Betrieb & Gewerkschaft
Einzelhandel: Wie kann der Streik verstärkt werden?

von Frederik Haber

02/08

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Etwa eintausend Menschen wollten am Samstag, dem 2. Februar, in der Stuttgarter Innenstadt offensichtlich nicht einkaufen: Streikende VerkäuferInnen und solidarische KollegInnen bildeten eine Menschenkette vom Kaufhof bis zu dem Laden, deren Belegschaft sich frisch dem Streik angeschlossen hatte: die Filiale von Zara. Nach einer kurzen Kundgebung zogen alle vor den Kaufhof, Sprechchöre und Lieder hallten durch alle vier Stockwerke.

Das war aber nicht alles. Mutmaßliche Sympathisantinnen suchten intensive Beratungsgespräche mit den StreikbrecherInnen, manche dieser speziellen „KundInnen" gerieten auch noch in Streit dabei, während andere völlig unfähig waren, die anprobierten Schuhe wieder paarweise zu verpacken, oder anprobierte Kleidungsstücke zurückzubringen. Dass dies kein Zufall war, wurde deutlich, als diese auf einen Schlag alle mit ohrenbetäubendem Pfeifen gemeinsam zum Hauptausgang strebten, um sich mit den Streikenden vorm Tor zu vereinigen. 

Veränderte Situation 

Jahrzehntelang fanden Streiks im Einzelhandel weitgehend keine Beachtung. Vor einzelnen Kaufhäusern oder Supermärkten wurden morgens die Beschäftigten zum Streik gerufen, nach kurzer Zeit konnten die Läden ihr Personal aus anderen Filialen verstärken, nach ein paar Stunden war alles vorbei. Der Flächentarif lebte davon, dass die großen Handelsketten im Gleichklang mit der zuständigen Gewerkschaft, früher HBV und DAG, heute ver.di, die Tarifverträge beim Bundesministerium für allgemein verbindlich erklären ließen. Damit wurden der unliebsamen mittelständischen Konkurrenz aus Sicht der „Großen" gleiche Kosten aufgedrückt, im Grunde sogar höhere, denn die kleinen und mittleren Läden arbeiten eher mit personalintensiverer Beratung. So mies es also den Handelsangestellten schon immer ging - auch dort hatte sich eine „Sozialpartnerschaft" etabliert.

Diese Klassenzusammenarbeit ist nun passé. Alle Tarifverträge im Einzelhandel sind gekündigt, in der seit einem Jahr laufenden Tarifrunde verlangen die Unternehmer den Verzicht auf Zuschläge für Spätarbeitszeiten. In der ganzen Branche wird immer mehr mit Befristungen und 400 Euro-Jobs gearbeitet, gewerkschaftliche Organisierung und Betriebsratsgründungen mit allen Mitteln bekämpft. Praktiken, die früher vor allem mit den Namen Schlecker und Aldi verbunden waren, haben sich inzwischen auch in anderen Bereichen ausgebreitet.

Die Beschäftigten ebenso wie die Gewerkschaft müssen sich anderes verhalten als bisher und immer mehr tun dies auch. Aber das Bild ist zerrissen. Manche Belegschaften entwickeln dabei überraschend viel Initiative und Kampfbereitschaft. So streiken manche H+M-Belegschaften in Stuttgart schon 10 Wochen. Die Manager können nur mit eingeflogenen und in Hotels untergebrachten Streikbrechern die Läden offen halten. Lieber schließen sie andere Filialen als die bestreikten. In manchen der großen Kaufhäuser oder Supermarkt-Ketten wollen Betriebsräte dagegen nicht mit verstärkten Kampfaktionen die gute Zusammenarbeit mit dem Management gefährden. Noch weitet sich die Streikbewegung aus, neue Belegschaften schließen sich an, im Streik werden auch Betriebsräte neu gebildet und viele KollegInnen schließen sich der Gewerkschaft an. Die Unternehmerfront bröckelt, manche erhöhen freiwillig die Gehälter. Aber diese Taktik gefährdet auch die Einheit der Beschäftigten. Die Pilot-Verhandlungen in NRW jedenfalls sind gescheitert. 

Was tun? 

Um den Streik zu gewinnen, müssen öffentliche Massenaktionen wie in Stuttgart ausgeweitet werden. Die Läden müssen spüren, dass im Streik die Geschäfte nicht weiterlaufen. Die anstehende Tarifrunde im Öffentlichen Dienst würde es Ver.di erlauben, die Kräfte dieser großen Branchen zu vereinen. Auch die IG Metall hat im KFZ-Handwerk eine vergleichbare Situation wie im Handel. Auch dort wurden alle Tarifverträge gekündigt. Bisher hat aber die Führung der IG Metall bei zufälligem Zusammentreffen von Tarifrunden mit andern Gewerkschaften gemeinsame Aktivitäten boykottiert.

Bei einer Führung unter Huber, der auch den Eisenbahnern die Solidarität verweigerte, wird von allein keine Änderung kommen.

Branchenübergreifende Solidarität ist dann möglich, wenn klar wird, dass es nicht nur um die Zuschläge im Einzelhandel und die Arbeitszeit im KFZ-Handwerk geht, sondern um den Generalangriff des Kapitals und seiner  Regierung auf alle Errungenschaften der Arbeiterklasse und dass diese Streiks die gute Gelegenheit bieten, diesen Angriff, der bisher sehr erfolgreich für das Kapital verlief, zu stoppen.

Dabei werden alle die im Weg stehen, die diese Angriffe mit begleitet haben, weil sie statt auf Arbeiter-Solidarität lieber auf Standortsicherung und Co-Management setzen: die auch dafür waren und sind, die Lohnnebenkosten zu senken, was Rente mit 67 und Hartz IV bedeutet, die Lohnsenkungen vereinbart haben, um die Arbeitsplätze zu sichern und diese doch verloren gehen wie bei Nokia.

Deshalb ist eine klassenkämpferische Basisbewegung nötig, die nicht nur für selbstständige Initiativen an der Basis kämpft und für branchenübergreifende Solidarität, sondern auch gegen die Klassenzusammenarbeit der Betriebsratsfürsten und Gewerkschaftsbonzen. Die dies auch deshalb kann, weil sie klarmacht, dass die Macht der Unternehmer letztlich gebrochen werden muss, wenn der Weg in Armut und Krise gestoppt werden soll. Eine Bewegung, die nicht auf den nächsten Aufschwung hofft und sich beklagt, dass er nicht ankommt, sondern die auf den Kampf gegen den Kapitalismus setzt!

Editorische Anmerkungen

Den Text erhielten durch die  ARBEITERMACHT-INFOMAIL,  Nummer 346 vom 8. Februar 2008
 

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