Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Ein Jahr nach dem Anti-CPE-Protest und
vor den französischen Wahlen:

Welche Zukunft für den Arbeitsvertrag, und insbesondere den Kündigungsschutz?

02/07

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Nicolo Machiavelli hat bekanntlich die Auffassung vertreten, „der Prinz“ solle die Grausamkeiten gleich zu Beginn seiner Amtseinführung, wenn das Publikum ihn gerade kennen lernt, begehen. Indem er sich sofort den Ruf der Grausamkeit und Härte erwirbt, schüchtert er die Unzufriedenen ein. Und im Laufe seiner Amtsführung kann sich sein Ruf dann nur noch verbessern, indem er sich (wie tröstlich!) nach und nach ein bisschen grobzügiger als in der Anfangsperiode gibt. Dadurch sinkt die Spannung tendenziell ab.

 

Bürgerliche Politiker, die (im Gegensatz zu den Prinzen jener Epoche) gewählt werden müssen bzw. wollen, unterscheiden sich von ihnen zumindest insofern, dass sie den „grausamen“ Ruf nicht bereits vor den Wahlen erwerben möchten. Auch nicht im Sinne des Machiavellischen Leitsatzes, dass die Reputation sich im Laufe der Zeit dann nur verbessern und kaum noch verschlechtern könne: Denn das Dumme an der bürgerlichen Demokratie ist, dass sie dann unter Umständen gar nicht erst gewählt werden. „Unter Umständen“, denn oft genug bewahrheitet sich doch auch jenes andere Leitmotiv, das da lautet: „Wie die dümmsten Kälber – wählen sie ihre Schlächter selber.“ 

 

Nicolas Sarkozy, das starke Männchen der französischen Konservativen mit den bonapartistischen Allüren, möchte irgendwo zwischen den beiden Figuren (dem machiavellistischen Prinzen und dem gewöhnlichen Politiker) stehen. Denn einige Grausamkeiten kündigt er tatsächlich schon vor seiner möglichen Wahl zum Präsidenten –- das nächste französische Staatsoberhaupt wird aus dem zweiten Wahlgang am 6. Mai dieses Jahres hervorgehen – dem Publikum an. In dem festen Glauben, dies werde ihm als Standfestigkeit, Ehrlichkeit und Kontinuität in seinen Überzeugungen honoriert werden. Die Rechnung könnte zum Teil sogar aufgehen. In der vorigen Woche lieb er beispielsweise glasklar durchblicken, dass eines der ersten Gesetze in den zwei Monaten nach einer Amtsübernahme eine Neuregelung (d.h. Einschränkung) des Streikrechts zum Gegenstand hätte. Ein Berater von Präsidentschaftskandidat Sarkozy wird am 9. Februar in Le Monde mit den Worten zitiert: „In den drei Monaten, die auf seine Wahl folgen, wird Monsieur Sarkozy eine Reform des Arbeitsrechts, des Kündigungsschutzes, der Arbeitslosenversicherung und der Kontrolle der Arbeitslosen sowie der Berufsausbildung vorschlagen. Die Bedingung für die Reform ist eine Änderung des Streikrechts.“ Das bedeutet nichts Anderes als: Um in Ruhe „reformieren“ zu können, muss zuvor den Gewerkschaften und potenziellen Streikbewegungen eine Fessel angelegt werden.

 

 

 Kündigungsschutz und „Einheitsvertrag“

 

Werfen wir aber einen näheren Blick auf das, was sich hinter diesen Begriffen verbirgt, vor allem auf die angekündigten Änderungen im Arbeitsrecht und beim Kündigungsschutz.

 

Am 24. Januar 2007 hatte Nicolas Sarkozy anlässlich eines Auftritts vor der CGPME, dem Verband der Klein- und mittelständischen Unternehmer, einen neuen Typus von Arbeitsvertrag angekündigt. Dieser solle künftig für alle abhängig Beschäftigten gelten und die bisherigen unterschiedlichen Vertragstypen (unbefristeter und befristeter Arbeitsvertrag, an einen bestimmten Auftrag gebundener Zeitvertrag usw.) ersetzen. Der Kandidat beschrieb ihn als einen „Einheitsvertrag, der vom CNE (Neueinstellungsvertrag) inspiriert sein wird“, also von jenem Sondervertrag, den die konservative Regierung von Premierminister Dominique de Villepin am 2. August 2005 eingeführt hat. Dieser Vertrag kann (fakultativ) für alle Lohnabhängigen in kleinen und mittelständischen Betrieben unterzeichnet werden und sieht eine zweijährige Periode ohne Kündigungsschutz vor.

