Lieber Doktorvater!
Offener Brief an Herrn Benz


von Harry Waibel

02/10

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Sehr geehrter Herr Benz, lieber Doktorvater!

Ihr Doktorvater, der Historiker Karl Bosl (1908-1993), war Mitglied in ver­schiedenen nationalsozi­alisti­schen Organisa­tionen, z. B. in der NSDAP (seit 1933) und im NS-Lehrerbund. 1 Die Mediävis­tin Anne Christine Nagel schreibt 2005 über Bosl: „Bosl trat im Mai 1933 in die NSDAP (Nr. 1884319) und gleichzeitig auch in die SA ein, 1934 kam die Mitgliedschaft im NSLB hinzu.“2

Bosl, damals 36-jährig, war einer von mehreren NS-Wissenschaft­lern an einer, vom Historiker Theodor Mayer (1883-1972) organisierten Tagung eines Projekts der SS-Or­ganisation Ahnenerbe, am 16. und 17. Januar 1945 in Braunau am Inn, im Geburtshaus von A. Hit­ler.3 Klar ist damit, dass K. Bosl zu einer Gruppe ehemaliger NS-Historiker gehörte, die nach 1945 die organisatorischen und inhaltlichen Ge­schicke der west-deutschen Geschichtswissenschaft bestimm­ten. Wer jedoch bisher geglaubt hatte, dass die Geschichte der deutschen Historiker ausschließlich im Westen unbe­arbeitet blieb, sieht sich getäuscht. Auch in den Universitäten und Hochschulen der DDR konnten ehemalige NS-Historiker ihre Pfründe behalten und waren bald wieder in „Amt und Würden“.4

Redaktioneller Hinweis

In der letzten Ausgabe erschien für wenige Tage der Artikel "Karl Bosl und Wolfgang Benz" von Clemens Heni und Harry Waibel. Nach wenigen Tagen untersagte uns Clemens Heni die Veröffentlichung wegen angeblicher Unstimmigkeiten auf der Autoren-Seite. Wir beugten uns und baten Harry Waibel um einen adäquaten Ersatz. Hier ist er.

Trotz seiner tief-braunen Vergangenheit wird Ihr Doktorvater K. Bosl bis in die Gegenwart hinein öffentlich geehrt, so am 11. November 2008 in der oberpfälzischen Stadt Cham (er war dort gebo­ren worden) als ein „Prof.-Dr.-Karl-Bosl-Platz“ feierlich eingeweiht wurde. Der Bayerische Philolo­genverband, Bosl gehörte 1949 zu den Grün­dungsmitgliedern und er war bis 1954 Vorsit­zender, stiftete eine „Karl-Bosl-Medaille“, die am 6. Juli 2009 erstmals verliehen worden ist. Sie ha­ben für eine Veranstaltung am 26. November 2009 in Aalen damit werben lassen, dass sie 1968 bei K. Bosl promoviert haben. Die Frage lautet, ist Karl Bosl tatsäch­lich ein ehren­werter Wissen­schaftler, der trotz seines Engagements im und für den NS-Staat, von Ihnen oder von Anderen, öf­fentlich geehrt wer­den kann? Ich meine, dass Sie ihrer persönli­chen und auch der Glaub­würdigkeit der Geschichtswissenschaft einen großen Dienst erweisen, wenn Sie stattdes­sen die Vergangenheit ihres Doktorvaters kritisieren könn­ten. So ist der Eindruck entstan­den, als verdrängten Sie Ihre ei­gene Geschichte. Ich erinnere Sie auch an den Umgang mit dem Fall Martin Broszat (1926-1989), dem ehemaligen Leiter des In­stitut für Zeitgeschichte (IfZ) in Mün­chen, des­sen Mitgliedschaft in der NSDAP bis ins Jahr 2003 und darüber hinaus verschwiegen worden ist.5 Hatten Sie und die ande­ren, als Historiker be­schäftigten Mitarbeiter im IfZ, zu denen sie von 1969 bis 1990 gehörten, von der brau­nen Vergan­genheit ihrer beiden Kollegen nichts ge­wusst oder woll­ten sie davon nichts wissen?

