Nicolo
Machiavelli hat bekanntlich die Auffassung vertreten, „der
Prinz“ solle die Grausamkeiten gleich zu Beginn seiner
Amtseinführung, wenn das Publikum ihn gerade kennen lernt,
begehen. Indem er sich sofort den Ruf der Grausamkeit und Härte
erwirbt, schüchtert er die Unzufriedenen ein. Und im Laufe
seiner Amtsführung kann sich sein Ruf dann nur noch verbessern,
indem er sich (wie tröstlich!) nach und nach ein bisschen grobzügiger
als in der Anfangsperiode gibt. Dadurch sinkt die Spannung
tendenziell ab.
Bürgerliche
Politiker, die (im Gegensatz zu den Prinzen jener Epoche)
gewählt werden müssen bzw. wollen, unterscheiden sich von ihnen
zumindest insofern, dass sie den „grausamen“ Ruf nicht bereits
vor den Wahlen erwerben möchten. Auch nicht im Sinne des
Machiavellischen Leitsatzes, dass die Reputation sich im Laufe
der Zeit dann nur verbessern und kaum noch verschlechtern könne:
Denn das Dumme an der bürgerlichen Demokratie ist, dass sie dann
unter Umständen gar nicht erst gewählt werden. „Unter
Umständen“, denn oft genug bewahrheitet sich doch auch jenes
andere Leitmotiv, das da lautet: „Wie die dümmsten Kälber –
wählen sie ihre Schlächter selber.“
Nicolas
Sarkozy, das starke Männchen der französischen Konservativen mit
den bonapartistischen Allüren, möchte irgendwo zwischen den
beiden Figuren (dem machiavellistischen Prinzen und dem
gewöhnlichen Politiker) stehen. Denn einige Grausamkeiten
kündigt er tatsächlich schon vor seiner möglichen Wahl zum
Präsidenten –- das nächste französische Staatsoberhaupt wird aus
dem zweiten Wahlgang am 6. Mai dieses Jahres hervorgehen – dem
Publikum an. In dem festen Glauben, dies werde ihm als
Standfestigkeit, Ehrlichkeit und Kontinuität in seinen
Überzeugungen honoriert werden. Die Rechnung könnte zum Teil
sogar aufgehen. In der vorigen Woche lieb
er beispielsweise glasklar durchblicken, dass eines der ersten
Gesetze in den zwei Monaten nach einer Amtsübernahme eine
Neuregelung (d.h. Einschränkung) des Streikrechts zum Gegenstand
hätte. Ein Berater
von Präsidentschaftskandidat Sarkozy wird am 9. Februar in Le
Monde mit den Worten zitiert: „In den drei Monaten, die auf
seine Wahl folgen, wird Monsieur Sarkozy eine Reform des
Arbeitsrechts, des Kündigungsschutzes, der
Arbeitslosenversicherung und der Kontrolle der Arbeitslosen
sowie der Berufsausbildung vorschlagen. Die Bedingung für die
Reform ist eine Änderung des Streikrechts.“ Das bedeutet nichts
Anderes als: Um in Ruhe „reformieren“ zu können, muss zuvor den
Gewerkschaften und potenziellen Streikbewegungen eine Fessel
angelegt werden.
Kündigungsschutz und
„Einheitsvertrag“
Werfen wir aber einen
näheren Blick auf das, was sich hinter diesen Begriffen
verbirgt, vor allem auf die angekündigten Änderungen im
Arbeitsrecht und beim Kündigungsschutz.
Am 24. Januar 2007 hatte
Nicolas Sarkozy anlässlich eines Auftritts vor der CGPME, dem
Verband der Klein- und mittelständischen Unternehmer, einen
neuen Typus von Arbeitsvertrag angekündigt. Dieser solle künftig
für alle abhängig Beschäftigten gelten und die bisherigen
unterschiedlichen Vertragstypen (unbefristeter und befristeter
Arbeitsvertrag, an einen bestimmten Auftrag gebundener
Zeitvertrag usw.) ersetzen. Der Kandidat beschrieb ihn als einen
„Einheitsvertrag, der vom CNE (Neueinstellungsvertrag)
inspiriert sein wird“, also von jenem Sondervertrag, den die
konservative Regierung von Premierminister Dominique de Villepin
am 2. August 2005 eingeführt hat. Dieser Vertrag kann
(fakultativ) für alle Lohnabhängigen in kleinen und
mittelständischen Betrieben unterzeichnet werden und sieht eine
zweijährige Periode ohne Kündigungsschutz vor.
