Betrieb & Gewerkschaft

Für die Verteidigung des Koalitionsrechts -Aufhebung des Verbots gewerkschaftlicher Betätigung für die FAU Berlin

Appell an alle Mitglieder und Funktionäre der Gewerkschaften,
an alle Anhänger/innen des Grundrechtes zur Bildung freier und unabhängiger  Interessenorganisationen der abhängig Beschäftigten

02/10

trend
onlinezeitung

In den letzten Jahren haben deutsche Arbeitsgerichte immer wieder versucht, das eh schon beschränkte Koalitionsrecht in Deutschland weiter einzuengen. 2007 traf es die Gewerkschaft der Lokomotivführer (GdL), der wegen der „enormen Schadenshöhen“ Streiks im Fern-und Güterverkehr verboten wurden.  Und wer hat noch den Überblick über all die Fälle, bei denen Unternehmer mit gerichtlichem Segen  versucht haben, durch sog. Verdachtskündigungen die gewerkschaftliche Arbeit im Betrieb zu ersticken?

Diese unternehmergefällige Arbeitsrechtssprechung hat jetzt einen neuen Höhepunkt erreicht: Gerichte in Berlin haben massiv in einen Tarifkonflikt im Berliner Filmtheater „Babylon“ eingegriffen. Zuerst untersagte das Landesarbeitsgericht der anarchosyndikalistischen Gewerkschaft Freie Arbeiterinnen-und  Arbeiter-Union Berlin (FAU) den Aufruf zu einem Boykott ihres Unternehmers, des Kinobetreibers Neue  Babylon GmbH. Hierzu hatten sich die Belegschaftsvertreter im Kampf gegen ihre Hungerlöhne entschlossen, nachdem der Geschäftsführer des Kinos jegliche Verhandlungen ablehnte. In einer  Einstweiligen Verfügung erklärten die Richter, dieses gewerkschaftliche Kampfmittel stehe der FAU  Berlin nicht zur Verfügung, da sie keine Tarifmächtigkeit besitze. Die Einstweilige Verfügung des LAG  wurde dann in einer neuen Einstweiligen Verfügung auf Antrag des Kinos noch weiter verschärft. Darin  verbot das Landgericht der FAU Berlin sich weiterhin Gewerkschaft oder Basisgewerkschaft zu nennen  und sprach damit faktisch ein Verbot gewerkschaftlicher Betätigung gegen sie aus. Für den Fall, dass die  FAU Berlin nicht in allen ihren Publikationen den Eindruck beseitige, sie mache gewerkschaftliche Arbeit,  drohen ihren Sekretären ein Ordnungsgeld von 250 000 € oder sechs Monate Haft. Die Berliner
Arbeitsrechtsentscheide betreffen nicht nur die FAU. Sie gehen alle an.

Nach ILO-Leitlinien und gemäß der Sozialcharta der EU ist eine Organisation eine Gewerkschaft, wenn sie  von abhängig Beschäftigten freiwillig gebildet wurde, Gegner frei und sozialmächtig ist. All dies trifft für  die FAU im Konflikt um den Haustarifvertrag im Kino Babylon zu. Eben deshalb hat das Unternehmen auch die Gerichte bemüht. Wegen fehlender Sozialmächtigkeit auf überbetrieblicher Ebene stellt das  Gericht jedoch die Gewerkschaftseigenschaft der FAU Berlin in diesem Haustarifkonflikt nun in Frage.  Würde eine solche Argumentation zu europäischem Recht, wären wichtige Teile der real existierenden  Gewerkschaften in Italien und Großbritannien illegal. Auch alle in Branchen organisierten Gewerkschaften, die nur in bestimmten Betrieben tatsächlich handlungsmächtig sind, werden nun bedroht,  weil sie auf Branchenebene faktisch nicht durchsetzungsfähig sind. Und die Bildung neuer Gewerkschaften  in gewerkschaftlich nicht organisierten neuen Branchen im Kampf von Betrieb zu Betrieb wird damit  völlig verhindert. Ebenso die Bildung allgemeiner Gewerkschaften, deren Tariffähigkeit vielleicht nur in  anderen, als den umkämpften Branchen besteht.

In einer Zeit, in der Arbeitsverhältnisse immer prekärer werden, der gewerkschaftliche Schutz und die Tarifbindung in vielen Branchen oder Regionen schwindet, brauchen die abhängig Beschäftigten jedoch mehr denn je verlässliche Rechte, um sich dieser Entwicklung kollektiv zu widersetzen. Das Recht, sich in Gewerkschaften eigener Wahl zusammenzuschließen ist dafür von fundamentaler Bedeutung. Die aktuelle Arbeitsrechtsprechung erweist sich immer mehr als Versuch, dieses grundlegende Recht einzuschränken, seine Ausübung zu erschweren und letztlich zu vereiteln.