 

Die Übertragung dieses „Modells“ auf die Einstellungsverträge für unter 26jährige, in Gestalt des CPE (Ersteinstellungsvertrag), ist im Frühjahr 2006 an massiven sozialen Widerständen gescheitert. Der in den mittelständischen Betrieben gültige CNE hingegen besteht weiterhin fort, auch wenn die wichtigsten Gewerkschaftsbünde sich gegen seine fortgesetzte Existenz ausgesprochen haben. Im Laufe eines Jahres ist die Zahl der Monat für Monat neu abgeschlossenen CNE-Verträge aber (von Dezember 2005 bis Dezember 2006) dennoch um 43 Prozent zurückgegangen. Denn die Arbeitgeber beklagen sich über die „Rechtsunsicherheit“, die aus ihrer Sicht trotz allem (d.h. obwohl die übliche Kündigungsprozedur, und mit ihr die Notwendigkeit der Angabe von rechtfertigenden Gründen durch den Arbeitgeber, während der zweijährigen Periode zu Beginn des Arbeitsverhältnisses entfällt) mit dem CNE verbunden bleibt. Hintergrund ist folgender: Zwar können die Arbeitsgerichte bei Vorliegen eines CNE und während der genannten zweijährigen Periode vom Arbeitgeber keine Nennung von Gründen für die Kündigung fordern. Aber bei Vorliegen eines Verdachts auf „Rechtsmissbrauch“ oder Kündigung aus prinzipiell rechtswidrigen, diskriminatorischen Gründen erheben die Arbeitsgerichte sehr wohl den Anspruch, die Motive für die Kündigung zu untersuchen. Damit wurde der CNE bei manchen Unternehmern doch wieder unpopulär, da diese sich noch mehr von ihm versprochen hatten, nämlich eine glatte Legalisierung voN Arbeitgeber-Willkür.

 

Bei der CGPME (Verband der kleinen und mittelständischen Unternehmer) erhielt Nicolas Sarkozy dennoch, anlässlich seines Auftritts am 24. Januar, groben Beifall für seinen Vorstob zur Verallgemeinerung. Im Hintergrund steht aber sicherlich auch die Erwartung bei Vielen im Arbeitgeberlager,  dass im Falle eines neuen Gesetzes zur Ausdehnung des CNE auf sämtliche Beschäftigungsverhältnisse auch an die derzeitigen Probleme „gedacht“ würde. Wenn Nicolas Sarkozy sich schon mit der Vorstellung einer Übertragung des „Modells“ CNE auch auf gröbere Betriebe durchsetzen könnte, dann würde er sich bestimmt auch Gedanken über das Problem der „Rechtssicherheit“ machen –- also das Risiko von Sanktionen durch die Arbeitsgerichte einschränken.

 

Hü und hott?

 

Eine knappe Woche später jedoch ruderte der Wahlkampfstab Nicolas Sarkozys in der Öffentlichkeit zurück. Nunmehr soll doch nicht gelten, dass es eine Verallgemeinerung des CNE im Falle eines Wahlsiegs des konservativ-bonapartistischen Kandidaten geben werde. Am 29. Januar 2007 gab zunächst der offizielle Sprecher des Kandidaten Sarkozy, der amtierende „Gesundheits“minister Xavier Bertrand, in einem Interview mit der Wirtschaftstageszeitung ‚La Tribune’ bekannt: „(Der CNE) hat auch Mängel, wie die fehlende Angabe von Gründen im Falle eines Abbruchs des Arbeitsverhältnisses und eine zu lange Probezeit.“ (Aha! Spät kommt Ihr darauf, aber Ihr kommt darauf...) „Unsere Absicht ist nicht, ihn (den CNE) zu verallgemeinern“ fügte er hinzu.

