Niedergang der Gewerkschaften
"Nur nicht den Bogen überspannen“


von Red. Arbeiterstimme

02/08

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Der Konjunkturtrend des vergangenen Jahres hat sich 2007 bestätigt. Die Wirtschaft brummt, die Arbeitslosenzahlen gehen zurück, ja es wird sogar über Fachkräftemangel geklagt. Die Bourgeoisie und ihre Medien überschlagen sich fast vor Jubel und die Regierung vor Selbstlob. Selbst der Außenminister mischt sich ein, schließlich will er Stellvertretender Parteivorsitzender werden und meint deshalb wirtschaftspolitische Kompetenz zeigen zu müssen. Im Spiegel gibt er seine Erkenntnisse zum Besten: „Ich würde es das dritte deutsche Wirtschaftswunder nennen“. Wiederaufbau und die deutsche Wiedervereinigung waren für ihn die beiden ersten. Für das dritte ist die Politik Gerhard Schröders und dessen Agenda-Politik verantwortlich. „Darauf kann die SPD bis heute stolz sein“, meint deshalb Steinmeier.

Auch Merkel liegt stolz in der Konjunktursonne. Obwohl für sie noch vor einem Jahr Deutschland ein „Sanierungsfall“ war, ist die Welt jetzt wieder in Ordnung. Natürlich führt sie und der ganze schwarze Verein, die brummende Konjunktur auf das segensreiche Wirken ihrer Kanzlerschaft zurück. Unisono wird jetzt bei den bürgerlich-politischen Akteuren die Auffassung verlautbart, dass nun auch bei den Arbeitnehmern der Aufschwung ankommen müsse.

Offensichtlich spürt man in diesen Kreisen, dass es zwischen der realen ökonomischen Entwicklung und der realen Lage der abhängig beschäftigten Klasse einen Widerspruch gibt, der keinen geringen sozialen Sprengstoff beinhaltet. Den Kapitalisten und Reichen geht es immer besser, während es dem Rest der Bevölkerung immer schlechter, aber auf jeden Fall nicht besser geht. Auf Dauer lässt sich dieser Widerspruch weder durch die Blöd-Zeitung noch durch andere Verdummungsmedien verkleistern. Sollte es aber zu größeren sozialen Konflikten kommen, müssen diese für die Herrschenden steuerbar sein. Nicht zuletzt dazu dient jetzt die Show, die abgezogen wird. Man versucht sich auf kommenden sozialen Konflikten einzurichten und stellt sich deshalb jetzt formal an die Seite der „kleinen Leute“, um zu einem notwendigen Zeitpunkt Einfluss auf sie zu haben. Und sollte das nicht genügen, baut man die demokratischen Grundrechte noch weiter ab und stärkt den staatlichen Repressionsapparat, wie es zurzeit von Schäuble und Konsorten geplant und betrieben wird. Für die Öffentlichkeit tut die Bourgeoisie so, als wäre das jetzige Wirtschaftshoch eine nicht enden wollende Erscheinung; ein Wirtschaftswunder eben, wie Steinmeier sagt. Aber sie wissen sehr wohl, dass die momentane Konjunktur nichts anderes ist, als ein zyklisches Hoch, eine Gesetzmäßigkeit also, die in der Natur der kapitalistischen Ökonomie liegt. Und wie jedem Hochdruckgebiet ein Tief folgt, folgt der jetzigen Hochkonjunktur die Krise, unabhängig der möglichen Gefahr eines großen Crashs, ausgelöst durch die US-Immobilien- und Finanzkrise.

Es ist deshalb für uns erforderlich, die ideologischen Nebelschwaden zur Seite zu schieben und die Wirtschafts-, Job- und Konjunkturwunder einer genaueren Betrachtung zu unterziehen.

In der BRD gibt es heute, je nachdem welche Statistik zu Grunde gelegt wird, rund eine Million Arbeitslose weniger als vor einem Jahr. Und Ökonomen, sowie die Arbeitsagentur in Nürnberg, gehen davon aus, dass es noch zu einer weiteren Verringerung kommt. Allerdings bedeutet das nicht, dass in diesem Zeitraum eine Million zusätzlicher Arbeitsplätze entstanden ist. Nach der Statistik der Nürnberger Arbeitsagentur stieg die Zahl der tatsächlichen Erwerbstätigen lediglich um 550 tausend. Der Grund: viele Arbeitslose werden aus der Statistik herausgerechnet. So werden z. B. alle Menschen, die in einer Maßnahme der Agentur sind, in der Statistik nicht berücksichtig. Außerdem spielt die demographische Entwicklung eine Rolle. Viele ältere Arbeitslose wurden mit 60 Lebensjahren, mit den entsprechenden Abschlägen in die Rente gezwungen.
Unterzieht man aber die tatsächlich neu entstandenen Arbeitsplätze einer näheren Betrachtung, stellt man fest, dass rund die Hälfte davon als prekär bezeichnet werden muss. Der Löwenanteil der prekären Arbeitsplätze fällt auf Leiharbeiter-Jobs. Sie sind für die Unternehmer billiger (Leiharbeiter erhalten 20 bis 40 Prozent weniger) und können bei nachlassender Konjunktur problemlos „entsorgt“ werden.