Es ist befremdlich feststellen zu müssen, dass dieser Fall Bosl kein Einzelfall ist, er gehört zum weiten Komplex des Verdrängens und Verschweigens deutscher Historiker ob ihres Engagements und der Mitgliedschaften während des NS-Faschismus. Die über Jahrzehnte geübte Geschlossenheit der Gruppe der deutschen Historiker, lässt einen Korpsgeist erahnen, der es in sich hat. Seit dem Historikertag von 1998, als die anti-semitische Vergangenheit der Einflussreichsten deutschen His­toriker von 1933 bis 1945 öffentlich erörtert wurde, wäre es möglich gewesen das Schweigen zu bre­chen und die Vergangenheit von K. Bosl kritisch zu durchleuchten. Dass ein deutscher Ge­schichtswis­senschaftler vor und nach 1945 in seinem Fach unbehelligt hat arbeiten können, wäre allein keine Meldung Wert, nein, das gesamte Fach ist diskreditiert, nicht nur allein we­gen der auf­gedeckten Fälle seit dem Historikertag von 1998, sondern auch wegen der anhal­tenden Verweige­rung den ge­samten Kom­plex aufzuklären. Glaubt man H. A. Winkler, so sind wir Zeugen für die Verdrängung unangeneh­mer Tatsachen, durch Einhaltung eines auferleg­ten Schweigegelübdes. Jetzt, wo die Ge­neration der Schüler (z. B. W. Mommsen, H. A. Winkler, H. Wehler, J. Kocka, usw.) die­ser NS-Historikergeneration (z. B. Schieder, Rothfels usw.) in den Ruhestand getreten ist und eine neue Generation von Geschichtswissenschaft­lern sich in Amt und Würden befindet, ist es an der Zeit, diese Zusammenhänge wissenschaftlich aufzuarbeiten. Sie waren von 1969 bis 1990 im Institut für Zeitgeschichte (IfZ), und Sie hatten dort mit Martin Broszat einen Direk­tor, dessen Mit­gliedschaft in der NSDAP ebenfalls jahr­zehntelang verschwiegen worden ist. Dieses Verschweigen und Ver­drängen hat der Glaub­würdigkeit und der Durchsetzungskraft aufklärerischer Inhalte zu den Mas­senmorden der deutschen Faschisten geschadet. Schon die Tatsache dass kein Historiker aus der Generation von Rothfels bis Broszat je die eigene Be­teiligung am völkischen Rassismus zur Dis­kussion stellte, zeigt wie eng die Atmosphäre da­mals gewesen sein muss. Es war ja nicht so, und das bedeutet keine Relativierung der Rolle der Historiker für die Legitimation der herrschenden Ordnung, dass nur bei den Historikern diese Problematik ungelöst geblieben ist, auch in ande­ren Fachbereichen der wissenschaftli­chen und universitären Institutionen, an ihrer Spitze die Juristen und die Mediziner, ist dasselbe Phänomen zu verzeichnen. So sind selbstverständlich beide deut­schen Ge­sellschaft, in der DDR als auch in der BRD, gekennzeichnet durch ein anhaltendes Verhar­ren gegenüber einer wis­senschaftlichen Aufklärung, die eben selbst für sich die Notwendigkeit ab­streitet. Die An­deren sollen die Aufklärung nötig haben, man selbst wäscht die Hände in Unschuld.

Die verun­glückte Auf­klärung der Ursachen und des Verlaufs des Hitler-Faschis­mus hatte und hat politische Folgen für die beiden deutschen Gesellschaften des Nachkriegs. Lange Jahre wurde die ökonomische Prosperität als Alleinseligma­chendes angeführt und im Westen war die umfassende Ideologie des Anti-Kommunismus der Kitt, der alles zusammen hielt. Da sollte es hüben und drü­ben auf einen alten Nazi mehr oder weniger nicht mehr an­kom­men. Wer gehofft hatte, dass nach 1945 die alten Nazis ausschließlich im Westen ge­braucht wur­den, als Funktionsträger in allen Be­reichen der Gesellschaft, der sieht sich im Irr­tum. Auch in der DDR galt: Die Stunde Null hat es nicht gegeben. Auch dort wurden die alten Nazis gebraucht bei der Führung des Staates und der Ge­sell­schaft. Die Folgen dieses nachlässigen Umgangs mit der jüngsten Geschichte sind heute zu be­trachten. Seit der Auflösung der DDR in einem größeren Deutschland, schwappen nati­onalistische, rassistische und anti-semiti­sche Wellen über das Land, und die schwer er­kämpften Fortschritte sind in der Gefahr, zunichte gema­cht zu werden. Kurt Kutzler, Präsident der TU Berlin, hat im Zusam­menhang der Kritik an Benz davon gesprochen, dass beschlossen worden sei, dass die TU Berlin die eigene Geschichte der „rassisch-politischen Verfolgungen in den Jahren von 1933 bis 1945 noch aufarbeiten müsse“.6 Die Ergebnisse sollen in zwei Jahren veröffentlicht werden. Nach diesem Vor­bild könnten doch auch die anderen Universitäten in Berlin sich dieser Aufarbeitung zuwenden und die Historiker, als Gelehrte des Faches, könnten dabei Hilfestellungen geben, vorausgesetzt sie be­ginnen dort zu graben wo sie sich befinden.

