Betrieb & Gewerkschaft
Kolumbien

Es braucht viel Mut

Von Knut Henkel, Bogotá

02/07

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Mindestens 4000 GewerkschaftsvertreterInnen wurden seit Mitte der achtziger Jahre ermordet; aufgeklärt wurde kaum einer der Fälle. Dahinter steckt System, sagt der kolumbianische Gewerkschaftsdachverband. Ein System, von dem auch Schweizer Unternehmen profitieren.

Grosse Bündel Blumen stapeln sich auf dem Sortiertisch von María Mercado Alvárez. Tausende Nelken sortiert die 32-jährige Frau jeden Tag nach Länge, Farbe und Qualität. Rote, gelbe, weisse, rosa-, orange- oder limonenfarbene Nelken erntet Colibri Flowers en gros, verpackt und verschickt sie. Rund zwanzig verschiedene Farben und ein gutes halbes Dutzend unterschiedlicher Nelkenarten werden in den weitläufigen Treibhäusern nahe der kolumbianischen Hauptstadt Bogotá gezogen. Sortiert wird im Akkord. Kaum eine der Frauen blickt auf, wenn jemand ihren Sortiertisch passiert. Fünf Millionen Nelken verarbeitet das Unternehmen pro Monat mit seinen sechshundert MitarbeiterInnen. Colibri Flowers geniesst einen guten Ruf in der Branche, denn in den Gewächshäusern wird fair und umweltschonend, also mit wenig Pestizideinsatz, produziert.

Das hat dem Unternehmen das Siegel von Max Havelaar eingebracht und eine ganze Reihe neuer KundInnen. Colibri Flowers setzt auf ein positives Image und das Fair Trade-Label, um sein duftendes Produkt in alle Welt zu exportieren. Mit Erfolg, das Unternehmen verschickt den Grossteil der Produktion nach Europa und Japan - und nicht in die USA, die wichtigsten Abnehmerinnen von Schnittblumen aus Kolumbien. Doch selbst in einem Vorzeigebetrieb wie Colibri Flowers reagieren die Frauen an den Sortiertischen zurückhaltend auf die Frage, ob sie denn gewerkschaftlich organisiert sind. María Mercado Alvárez lacht nur, ihre Kollegin am Nachbartisch zuckt die Schultern und blickt zur Umweltbeauftragten María Fernando Rojas. «Ein Arbeiterkomitee gibt es, das die Interessen der Angestellten vertritt», erklärt diese schnell und setzt den Rundgang durch Sortierhalle und Gewächshäuser fort.

Gewerkschaft unerwünscht

Nicht ein einziges Gewerkschaftsmitglied findet sich in der Belegschaft von Colibri Flowers. «Kein Einzelfall im kolumbianischen Blumensektor mit seinen rund 500 Plantagen», sagt Beatrix Fuentes. Die junge Frau ist die Vorsitzende von Sintrasplendor, der Gewerkschaft der ArbeiterInnen von Splendor Flowers, einer der grössten Blumenproduzentinnen Kolumbiens. Sintrasplendor gehört zu der 2001 gegründeten Unión Nacional de Trabajadores de las Flores, kurz Untraflores, und ist ge­mäss Fuentes mit 930 von rund 1400 Untraflores-Mitgliedern das Rückgrat dieser ersten unabhängigen Branchengewerkschaft im Blumensektor. «El Corzo ist die grösste Blumenplantage von Splendor Flowers», so die 31-jährige Gewerkschafterin. 2000 Menschen arbeiteten in den Gewächshäusern der Plantage, bevor der Betrieb 1998 an den US-amerikanischen Dole-Konzern überging. Der hat sich damals in den Markt eingekauft und gleich die fünf grössten Blumenunternehmen des Landes übernommen. «Gleichwohl taucht der Name von Dole im kolumbianischen Handelsregister nicht auf», sagt Beatriz Fuentes. Sie ist nicht gut auf den multinationalen Konzern zu sprechen, denn der will zwei Plantagen in Kolumbien schliessen: El Corzo und Porcelain Flowers.

Allein ökonomische Gründe seien dafür ausschlaggebend gewesen, sagte John Amaya, Chef der Dole-Blumen­sparte, bei einem Besuch in Kolumbien im letzten Jahr. 2600 Arbeiter­Innen sind betroffen, und lange nicht alle glauben Amaya. So auch Aura Rodríguez, Direktorin der nichtstaatlichen Organisation Corporación Cactus: «Es wäre nicht das erste Mal, dass eine unabhängige Betriebsgewerkschaft durch die Schliessung des Betriebs ausmanövriert wird.» Seit über zehn Jahren kämpft sie für bessere Arbeitsbedingungen im Blumensektor und hat Dole immer wieder erfolglos aufgefordert, seine Besitzverhältnisse in Kolumbien offenzulegen. «Mindestens 13 Plantagen gehören zum Dole-Konzern, doch wir glauben, dass es rund 25 sind, die von Dole direkt oder indirekt gemanagt werden.» John Amaya hat zudem öffentlich eingeräumt, dass es bei El Corzo Arbeitskonflikte gibt. Das ist ungewöhnlich, denn auf der Plantage existierte bis zur Gründung von Sintrasplendor 2004 keine Gewerkschaft. «Drei Wochen später kamen die Funktionäre von Sinaltraflor und gründeten eine Gegengewerkschaft. Das ist der Versuch uns auszubremsen», sagt Beatriz Fuentes. Kein Einzelfall, denn die seit 32 Jahren exis­tierende Sinaltraflor sei immer wieder im Auftrag und Interesse der UnternehmerInnen aktiv geworden.

