Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Im Namen des Wachstums
Kommission unterbreitet 316 Vorschläge zum brachial wirtschaftsliberalen Durchreformieren des Landes. Präsident Nicolas Sarkozy will den Großteil davon auch umsetzen. Sozialdemokraten zerstritten, Taxifahrer führen den lautesten Protest an

von Bernard Schmid


02/
08

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Dereinst war er Berater am Hofstaat des „republikanischen Monarchen“ François Mitterrand, der nominal als „Sozialist“ firmierte. Heute steht er an der Spitze einer Kommission, die für den neoliberal-autoritären Präsidenten Nicolas Sarkozy Vorschläge „zur Aufhebung von Wachstumsblockaden“ erarbeitete und am Mittwoch, den 23. Januar 2008 nun ihren Abschlussbericht präsentierte. Jacques Attali heißt der Mann, der nicht nur großbürgerliche Allüren hat, sondern dessen 42köpfige Kommission – ihre Einrichtung war eine jener „Missionen“, die Sarkozy im Sommer und Herbst vergangenen Jahres ausgewählten Persönlichkeit unter Einschluss des (früheren) Oppositionslagers anvertraut hat – mit Prominenten aus der Welt des Großkapitals nur so gespickt war. So trifft man in ihren Reihen u.a. auf Anne Lauvergeon (die Chefin des französischen Atomkonzern Areva), Ana Palacio (die aus Spanien stammende Vizepräsidentin der Weltbank), Mario Monti (den früheren, durch die erste Berlusconi-Regierung ernannten italienischen EU-Kommissar und jetzigen Universitätspräsidenten in Mailand), zahlreiche mittelständische Unternehmer. Aber auch auf den thatcheristischen Journalisten Eric Le Boucher, den wirtschaftsliberalen Flügelmann in der Redaktion der Pariser Abendzeitung ‚Le Monde’, oder auf den prominenten Neuropsychiater Boris Cyrulnik.

 Der Abschlussbericht der Kommission enthält 316 konkrete Vorschläge, die rund um 20 „Grundentscheidungen“ sowie acht umfassende „Ambitionen“ angeordnet sind. Bei der feierlichen Zeremonie der Überreichung des Rapports insistierte Jacques Attali darauf, dieser möge in seiner Gesamtheit durch die Regierung umgesetzt werde, da das Papier eine innere Kohärenz (einen Zusammenhang zwischen den einzelnen Bestandteilen seines Inhalts) aufweise und daher nicht wie ein Warenhauskatalog zu behandeln sei. „Dieser Rapport ist bereit, umgesetzt und angewendet zu werden, und nicht, in einen Untersuchungsausschuss verwiesen zu werden“ betonte der Kommissionspräsident.

In ihrem Abschlussbericht geht die Kommission davon aus, dass es in Frankreich selbstverschuldete „Wachstumsblockaden“ gebe, die nur gelöst werden müssten. Auf diese Weise lasse sich auf Dauer zu einem fortdauernden Wachstum wie in den ‚Trente Glorieuses’ (als die „dreißig Glorreichen“ werden in Frankreich die Jahre 1945 bis 1975, also die Periode des auf einem antifaschistischen Nachkriegskonsens beruhenden Sozialkompromisses sowie fordistisch regulierten Wachstums) zurückkehren. Bei einer Umsetzung der Vorschläge werde Frankreich „jenes Prozent Wirtschaftswachsum, das ihm (z.Zt.) jährlich fehlt“, zurück erlangen. Aber man könne nicht „eine Blockade am linken Reifen aufheben, doch gleichzeitig das rechte Hinterrad blockiert lassen“, und aus diesem Grunde sei es wichtig, die Gesamtheit der Vorschläge der Kommission bei der Anwendung zu berücksichtigen, betonte Attali. Ähnlich äußerte der Kommissionsvorsitzende sich dann auch in einem Interview mit ‚Le Monde’ vom Donnerstag (24. Januar), worin er betonte, es sei jetzt „die Verantwortung des Präsidenten und der Regierung vor der Geschichte“, ihren Abschlussbericht aufzugreifen „und diese einmalige Chance, zu reformieren, zu ergreifen oder aber verstreichen zu lassen“.

