Warum in die Debatte von Hartz IV auch die Flüchtlinge hineingehören

Ein Interview mit Marei Pelzer

02/10

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Marei Pelzer ist rechtspolitische Referentin von PRO ASYL. Die Debatte um Hartz IV ist oft noch sehr deutsch. Dass aber Flüchtlinge unter noch wesentlich prekären Bedingungen leben erläutert Marei die rechtspolitische Sprecherin von Pro Asyl Marei Pelzer im Gespräch mit Peter Nowak.

Sie haben in einer Pressemeldung geschrieben, dass nach der Karlsruher  Entscheidung zu Hartz IV die Regelsätze für Asylbewerber ebenfalls verfassungswidrig sind. Wo ist da der Zusammenhang?

M.P.: Das Bundesverfassungsgericht hat bezogen auf Hartz IV entschieden, dass die  Leistungen nicht auf "offensichtlich freihändig geschätzten" Zahlen beruhen dürfen. Was bei Hartz IV bemängelt wird, ist bei den Leistungen für Asylsuchende noch viel krasser der Fall. Die Betroffenen müssen seit 1993  von um mehr als 35 % gekürzten Sozialleistungen leben. Bei Kindern unter 8 Jahren gibt es weitere Abzüge. Hier ist nicht nur die Festsetzung  willkürlich - die gekürzten Leistungen machen aus den Betroffenen auch noch  Bedürftige zweiter Klasse.

Wie hoch waren die Leistungen für Flüchtlinge bisher?

M.P.: Seit Einführung des Asylbewerberleistungsgesetzes im Jahr 1993 sind die Sätze von 360 DM für den Haushaltsvorstand, 220 DM für Kinder unter 8 Jahren und für andere Familienmitglieder 310 DM nicht mehr geändert worden. Der Gesetzgeber hat nicht einmal eine Umrechnung auf Euro-Beträge vorgenommen  geschweige denn die Beträge der Inflationsrate angepasst. Asylsuchende, Geduldete und auch Menschen mit einem humanitären Aufenthaltsstatus werden mindestens vier Jahre vom sozialen Existenzminimum ausgeschlossen und müssen  unter Mangelversorgung leiden.

Wie können Menschen davon leben, wenn die Sätze 35% unter den Hartz IV sind?

M.P.: Der Alltag ist für die Betroffenen sehr belastend. Sie bekommen die  Mangelversorgung in allen Lebensbereichen zu spüren - angefangen bei der Kleidung, über Stifte und Hefte für die Schule bis hin zu Lebensmitteln.  Hinzu kommt ja auch, dass in manchen Bundesländern nur Sachleistungen gewährt werden. Das bedeutet Lebensmittelpakete, Zwangsunterbringung in Lagern und Kleidung aus der Kleiderkammer. Sachleistungen entmündigen Menschen. Dies ist weder für Flüchtlinge noch für Hartz IV-Empfänger zumutbar.

Wieweit werden hier von den Gerichten, ähnlich wie bei der Residenzpflichtbestimmung auch Sonderregelungen für Menschen ohne deutschen Pass herangezogen, um die Ungleichbehandlung zu rechtfertigen?

M.P.: Das Asylbewerberleistungsgesetz wurde als Teil einer Abschreckungsstrategie  gegen Flüchtlinge eingeführt. PRO ASYL fordert die Abschaffung des Asylbewerberleistungesetzes, weil es nur eine Menschenwürde  gibt. Eine Unterscheidung beim sozialen Existenzminimum darf es nicht geben.

In der Erwerbslosenbewegung wird die These vertreten, dass der  Umgang mit Flüchtlingen ein Experimentierfeld ist, der dann auch auf andere Gruppen von Erwerbslosen angewandt wird?

M.P.: Das kann man so sagen. Vieles von dem, was die Agenda-Politik gebracht hat,  wurde vorher schon an Flüchtlingen ausprobiert. Ein Beispiel ist Arbeitszwang, zu dem Asylsuchende verpflichtet werden können. Hartz IV hat
den so genannten 1 Euro-Job als neue Form des Zwangs gebracht. Ebenfalls  kann man die verstärkte Möglichkeit nennen, die Leistungen bis auf Null zu drücken. Der völlige Entzug von Leistungen zur Verhaltenskontrolle ist im  Asylbereich schon länger bekannt.

6.) Kommt das Thema Regelsätze für Asylbewerber in der  Debatte um Hartz IV ihrer Meinung nach zu kurz?

M.P.: Wir hoffen sehr, dass das Urteil des BVerfG auch positive Effekte für das  Leistungsrecht für Asylsuchende haben kann. Die Politik sollte von sich aus, die notwendigen Reformen auch auf diese Gruppe ausweiten. Wenn sie sich weigert, bleibt wohl auch hier nur der Gang nach Karlsruhe. Es ist an der  Zeit, den Skandal der Mangelversorgung von Asylsuchenden endlich zu beenden.

 

Editorische Anmerkungen

Das Interview wurde uns von  Peter Nowak zur Verfügung gestellt.