Dumping beim Arbeitsrecht

Durch die sogenannten gelben Gewerkschaften - wie die den Unternehmen nahestehenden Gewerkschaften genannt werden - sind die Arbeiterrechte in vielen Branchen ausgehöhlt worden. Oscar Tascón ist Spezialist für Menschenrechte bei Sinaltrainal, der Gewerkschaft im Nahrungsmittelsektor. «Für uns sind die gelben Gewerkschaften ein Phänomen, mit dem wir erst seit 2005 zu kämpfen haben», sagt der 47-jährige ehemalige Nestlé-Arbeiter. So habe Sinaltrainal eine ganze Reihe Mitglieder an die gelbe Gegengewerk­schaft in den Abfüllanlagen von Coca-Cola verloren.

Doch noch entscheidender für den Mitgliederschwund bei Sinaltrainal und anderen Gewerkschaften ist, dass Arbeitsbereiche ausgegliedert und die gewerkschaftlich organisierten ArbeiterInnen bedroht werden. Bei Sinaltrainal ist der Rückgang der Mitgliederzahlen dramatisch: «1990 hatten wir 5200 Mitglieder, derzeit sind es noch rund 1600», sagt Tascón. So haben ­Nestlé, Coca-Cola oder die kolumbianische ­Sodawasserfirma Postobón gewisse Arbeitsbereiche ausgegliedert. Die betroffenen ArbeiterInnen werden dann von Subunternehmen der oftmals gleichen Firmen wieder eingestellt, aber zu veränderten Konditionen. «Die Angestellten der Subunternehmen dürfen sich jedoch nicht gewerkschaftlich organisieren. Sie erhalten oft nur den gesetzlichen Mindestlohn von umgerechnet 210 Franken und bei einer Entlassung nicht mal eine Abfindung», sagt Tascón. Dieses Modell ist in Kolumbien mittlerweile in allen Branchen verbreitet.

Beispiel Nestlé

«Ich habe in Valledupar und Bucaragrande bei Nestlé gearbeitet. In beiden Werken hat das Unternehmen die Rechte der Arbeiter abgebaut», erzählt Oscar Tascón. Im Oktober 2002 wurde er gemeinsam mit neun Kollegen, darunter Luciano Enrique Romero, entlassen. Laut Nestlé-Pressesprecher François-Xavier Perroud haben die neun Gewerkschafter an einem illegalen Streik in Valledupar teilgenommen. «Wir haben damals eine Protestversammlung ausserhalb des Fabrikgeländes organisiert, keinen Streik», sagt Tascón. «Vom Arbeitsministerium wurde das aber als illegale Arbeitsniederlegung gewertet und galt als Grund für unsere Entlassung.» Oscar Tascón und seine Kollegen haben sich erfolglos dagegen gewehrt. Er selbst musste nach mehreren Morddrohungen Valledupar verlassen und arbeitet jetzt in der unscheinbaren, aber hoch gesicherten Sinaltrainal-Zentrale in Bogotá. Auch seine Kollegen mussten sich in Sicherheit bringen. Luciano Enrique Romero hatte nach der Entlassung längere Zeit in Europa gelebt, bevor er nach Kolumbien zurückkehrte. Im September 2005 wurde seine gefesselte, mit Folterspuren und vierzig Messerstichen übersäte Leiche gefunden.

Die Witwe Romeros hat zusammen mit Sinaltrainal und dem in Washington ansässigen International Labor Rights Fund letzten Oktober in Miami in den USA eine Klage gegen Nestlé eingereicht. Der Konzern sei mitverantwortlich für den vermutlich von Paramilitärs begangenen Mord. Als Motiv für den Mord nennt die Klage, dass Luciano Enrique Romero entscheidend an der Aufdeckung eines Skandals von 2002 beteiligt war. Damals wurde bekannt, dass Nestlé in Kolumbien längst abgelaufenes Milchpulver verwendet und umetikettiert hatte. Die Klage gegen Nestlé hat Romeros Witwe inzwischen zurückgezogen. «Frau Mendoza Mejía wollte nicht zur Märtyrerin werden», so der Anwalt vom International Labor Rights Fund.