Verantwortlich für diese Entwicklung ist die Politik. Durch die so genannten Reformen der Neoliberalen, werden heute immer mehr Menschen gezwungen, unter den miesesten Bedingungen zu arbeiten: als Leiharbeiter, befristete Beschäftigte, Scheinselbstständige, Niedriglöhner und Minijobber.

Es gibt heute bereits sieben Millionen Menschen, die für Niedriglöhne arbeiten. Dabei sind das nicht, wie es der Öffentlichkeit immer vorgegaukelt wird, Geringqualifizierte. Zwei Drittel haben eine abgeschlossene berufliche Ausbildung und zehn Prozent sind sogar Akademiker. Eine hohe Qualifikation ist heute also kein Schutz mehr vor der Arbeitslosigkeit. Ist diese und Hartz IV erst einmal Realität, entsteht der Zwang schlecht bezahlte Jobs anzunehmen, mit dem Effekt, dass die wirklich gering Qualifizierten noch weniger eine Chance haben, jemals wieder einen Arbeitsplatz zu bekommen.
Von den beschworenen Wundern kommt bei diesen Menschen also gar nichts an und bei dem Rest der Arbeiterklasse nur wenig. So sagen 36 Prozent, es gehe ihnen schlechter als im Vorjahr und rund 50 Prozent können keine Verbesserung ihrer Lage feststellen. Lediglich 12 Prozent geht es 2007 besser. Und nur ein ganz kleiner Kreis von Reichen und Superreichen fühlt sich wie im Wirtschaftswunder. Dazu gehören nicht zuletzt die Chefs der großen Aktiengesellschaften. Sie haben in den letzten fünf Jahren ihre Vorstandsbezüge verdoppelt. Ihr Jahreseinkommen liegt bei rund vier Millionen € – im Durchschnitt. Dafür müsste eine gut verdienende Verkäuferin 150 Jahre lang arbeiten!
Diese Entwicklung zeigt, wem der Aufschwung nützt und wem nicht. Trotz Superprofiten in den vergangen Jahren, stagnieren und sinken die Realeinkommen der Arbeiterklasse. So hatte 1996 ein Beschäftigter im Durchschnitt netto ein Entgelt von 1.367 € zur Verfügung. Heute sind es nur noch 1.320 €. Das, obwohl der jährlich zu verteilende gesellschaftliche Reichtum in diesem Zeitraum um 85 Milliarden Euro gestiegen ist. In die Staatskasse ist dieser Betrag nicht geflossen. Im Gegenteil! Die Steuerquote ist in dem Zeitraum deutlich gesunken, was mit die Ursache dafür ist, dass die Sozialsysteme ins Wanken kommen.
Kassiert haben alleine die Kapitalisten. Sie haben den gesamten Zuwachs der vergangenen Jahre in die eigene Tasche gesteckt und zusätzlich zu den 85 Milliarden Euro auch noch 12 Milliarden Euro von den abhängig Beschäftigten kassiert. Trotzdem sind sie immer noch nicht zufrieden. „Steuern und Sozialabgaben runter“ fordern die Unternehmerverbände und ihre Ökonomen. Tatkräftig unterstützt werden sie dabei von der Blöd-Zeitung die im September den „Nettolohn-Skandal“ entdeckte und den Versuch startete, sich mit der Forderung nach Steuersenkungen und Senkung der Sozialabgaben bei den Beschäftigten einzuschleimen. Es werden leider nicht wenige abhängig Beschäftigte der Argumentation ihrer eigentlichen Gegner folgen, weil sie nicht erkennen, dass die Senkung der Sozialbeiträge eine Lohnsenkung ist, und die Senkung der Einkommenssteuer den weiteren Abbau der Sozialleistungen bedeutet.

Die einzige Möglichkeit die Lohnstagnation und den Lohnabbau zu beenden ist, dass die Arbeiterklasse tatsächliche Entgelterhöhungen durchsetzt und für den Dumpinglohnbereich ein flächendeckender Mindestlohn eingeführt wird. Doch das ist leichter gesagt als getan. Für beides braucht man organisierte Kraft. Und diese ist im Moment nur bedingt vorhanden. Dafür gibt es objektive und subjektive Gründe. In den zurückliegenden Jahren wurden die Gewerkschaften von der Kapitaloffensive regelrecht überrollt. Massenentlassungen, Produktionsverlagerungen, Tarifflucht, Sozialabbau und Massenarbeitslosigkeit standen und stehen noch auf der Tagesordnung. Zusätzlich kam in den letzten Jahren, trotz der Export-Weltmeisterschaft der Industrie, eine unzureichende Binnenkonjunktur hinzu, was bei einer sinkenden, bzw. stagnierenden Lohnquote nicht verwunderlich ist.
Die Gewerkschaften sahen das Problem durchaus. Ihre Argumentation ging deshalb die ganzen Jahre immer in die Richtung der Notwendigkeit deutlicher Lohnerhöhungen. Argumentiert wurde dabei weniger mit der Interessenslage der Mitgliedschaft, sondern vielmehr mit der volkswirtschaftlichen Notwendigkeit, die Binnenkaufkraft zu stärken und damit die Konjunktur zum Laufen zu bringen. In der gewerkschaftlichen Praxis entstand dabei eine Diskrepanz zwischen der theoretischen Einsicht nach kräftigen Lohnerhöhungen und der konkret aufgestellten Tarifforderung. Diese blieb immer unter der theoretischen Notwendigkeit. Das führte zu dem Resultat, dass die Tarifabschlüsse schließlich brutto auf dem Niveau der Inflationsquote, bestenfalls geringfügig darüber lagen.
Dass es gegen diese Politik an der Basis nicht zu massenhafter Empörung kam, ist darauf zurückzuführen, dass die Massenarbeitslosigkeit, aber auch betrieblicher Druck auf Entgelte, Arbeitszeiten und die Arbeitsplätze selbst, ein riesiges, individuelles Bedrohungspotential darstellen, das außerordentlich disziplinierend wirkt. Die Stimmung in den Betrieben und der Mitgliedschaft war deshalb schon recht mies und wurde durch unzureichende Tarifabschlüsse natürlich nicht besser. Um dem aber entgegenzuwirken, wurden die Abschlüsse immer schön geredet und gerechnet. Das gilt auch aktuell. Der Tarifabschluss in der ME-Industrie in diesem Jahr ist ein anschauliches Beispiel dafür. Doch dazu später.