Die Übertragung dieses
„Modells“ auf die Einstellungsverträge für unter 26jährige, in
Gestalt des CPE (Ersteinstellungsvertrag), ist im Frühjahr 2006
an massiven sozialen Widerständen gescheitert. Der in den
mittelständischen Betrieben gültige CNE hingegen besteht
weiterhin fort, auch wenn die wichtigsten Gewerkschaftsbünde
sich gegen seine fortgesetzte Existenz ausgesprochen haben. Im
Laufe eines Jahres ist die Zahl der Monat für Monat neu
abgeschlossenen CNE-Verträge aber (von Dezember 2005 bis
Dezember 2006) dennoch um 43 Prozent zurückgegangen. Denn die
Arbeitgeber beklagen sich über die „Rechtsunsicherheit“, die aus
ihrer Sicht trotz allem (d.h. obwohl die übliche
Kündigungsprozedur, und mit ihr die Notwendigkeit der Angabe von
rechtfertigenden Gründen durch den Arbeitgeber, während der
zweijährigen Periode zu Beginn des Arbeitsverhältnisses
entfällt) mit dem CNE verbunden bleibt. Hintergrund ist
folgender: Zwar können die Arbeitsgerichte bei Vorliegen eines
CNE und während der genannten zweijährigen Periode vom
Arbeitgeber keine Nennung von Gründen für die Kündigung fordern.
Aber bei Vorliegen eines Verdachts auf „Rechtsmissbrauch“ oder
Kündigung aus prinzipiell rechtswidrigen, diskriminatorischen
Gründen erheben die Arbeitsgerichte sehr wohl den Anspruch, die
Motive für die Kündigung zu untersuchen. Damit wurde der CNE bei
manchen Unternehmern doch wieder unpopulär, da diese sich noch
mehr von ihm versprochen hatten, nämlich eine glatte
Legalisierung voN Arbeitgeber-Willkür.
Bei der CGPME (Verband der
kleinen und mittelständischen Unternehmer) erhielt Nicolas
Sarkozy dennoch, anlässlich seines Auftritts am 24. Januar, groben
Beifall für seinen Vorstob
zur Verallgemeinerung. Im Hintergrund steht aber sicherlich auch
die Erwartung bei Vielen im Arbeitgeberlager, dass im Falle
eines neuen Gesetzes zur Ausdehnung des CNE auf sämtliche
Beschäftigungsverhältnisse auch an die derzeitigen Probleme
„gedacht“ würde. Wenn Nicolas Sarkozy sich schon mit der
Vorstellung einer Übertragung des „Modells“ CNE auch auf gröbere
Betriebe durchsetzen könnte, dann würde er sich bestimmt auch
Gedanken über das Problem der „Rechtssicherheit“ machen –- also
das Risiko von Sanktionen durch die Arbeitsgerichte
einschränken.
Hü und hott?
Eine knappe Woche später
jedoch ruderte der Wahlkampfstab Nicolas Sarkozys in der
Öffentlichkeit zurück. Nunmehr soll doch nicht gelten, dass es
eine Verallgemeinerung des CNE im Falle eines Wahlsiegs des
konservativ-bonapartistischen Kandidaten geben werde. Am 29.
Januar 2007 gab zunächst der offizielle Sprecher des Kandidaten
Sarkozy, der amtierende „Gesundheits“minister Xavier Bertrand,
in einem Interview mit der Wirtschaftstageszeitung ‚La Tribune’
bekannt: „(Der CNE) hat auch Mängel, wie die fehlende Angabe von
Gründen im Falle eines Abbruchs des Arbeitsverhältnisses und
eine zu lange Probezeit.“ (Aha! Spät kommt Ihr darauf, aber Ihr
kommt darauf...) „Unsere Absicht ist nicht, ihn (den CNE) zu
verallgemeinern“ fügte er hinzu.