 

Dieses Interview mit dieser Ankündigung war natürlich zunächst einmal zur Beruhigung gedacht, da sich in der Öffentlichkeit erste Beunruhigung hinsichtlich der Zukunft des Arbeitsvertrags und vor allem des Kündigungsschutz breit zu machen begonnen hatte. Vor allem die linksliberale Tageszeitung ‚Libération’ sowie die wöchentliche Satire- und Enthüllungszeitung ‚Le Canard enchaîné’ insistierten ein bisschen auf das Thema (um nur die gröberen Medien zu nennen). Aber höchstwahrscheinlich widerspiegelte die Äuberung von Xavier Bertrand nicht  allein einen taktischen Rückzieher, sondern die tatsächlichen strategischen Absichten des Kandidaten. Denn allem Anschein nach besteht das wirkliche strategische Projekt Nicolas Sarkozys nicht unbedingt in einer Eins-zu-Eins-Übertragung des bestehenden CNE auf alle bisher noch nicht von ihm betroffenen Arbeitsverhältnisse.

 

In der Zwischenzeit kann man in dieser Hinsicht auch ein bisschen klareren Durchblick gewinnen. Nach seinem Interview hat Sarkozy-Sprecher Xavier Betrant (etwa gegenüber ‚Libération’) seine Absichten präzisiert. Demnach stellte die Aussage, es sei nicht an eine Verallgemeinerung des CNE gedacht, keinen Rückzieher gegenüber der vorherigen Ankündigung (die eines neu geschaffenen „Einheits-Arbeitsvertrags, der vom CNE inspiriert sein wird“) dar. Vielmehr bleibe der Kandidat seiner Linie treu, es werde einen neuen „Einheitsvertrag“ oder ‚Contrat unique’ geben, nur sei dieser eben nicht mit einer puren Ausdehnung des CNE über die kleinen und mittleren Betriebe hinaus identisch. „Inspiriert vom CNE“ bedeute eben nicht eine blobe Nachahmung des „Modells“ CNE.

 

Dahinter steht mutmablich folgende Vorstellung: Man möchte tatsächlich einen neuen „Einheits-Arbeitsvertrag“ oder ‚Contrat unique’ schaffen, in welchem die bisherigen Vertragstypen (unbefristeter Arbeitsvertrag/CDI, befristeter Arbeitsvertrag/CDD, Zeitvertrag, CNE...) längerfristig aufgehen und von dem sie allesamt abgelöst werden sollen. Nur soll der Mechanismus, der dabei eine Aushöhlung des Kündigungsschutzes erlauben soll, nicht identisch mit jenem des bestehenden CNE sein.

 

Beim CNE besteht der Mechanismus zur Aushebelung des Kündigungsschutzes darin, dass während der ersten zwei Jahre des Beschäftigungsverhältnisses im Prinzip gar kein Kündigungsschutz bestehen soll (abgesehen vom grundsätzlichen Schutz gegen rechtswidrige Diskriminierungen u.ä.). Aber wenn diese 730 Tage erst einmal vorüber sind, dann gilt ab dem 731. Tag dann der normale, „volle“ Kündigungsschutz. Im Zuge der Schaffung eines neuen „Einheits-Arbeitsvertrag“ ist aber anscheinend an etwas Anderes gedacht. Demnach soll zwar von vornherein grundsätzlich ein Kündigungsschutz bestehen, der aber nur zu –- anfänglich sehr niedrigen – Abfindungszahlungen, nicht aber zu Arbeitsgerichtsprozessen führen soll. In der Anfangsphase eines jeglichen Beschäftigungsverhältnisses würde dieser Schutz freilich schwach ausfallen, da die entsprechenden Summen so gering bleiben würden, dass es kaum der Rede wert wäre. Je länger aber ein/e Lohnabhängige/r beim selben Arbeitgeber beschäftigt wären, desto höher sollen die Abfindungssummen im Fall der Fälle werden. Aber erst nach 5 oder 10 Jahren wäre die finanzielle Abfindung, die eine Kündigung begleiten würde (ob mit oder ohne das Recht, einen Arbeitsgerichtsprozess darum zu führen) dann von genügend Belang, um einigermaben als „Abschreckung“ des Arbeitgebers durchgehen zu können. Denkbar wäre in letzterem Falle auch, das Recht auf eine gerichtliche Anfechtung der Kündigung auszusetzen bzw. auf bestimmte Fälle (prinzipiell rechtswidrige Diskriminierung beispielsweise) zu beschränken -- aber in allen sonstigen Fällen das Recht auf gerichtliche Kontrolle der Entlassung durch die Abfindung „abzukaufen“.