Als die Blöd-Zeitung im Auftrag der Kapitalisten den „Nettolohnskandal“ aufdeckte und die Forderung nach weiteren Steuersenkungen platzierte, um innerhalb der Arbeiterklasse Unterstützung dafür zu bekommen, fühlte sich besonders Müntefering ungerecht behandelt. Empört wies er die Anschuldigungen zurück. Die Löhne seien auch real deutlich gestiegen, zwar nicht so stark wie die Produktivität, aber sie seien gestiegen. Das würde die heutige Konjunktur beweisen, meinte Müntefering. Insbesondere die Tarifrunden 2006 und 2007 hätten deutliche Kaufkraftzuwächse gebracht, was man an der Binnenkonjunktur feststellen könne. Diese These wird so auch weithin von der bürgerlichen Politik, ihren Medien und Ökonomen vertreten. Sie ist aber bei näherer Betrachtung nicht mehr als eine Legende.
In den vergangenen zwei Jahren konnte nur die IG Metall und die IGBCE Entgelterhöhungen durchsetzen, die über der Inflationsquote lagen. Im Jahr 2006 lag die Steigerung im Zuständigkeitsbereich dieser beiden Gewerkschaften bei ungefähr drei Prozent. Die Steigerung der Einkommen in allen Branchen, also inklusive des Metall- und Chemiebereichs, lag bei 2 Prozent. Das heißt, dass die Entgeltzuwächse bei der Mehrheit der Arbeiter und Angestellten zum Teil deutlich unter der Inflationsrate lagen und dadurch die Reallöhne gesunken sind. Lediglich in den exportorientierten Branchen kam es zu Bruttoerhöhungen, die über der Inflationsquote lagen. Aber auch hier kam es nicht zu einer realen Verbesserung. Das „Mehr“ im Geldbeutel wurde und wird durch die so genannten Reformen und Steuererhöhungen wieder aufgefressen, z. B. durch die MWSt-Erhöhung, durch die Gesundheitsreform, oder den Wegfall der Pendlerpauschale.

Trotzdem sprechen nicht nur bürgerliche, sondern auch gewerkschaftsnahe Ökonomen von einer Trendwende. Das hört und glaubt man in den Gewerkschaftsvorständen natürlich gerne. Und man will dort subjektiv auch eine solche Trendwende. Man weiß dort, dass nur durch materielle gewerkschaftliche Erfolge der rapide Mitgliederschwund gestoppt und damit die Organisationen stabilisiert werden können. „Jetzt sind die Arbeitnehmer dran“, meint im Frühjahr dieses Jahres Jürgen Peters von der IG Metall. Und DGB-Sommer hat wegen der guten Konjunktur das Jahr 2007 zum „Jahr der Arbeitnehmer“ ausgerufen.
Der IG Metall-Vorstand hat dann Anfang Februar den Tarifkommissionen empfohlen eine Forderung von 6,5 Prozent mehr Geld bei einer 12monatigen Laufzeit des Tarifvertrags aufzustellen. Der IG Metall-Vize Bertold Huber begründete in der Metallzeitung die Forderung so: „Wir bewerten, wie die gesamtwirtschaftliche Entwicklung ist und wir bewerten, wie es der Branche geht. Beides ist hervorragend. Wir haben eine stabile wirtschaftliche Aufwärtsbewegung. Die Produktivität der Metall- und Elektrobranche soll in 2007 um etwa 4,5 bis 5,5 Prozent steigen. Das sind gute Bedingungen für eine angemessene Entgeltforderung: nämlich 6,5 Prozent“. Geht man von einer durchschnittlichen Produktivitätssteigerung von 5,5 Prozent und einer Inflationsrate von 2,5 Prozent aus, hätte die IG Metall in diesem Jahr eine Entgelterhöhung von 8,5 Prozent durchsetzen(!) müssen. Das wäre dann noch immer eine so genannte verteilungspolitisch neutrale Erhöhung gewesen. Das heißt, bei einer solchen Erhöhung, wäre für die Kapitalisten der einbehaltene Mehrwert aus der Arbeit der Beschäftigten gegenüber dem Vorjahr unverändert geblieben. Es wäre also zu keiner, wie das in den Gewerkschaften zu früheren Zeiten immer genannt wurde, Umverteilung zugunsten der Werktätigen gekommen. Huber hat in seiner Begründung ein solches Element stillschweigend fallen lassen. Dabei war in der Vergangenheit ganzen Generationen von Gewerkschaftsfunktionären beigebracht worden, wie Forderungen aufgestellt werden: nämlich aus der Berücksichtigung der Inflationsrate plus der Produktivitätssteigerung und einem Umverteilungsbeitrag. Dass dieser Umverteilungsbeitrag von Huber nicht erwähnt wurde, ist kein Zufall. Es entspricht der Praxis aller Gewerkschaften in den vergangenen Jahren, mit der man die Behauptung der Kapitalisten stillschweigend anerkennt, wonach die deutsche Industrie aufgrund der hohen Löhne ein „Wettbewerbsproblem“ habe.
Sicher ist es so, dass in den zurückliegenden Jahren, hohe, an der Interessenslage der Mitgliedschaft ausgerichtete Forderungen, aufgrund der gewerkschaftspolitischen Kräfteverhältnisse schwierig durchzusetzen gewesen wären.