Herr Benz, Sie sind ein bekannter Wissenschaftler und die Auseinandersetzung mit dem National­sozialismus und sei­nen Verbrechen ist Ihnen ein wirklich ernstes Anliegen. Warum haben Sie zur wissenschaftli­chen und politi­schen Herkunft ihres Doktorvaters seit über mehr als 40 Jahre ge­schwiegen? Ist es für Sie als Historiker des NS-Fa­schismus nicht fragwürdig, einen ehemaligen Na­tionalsozialisten zu ehren, und gleich­zeitig als Leiter eines wissenschaftlichen Instituts die Ge­schichte des Anti-Semitismus zu erforschen? In den von Ihnen mitbegrün­deten Dachauer Heften schrieben Sie 1990: „Die Entnazifizierung wurde für die meisten mit Erleichterung als Endpunkt verstanden, von dem an der Nationalsozialismus eine Gene­ration lang mit kollektivem Schweigen, in weitverbreite­ter Amnesie, behandelt wurde. Erst die En­kel versuchten dieses Schweigen zu bre­chen, ihr Dialog mit der nationalsozialistischen Vergangenheit hat spät, erst Ende der 60er Jahre begonnen.“7 Was die deutschen Historiker betrifft, so begannen die erst mit dem Historikertag 1998, die historischen Tatsachen über die Verbindung der tonangebenden Ordinarien der Ge­schichtswissenschaft öffentlich wahrzunehmen. Warum Sie sich damals nicht oder auch später nie öffentlich damit auseinandergesetzt haben, bleibt Ihr Geheimnis. Entwe­der wussten Sie nicht dass K. Bosl ein Ex-Nazi war oder Sie haben verschwiegen und verdrängt wie die meisten Deutschen, doch das hätte mit wissenschaftlichem Vorgehen nichts mehr zu tun. Wie können Sie als Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung an die Geschichte der Anti-Semiten im NS-Staat erinnern und die Erinnerung an Ihren Doktorvater verweigern?

Mit freundlichen Grüßen

Harry Waibel

 

Anmerkungen

1 Wikipedia: http://de.wikipedia.org/wiki/Karl_Bosl; Ernst Klee: Das Kulturlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945, Frank­furt am Main, 2007, S. 70. Schließlich war Bosl von 1935-1938 auch Mitarbeiter der NS-Organisation Landesleitung Süd des Bundes Deutscher Osten (Meyers Lexikon, Achte Auflage, zweiter Band, Leipzig 1937, S. 291) und ab 1939 Kreisverbandsleiter des Reichskolonialbundes in Ansbach (Rusinek 2000, S. 346). Wolfgang Benz im Interview mit Jan-Philipp Hein: „Mir schlägt ein unglaublicher Hass entgegen“, in: Berliner Zeitung vom 25.1.2010.

2 Anne Christine Nagel: Im Schatten des Dritten Reiches. Mittelalterforschung in der Bundesrepublik Deutsch­land 1945-1970, Göttingen, 2005, S. 137.

3 Bernd-A. Rusinek: Wald und Baum in der arisch-germanischen Geistes- und Kulturgeschichte – Ein For­schungsprojekt des „Ahnenerbe“ der SS 1937 – 1945, in: Albrecht Lehmann/Klaus Schriewer (Hg.): Der Wald – Ein deutscher Mythos? Perspektiven eines Kulturthemas, Berlin/Hamburg, 2000, S. 267-363.

4 Bei www.hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=1939 wird darauf hingewiesen, dass mit Frings und Krötschke ehemalige Nazi-Historiker in der DDR unbehelligt arbeiten konnten. Nach meinen Recherchen gehören u.a. auch die Historiker Friedrich Schlette, Günter Scheele und Walter Eckermann dazu, die Mitglieder der NSDAP waren. Das sind Ergebnisse von Stichproben bei Biographien, die jedoch keinen Anspruch auf Systematik haben. Das gesamte Feld ehemaliger nationalsozialistischer Wissenschaftler in der DDR ist ebenso unbearbeitet, wie es für West-Deutsch­land der Fall ist.

5 Norbert Frei: Hitler-Junge, Jahrgang 1926, Die Zeit, 11. September 2003.

6 „Feindbilder erkennen und bekämpfen“, TU-Präsident verteidigt Antisemitismusforschung, in: Der Tagesspiegel vom 28.1.2010.

7 Wolfgang Benz (1990)/1994: Nachkriegsgesellschaft und Nationalsozialismus. Erinnerung, Amnesie, Abwehr, in: Da­chauer Hefte Heft 6: Erinnern oder Verweigern. Das schwierige Thema Nationalsozialismus, München, S. 12-24.

Editorische Anmerkungen

Wir erhielten den Brief vom Autor zur Verbreitung.