Nestlé-Pressesprecher Perroud bestreitet auf Anfrage der WOZ, dass der Schweizer Lebensmittelkonzern verfallenes Trockenmilchpulver verwendet habe. Genauso verneint er die Mitwirkung Romeros bei der Aufdeckung des Skandals. Der Konzern gewähre Drittpersonen generell keinen Zugang zu den Nestlé-Fabriken in Kolumbien selbst. Auch gegenüber den VertreterInnen der kolumbianischen Gewerkschaft verhält sich der Multi zugeknöpft. Mehrfach wurden Delegationen am Stammsitz in Vevey nicht empfangen. Anders in Kolumbien. Dort gibt es gemäss Sinaltrainal immerhin Gespräche mit Nestlé, unter anderem über die Sicherheit der GewerkschaftsvertreterInnen.

In den letzten zwanzig Jahren wurden neben Romero neun weitere organisierte Nestlé-ArbeiterInnen ermordet. Kolumbien gilt für Gewerkschafter­Innen als gefährlichstes Land der Welt. «2005 sind 70 Arbeitervertreter ermordet worden», sagt Domingo Tovar, «und bis Mitte November 2006 wurden schon 71 tote Gewerkschaftsmitglieder registriert.» Der Fünfzigjährige ist Beauftragter für Menschenrechte der CUT, des grössten der drei Gewerkschaftsdachverbände des Landes. Tovar gilt als einer der am besten bewachten Männer Kolumbiens.

Jagd auf Gewerkschaften

Vier oder fünf Bodyguards begleiten Tovar, wenn er in der gepanzerten Limousine in Bogotá unterwegs ist, denn er steht auf Todeslisten der Paramilitärs. Seit Jahren verweist er auf deren gute Verbindungen zu Wirtschaft und Politik. In den letzten Monaten hat es dafür reichlich Beweise gegeben. Reihenweise mussten kolumbianische ParlamentarierInnen zurücktreten, weil ihre Beziehungen zu Paramilitärs bekannt geworden sind. Tovar macht die Paramilitärs verantwortlich für die meisten Morde an CUT-Mitgliedern. «Seit 1991 wurden nicht weniger als 2205 Kollegen ermordet», sagt Tovar. Das ist einer der Hauptgründe für die schwache gewerkschaftliche Organisation in Kolumbien. Dafür mitverantwortlich sind laut Tovar aber auch die multinationalen Unternehmen: «Sie zeichnen sich nicht gerade durch grossen Respekt für die Menschen- und Arbeitsrechte aus», sagt er. «Es gibt Indizien für die Kooperation zwischen Paramilitärs und den multinationalen Unternehmen wie Coca-Cola, Nestlé, dem US-amerikanischen Bergbaukonzern Drummond und British Petrol.»

Diese Indizien wie auch die Dokumentation von Drohanrufen, den Einschüchterungsversuchen, Flugblättern gegen die Gewerkschaften und Zeugenaussagen werden von den Gewerkschaften zusammengetragen und bildeten die Basis für diverse gerichtliche Klagen. Allerdings nicht nur in Kolumbien, wo kaum einer der Morde an GewerkschafterInnen je aufgeklärt wurde und die Klagen oft im Sand verlaufen, sondern auch in den USA. Dort wurden die Klagen gegen Coca-Cola, Drummond und Nestlé medienwirksam eingereicht. «Die Internationalisierung des Widerstands ist die einzige Chance, die wir haben», sagt Domingo Tovar. Der Boykott der Koffeinbrause an mehreren US-amerikanischen Universitäten wegen der ermordeten Gewerkschafter­Innen stört den Konzern genauso wie die internationale «Coke Kills»-Kampagne in Europa. Immerhin scheinen die Klagen Wirkung zu zeigen. So hat Coca-Cola Kontakt mit Sinaltrainal aufgenommen, um über die Klagen und Vorwürfe zu verhandeln - wenn auch unter Ausschluss der Öffentlichkeit. 

Weniger Lohn

Die Zahl der gewerkschaftlich organisierten Menschen in Kolumbien nimmt seit Jahren kontinuierlich ab. Bei 42 Millionen EinwohnerInnen gibt es nur eine Million Gewerkschaftsmitglieder, davon sind 600 000 im grössten Dachverband CUT organisiert. Doch nicht nur die Gewalt gegen GewerkschafterInnen, auch die Veränderung der Beschäftigungsverhältnisse lässt den Einfluss der ArbeiterInnenvertretungen schwinden. So arbeiten 62 Prozent der kolumbianischen Erwerbstätigen mittlerweile im informellen Sektor. Diese Veränderung der Arbeitsverhältnisse hat auch eine Senkung des Durchschnittslohns zur Folge, der laut CUT von 600 auf derzeit 120 US-Dollar gefallen ist.

Editorische Anmerkung

Der Artikel wurde von der WOZ vom 15.02.2007 gespiegelt.