Aber es muss schon die Frage gestellt werden, warum bei der jetzigen Konjunkturlage selbst die Forderung unter dem verteilungsneutralen Rahmen bleibt. Wann, wenn nicht jetzt können von den Kapitalisten erzwungene Lohneinbußen ausgeglichen werden?
In „Metall“ wird dann Huber gefragt: „Will die IG Metall dieses Jahr auch einen Ausgleich für die höhere MWSt. fordern?“. Darauf Huber: „Nein, politische Entscheidungen haben auf die Höhe unserer Tarifforderung keinen Einfluss“. Welche Naivität, oder vielleicht besser gesagt, welche Durchtriebenheit! Gerade von den Gewerkschaften, auch von Huber, wird die Umverteilungspolitik der Bundesregierung zugunsten der Kapitalisten angeprangert. Und dann sollen politische Entscheidungen, bei denen die Arbeiterklasse zur Kasse gebeten wird, keine Rolle spielen?

20 Milliarden € werden durch die MWSt.-Erhöhung, hauptsächlich den abhängig Beschäftigten abgeknöpft. Gleichzeitig ist für neue Steuergeschenke an die Unternehmer Geld da. Mit der so genannten Unternehmenssteuerreform werden den Kapitalisten 10 Milliarden Euro, das ist die Hälfte dieser Steuereinnahmen, hinten rein geblasen. Aber für Huber spielt das keine Rolle!

8,5 Prozent bräuchten die Beschäftigten also, um alleine den Status Quo zu halten. 6,5 Prozent wurden gefordert und 4,1 Prozent standen schließlich auf dem Papier. Und das, obwohl die Konzerne geradezu im Geld schwimmen.

Am 3. Mai kam es zum Abschluss im IG Metall Bezirk Stuttgart. Es ist ein verschachtelter Abschluss, der der Mitgliedschaft die eigene Begrenztheit verschleiert, und der Führung ermöglicht, voll des Lobes darüber zu sein. „Geschafft! Jetzt kommt dickes Plus in die Tüte“, betitelten die metallnachrichten das Tarifergebnis. Aber so dick ist das Ergebnis bei Leibe nicht! Es sind nur optisch 4,1 Prozent.

Der Abschluss setzt sich im Wesentlichen folgendermaßen zusammen: Die Monate April und Mai sind Nullmonate, für sie wird ein Einmalbetrag von 400.- € gezahlt. Ab Juni erhöhen sich die Entgelte um 4,1 Prozent und im nächsten Jahr ab Juni um weitere 1,7 Prozent (tabellenwirksam). Hinzu kommt im nächsten Jahr eine Einmalzahlung von 3,98 Prozent für die fünf Monate Juni bis Oktober, die aber ebenfalls nicht in die Tabelle eingehen. Die Gesamtlaufzeit beträgt 19 Monate. Lässt man also den Konjunkturbonus von diesem und dem nächsten Jahr beiseite, so muss man in Übereinstimmung mit Gesamtmetall folgende Rechnung aufmachen: Für die ersten 14 Monate sind es auf´s Jahr umgerechnet 3,51 Prozent. Hierauf addieren sich dann die 1,7 Prozent und wir sind somit bei 5,21 Prozent für die 19 Monate. Auf´s Jahr umgerechnet sind das also 3,29 Prozent (Gesamtmetall erklärt seine Rechnung nicht, kommt aber offiziell auf 3,3 Prozent).
Angesichts der wirtschaftlichen Lage in der ME-Branche also ein äußerst bescheidener Abschluss. Dabei waren, wie schon bemerkt, die gesamten Rahmenbedingungen für die IG Metall so gut, wie schon lange nicht mehr. Schon vor dem Auslaufen der Friedenspflicht gab es Bewegung in den Betrieben. Es kam zu diversen Kundgebungen und die Stimmung war gut. Das spürten auch die Vertreter von Südwestmetall und Hessenmetall, die sich den Demonstranten vor den Verhandlungslokalen stellten. Die ab dem 29. April angelaufene Warnstreikwelle machte dann ausreichend deutlich, dass gehörig Dampf im Kessel war.
Aber schon am Mittwoch, dem 2. Mai, wurde in Funktionärskreisen bekannt, dass sowohl Kannegießer von Gesamtmetall, wie auch Peters und Huber vom IGM-Vorstand zum Verhandlungsort nach Stuttgart reisen würden, um hinter den Kulissen den Abschluss zu erleichtern. Genau genommen hatte es bis zur Entscheidung, dass man sich einigen will, also nur drei Warnstreiktage gegeben. So schnell ist seit vielen Jahren nicht mehr abgeschlossen worden. Es muss daher gefragt werden, warum die IGM-Führung trotz der hervorragenden Voraussetzungen, den vorhandenen Rahmen nicht ausgeschöpft hat. Was waren aus ihrer Sicht die Gründe, auf die Kapitalisten Rücksicht zu nehmen? Das Wissen über die ökonomische Lage lag schließlich vor, die Kenntnis über die Mobilisierungsfähigkeit der Mitgliedschaft ebenfalls.