 

Höchstwahrscheinlich gehen die Überlegungen der Berater Nicolas Sarkozys eher in diese Richtung, als eine mechanische Ausdehnung des derzeit bestehenden CNE auf sämtliche Beschäftigungsverhältnisse anzustreben. Eine Konkretisierung dieser Pläne würde bedeuten, dass künftig in den ersten 2 oder 5 Jahren nach der Begründung eines Arbeitsverhältnisses faktisch eine Praxis des „Hire and fire“ (mit einer geringfügigen Abfindung bei Eintritt des letztgenannten Falles) frei nach Gusto des Arbeitgebers besteht. Der Abschluss von Sonderverträgen wie etwa befristeten Arbeitsverträgen (CDD) wäre dann tatsächlich überflüssig wie ein Kropf geworden. Zumal bisher die Benutzung des Vertragstyps CDD noch mit bestimmten Gründen gerechtfertigt werden muss (krankheitsbedingte Ersetzung eines/r Beschäftigten, Saisonnier-Beschäftigung, vorübergehende stärkere Auslastung des Produktionsanlagen...). Und am Ende muss auch noch eine Sonderzahlung namens ‚Prime de précarité’ zur Kompensierung der Prekarität der/s Lohnabhängigen geleistet werden. All dies wäre nicht mehr nötig, statt der „Prekaritätsprämie“ gäbe es eben eine geringfügige Abfindung. „Und basta...“

 

Et les Sozis?

 

Am vorigen Sonntag, den 11. Februar hat nunmehr auch die (rechts)sozialdemokratische Präsidentschaftskandidatin Ségolène Royal ihr Präsidentschaftswahlprogramm in 100 Punkten vorgelegt. Und, immerhin, an diesem einen Punkt – Zukunft des Arbeitsvertrags und Kündigungsschutz – unterscheidet sich das Programm der von Tony Blair inspirierten Politikerin positiv von dem ihres konservativen Hauptrivalen.

 

Im Punkt 15 ihres Programms kündigt Royal an, im Fall ihrer Wahl zur französischen Präsidentin wolle sie künftig „die Finanzhilfen für Unternehmen (d.h. Subventionen im Namen der Beschäftigungsförderung, BhS) danach abstufen, welche Art von Arbeitsverträgen das jeweilige Unternehmen nutzt, und den CNE abschaffen, um aus dem unbefristeten Arbeitsvertrag (CDI) die Regel zu machen.“ Dieser Programmpunkt steht im Zeichen der Bekämpfung von prekären Arbeitsverhältnissen.

 

Zwar ist die Aussage, aus dem bisher noch immer so genannten Normalarbeitsvertrag (das bedeutet: unbefristeter Vertrag für eine Vollzeitbeschäftigung) solle künftig „die Regel“ werden, noch einigermaben schwammig. Derzeit weisen noch 90 Prozent der abhängig Beschäftigten in Frankreich einen solchen Normalarbeitsvertrag oder CDI auf ; aber im Jahr 2005 wurden zwei Drittel der Neueinstellungen in anderen (prekäreren) Arbeitsverträgen getätigt. Das Versprechen auf „Abschaffung des CNE“ ist hingegen konkret gefasst. Bleibt zu hoffen, dass zumindest dieses Versprechen auch eingehalten wird. Bei den übrigen Versprechen der sozialdemokratischen Kandidatin betreffend soziale Belange ist dies keineswegs so sicher, da Madame Royal sich bislang weigert, sich uim Hinblick auf ihre Finanzierung festzulegen. Das Wirtschaftswachstum werde schon alles richten, beruhigt die Kandidatin: „Das Wachstum wird mein Wahlprogramm finanzieren“. (Unter anderem aus diesem Grund tat ihr bisheriger wirtschaftspolitischer Sprecher Eric Besson, der diese Methode unseriös fand, am 14. Februar 2007 zurück.) Daran darf man nun getrost glauben, oder auch nicht...

 

Editorische Anmerkung

Den Artikel erhielten wir vom Autor zur Veröffentlichung.