Zu den wichtigsten Vorschlägen für Grundsatz- oder Richtungsentscheidungen des Papiers der „Attali-Kommission“ gehören: 

Die Aufhebung des „Vorbeugeprinzips“ (Principe de précaution), das unter Altpräsident Jacques Chirac in der Verfassung der französischen Republik verankert worden ist. Dieses Prinzip beinhaltet, vermeidbare ‚Restrisiken’ oder Risiken unabsehbarer und unüberschaubarer Schäden insbesondere im ökologischen Bereich zu minimieren, im Hinblick auf die künftigen Generationen und den möglichen Rückgriff auf schonendere Alternativen. In den Augen der Attali-Kommission handelt es sich bei all diesen Erwägungen um Schnickschnack, kurz, ein Wachtstumshemmnis.

Dem Bildungswesen, sowohl dem Schul- als auch dem Hochschulbereich, kommt in den Ausführungen der Kommission eine absolut zentrale Bedeutung zu. Denn hier wird, in ihren Augen, eine zentrale Ressource für die künftigen Wachstumspotenziale geschaffen. Zu den wichtigsten Maßnahmen, welche die Kommission vorschlägt, zählt die Schaffung von zehn „Exzellenzpolen von Weltrang“ im Universitätswesen, die zu (bis zu) „80 Prozent“ aus Privatmitteln finanziert werden können sollen. Auch alle anderen Hochschulen sollen einer ständigen „Evaluation“ (Bewertung) unterzogen werden, um ihre Position auf einer Rangliste und ihre Effizienz feststellen und in Ziffern erfassen zu können. Was das Schulwesen betrifft, so soll schon in jungem Alter ein „Sockel“ an erforderlichen, grundlegenden Kenntnissen festgelegt werden, zu dem in den Augen der Kommission insbesondere Englisch, Informatik und Wirtschaftskunde gehören. Schon „ab der Grundschule“ (sic!) sollen die jeweilige „Rolle der Konkurrenz(wirtschaft) und der öffentlichen Hand bei der Schaffung von Reichtümern erklärt und unterschieden“, sprich: soll die Grundphilosophie der kapitalistischen Wirtschaft vermittelt werden. Die Schulen sollen ebenfalls einer ständigen Evaluation unterzogen, und die Lehrer/innen sollen neben dafür zuständigen Inspektoren auch durch die Schüler/innen (oder ihre Eltern?) bezüglich „ihrer Fähigkeiten, die Kenntnisse aller ihrer Schüler voranzubringen“ bewertet werden. Für alle Schulen soll ihr Evaluationsbericht publik gemacht werden. Ferner soll das Privatschulwesen ausgebaut werden und künftig in allen (also auch den benachteiligten) Zonen des Staatsgebiets stärker präsent sein.

Das Wohnortprinzip bei der Einschulung -die so genannte ‚Carte scolaire’ - soll vollständig abgeschafft werden, was im Gegenzug notwendig bedeutet, dass den begehrtesten Etablissements freie Hand bei der Auswahl ihrer Schüler/innen bzw. KandidatInnen eingeräumt wird. Letztere Maßnahme, die durch die Kommission gepredigt wird, hat die amtierende Regierung von François Fillon ohnehin angekündigt und ihre Umsetzung ist für den Beginn des Schuljahres 2008/09 geplant. Die Abschaffung der ‚Carte Scolaire’ war auch eines der zentralen Wahlkampfversprechen Nicolas Sarkozys gewesen. 

- Auch alle sonstigen öffentlichen Dienste (neben dem staatlichen Bildungswesen) sollen einer ständigen Evaluation unterzogen werden, um ihre Effizienz - das bedeutet im Kern: das Verhältnis zwischen aufgewandten Mitteln und Resultat - zu bewerten. Die Ergebnisse dieser Evaluation sollen „für alle staatlichen Dienstleistungen wie Schule, Universität, Krankenhaus, Verwaltung“ öffentlich gemacht werden. Bei den dort Beschäftigten sollen durch die Einführung bzw., dort wo vorhanden, Verstärkung flexibler Gehaltsbestandteile auf kollektiver wie individueller Ebene „das Interesse“ an verbesserter Leistungsfähigkeit geweckt werden. So heißt es in dem Kommissionsbericht, „Lehrer, Staatsbediensteter oder Arzt“ sollten sowohl „durch seine Vorgesetzten als auch durch die Nutzer (der von ihm angebotenen Dienstleistung)“ bewertet werden. Daneben sollen die Karrierefortschritte durch Ansammlung von Dienstjahren eingeschränkt, und den Karrieresprüngen durch Beförderungsentscheidungen der Vorgesetzten ein stärkerer Spielraum eingeräumt werden. 