Der Grund des Zauderns und der Zurückhaltung ist vermutlich in der zunehmenden Schwäche der IGM, wie auch aller anderen Gewerkschaften zu suchen. Die seit Jahren rückläufige Tarifbindung hat inzwischen deutliche Spuren hinterlassen. 1995 wurden nach einer Untersuchung der Hans-Böckler-Stiftung noch 66,5 Prozent der Beschäftigten von Tarifverträgen erfasst. 2004 waren es nur noch 52,1 Prozent, bei weiter abnehmender Tendenz. Bei Arbeitern sank die Bindung besonders stark. Von 87,4 auf 71,7 Prozent. Während der Tarifrunde drohte der Verbandschef von Gesamtmetall, Kannegießer, offen mit der Verbandsflucht seiner Mitgliedsbetriebe. Er wollte die Möglichkeit zur Lohnsenkung durch tarifliche Öffnungsklauseln. Komme es dazu nicht, und die IG Metall streike, so Kannegießer, so hätte das erodierende Folgen, sowohl für die Tarifmacht der IG Metall, als auch für seinen Verband. Ihm würden dann die Mitglieder davon laufen (und der IGM der Verhandlungspartner). Das war glatte Erpressung. Bei Gesamtmetall weiß man natürlich, dass abnehmende Tarifbindung direkten Einfluss auf die Mitgliederentwicklung der Gewerkschaft hat. Und zu Recht fürchtet man in den Gewerkschaftsvorständen nichts mehr als das. In ihrer sozialpartnerschaftlichen Beschränktheit, sind die Gewerkschaften deshalb für solche Erpressungen offen. Besonders im Osten haben hier alle Gewerkschaften in den zurückliegenden Jahren einschneidende Erfahrungen gemacht. So sind beispielsweise in Sachsen heute nur noch wenige Betriebe tarifgebunden. Dabei handelt es sich nicht nur um kleinere Betriebe (dort gibt es fast ausnahmslos keine Tarifbindung mehr), sondern auch um Großbetriebe. So hat die Dresdner Halbleiterindustrie, AMD und Infineon, mit rund 7000 Beschäftigten keine Tarifbindung.
Am Anfang dieser Entwicklung, die auf 1993 datiert werden kann, kündigte die IG Metall noch vollmundig den Häuserkampf an. Aber nirgendwo konnte der erfolgreich geführt werden. Dort, wo es trotzdem zu einem Anerkennungs-, oder Haustarifvertrag kam, lag das nicht an der Kampfkraft der Belegschaft, sondern vielmehr an dem „guten Willen“ des Unternehmers, der aus welchen Gründen auch immer, eine Tarifbindung wollte.
In dieser Konstellation ist letzten Endes auch die Streikniederlage der IG Metall, beim Kampf um die 35-Stunden-Woche im Jahr 2003 zu suchen. Es gab nicht genügend Betriebe, die hätten in die Auseinandersetzung geführt werden können.

Die generell abnehmende Tarifbindung ist keine zufällige Erscheinung, sondern das Ergebnis des taktischen Vorgehens der Unternehmerverbände zur Schwächung der Gewerkschaften. So gibt es heute im Metallbereich fast überall, neben den Tarifverbänden, so genannte OT-Verbände (ohne Tarifvertrag), die nicht selten in Personalunion geführt werden. Damit Unternehmen noch während einer Tarifbewegung sich der Wirkung eines Tarifvertrags entziehen können, haben die Tarifverbände durch Satzungsänderungen ihren Mitgliedern ermöglicht, von Heute auf Morgen den Verband zu wechseln .

„Nur nicht den Bogen überspannen“, scheint deshalb die Devise der IGM-Führung, aber nicht nur der, zu sein. Die Erfolge der Gewerkschaften nach 1945 sind weniger in Klassenauseinandersetzung, als vielmehr in der Klassenkooperation zustande gekommen. Die Gewerkschaften verstehen sich deshalb heute noch immer als „Gestalter“. Gestalter der Arbeitswelt sowie der Wirtschaft. Dieses deutsche Modell hat auch lange funktioniert. Seit der neoliberalen Umgestaltung der BRD, halten sich die Kapitalisten aber immer weniger an die alten Spielregeln.

In den Gewerkschaftsvorständen will man aber krampfhaft an diesen festhalten, weil man sich durchaus der Konsequenzen, die sich aus der Realität ergeben bewusst ist.
Damit aber kommen sie in eine schwierige Lage, denn der Spagat zwischen der Arbeiterklasse und der Bourgeoisie gelingt nicht. Der Versuch geht immer mehr zu Lasten einer Partei. Und die Bourgeoisie ist das nicht!