Dieses Interview mit dieser
Ankündigung war natürlich zunächst einmal zur Beruhigung
gedacht, da sich in der Öffentlichkeit erste Beunruhigung
hinsichtlich der Zukunft des Arbeitsvertrags und vor allem des
Kündigungsschutz breit zu machen begonnen hatte. Vor allem die
linksliberale Tageszeitung ‚Libération’ sowie die wöchentliche
Satire- und Enthüllungszeitung ‚Le Canard enchaîné’ insistierten
ein bisschen auf das Thema (um nur die gröberen
Medien zu nennen). Aber höchstwahrscheinlich widerspiegelte die
Äuberung von Xavier
Bertrand nicht allein einen taktischen Rückzieher, sondern die
tatsächlichen strategischen Absichten des Kandidaten. Denn allem
Anschein nach besteht das wirkliche strategische Projekt Nicolas
Sarkozys nicht unbedingt in einer Eins-zu-Eins-Übertragung des
bestehenden CNE auf alle bisher noch nicht von ihm betroffenen
Arbeitsverhältnisse.
In der Zwischenzeit kann man
in dieser Hinsicht auch ein bisschen klareren Durchblick
gewinnen. Nach seinem Interview hat Sarkozy-Sprecher Xavier
Betrant (etwa gegenüber ‚Libération’) seine Absichten
präzisiert. Demnach stellte die Aussage, es sei nicht an eine
Verallgemeinerung des CNE gedacht, keinen Rückzieher gegenüber
der vorherigen Ankündigung (die eines neu geschaffenen
„Einheits-Arbeitsvertrags, der vom CNE inspiriert sein wird“)
dar. Vielmehr bleibe der Kandidat seiner Linie treu, es werde
einen neuen „Einheitsvertrag“ oder ‚Contrat unique’ geben, nur
sei dieser eben nicht mit einer puren Ausdehnung des CNE über
die kleinen und mittleren Betriebe hinaus identisch. „Inspiriert
vom CNE“ bedeute eben nicht eine blobe
Nachahmung des „Modells“ CNE.
Dahinter steht mutmablich
folgende Vorstellung: Man möchte tatsächlich einen neuen
„Einheits-Arbeitsvertrag“ oder ‚Contrat unique’ schaffen, in
welchem die bisherigen Vertragstypen (unbefristeter
Arbeitsvertrag/CDI, befristeter Arbeitsvertrag/CDD, Zeitvertrag,
CNE...) längerfristig aufgehen und von dem sie allesamt abgelöst
werden sollen. Nur soll der Mechanismus, der dabei eine
Aushöhlung des Kündigungsschutzes erlauben soll, nicht identisch
mit jenem des bestehenden CNE sein.
Beim CNE besteht der
Mechanismus zur Aushebelung des Kündigungsschutzes darin, dass
während der ersten zwei Jahre des Beschäftigungsverhältnisses im
Prinzip gar kein Kündigungsschutz bestehen soll (abgesehen vom
grundsätzlichen Schutz gegen rechtswidrige Diskriminierungen u.ä.).
Aber wenn diese 730 Tage erst einmal vorüber sind, dann gilt ab
dem 731. Tag dann der normale, „volle“ Kündigungsschutz. Im Zuge
der Schaffung eines neuen „Einheits-Arbeitsvertrag“ ist aber
anscheinend an etwas Anderes gedacht. Demnach soll zwar von
vornherein grundsätzlich ein Kündigungsschutz bestehen, der aber
nur zu –- anfänglich sehr niedrigen – Abfindungszahlungen, nicht
aber zu Arbeitsgerichtsprozessen führen soll. In der
Anfangsphase eines jeglichen Beschäftigungsverhältnisses würde
dieser Schutz freilich schwach ausfallen, da die entsprechenden
Summen so gering bleiben würden, dass es kaum der Rede wert
wäre. Je länger aber ein/e Lohnabhängige/r beim selben
Arbeitgeber beschäftigt wären, desto höher sollen die
Abfindungssummen im Fall der Fälle werden. Aber erst nach 5 oder
10 Jahren wäre die finanzielle Abfindung, die eine Kündigung
begleiten würde (ob mit oder ohne das Recht, einen
Arbeitsgerichtsprozess darum zu führen) dann von genügend
Belang, um einigermaben
als „Abschreckung“ des Arbeitgebers durchgehen zu können.
Denkbar wäre in letzterem Falle auch, das Recht auf eine
gerichtliche Anfechtung der Kündigung auszusetzen bzw. auf
bestimmte Fälle (prinzipiell rechtswidrige Diskriminierung
beispielsweise) zu beschränken -- aber in allen sonstigen Fällen
das Recht auf gerichtliche Kontrolle der Entlassung durch die
Abfindung „abzukaufen“.