Im Namen einer verallgemeinerten Konkurrenz soll die bisherige unterste Verwaltungseinheit des Zentralstaates, in Gestalt der 1790 geschaffenen Départements, abgeschafft werden. Die wichtigste Einheit der französischen Republik (neben den Kommunen und dem Zentralstaat) wären damit künftig die Regionen. Dies wird als Abbau eines Wachstumshemmnisses bezeichnet, was dem Publikum nicht unmittelbar einsichtig sein mag. Es handelt sich aber keinesfalls um eine zufällige oder willkürliche Entscheidung. Denn im bisherigen französischen Staatsaufbau ist festgelegt, dass den Départements die Rolle der Bewahrung national einheitlicher Regeln und Bedingungen zukommt. Hingegen sind die Regionen, die im Rahmen der französischen Republik erst in den 1970er Jahren geschaffen worden sind, bislang fast ausschließlich für die Wirtschaftsförderung zuständig. Es geht also im Kern darum, ein bürokratisches Nationalstaatsmodell, das zugleich - „immerhin“ - eine relative Angleichung der Lebensbedingungen und der Verfügbarkeit öffentlicher Dienstleistungen garantiert (die aber derzeit immer relativer wird), durch ein Modell verallgemeinerter Standortkonkurrenz zu ersetzen. Dieses Vorhaben stößt freilich innerhalb der politischen Klasse, auch auf ihrem konservativen Flügel, auf erhebliche Vorbehalte, da dadurch natürliche beträchtliche politische Hausmachtspositionen geschleift würden. 

Diejenigen Berufszweige, die bislang Zugangsbeschränkungen unterliegen (um ein „Überangebot“ etwa Tafifahrer/inne/n, das dem einzelnen Taxichauffeur seine Verdienstmöglichkeit unter das lebensnotwendige Minimum abzusenken drohen würde, zu vermeiden - so jedenfalls die Grundidee), sollen zukünftig vollständig geöffnet werden. Solche Zulassungskontrollen, die zum Teil tatsächlich auf das vorkapitalistische Zunftwesen und zum Teil auf schlichte sozial-ökonomische Erforderlichkeitserwägungen zurückgehen, gelten z. Zt. neben den TaxifahrerInnen auch noch für die Eröffnung von Apotheken, für Notare, Tierärzte und (im letzteren Falle freilich sehr theoretisch) für Frisöre. Die Kommission möchte alle diese „überkommenen Privilegien“ und „Konservatismen“ abschaffen.

Der mittels Billigkompagnien abgewickelte Flugverkehr soll ausgebaut und gefördert werden. Um sich nicht den Vorwurf des Hammerangriffs auf die Umwelt zuziehen, wird auch eine Maßnahme der Ökologie gewidmet: Zehn neue Städte aus der Retorte, die neuesten ökologischen Anforderungen etwa im Hinblick auf Energieeinsparung genügen sollen und daher im Kommissionsbericht als ‚Ecopolis’ (französisch: ‚écologie’ für Ökologie) bezeichnet werden, sind durch die Kommission geplant und müssten - buchstäblich - aus dem Acker gestampft werden. 

Die Unternehmen sollen alljährlich eine Bilanz in Sachen „Diversität“ (Unterschiedlichkeit) ihrer Angestellten und Arbeiter/innen, aufgeschlüsselt nach Herkunft, Alter und Geschlecht, vorlegen. Hier finden die - ursprünglich im neuen Ausländergesetz (Loi Hortefeux) vom 20. November 2007 vorgesehenen, aber vorläufig durch das Verfassungsgericht gestoppten - ‚statistiques ethniques’ oder auf „ethnische“ Merkmale bezogenen Datenerhebungen wieder ihren Sinn. Im Hintergrund steht die Anwendung aus den USA bzw. Großbritannien kommender Konzepte zur „positiven Diskriminierung“ benachteiligter Minderheiten durch Quotierungs- und gezielte Beförderungsmaßnahmen, die jedoch eine Aufschlüsselung und Verwaltung des Personals aufgrund „ethnischer“ oder gar so genannt „rassischer“ Merkmale erfordert. Eine Entwicklung, die im Namen der Diskriminierungsbekämpfung als positives Angebot verkauft wird, jedoch unweigerlich auch ihre Schattenseite hätte und mehr Gemeinsamkeiten zur Devise ‚Teile und herrsche’ denn zum Gleichheitsprinzip aufweist… 

