Antikapitalismus der dummen Kerls  
Die Jagd nach Steuerflüchtigen  soll die Volksgemeinschaft der „ehrlichen Arbeiter“ mit den „ehrlichen Unternehmern“ festigen

von
Peter Nowak

02/08

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onlinezeitung

 „Massenrazzia geplant. 1000 weitere Verdächtige“, titelte die Frankfurter Rundschau am 16.2.08..  Dieses Mal sind es aber mal keine Computerhacker oder Politaktivisten, die vor der Polizei zittern müssen. Es sind vielmehr Deutschland  vielzitierte Leitungsträger, die ein so großes Monatseinkommen haben, dass sie Steuerschlupflöcher nutzen.  Seit der als temperierter Manager gepriesene  und nun  geschasste   Ex-Postchef Klaus Zumwinkel öffentlichkeitswirksam festgenommen und  gegen eine hohe Kaution auf freien Fuß gesetzt wurde, haben die Staatsorgane deutlich gemacht, dass Schluss mit lustig ist.       

Die mediale Begleitmusik des Sturzes von Zumwinkel soll auch ein Signal geben. Schließlich sieht §371 der Abgabenordnung vor, dass straffrei bleibt, wer  bei einer Steuerhinterziehung unterlassene Angaben nachholt oder sich selbst anzeigt. Von dieser Möglichkeit der Strafe zu entgehen, dürften nicht wenige Betroffene Gebrauch machen.  Allein die Ankündigung, dass bald noch 100 weitere Razzien  geplant sind, wird  die Bereitschaft zur Selbstanzeige steigern.    

Vor laufender Kamera  

Der für das Verfahren zuständige Bochumer Oberstaatsanwalt Bernd Bienioßek erklärte, die   Razzia  in Zumwinkels Kölner Villa vor laufender Kamera sei absolut unwürdig und habe mit einem rechtsstaatlichen Verfahren nichts zu tun. Durch ein Leck bei der Bochumer Staatsanwaltschaft sei das ZDF schon zwei Stunden vor der Durchsuchung informiert gewesen und hat sich vor der Villa des Ex-Postchefs postiert. Doch damit wurden genau die Bilder produziert, die der Bevölkerung deutlich  machen sollen, dass hier  ohne Ansehen der Person durchgegriffen wird. Erinnerung an das Italien der frühen 90er Jahre werden wach. Im Rahmen der Tangentopolio-Affäre wurden reihenweise Spitzenpersonen aus der italienischen Wirtschaft und Politik öffentlich der Korruption überführt und mussten ihren Posten räumen.

Am Ende war die alte Machtbalance zerstört und aus deren Trümmern trat der Medienmogul Berlusconi als Retter hervor. Der hatte sich zwar selbst reihenweise Verfahren wegen    Bestechung, Korruption und verwandter Delikte zu erwehren. In seiner Regierungszeit  schuf er einige Gesetze, die ihm aus der Klemme half. Bis heute gehört seine Polemik gegen politisierte Richter und Staatsanwälte zum wichtigsten Repertoire seines Wahlkampfes. Dabei schaffte in der Vergangenheit und wahrscheinlich auch  beim aktuellen Wahlkampf das Kunststück, einen großen Teil derjenigen, die auf die korrupten Politikerklasse der alten Republik schimpfen, zu seinen  treuesten Gefolgsleuten zu machen. Doch es ist nur ein oberflächlicher Widerspruch. Schon immer  ist der  Kampf gegen die „korrupten Eliten“ ein wichtiges Propagandamittel von rechten und rechtspopulistischen Bewegungen. Wer sich erfolgreich als Retter aus dem Sumpf geriert, kann auch mal die Verfassung und Gesetzeslage übergehen. Dann wird er als besonders  zupackend  gefeiert.    

Wenn sich Berlusconi dann eben selber per Gesetz amnestiert, ist es eben ein besonderer Ausdruck von Cleverness. In Deutschland gibt es zur Zeit keinen Politiker, der Berlusconi imitiert und es ist auch fraglich, ob er hier Erfolg hätte.  

Neue Asoziale?

Trotzdem sind auch in der gegenwärtigen  Kampagne gegen Zumwinkel und Co  unverkennbar populistische Töne enthalten. Wenn beispielsweise SPD-Generalsekretär Hubertus Heil in bezug auf die der Steuerhinterziehung Verdächtigen „von den neuen Asozialen der Gesellschaft“ spricht“, wird das deutlich.

Die Jagd auf sogenannten Asozialen hat eine lange  unheilvolle Tradition. In Berlin beschäftigt  sich damit zur Zeit eine ambitionierte Veranstaltungsreihe und Ausstellung  http://marginalisierte.de/. Die „alten“ Asozialen wurden in der Regel unter den Lohnabhängigen und Erwerblosen ausgemacht, die nicht so produktiv sein konnten oder wollten.    

Die Klassifizierung als Asoziale wird nicht dadurch besser, dass sie zur Abwechslung mal nicht gegen die sogenannten Unterklassen sondern Teile der Eliten angewendet wird. Die Einteilung  in  eine imaginäre Volksgemeinschaft und ihre Schädiger bleibt bestehen. Schon historisch wandte sich reaktionäre Ideologie gegen Arbeitsscheue aus den unteren Schichten und auch gegen Bonzen, womit Teile der Eliten adressiert waren, die sich nicht in die deutsche Volksgemeinschaft einfügen konnten oder durften.  Das will man Heil natürlich nicht unterstellen. Doch seine Wortwahl hat auch heute eine Funktion. Sie kommt auch und gerade  bei den Menschen an, die niemals ein Einkommen besessen haben, das für Steuerschlupflöcher interessant wäre. Kräftige Verbalinjurien und ein hartes Durchgreifen gegen die „korrupten Eliten“ gilt dann schon fast als links und antikapitalistisch.

In Anlehnung an eine auf den Antisemitismus gemünzte Aussage des SPD-Mitbegründers August Bebel kann man daher auch vom „Antikapitalismus der dummen Kerls“ sprechen. In Zeiten einer allgemein empfundenen Gerechtigkeitslücke und einer  langen Tradition der Managerschelte wird hier verstärkt auf volksgemeinschaftliche Vorstellungen zurück gegriffen.  Nicht dazu gehören dann eben steuerhinterziehende Eliten und ArbeiterInnen  und Erwerbslose, die sich nicht genug ausbeuten lassen können oder wollen.  Parallel zur Elitenschelte sind auch sie wieder stärker ins Visier des Boulevards gekommen, wie KollegInnen von bildblog gut herausgearbeitet haben  http://www.bildblog.de/2785/wer-bild-liest-bleibt-der-dumme.   

Dass Nichtregierungsorganisationen und sogenannte Linke (Parteien) und manche linken Organisationen jetzt nicht besseres zu tun haben, als härteres Durchgreifen gegen Steuerflüchtlinge zu fordern, zeigt nur, dass dort Ressentiments gegen die da oben    mit einer Kapitalismuskritik verwechselt wird.  Wer über die emanzipatorische Abschaffung des Kapitalismus, den Kommunismus nicht reden will, festigt die Volksgemeinschaft  gegen „Faule“ und „Bonzen“, Das Resultat ist die bessere Ausbeutung der „ehrlichen Arbeiter“ durch die „ehrlichen   Unternehmer“ unter Oberaufsicht eines Berlusconi oder wie die Charaktermasken in anderen Ländern auch heißen.

Editorische Anmerkungen

Wir erhielten den Text vom Autor zur Veröffentlichung in dieser Ausgabe.