Die Politik der Rücksichtnahme wird scheitern. Die Hoffnung von dem Gegner akzeptiert und geschont zu werden, ist illusionär. Die Gewerkschaften verlieren mit dieser Politik an Respekt und werden für die Kapitalisten kalkulierbar. Sie sägen sich letzten Endes den Ast ab, auf dem sie sitzen. Die Folgen zeigen sich schon heute: Das Ansehen in den Betrieben sinkt und durch die ungenügende Interessenwahrnehmung baut sich nachhaltig ein Frust auf, der langfristig zur Handlungsunfähigkeit der IG Metall in ihrem wichtigsten Bereich, der ME-Industrie, führen kann, wie das in anderen Segmenten bereits heute schon der Fall ist.

Spätestens im kommenden Jahr, wenn es nur eine Entgelterhöhung von 1,7 Prozent gibt, die Profite der Konzerne aber überborden, werden viele Belegschaften erkennen, dass der Trend der vergangenen Jahre auch in Zeiten der angeblichen Trendwende fortgesetzt wird. Nämlich weiterer Reallohnabbau!

In der ME-Industrie erhält dieser Trend für viele Beschäftigten einen zusätzlichen Schub. Zurzeit wird in den Betrieben nämlich der in den vergangenen Jahren abgeschlossene Entgeltrahmen-Tarifvertrag (ERA) eingeführt und besonders in den gut organisierten Großbetrieben gibt es unter den Belegschaften viel Ärger, Wut und Frust. Schuld daran ist ERA. Der ERA geht auf das Jahr 2002 zurück. Die IG Metall schloss damals in der ME-Industrie diesen Vertrag ab und erreichte, dass dadurch Arbeiter und Angestellte gleichgestellt sind, d.h. die Eingruppierungen erfolgen für alle nach den gleichen Kriterien.
Der Vertrag wurde gelobt über den grünen Klee. So meinte Huber: Vor allem sei endlich die Gleichstellung von Arbeitern und Angestellten gelungen. Damit sei „die Korrektur einer seit der Bismarck´schen Sozialgesetzgebung prägenden Unterscheidung der Klassen und Schichten der Gesellschaft“ erreicht. Der ERA-Tarifvertrag sei folglich „nicht nur ein tarifpolitisches, sondern ein gesellschaftspolitisches Reformwerk“. Dass ERA Geld kostet, war der IG Metall klar. Die Unternehmer waren nur bereit über einen solchen Vertrag zu verhandeln, wenn er für sie kostenneutral sei. Das hatte die IG Metall akzeptiert. Damit Spielraum für neue Auf- und Abgruppierungen entstand, musste man von der Gesamtlohnsumme für die Unternehmer etwas abziehen und in einem ERA-Topf belassen. Das wurde durch eine Entgeltabsenkung erreicht, d.h. 2,79 Prozent wurden nach mehreren Tarifrunden nicht tabellenwirksam. Seit dem 1. Januar 2007 ist die Entgeltlinie 2,79 Prozent niedriger, als sie es wäre, gäbe es keinen ERA.

Die IG Metall hat von ERA erwartet, dass es insgesamt zu einer deutlichen Anhebung der Entgelte kommt. Und man kann es jetzt gar nicht fassen, was die Unternehmer daraus machen. In einem Schreiben an seine Mitglieder bezeichnet der Unternehmerverband Südwestmetall den ERA als „einmalige, geradezu historische Chance“, denn in der Regel würden die Unternehmen heute viel zu hohe Tariflöhne zahlen. So „beruhen mehr als zehn Prozent der Tarifentgelte auf Fehlanwendungen der Tarifverträge“. Mit dem ERA könnten also die zu hohen Löhne gesenkt werden und die „verloren gegangene Personalkostenflexibilität“ zurückgewonnen werden. Und das wird jetzt massiv getan.

So wird berichtet, dass beispielsweise in Betrieben wie Siemens, Daimler und Alstom, Arbeiter und Angestellte in Einzelfällen zwischen 300 und 1500 Euro im Monat verlieren. Vor allem die Angestellten in den Verwaltungen trifft es hart.

In Arbeiterkreisen wird das manchmal durchaus mit Sympathie gesehen. Waren es doch in der Vergangenheit die Angestellten, die sich in Tarifbewegungen vornehm zurück hielten und die Arbeiter für sich kämpfen ließen. Doch diese Sympathie hält sich in Grenzen, denn es trifft auch sehr viele Arbeiter. Hauptsächlich in den großen Konzernbetrieben wird zurzeit massiv abgruppiert. Also ausgerechnet in den Betrieben, wo die IG Metall mitgliederstark und damit auch kampfstark ist.

Dort wurde in der Vergangenheit besser eingruppiert als in vielen mittleren und kleinen Betrieben. Aufgrund der gewerkschaftlichen Kampfkraft und Stärke mussten die Unternehmer in Eingruppierungsfragen häufig „Zugeständnisse“ machen, beziehungsweise waren sie das Ergebnis sozialpartnerschaftlicher Mauscheleien. Das Kräfteverhältnis zwischen Kapital und Arbeit hat sich aber inzwischen verschoben. Die Kapitalisten müssen heute keine Zugeständnisse mehr machen. So wird der ERA-Tarifvertrag zum idealen Hebel mit diesen Zugeständnissen aufzuräumen. Ein Tarifvertrag ist bindend und in der Lohnfindungsregelung nur schwer revidierbar. Schon gar nicht auf die Schnelle!
Die Belegschaften in der Branche sind allerdings nicht gleicher Maßen betroffen. Dort nämlich, wo in der Vergangenheit aufgrund gewerkschaftlicher Schwäche und inkonsequenter BR-Arbeit schlecht eingruppiert worden war, verändert sich durch die Neueingruppierungen weniger zum Negativen. Im Gegenteil! In manchen Bereichen kommt es, vor allem bei den Arbeitern, zu deutlichen Entgelterhöhungen.