Die Kommission spricht sich dafür aus, „im Bereich der Wissensökonomie sowie in Sektoren unter Spannung, d.h. die Schwierigkeiten bei der Rekrutierung von Arbeitskräften antreffen“ gezielt auf eine (nach wirtschaftlichen Kriterien gesteuerte) Neuzuwanderung zurückzugreifen. Zum Teil von konservativer, und klar von rechtsextremer Seite her ist eine aus reaktionären Abschottungsmotiven resultierende Abwehrreaktion gegen diesen Vorstoß der „Attali-Kommission“ zu beobachten. 

Die bisherigen Beschränkungen für die Niederlassung von Supermärkten, die dem Schutz des Klein- und Einzelhandelns dienen sollten, müssen in den Augen der Kommission aufgehoben werden. Unter sozio-ökonomischen, aber auch urbanistischen Gesichtspunkten festgeschriebene Beschränkungsregeln für die Ansiedlung von Großsupermärkten (die etwa eher am Rande von Städten liegen sollen) würden demnach fallen. Gleichzeitig möchte die Kommission es den einzelnen Supermarktketten erlauben, nunmehr direkt mit den Anbietern von Produkten - etwa L’Oréal als Hersteller von Markenprodukten - über die Preise zu verhandeln und künftig auch den „Verkauf mit Verlust“ bei  Sonderangeboten (zwecks Gewinnung von Marktanteilen bzw. Abdrängung von Konkurrenten vom Markt) zulassen. 

Der Bezug einer Pension aus einer (öffentlichen oder privaten) Rentenkasse und die Beschäftigung in einem Lohnarbeitsverhältnis sollen künftig ohne Einschränkung miteinander kombiniert werden können. Die Kommission möchte weder altersbezogene Grenzen noch Einkommensobergrenzen (oberhalb derer die Pensionsberechtigung verringert wird) gelten lassen. Diese „Liberalität“ resultiert freilich vor allem daraus, dass jedermann sich de dacto darüber bewusst werden kann, dass mit den vergangenen und künftigen „Rentenreformen“ immer mehr Menschen im Pensionsalter ohne zusätzliche Lohnarbeit nicht über die Runden kommen können. 

Die „Kosten der Arbeit“ sollen gesenkt werden, indem ein Teil der Lohn(neben)kosten entfällt und die wegfallenden Einnahmen den Sozialkassen stattdessen über die Mehrwertsteuer (TVA) sowie durch eine steuerliche Finanzierung zugeführt werden. Dies ist nichts anderes als das Projekt einer ‚TVA sociale’, d.h. einer Erhöhung der Mehrwertsteuer zwecks Absenkung der Lohnnebenkosten für die Unternehmen - welches das Regierungslager im Juni 2007 bereits verkündet, danach aufgrund heftiger Reaktionen der öffentlichen Meinung aber vorläufig zurückgezogen bzw. auf Eis gelegt hatte. 

Ferner sollen die wichtigsten Entscheidungen auf sozialem und wirtschaftlichem Gebiet „der Verhandlung zwischen Sozialpartnern“ überlassen, und soll zugleich „der soziale Dialog modernisiert“ werden. Auch diese Entwicklung ist längst in vollem Gange (vgl. http://www.labournet.de/internationales/fr/bs_serie2.html). 

Politische und soziale Reaktionen

Auch in einem Teil des konservativen Lagers rumort es, wo insbesondere der angekündigte Wegfall der Sonderreglementierung für bestimmte Berufe (in Gestalt von Zulassungsbeschränkungen u.ä.) sowie die Abschaffung der Départements auch die eigene Klientel empfindlich zu treffen drohen. So vertritt der Abgeordnete Alain Gest (UMP) aus der nordfranzösischen Picardie die Auffassung, „die Verbindung zwischen der Abschaffung der Départements und der Wachstumsförderung“ sei „nicht so leicht nachzuvollziehen“. Hingegen äußerten sich andere Abgeordnete aus dem Regierungslagers, trotz der hinhaltenden Widerstände vieler bürgerlicher Hinterbänkler, eher positiv. So etwa der frühere Justizminister und Finanzpolitiker Pierre Méhaignerie (UMP), der die Auffassung vertritt, dass „Fortschritte“ nötig seien, „selbst in der Frage der Départements“.

