Als einer, der am Abend
vor der Oper war

Anmerkungen zu Uwe Soukups Buch "Wer erschoss Benno Ohnesorg?"

von Karl-Heinz Schubert

02/09

trend
onlinezeitung

Ein Genosse aus APO-Tagen wies mich neulich auf das Buch von Uwe Soukup "Wer erschoss Benno Ohnesorg?" mit den Worten hin, wenn Du das gelesen hast, dann hast Du alle Bilder von damals wieder im Kopf.

Damals. Tagsüber hatte ich im Büro des AStA der PH Berlin Koordinationsaufgaben für die Verteilung von Ulrike Meinhofs  Offenen Briefs an Farah Diba als Mobilisierungsflugblatt für die Anti-Schah-Proteste am 2.Juni 1967 übernommen. Abends bin ich dann zur Oper gegangen, um an den Protesten gegen diesen reaktionären Potentaten persönlich teilzunehmen und durch meine Anwesenheit mitzuhelfen, weitere Übergriffe des persischen Geheimdiensts und der westberliner Polizei gegen uns StudentInnen zu verhindern. Nur durch Zufall befand ich mich in dem Teil der DemonstrantInnen, der mittels "Leberwurst-Polizeitaktik", in Richtung Wilmersdorfer Straße und nicht in Richtung Krummestraße verjagt wurde.

Uwe Soukup beginnt sein Buch quasi mit einem Resumée, welches mich endgültig reizte, es zu lesen:

"Einen ganzen Tag lang reizten und  provozierten Einsatzkräfte der Berliner Polizei an wechselnden Schauplätzen die Demonstrierenden, verprügelten sie oder sahen seelenruhig zu, wie sie verprügelt wurden. Sie kesselten sie ein und griffen willkürlich einzelne Demonstranten heraus, um sie vor aller Augen zu misshandeln.
Auf Befehl kletterten schließlich Dutzende Polizisten über die Absperrungen und schlugen wahllos auf ihre vollkommen überraschten und ebenso wehrlosen Opfer ein, die sich freiwillig und gutgläubig in diese Situation begeben hatten. Panik entstand. In diesen Minuten haben nicht wenige eigentlich friedlich gesonnene Menschen versucht, sich mit Gewalt zu verteidigen. In Notwehr rissen sie Latten aus einem Bauzaun oder klaubten Steine aus dem Straßenpflaster, um sich der Polizisten zu erwehren.
Die Polizei unterstellte den Demonstranten per Lautsprecherdurchsage, einen Mord begangen zu haben, den es nicht gegeben hat, verursachte jedoch selbst den Tod eines Studenten, was bis heute nicht Mord genannt werden darf." (S.8)

Und tatsächlich - rekonstruiert er akribisch die Ereignisse jenes Tages. So erinnerte ich mich an viele Details, die mittlerweile bei mir in Vergessenheit geraten waren. Die hervorragende Bildauswahl tat ihr übriges.

An anderes konnte ich mich - jedenfalls was den Abend vor der Oper anbelangte - gar nicht mehr erinnern. So zum Beispiel, dass aus den Gelände hinter dem Bauzaun, vor dem wir gedrängt standen, Steinwürfe in Richtung Oper erfolgten. Eigentlich kann ich mich an Steinwürfe überhaupt nicht erinnern. Steinwürfe gehörten als "Argument" eher ins Jahr 1968 und folgende.

Die herausragende Bedeutung des Buches gründet für mich darin, dass Uwe Soukup nicht einfach ehrpusselig wertneutral Informationen zusammenstellt, sondern der Wust der Informationen durch eine sehr plausible These strukturiert wird. Der 2. Juni 1967 erscheint so als ein zentraler Mosaikstein der Machtkämpfe  innerhalb der mafiotischen westberliner SPD, wo eine Gruppe von reaktionären SPD-Politikern den regierenden  Bürgermeister Albertz bekämpft, um mit dem Rechtsaußen Neubauer an der Spitze ihre innerparteiliche Hegemonie zu errichten.

Hier vermisse ich jedoch den Aufweis, dass diese brachiale Polit-Kultur der westberliner SPD das Produkt des langjährig praktizierten militanten Anti-Kommunismus in seiner alltäglichen Ausrichtung gegen die DDR war. In diesem Zusammenhang sei nur daran erinnert, dass bereits 1951 Ernst Kamieth, ein Kommunist, durch den bekannten Kreuzberger Polizeischläger Zunker bei der Beschlagnahmung "kommunistischen Propagandamaterials" zu Tode geprügelt wurde. Auch besaß die westberliner Polizeiführung seit Ende der 40er Jahre umfassende Erfahrung in der brutalen Zerschlagung linker Demos inklusive Schusswaffengebrauch.

Wegen der in diesem Buch steckenden detektivischen Kleinarbeit, wodurch "gruselige Details" aufdeckt werden, und auch wegen des bewegenden Porträts des Benno Ohnesorg wird "Wer erschoss Benno Ohnesorg?"  in vielen Rezension positiv gewürdigt. Nur Jochen Staadt, der mir noch in den frühen 70ern die Rote Fahne der maoistischen KPD in deren westberliner Buchladen verkaufte, hält laut  FAZ (!!) vom 30.11.2007 dem Autor nicht nur "abenteuerliche Hypothesen" vor, sondern auch "maßlose Übertreibungen".  Dies verwundert bei so einem gewendeten Ex-Genossen nicht, da Uwe Soukups Buch gängige Geschichtsschreibung - von der jener nun selber einträglich lebt - gegen den Strich bürstet.

"In der allgemeinen Erinnerung ist von den verheerenden Vorgängen des 2. Juni 1967 übriggeblieben, dass Albertz Schuld hat am Tod von Benno Ohnesorg und deshalb zurückgetreten ist. Hält man sich die Kette der Ungereimtheiten, der polizeilichen »Fehler«, Versäumnisse und Verdrehungen vor Augen und behält dabei die innerparteiliche Opposition gegen Albertz im Blick, dann sind Zweifel an dieser Interpretation mehr als angebracht." (S.245)

Uwe Soukup
Wie starb Benno Ohnesorg?
Der 2. Juni 1967

Verlag 1900 Berlin
Berlin 2007
ISBN-10 3930278677
ISBN-13 9783930278671
Gebunden, 272 Seiten,
19,90 EUR