Das Philosophische Wörterbuch  BAND 2

hrg. von Georg Klaus & Manfred Buhr

02/10

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Konflikt [lat] - eigtl: Zusammenstoß
Im allgemeinen philosophischen Sinne: besondere, objektive oder subjektive Erscheinungsform eines dialektischen Widerspruchs, die vor allem im gesellschaftlichen Bereich von Bedeutung und durch das Aufeinandertreffen gegensätzlicher Interessen oder Bedürfnisse gekennzeichnet ist, zwischen denen kein Kompromiß statthaben kann.

Jedem Konflikt liegt ein dialektischer Widerspruch zugrunde, doch führt nicht jeder dialektische Widerspruch zu einem Konflikt. Da ein Konflikt durch das Zusammenstoßen gegensätzlicher Interessen oder Bedürfnisse zustande kommt, ist er an die Existenz zielstrebiger Systeme, wie sie beispielsweise im gesellschaftlichen Bereich gegeben sind, gebunden. In der unbelebten Natur, deren dialektischen Widersprüchen keine gegensätzlichen Interessen oder Bedürfnisse zugrunde liegen, ist der Begriff des Konflikts nicht anwendbar.

Konfliktsituationen können sich überall dort herausbilden, wo gegensätzliche Interessen oder Bedürfnisse zu entgegengesetzten Verhaltenstendenzen führen, die miteinander nicht vereinbar sind, also z. B. auch bei Tieren. So lassen sich durch Herausbildung bedingter Reflexe in Lernexperimenten bei Tieren gegensätzliche Verhaltenstendenzen erzeugen, die zu typischen Konfliktsituationen führen, z. B. die Tendenzen, zu einem bestimmten Punkt zu gelangen, weil dort Futter zu erwarten ist, und die gleichzeitige Tendenz, jenen Punkt möglichst zu meiden, weil dort eine Gefahr zu erwarten ist. Eine beliebige Konfliktsituation erfordert stets eine Entscheidung für eine der beiden gegensätzlichen Verhaltensweisen, für eines der anzustrebenden gegensätzlichen Ziele usw. Konflikte im gesellschaftlichen Bereich können sowohl zwischen ganzen Gesellschaftsklassen als auch zwischen einzelnen Menschen oder beim Individuum entstehen. Konflikte zwischen Gesellschaftsklassen beruhen auf dem Gegensatz der entsprechenden Klasseninteressen, also auf antagonistischen Widersprüchen.

Die antagonistischen Widersprüche der Klassengesellschaft entwickeln sich zwangsläufig zu Konflikten, deren Austragung mit dem Sieg der einen Klasse und dem Untergang der anderen endet. Der Begriff «Konflikt» ist jedoch nicht identisch mit dem Begriff «Antagonismus». Nicht jedem Konflikt im gesellschaftlichen Bereich muß ein antagonistischer Widerspruch zugrunde liegen. Auch nichtantagonistische Widersprüche, wie sie für das sozialistische Gesellschaftssystem kennzeichnend sind, können zu Konflikten führen. So können z. B. Widersprüche zwischen alten, noch aus der kapitalistischen Gesellschaft stammenden subjektiven Gewohnheiten im Denken und Handeln der Menschen und den objektiven Entwicklungsbedürfnissen der sozialistischen Gesellschaft zu Konflikten führen, deren Lösung im Interesse der raschen sozialistischenEntwicklung eine dringende Aufgabe darstellt.

Konflikte sind im Sozialismus jedoch keine gesetzmäßige Entwicklungsform der nichtantagonistischen gesellschaftlichen Widersprüche. Die in der sozialistischen Entwicklung auftretenden Widersprüche können in jedem Falle so gelöst werden, daß sie nicht zu Konflikten zu führen brauchen. Während Konflikte auf Grund antagonistischer Widersprüche objektiven Charakter tragen bzw. als persönliche Konflikte subjektiver Ausdruck objektiver Widersprüche sind, haben Konflikte in der sozialistischen Gesellschaft, die auf Grund nichtantagonistischer Widersprüche entstehen, subjektiven Charakter, d. h., sie ergeben sich zwar aus objektiven Widersprüchen, aber nur, wenn diese nicht mit Hilfe der ihnen adäquaten Mittel, wie sie die sozialistische Gesellschaft liefert, gelöst werden, wenn sie in ihrer Wirkungsweise falsch eingeschätzt werden usw.

Mit der Lösung eines Konflikts muß nicht unbedingt auch der dem Konflikt zugrunde liegende Widerspruch gelöst sein. Ob mit der Lösung des Konflikts auch der betreffende Widerspruch gelöst wird, hängt davon ab, ob zum Zeitpunkt der Entstehung des Konflikts bereits alle Bedingungen, Mittel und Möglichkeiten für die Lösung des ihm zugrunde liegenden Widerspruchs gegeben sind oder nicht. Siegreiche soziale Revolutionen sind Beispiele dafür, daß die Lösung des Konflikts zwischen den feindlichen Gesellschaftsklassen zugleich die Lösung des objektiven Widerspruchs zwischen ihnen darstellt. In niedergeschlagenen sozialen Revolutionen dagegen wird der Konflikt zwar gelöst, aber auf Kosten der fortschrittlichen Klasse, so daß der Widerspruch, der zum offenen Konflikt geführt hatte, auch weiterhin bestehen bleibt.

Die Beziehungen zwischen Widerspruch und Konflikt sind nicht eindeutig. Ein und derselbe Konflikt kann auf Grund ganz verschiedener Widersprüche entstehen, und ein und derselbe Widerspruch kann zu ganz verschiedenen Konflikten führen. Ob auf der Grundlage eines Widerspruchs ein Konflikt entsteht oder nicht und welcher Art dieser Konflikt ist, hängt sowohl von dem betreffenden Widerspruch als auch von den jeweils gegebenen komplexen Wechselbeziehungen zwischen gesellschaftlichen und individuellen, objektiven und subjektiven, allgemeinen und besonderen, notwendigen und zufälligen Faktoren ab. -* Widerspruch.
 

Editorische Anmerkungen

Der Text wurde entnommen aus:

Buhr, Manfred, Klaus, Georg
Philosophisches Wörterbuch Band 2, Berlin 1970, S.593

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