Etwas heftiger fetzte sich der frühere liberal-konservative Premierminister Jean-Pierre Raffarin (2002 bis 05) mit dem Kommissionsvorsitzenden Attali. Er erklärte sich „ein bisschen enttäuscht“ über einen „halbseitig gelähmten“ (= einseitigen) Report, der „wenig neue Ideen bringe“. Fraglich ist nur, ob der Kommissionsbericht mit seinen Vorschlägen für einen Kahlschlag zu weit geht, oder nicht ratzeputz genug ausfällt, oder aber ob der Wirtschaftsliberale Raffarin sich über die Nichteinhaltung des Copyrights über die Vorschläge zu beschweren wünscht. Jacques Attali giftete jedenfalls zurück: „Monsieur Raffarin ist das Symbol des Konservativismus unseres Landes, (und) seine Art und Weise, Frankreich zu regieren, war ein Desaster.“ (Worauf sich von neoliberaler Seite her einwenden ließe, dass Premierminister Raffarin „immerhin“ im Juni/Juli 2003 die heftig umkämpfte „Rentenreform“ gegen allen Widerstreit durchsetzen konnte..) Und der wirtschaftsliberal-konservative Pariser Abgeordnete Claude Goasguen beklagte „das Heraufziehen einer Republik der Experten“, offenkundig bejammernd, dass die heftigsten „Reformvorschläge“ nunmehr der Mitgliedern einer so genannten Expertenkommission und nicht Politikern wie ihm überlassen bleiben. Seinerseits kofferte Attali zurück: „Er (Goasguen) bevorzugt vielleicht eine Republik der Schwachköpfe/Volltrottel (imbéciles). In ihr hätte er garantiert seinen Platz.“

Die sozialdemokratische Parlamentsopposition unter ihrem Parteivorsitzenden François Hollande versucht ihrerseits, an diesen internen Widersprüchen im konservativen Block den Hebel anzusetzen. Ihre Parteiführung sprach ferner von einem Report, der einer „sozialen Regression“ den Weg ebne. Umgekehrt gibt es allerdings sehr prominente Stimmen im sozialdemokratischen Lager, die sehr lautstark die Grundlinien des Abschlussbericht der „Attali-Komission“ begrüßt haben.

Die unvermeidliche Ségolène Royal, die im vergangenen Jahr als Präsidentschaftskandidatin eine Wahlkampagne unter dem Leitmotto „Dumm, Rechts und Unfähig“ durchführte (und damit gegen die Wand fuhr) und nunmehr Ambitionen zur Übernahme des Parteivorsitzes an den Tag legt, reagierte etwa mit folgenden Worten: „Frankreich benötigt Reformen. Dieser Bericht ist gemacht, um Frankreich zu helfen, und ich möchte Frankreich helfen.“ (Vgl. http://www.liberation.fr/) Ferner ermahnte die dumm-rechte Tante, pardon, die sozialdemokratische Politikerin den amtierenden Präsidenten Sarkozy, sie werde ihn streng „daran erinnern, dass er sich verpflichtet hat, ihn (den Kommissionsbericht) umzusetzen“. Das konservative Staatsoberhaupt zittert schon vor lauter Angst vor so viel entschlossener Opposition.. (Vgl. zum Zitat: http://www.lemonde.fr) Auch die ehemalige Europaministerin am Hofstaat François Mitterrand und spätere „sozialistische“ Justizministerin unter Premier Lionel Jospin, Elisabeth Guigou, fand den Report der Kommisssion „sehr stimulierend, sehr innovativ“;)! (Zitiert aus „Attali, Attila, c’est moi!“, Artikel in ‚Le Canard enchaïne’ vom 30. Januar 08. Die satirisch-investigative Wochenzeitung rückt Attali mit seinen Schlussfolgerungen über die „Wachstumshemmnisse“ der französischen Gesellschaft in die Nähe des Hunnenkönigs Attila, der vor 12 Jahrhunderten wütete. Rein sprachlich, versteht sich...) 