In Deutschland besteht das Gros der arbeitsrechtlichen Normen aus Richterrecht statt aus gesetzlich
fixierten Normen, d. h. das Arbeitsrecht entwickelt sich ständig und ist beeinflussbar. Deshalb appellieren wir an die Mitglieder und Funktionäre, an die gewerkschaftlichen Gliederungen und Vorstände der  Gewerkschaften und besonders der DGB-Gewerkschaften; deshalb appellieren wir an alle Anhänger/innen  des Grundrechtes zur Bildung freier und unabhängiger Interessenorganisationen der abhängig  Beschäftigten: Verhindert, dass aus dieser Einstweiliger Verfügung endgültiges Recht wird –. Übt Solidarität, auch wenn ihr mit der gewerkschaftspolitischen Orientierung der FAU nicht einverstanden seid. Es geht um gemeinsame Grundrechte, die nur gemeinsam verteidigt werden können.

Unterschreibt und verbreitet diesen Aufruf, mobilisiert eure gewerkschaftlichen Gremien, meldet euch in  Unternehmen, in Medien und in der Politik zu Wort. Skandalisiert die Urteile der Berliner Gerichte.

Berlin, 13.02.2010
Solidaritätskomitee für gewerkschaftliche Freiheit

ErstunterzeichnerInnen: (alphabetisch)

Adler Thomas Mitglied der örtl. DV der IG Metall, Betriebsrat Daimler AG Stuttgart
Bach Peter Ehem. BR-und GBR-Vorsitzender Targor GmbH Köln
Bonn Udo IG Metall Betriebsrat bei Atlas Copco Köln
Clauss Michael IG Metall Betriebsrat Daimler AG Stuttgart
Drechsel Klaus Aktivist der Unabh. Arbeitn.vertretg in d. Pers. Assistenz (UAPA), ver.di Berlin
Efe Mustafa IG Metall Betriebsrat Daimler AG Berlin
E. Barbara Von Kaisers verdachtsgekündigte Kassiererin, ver.di Berlin
Euler Rolf IG BCE Recklinghausen
Geffken; Dr. Rolf Fachanwalt für Arbeitsrecht, Leiter des Instituts für Arbeit Hamburg
Gehrke Bernd Ver.di, Teamer i.d. gew. Bildungsarbeit, Autor, 1989/90 AG Verfassung des Zentralen Runden Tisches/DDR Berlin
Gerhardt Sebastian Vorstand Haus der Demokratie und Menschenrechte Berlin
Gerstmann (x) Peter GEW Kassel
Gester Jochen Arbeitskreis Internationalismus d. IG Metall Berlin
Gietinger Klaus Regisseur, Buchautor Frankfurt/M.
Halfenberg André IG Metall Betriebsrat Daimler AG Mettingen
Hajek Willi TIE, Gew. Bildungsarbeiter Berlin
Hesse Andreas ver.di FB 8, Forum Betrieb, Gewerkschaften und soziale Bewegungen Berlin
Hürtgen, Dr. Renate GEW, Zeithistorikerin, Initiatorin der "Initiative für unabhängige  Gewerkschaften" in der DDR Berlin
Huckenbeck Kirsten Ver.di-Teamerin Frankfurt/M.
Jahn Werner Radiomacher -ehem. Betriebs-AG der Vereinigten Linken in der DDR Dresden
Klein Thomas VL Berlin, 1989/90 Zentraler Runder Tisch/DDR Berlin
Knirsch Rainer Bildungsreferent, IG Metall Berlin
Kobel Anton Gewerkschaftssekretär Ver.di Heidelberg/Mannheim
Köhnen, Dr. Heiner TIE Internat. Bildungswerk, Teamer Frankfurt/M.
Koolen Albert Mitglied der örtl. DV der IG Metall Krefeld
Krug Uwe GdL, S-Bahn Berlin
Krull Stefan Mitglied der örtl. DV der IG Metall Wolfsburg
Kruschwitz Heidemarie Vorstand Haus der Demokratie und Menschenrechte  Berlin
Kuhnke Archi Ehem. IG Metall Betriebsrat Daimler AG Werk Düsseldorf Berlin 
Meier Wilma ver.di Kassel
Neuwirth Klaus Technischer Redakteur Bochum
Ostermann Karl-Ludwig IG Metall Betriebsrat Demag Wetter/Ruhr
Rakowitz, Dr. Nadja Bildungsmitarbeiterin FB 8 ver.di Frankfurt/M.
Roth, Dr. Karl-Heinz Arzt, Sozialwissenschaftler Bremen
Roth Nico Betriebsrat Bayer AG Köln
Schaumberg Wolfgang Ehem. IGM-BR Opel, GoG Bochum
Schönafinger Bärbel Filmemacherein, kanalB Berlin
Theilmann Bernhard ver.di, FB Medien Dresden
Vogelsang Dirk Komitee für Grundrechte und Demokratie Köln
Vollmer Peter Mitglied der örtl. DV der IG Metall, Stiftung Menschenwürde u. Arbeitswelt Berlin
Weik Edgar Arbeitersolifond, ver.di Frankfurt/M.
Wolter Georg IG Metall, Betriebsrat Toyota Köln
Wompel Mag Redakteurin des Labournet Bochum
Zattler Gregor Initiative „Solidarität mit Emmely“ Berlin
Zeuner, Prof. Dr. Bodo Politikwissenschaftler Berlin

Editorische Anmerkungen

Den Artikel erhielten wir vom Soli-Komitee