Für eine Linke mit gesellschaftlicher Dimension!

von Bernhard Amanshauser und vielen anderen

02/10

trend
onlinezeitung

Vorbemerkung zur überarbeiteten Version
Dies ist ein Diskussionspapier, in dem es um die Frage nach Chancen und Möglichkeiten für eine neue  linke Organisierung mit gesellschaftlicher Dimension geht. Die Diskussion ist aus der Unzufriedenheit mit den existierenden Strukturen der Linken hierzulande erwachsen, aber auch aus der Hoffnung gespeist, dass ein Neuanfang möglich, ja notwendig ist. Trotzdem ist unsere Diskussion zuallererst ein Versuch. Eine Linke mit gesellschaftlicher Dimension kann nicht auf dem Reißbrett entworfen werden, sondern lebt von der Dynamik, die sie entfaltet.

Die Linke in Österreich 2010 – Stärken und Schwächen

Die radikale Linke ist heute meist in unterschiedlichsten Netzwerken tätig. Sie stellen insofern den „modernsten“ Flügel der gesellschaftlichen Veränderung dar als sie die Überwindung des „klassischen Typus der Partei“ (mit umfassendem Anspruch der Organisation aller Lebensbereiche) verkörpert. Die Vielfalt dieser Linken drückt sich u.a. durch Themenreichtum, Selbstverständnis, Geschlecht, Generation, Handlungsebene und -weise, Milieu aus.

Diese Stärke ist zugleich aber ihre Schwäche. Durch diese Ausrichtung besitzen diese Gruppen nämlich spezifisches Wissen und Erfahrung und organisieren sich oft ausschließlich  nach den sie bestimmenden Parametern. Das kann einen reduzierten Szene-Blick fördern und engt oftmals sowohl hinsichtlich inhaltlicher wie organisatorischer Gesichtspunkte die Erweiterungsfähigkeit des eigenen Tätigkeitsbereichs ein

Das reine Aneinanderfügen dieser Gruppen bedeutet dabei noch keine Erreichung gesellschaftlicher Bedeutung – es besteht die Möglichkeit, dass diese Summe die Summe ihre Teile nicht übersteigt (evtl. sogar verringert) und somit keine zusätzliche Dynamik erreicht werden kann. Umgekehrt bedingt das Verharren nur in separaten Strukturen die Gefahr, dass die eigene tendenzielle gesellschaftliche Bedeutungslosigkeit aus der Innenperspektive nicht mehr ersehen und vor allem verändert werden kann. Der von uns angestrebten neuen Organisierung geht es also nicht nur um eine reine Koordinierung bestehender Initiativen, sondern um die Potenzierung emanzipatorischer Kräfte in allen Bereichen der Gesellschaft.

Warum eine neue Organisierung (und wie kann sie entstehen)?

Wenn der „Kommunismus die wirkliche Bewegung ist, welche den jetzige Zustand aufhebt“ (Marx), so müssen Prozesse, die diese Aufhebung  anstreben, im Hier und Jetzt stattfinden. Keine Organisation kann auf der politischen Ebene diese Prozesse ersetzen oder stellvertretend vollziehen. Eine  Herangehensweise, in der Veränderungen nur durch vorherige Machtergreifung und -ausübung denkbar sind, lehnen wir genauso ab wie eine zynische Distanzierung vom politischen Handgemenge unter Betonung der reinen Lehre und der moralischen Überlegenheit.

Die Befreiung von Unterdrückungs- und Herrschaftsverhältnissen kann unseres Erachtens nach aber nicht allein Ziel unseres Handelns sein, sondern muss im umfassenden solidarischen Umgang miteinander ihren Ausdruck finden. Die Überwindung herrschender Geschlechterverhältnisse, rassistischer Zuschreibungen und des Kapitalverhältnisses – also die Perspektive eines guten Lebens für alle – bedarf  vor allem und ganz konkret des  Eingreifens in Politik, Ökonomie, Medien, Kultur und Alltag. Es geht uns also um „Kritik im Handgemenge“ und um das Produzieren und Vertiefen gesellschaftlicher Brüche. Es geht uns  um den Aufbau von Formen nachkapitalistischer Vergesellschaftung wie um das Eingreifen in existierende Bewegungen zur Überwindung von Ausbeutung und Herrschaft – in allen Lebensbereichen!

Die Vorteile der kollektiven Organisierung über die Zusammenhänge hinaus, in denen wir individuell und/oder als Gruppen bereits jetzt tätig sind, liegt

- in der erhöhten Wahrnehmung größerer Strukturen,

- in der besseren Nutzung gemeinsamer Ressourcen,

- in einer relevanteren Mobilisierungsfähigkeit,

- in der Möglichkeit eines breitenwirksamen publizistischen Auftretens,

- in der besseren Koordinierung von Aktionen und Kampagnen.

Wir erkennen hierin die Chance, über gezielte Interventionen und Debatten  die kritische Schwelle der „gesellschaftlichen Dimension“ zu durchbrechen und auch in den zyklischen Flauten sozialer Bewegungen für die Sichtbarkeit und Diskussion von Alternativen zu sorgen!

Je mehr Gruppen, Initiativen und Individuen dieses Projekt unterstützen, desto mehr Personen werden sich dafür interessieren. Alle AkteurInnen bringen ihr Wissen und Kontakte, ihre Forderungen und Erfahrungen ein – es liegt an der Plattform selbst, hieraus Dynamik zu entwickeln.