Präsident Nicolas Sarkozy selbst äußerte sich zunächst enthusiastisch über den Abschlussbericht der Kommission und kündigte seine baldige Umsetzung in die politische Praxis an. Im Laufe des Donnerstag, 24. Januar schränkte er dann jedoch ein, bei zwei (von insgesamt 316) Vorschlägen der Kommission habe er gewisse Vorbehalte - betreffend die Abschaffung der Départements sowie die Streichung des (ökologischen) „Vorsorgeprinzips“ aus der Verfassung. Bezüglich letzterem Vorhaben der Kommission erklärte er, dieses theoretische Prinzip bedeute ja nicht, dass man einem „Prinzip der Untätigkeit“ gehorchen müsse.

Für „Anfang Februar“ wurde ein Regierungsseminar zum Thema angekündigt. Präsident Sarkozy erklärte zugleicht, dass im Anschluss an dieses Seminar die von ihm (mittels der so genannten ‚Lettre de mission’) definierten Aufträge der einzelnen Minister entsprechend abgeändert bzw. ergänzt würden, um die Vorschläge der Kommission dort noch aufnehmen zu können. Das geplante Regierungsseminar hat am Freitag, den 1. Februar tatsächlich stattgefunden. Im Anschluss an die Tagung erklärte Premierminister François Fillon, nunmehr werde in jedem Ministerium ein „Aktionsplan“ zur Umsetzung der Vorschläge des „Attali-Reports“ ausgearbeitet und der „Dialog mit den Sozialpartnern“ solle sich in naher Zukunft an den ihn betreffenden Kapiteln des Untersuchungsberichts orientieren. (Vgl. http://www.lemonde.fr)

Unterdessen haben sich erste Widerstandspotenziale aufgetan, und zwar insbesondere in den Berufszweigen, die von Vorschlägen der Attali-Kommission zur „Dereglementierung“ betroffen sind (während auch manche Gewerkschaften wie FO, der christliche Gewerkschaftsbund CFTC und der Verband von Lehrer- und Bildungsgewerkschaft sich inzwischen verbal mit scharfer Kritik zu Wort meldete).

Das gilt insbesondere für die Taxifahrer/innen (vgl. oben für den entsprechenden Vorschlag der Kommission), die am vorigen Donnerstag, 31. Januar einen ersten „Aktionstag“ in Paris und anderen französischen Großstädten aufgerufen waren. Der Aufruf zu Aktionen wurde jedenfalls in Paris auch sehr stark befolgt: In der französischen Kapitel blockierten abgestellte, von ihren Fahrer/inne/n abgeschlossene und verlassene Taxis in einer kilometerlangen Schlange stundenlang jeglichen Verkehr von der Gare du Nord (dem Nordbahnhof) her kommend bis zur Place de la République und weiter in Richtung Place de la Nation. Der dadurch bewirkte Verkehrsstau (aber auch das dazu gehörige Aufgebot an Polizei) wirkte schon ziemlich beeindruckend. Premierminister Fillon reagierte darauf am folgenden Tag – am Ausgang des Seminars seines Kabinetts zum ‚Rapport Attali’ -, indem er ankündigte, man werde mit den Verbänden der Taxifahrer versuchen zu verfahren „wie mit den Gewerkschaften bei der Modernisierung des Arbeitsmarkts“. Im letzteren Falle hatte die Regierung mit einem gesetzgeberischen Eingriff gedroht, aber letztendlich waren es die (Mehrzahl der) Gewerkschaften selbst, die es vorzogen, mit dem Arbeitgeberlager ein „sozialpartnerschaftliches“ Abkommen zur „Modernisierung des Arbeitsmarkts“ abzuschließen – nach dem Motto: „Das Zweitschlimmste aushandeln, um das Schlimmste zu verhindern“. (Vgl. nebenstehenden Artikel zum Thema) Unterdessen haben die Verbände der Taxifahrer/innen für Mittwoch, den 6. Februar zu einem neuen Aktionstag aufgerufen.

Editorische Anmerkungen

Der Autor stellte uns seinen Text für diese Ausgabe zur Verfügung.