch für andre Menschen existierende wirkliche Bewußtsein, und die Sprache entsteht, wie das Bewußtsein, erst aus dem Bedürfnis, der Notdurft des Verkehrs mit ändern Menschen ... Die unmittelbare Wirklichkeit des Gedankens ist die Sprache» (MARX/ENGELS 3, 30, 432).

Die Worte der Lautsprache bilden die Existenzform der Begriffe, mit denen das Denken operiert, und die Begriffe sind der gedankliche Inhalt, die Bedeutung der Worte. Die gemeinsame neurodynamische Grundlage des Denkens und der Sprache ist das zweite ->• Signalsystem, das System bedingt reflektorischer Nervenverbindungen des menschlichen Großhirns, das auf verallgemeinerte Signale, auf Worte reagiert.

Die Sprache spielt eine außerordentlich große Rolle im Erkenntnisprozeß: erstens ist sie erforderlich, damit das zweite Signalsystem funktionieren und das abstrakte Denken vor sich gehen kann, zweitens gestattet sie durch ihre kommunikative Funktion, die Wissenschaft zum Allgemeingut der Menschen zu machen, und drittens gibt sie durch die Schriftsprache die Möglichkeit, das im Verlaufe der fortschreitenden Erkenntnis der Menschheit gesammelte Wissen zu fixieren und für die Zukunft zu erhalten. Die Lautsprache ist durch ihre ganze historische Entwicklung und durch ihre seit dem Ursprung gegebene untrennbare Verflechtung mit dem Denken zur «natürlichen Sprache» geworden.

Diese natürliche Sprache oder Umgangssprache bildet die Grundlage für alle anderen Zeichensysteme, die ebenfalls als Sprachen oder als Bestandteile davon angesehen werden. Hier sind vor allem die Wissenschaftssprachen zu nennen und die in zunehmendem Umfang von den Wissenschaften verwendeten symbolisierten und formalisierten Sprachen. Symbolisierte und formalisierte Sprachen entstehen und entwickeln sich nicht mehr oder weniger spontan wie die natürliche Sprache, sondern durch bewußte, zweckbestimmte Festsetzungen und Verabredungen; sie werden daher auch als künstliche Sprachen oder Kunstsprachen der natürlichen Sprache gegenübergestellt.

Während die bisher genannten Sprachen dem Menschen unmittelbar dienen und zwischen Menschen benutzt werden, also an den Menschen gebunden sind, hat die Informationstheorie den Begriff der Sprache so erweitert, daß er auch Zeichensysteme erfaßt, die zwischen niederen Lebewesen, technischen Systemen u.a. Verwendung finden. Im Sinne der Informationstheorie wird jedes natürliche oder durch Konvention gegebene Zeichensystem, durch das Nachrichten bzw. Informationen von einem kybernetischen System zu einem anderen übertragen werden, als Sprache angesehen.

Editorische Anmerkungen

Der Text wurde entnommen aus:

Buhr, Manfred, Klaus, Georg
Philosophisches Wörterbuch Band 2, Berlin 1970, S. 1033f

OCR-Scan red. trend