Keinesfalls entsteht die Organisierung  als Wahlinitiative. Zwar kann sich die Organisierung  nicht unpolitisch zu Wahlen verhalten, doch wird sie sich unter keinen Umständen auf Minderheitenfeststellungen einlassen.

Wofür will die Organisierung stehen?

Für ein gutes Leben für alle! Es gibt keinen Kapitalismus mit menschlichem Antlitz! Für ein Gemeinwesen frei von Kapital, Ausbeutung und Staaten, frei von geschlechtlichen Zuschreibungen, rassistischen Zumutungen und subjektiven Zwangsverhältnissen.

Gegen das Kapitalverhältnis zu sein, beinhaltet die Kritik und angestrebte Abschaffung von Lohnarbeit, Privateigentum an Produktionsmittel, Grundeigentum sowie sexistischer und rassistischer Modi der gesellschaftlichen Arbeitsteilung. Klar ist auch, dass Geschlechterhierarchien und Rassismus nicht auf das Kapitalverhältnis reduziert werden können. Alle Formen herrschaftlicher Vergesellschaftung gilt es zu überwinden.

Die Funktion unserer Organisation wäre es, all jene im Prozess der Selbstermächtigung zu unterstützen, die mit der gegenwärtigen autoritären und ausbeuterischen Struktur von Wirtschaft und Gesellschaft zusammenstoßen. Unsere Aufgabe ist es, ihre Erfahrungen zu verallgemeinern, sowie die Bedingungen und Ursachen einer umfassenden Kritik zu unterziehen. Sinnvolle Aktionen sind daher immer solche, die auch Selbstvertrauen, Autonomie, Initiative, Teilnahme, Solidarität, egalitären Tendenzen und Eigenaktivität in sozialen Auseinandersetzungen stärken.

Aus unseren Aktivitäten, Diskussionen und Analysen ist eine Programmatik zu entwickeln, die der Vielfalt unseres Denkens und Handelns gerecht wird und gleichzeitig eine Perspektive kollektiver Veränderung in den Blick nimmt. Startpunkt hierfür ist  unser gemeinsames Experiment und nicht eine von allen in allen Punkten geteilte „Weltanschauung“.

Wie könnten die Strukturen aussehen?

Verbindlichkeit ist nötig, um kontinuierliche politische Tätigkeit zu entwickeln. Deshalb soll es persönliche Mitgliedschaften geben. Zwecks Verfügbarkeit notwendiger Infrastruktur sollen auch Mitgliedsbeiträge eingehoben werden. Doppelmitgliedschaften sind dabei selbstverständlich möglich.

Wichtiger Aspekt unserer Organisierung soll insbesondere eine Offenheit gegenüber all jenen Leuten sein, die auf Grund ihrer Lebensumstände nicht regelmäßig an unseren Aktivitäten teilnehmen können. Wichtig ist, dass die Partizipationsmöglichkeiten aller Individuen gefördert und unterstützt werden sollen, sodass sich eine Struktur der Entfaltung und nicht eine des gegenseitigen Verhinderns und Misstrauens entwickeln kann. Mehr als formaler Regeln braucht die Kultur des solidarischen Umgangs eine Grundhaltung, die auf Akzeptanz baut.

Die Bekämpfung von Machtasymmetrien  – insbesondere in Bezug auf Geschlechterverhältnisse, rassistische Zuschreibungen oder jene zwischen „Insidern“ und Außenstehenden – kennt keine Patentrezepte! Ständige gemeinsame Reflexion sowie die Anwendung  unterschiedlicher Formen herrschaftsvermeidender Kommunikation bedeuten deshalb wichtige Hilfestellungen.

Da die linke, eine größere Öffentlichkeit erreichende Publizistik völlig am Boden liegt, sehen wir den Handlungsbedarf, ein derartiges Medium (das  Debatten innerhalb der Organisierung widerspiegelt, unsere Aktivitäten bekannt macht, in Bewegungen interveniert sowie Gesellschaftsanalysen „bietet“) zu entwickeln.

UnterzeichnerInnen (Stand 11.2.2010):

Amanshauser Bernhard, Baiculescu Michael, Bargehr Gabriele, Bartenberger Martin, Bernat Regina, Birkner Martin, Bratic Ljubomir, Dimitrova Petja, Dorfer Bernhard, Eder Barbara, Exner Andreas, Fleissner Peter, Gangl Georg, Glatz Lorenz, Grass Markus, Haumer Peter, Hörtner Pablo, Isop Utta, Jauk Daniela, Jesenitschnig Tobias, Keller Fritz, Kerschbaum Thomas, Kranebitter Andreas, Kratzwald Brigitte, Krondorfer Birge, Kumrow David, Lambrecht Wolfgang, Leder Anna, Mende-Danneberg Bärbel, Mercnik Manfred, Mokre Monika, Monk Rainer, Naetar Franz, Nahar Renate, Neuhold Petra, Nöstlinger Franz, Pfeiffermann Karl, Pichl Peter, Presch Hedwig, Reinprecht Karl, Reitter Karl, Ressler Oliver, Riva Gianni, Schäfer Franz, Schandl Franz, Schmidt Wolfgang, Schneider Günter, Schönberger Klaus, Spörl Andreas, Strutz Helmut, Taucher Philip, Wallner Gerold, Weiss Stephanie, Wollner Eveline, Ziegler Petra, Zoister Klaus

 

Editorische Anmerkungen

Wir wurden von LeserInnen auf dieses Papier aufmerksam gemacht und spiegeln es von http://superlinke.blog.at