Horst Stowasser,  Anarchie!
Unverdauliches Theoriegebräu

von Peter Nowak

02/08

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Der große Stowasser wird das Buch gelegentlich  genannt. Was den Umfang angeht, tritt dieses Etikett auf jeden Fall zu. Auf 512 Seiten hat der Verfasser seine ganz persönliche Geschichte des Anarchismus ausgebreitet und mit ca. 200 Fotos illustriert. 

Inhaltlich trifft das Urteil leider nur bedingt zu. Der zweite Teil, in dem Stowasser der Geschichte der anarchistischen Bewegung von der Urgesellschaft bis in die Gegenwart nachzeichnet, ist spannend geschrieben und bietet viele interessante Informationen. Allerdings hält Stowassers krampfhaftes Bemühen die Spuren des Anarchismus bis in der Urgesellschaft zu verfolgen, keiner wissenschaftlichen Prüfung stand. Da verliert er sich  in mythischen Geraune von der „Mama Anarchija dem weiblichen Urgrund der  Freiheit“.

Hätte sich Stowasser auf den historischen Teil beschränkt, wäre es ein mit Einschränkungen interessantes Buch geworden.   Doch leider beglückt er  uns im ersten  und dritten  Teil  mit langatmigen Welterklärungen. Damit will er uns seinen Zugang zum Anarchismus näher bringen. Das aber ist gründlich misslungen.  Es fehlt ein roter Faden und  häufige Wiederholungen heben auch nicht gerade das Lesevergnügen. Daneben gibt es viele Fehler. So wird aus dem Begründer der italienischen Kommunistischen Partei bei Stowasser ein Anarchist. 

Politisch beschränkt sich sein Anarchismusverständnis auf den Kampf gegen den Staat. Bei einem Vertreter des sogenannten Projekteanarchismus hat diese Staatskritik durchaus ihre problematische Seiten. Denn die  vielen anarchistischen Betriebe, Läden und Initiativen, die nach den Vorstellungen dieser anarchistischen Strömung die Keimzeilen einer freien Gesellschaft werden sollen, arbeiten und wirtschaften natürlich im Hier und Jetzt. Da kann sich die antistaatliche Gesinnung auch schnell im Kampf gegen geregelte Arbeitszeiten und Schutzrechte für die Beschäftigten ausdrücken. 

Die Perspektive der kleinen Warenproduzenten 

Bei aller Kritik sollten wir allerdings nicht vergessen, dass sich bei Stowassers Buch eigentlich ganz gut zeigt, dass Marx mit seiner     Theorie so falsch nicht lag. Der Projekteanarchismus, wie ihn Stowasser vertritt, kommt am ehesten dem Anarchismus der kleinen Warenproduzenten nahe, den Marx kritisierte. Er verallgemeinerte allerdings und meinte, damit jegliche anarchistischen Ansätze aburteilen zu können. Doch bei Stowasser zeigt sich, dass eben die ProjektemacherInnen, mögen sie subjektiv auch noch so politische      Ansätze haben, am Ende doch nur damit beschäftigt sind, ihren Laden am Laufen zu halten und einigermaßen über die Runden zu kommen. Daraus entwickelt sich eine konservative Haltung, bei der junge Antifas dann schon mal den Nazis in ihren Methoden ähnlich werden, wie   Stowasser behauptet. Man wird so konservative, das sman aus sich gegen eine Verwendung des großes „I“ als Zeichen einer nichtpatriarchalen  Schreibweise mit der Begründung sträubt, das wäre ein „permanentes Bewusstseinsbekenntnis“  und   dabei sogar heftige Konflikte im Zusammenleben mit den eigenen GenossInnen in Kauf nimmt.   

Anarchistische Totalitarismustheorie

Stowasser setzt sich auch  nicht kritisch mit den problematischen Punkten der anarchistischen   Geschichte auseinander. So erwähnt er zwar, dass der anarchistische Theoretiker Joseph Proudhon Hasstiraden gegen die Juden schrieb. Doch   dass auch Proudhon Wirtschaftstheorie, die im Zins und Wucher das Übel sieht, strukturell antisemitische   Züge hat, mag Stowasser nicht erkennen. Dabei hätte er auf umfangreiche anarchistische Texte, z.B. von Horst Blume zurückgreifen können.

Natürlich ist die kommunismuskritische Haltung bei einem Anarchisten selbstverständlich. Doch auch hier  lässt  Stowasser  jegliche Differenzierung vermissen. Dass in Spanien Tausende Linkskommunisten  gemeinsam mit den Anarchisten kämpften, wird gar nicht erwähnt. Dafür bietet Stowasser eine anarchistische Version der Totalitarismustheorie, wenn er die Weimarer Republik im Würgegriff von Stalinisten und Faschisten untergehen lässt.  Solche totalitarismustheoretische Anklänge ziehen sich durch das Buch.

Ist der Anarchismus noch zu retten? Fragt Stowasser im letzten Kapitel. Wohl kaum mit dem Theoriegebräu, dass uns Stowasser als Anarchismus auftischt. Aber zum Glück ist die Debatte innerhalb der anarchistischen Bewegung da weiter. Auch dort wird um eine emanzipatorische Perspektive für eine Gesellschaft jenseits von Staat und Kapitalverwertung gerungen.

 

Horst Stowasser,  Anarchie! Idee – Geschichte – Perspektiven, Hamburg 2007, Nautilus Verlag, Großformatige Broschur, 512 Seiten  24,90 €, ISBN 978-3-89401-537-4

Editorische Anmerkungen

Den Text erhielten wir vom Autor zur Veröffentlichung in dieser Ausgabe.