Aber stärker werden solche Belegschaften durch das gewerkschaftliche „Geschenk“ auch nicht. Eintritte aufgrund des gestiegenen Einkommens sind selten. In den kampfstarken Betrieben aber verliert die Gewerkschaft weiter an Ansehen und die Mitgliederbindung nimmt ab. Eine verhängnisvolle Entwicklung, die leider alle Gewerkschaften betrifft. Die Zahl der Mitglieder der DGB-Gewerkschaften ist seit 1990 um fast 45 Prozent geschrumpft. In manchen Gewerkschaften äußerst drastisch: so hat beispielsweise Ver.di rund die Hälfte seiner Mitglieder verloren. Die Verluste in der Krisenbranche Bau sind sogar noch höher. Manche Einzelgewerkschaften sind inzwischen so schwach, dass ihre Handlungsfähigkeit nur noch bedingt vorhanden ist. Nicht weniger verhängnisvoll ist die Reaktion der Gewerkschaften auf diese Entwicklung. In der UZ schreibt im September Hans-Jürgen Urban von der Grundsatzabteilung der IG Metall: „Zunehmende Mitgliederbindung und Ansätze einer wieder erfolgreichen Interessenpolitik scheinen eher mit offensiven, konfliktbereiten und auf Mitgliedermobilisierung setzende Strategien einherzugehen“.

Welche Erkenntnis! Aber sie ist richtig und die Praxis beweist, dass sie stimmt.
Trotz der Kenntnis verfolgt man in den Gewerkschaften die gegenteilige Linie. Klassenkooperation statt Klassenkampf steht auf der Tagesordnung und die Mitgliedschaft versucht man mit kleinen zusätzlichen Vorteilen (Urlaubs- u. Einkaufsmöglichkeiten und anderem „Dienstleister“-Schnickschnack) an die Organisation zu binden. Augenfällig wurde das bei den Aktionen gegen die Rente mit 67. Immerhin hatten die IG Metall und Ver.di zu politischen Warnstreiks dagegen aufgerufen. Bis Ende Januar nahmen sich mehr als 300.000 das Recht auf politischen Streik. Bei allen anderen Gewerkschaften herrschte Funkstille. Offensichtlich wollte man nicht, aber vielfach konnte man auch nicht. Und was folgte dann? Nachdem der Bundestag das Gesetz beschlossen hatte, war es aus mit den Protesten. Allerdings war schon vorher Sommer zurückgerudert: „Reine Oppositionspolitik bringt uns nicht weiter“. Und der zukünftige IG Metall Vorsitzende Huber meinte, dass man „nicht grundsätzlich gegen die Anhebung des Renteneintrittsalters opponieren kann“, nur müssten es die Arbeitnehmer gesund erreichen können.

Wie mögen solche Äußerungen in den Ohren der Streikenden wohl geklungen haben? Mehr als 80 Prozent der Bevölkerung lehnt die Rente mit 67 ab. Und führende Gewerkschaftsfunktionäre schwenken auf Regierungskurs ein. Eine verantwortungslose Politik gegenüber der eigenen Mitgliedschaft und der Arbeiterklasse! Doch neu ist diese Verhaltensweise der Gewerkschaften nicht. Der Widerstand gegen die Agenda-Politik und Sozialabbau ist ähnlich kläglich verlaufen. Trotz der Ankündigung von weiteren Aktionen und Widerstand wurden sowohl 2004 als auch 2006 die Fahnen sang- und klanglos eingerollt. Das, obwohl man auch hier die Bevölkerung und die Beschäftigten hinter sich hatte.

Nicht anders läuft es bei der Bahnprivatisierung. Eine breite Bevölkerungsmehrheit (72%) und die Bahnbelegschaft sowieso, ist dagegen, dass das Bahnvermögen an das Privatkapital verscherbelt wird. Offiziell auch der DGB. Doch die zuständige Gewerkschaft Transnet schert aus, kungelt mit dem Bahn-Vorstand und treibt mit diesem gemeinsam die Privatisierung voran. Ein Paradebeispiel „gewerkschaftlicher Interessenvertretung“! Alleine die GDL stört mit ihren Forderungen die Harmonie. Abgesehen davon, dass die Arbeitskampfführung der GDL äußerst dilettantistisch ist, führt sie vor, welche Macht durch das organisierte Vorgehen der Bahnbeschäftigten entwickelt werden könnte. Mit der Rückendeckung der Bevölkerung wäre es Transnet möglich, diese Privatisierung die letztendlich zu weiterem Arbeitsplatzabbau führt, zu verhindern. Aber auch hier trotzdem Kooperation statt Konfrontation.