Höchstwahrscheinlich gehen
die Überlegungen der Berater Nicolas Sarkozys eher in diese
Richtung, als eine mechanische Ausdehnung des derzeit
bestehenden CNE auf sämtliche Beschäftigungsverhältnisse
anzustreben. Eine Konkretisierung dieser Pläne würde bedeuten,
dass künftig in den ersten 2 oder 5 Jahren nach der Begründung
eines Arbeitsverhältnisses faktisch eine Praxis des „Hire and
fire“ (mit einer geringfügigen Abfindung bei Eintritt des
letztgenannten Falles) frei nach Gusto des Arbeitgebers besteht.
Der Abschluss von Sonderverträgen wie etwa befristeten
Arbeitsverträgen (CDD) wäre dann tatsächlich überflüssig wie ein
Kropf geworden. Zumal bisher die Benutzung des Vertragstyps CDD
noch mit bestimmten Gründen gerechtfertigt werden muss
(krankheitsbedingte Ersetzung eines/r Beschäftigten,
Saisonnier-Beschäftigung, vorübergehende stärkere Auslastung des
Produktionsanlagen...). Und am Ende muss auch noch eine
Sonderzahlung namens ‚Prime de précarité’ zur Kompensierung der
Prekarität der/s Lohnabhängigen geleistet werden. All dies wäre
nicht mehr nötig, statt der „Prekaritätsprämie“ gäbe es eben
eine geringfügige Abfindung. „Und basta...“
Et les Sozis?
Am vorigen Sonntag, den 11.
Februar hat nunmehr auch die (rechts)sozialdemokratische
Präsidentschaftskandidatin Ségolène Royal ihr
Präsidentschaftswahlprogramm in 100 Punkten vorgelegt. Und,
immerhin, an diesem einen Punkt – Zukunft des Arbeitsvertrags
und Kündigungsschutz – unterscheidet sich das Programm der von
Tony Blair inspirierten Politikerin positiv von dem ihres
konservativen Hauptrivalen.
Im Punkt 15 ihres Programms
kündigt Royal an, im Fall ihrer Wahl zur französischen
Präsidentin wolle sie künftig „die Finanzhilfen für Unternehmen
(d.h. Subventionen im Namen der Beschäftigungsförderung, BhS)
danach abstufen, welche Art von Arbeitsverträgen das jeweilige
Unternehmen nutzt, und den CNE abschaffen, um aus dem
unbefristeten Arbeitsvertrag (CDI) die Regel zu machen.“ Dieser
Programmpunkt steht im Zeichen der Bekämpfung von prekären
Arbeitsverhältnissen.
Zwar ist die Aussage, aus
dem bisher noch immer so genannten Normalarbeitsvertrag (das
bedeutet: unbefristeter Vertrag für eine Vollzeitbeschäftigung)
solle künftig „die Regel“ werden, noch einigermaben
schwammig. Derzeit weisen noch 90 Prozent der abhängig
Beschäftigten in Frankreich einen solchen Normalarbeitsvertrag
oder CDI auf ; aber im Jahr 2005 wurden zwei Drittel der
Neueinstellungen in anderen (prekäreren) Arbeitsverträgen
getätigt. Das Versprechen auf „Abschaffung des CNE“ ist hingegen
konkret gefasst. Bleibt zu hoffen, dass zumindest dieses
Versprechen auch eingehalten wird. Bei den übrigen Versprechen
der sozialdemokratischen Kandidatin betreffend soziale Belange
ist dies keineswegs so sicher, da Madame Royal sich bislang
weigert, sich uim Hinblick auf ihre Finanzierung festzulegen.
Das Wirtschaftswachstum werde schon alles richten, beruhigt die
Kandidatin: „Das Wachstum wird mein Wahlprogramm finanzieren“.
(Unter anderem aus diesem Grund tat ihr bisheriger
wirtschaftspolitischer Sprecher Eric Besson, der diese Methode
unseriös fand, am 14. Februar 2007 zurück.) Daran darf man nun
getrost glauben, oder auch nicht...
Editorische Anmerkung
Den Artikel erhielten wir vom Autor zur Veröffentlichung.