Die Gewerkschaften werden durch diese Politik der Anpassung und Kooperation mit dem Klassengegner immer stärker in die Defensive gedrängt. Die Folge ist, dass sie eine Niederlage nach der anderen erleiden. Besonders Ver.di trifft es hart. Der Streik im öffentlichen Dienst 2006 war eine Niederlage. Ihm folgte der Telekom-Streik. Zwar konnten dort einige Zumutungen der Telekom-Geschäftsführung abgemildert werden, aber in der Hauptsache hat sich der Konzern durchgesetzt. Ausgliederungen, Entgeltkürzungen, Verlängerung der Wochen-Arbeitszeit sind jetzt tariflich vereinbart. Niederlagen gibt es auch im Organisationsbereich der IG Metall. Eine zeichnet sich aktuell im Kfz-Handwerk ab. Dort haben die Unternehmer keine Lust mehr auf Tarifverträge. Der Zentralverband des Kfz-Gewerbes hat seinen Landesinnungsbetrieben empfohlen aus der Tarifpolitik auszusteigen. Auf einer Konferenz zu dem Thema meinte Huber: „Zu einem stabilen Flächentarifvertrag gibt es keine Alternative“. Hier irrt sich der Kollege Huber. Für die Kapitalisten gibt es eine: nämlich gar keinen TV. Und diese Strategie wird aufgehen. Aufgrund der organisatorischen Schwäche in dem Handwerksbereich wird es kaum möglich sein, kampfweise den Flächentarifvertrag durchzusetzen. Damit reiht sich dann das Kfz-Handwerk in die anderen Handwerksbereiche ein, für die schon lange nicht mehr Tariferhöhungen durchgesetzt werden konnten (z.B Elektrohandwerk, Metallhandwerk).
Auch die Auseinandersetzungen um die so genannten Sozialtarifverträge, wie bei der AEG in Nürnberg, bei CNH und BSH in Berlin und anderen, endeten trotz dem mutigen und fantasievollen Kampf der Belegschaften objektiv in Niederlagen. Nirgends ist es gelungen eine Betriebsschließung zu verhindern. Es wurden zwar hohe Abfindungen und soziale Regelungen vereinbart, aber in der Hauptsache setzten sich auch dort die Kapitaleigner durch.

Es ist schwer zu sagen, wo diese Entwicklung endet. Die Werktätigen machen täglich negative Erfahrungen. Sie werden vom Kapital mit Arbeitsplatzverlust und damit mit dem Verlust ihrer Existenzgrundlage bedroht. Sie werden erpresst und zu Mehrarbeit und Lohnverzicht gezwungen. Ihre soziale Lage verschlechtert sich immer mehr durch die Politik der Regierung. Gleichzeitig werden die Konzerne immer fetter und mächtiger und die Reichen wissen nicht mehr, wohin mit ihrem Geld. Scheinbar kann man nichts gegen diese Entwicklung tun. Wie einer Naturgewalt steht man ohnmächtig dieser gegenüber. Da stellt sich Frust und auch Resignation ein, was Auswirkungen auf die Organisationen hat, die ihre Schutzmacht sind. Es herrscht eine allgemeine Orientierungslosigkeit, welche die Gewerkschaftsführung mit ihrer zaudernden und inkonsequenten Politik noch verstärkt. Der weitere Niedergang scheint vorprogrammiert.

Auf der anderen Seite entsteht aber auch Wut und eine Stimmung, dagegen etwas tun zu wollen. Der Unmut in den Betrieben über die anhaltenden Angriffe und Verschlechterungen auf allen Gebieten ist gewaltig. In den industriellen Kernbereichen folgen deshalb – trotz des sinkenden Ansehens der Gewerkschaften – die Werktätigen noch immer deren Aufrufen zu Aktionen. Gezeigt hat sich das bei den Streiks gegen die Rente mit 67, den Warnstreiks im Zusammenhang mit Tarifverhandlungen und anderen betrieblichen Aktionen. Das Potenzial zum Widerstand ist also da.

Dass generell eine Stimmung in der Bevölkerung vorhanden ist, die Einwirkungsmöglichkeiten für linke Politik bietet, zeigen auch diverse Meinungsumfragen. So sind nach einer Umfrage der „ZEIT“ 68 Prozent für die Einführung von Mindestlöhnen; 72 Prozent meinen, die Regierung mache zu wenig für die soziale Gerechtigkeit; 82 Prozent wollen die Rente mit 67 wieder abgeschafft sehen; 70 Prozent sind gegen die Privatisierung von Staatsbesitz und immerhin meinen 46 Prozent, die Macht der Gewerkschaften sei eher zu klein als zu groß.

Nun sind Meinungsumfragen das Eine, das aktive politische Handeln der Menschen das Andere. Trotzdem zeigt das Bild, dass ein weiterer Niedergang der Gewerkschaften und sozialen Errungenschaften nicht sein muss. Die Voraussetzungen für Widerstand sind vorhanden. Es ist allerdings nicht zu erwarten, dass sie aktuell von den Gewerkschaftsspitzen im Sinne eines politischen Richtungswechsels genutzt werden. Eingeleitet werden kann ein solcher Prozess nur von unten. Zwar sind Anfänge einer Vernetzung der Gewerkschaftslinken gemacht. Aber sie ist im Moment noch nicht stark genug, um tatsächlich Einfluss auf die Politikrichtung der Gewerkschaften zu nehmen. Allenfalls gelingt das punktuell.

Es ist deshalb leider davon auszugehen, dass der Verfallsprozess der Gewerkschaften vorerst weitergeht.

Editorische Anmerkungen

Wir spiegelten den Text von der Website der ARBEITERSTIMME