Acht Beweggründe für eine neue APO

von
B.B

02/07

trend
onlinezeitung
Die Perspektive zur Bildung einer Außerparlamentarischen Opposition tauchte zum ersten Mal seit langer Zeit wieder auf der Aktions- und Strategiekonferenz der sozialen Bewegung 2004 in Frankfurt in der Rede des Vertreters des Alstom-Betriebsrates auf. Sie fand dort große Zustimmung. Seitdem zog die Parole einer neuen APO weitere Kreise und ist aus der linken Diskussion nicht mehr wegzudenken.

Bei der Diskussion über eine neue Außerparlamentarische Opposition geht es nicht darum, der Wirklichkeit eine Losung oder ein Schema entgegenzuhalten. Vielmehr kommt es darauf an, den Entwicklungen hin zu mehr Widerstand gegen den Neoliberalismus einen organisatorischen und politischen Ausdruck zu verleihen. Für die Herausbildung einer APO könnte die sozialistische Linke, soweit sie ihren Schwerpunkt außerparlamentarisch setzt und ihre Aufgaben als vorantreibendes, aktives Element erfasst, die Rolle der Geburtshelferin spielen.

1. APO heißt: Den außerparlamentarischen Weg wählen

2006 waren in Frankreich 4-5 Millionen Menschen auf die Straße gegangen und haben das Ersteinstellungsgesetz CPE wegdemonstriert, zum Teil auch gestreikt. Sie haben damit dem Neoliberalismus eine beachtenswerte Schlappe bereitet. Das Beispiel zeigt: Die Menschen müssen auf die Straße gehen, um die Reformen des Kapitals zu verhindern.

Die Notwendigkeit außerparlamentarischer Aktivitäten ist innerhalb der Linken bis weit in die L.PDS und die WASG hinein unstrittig. Viele fügen aber ein kleines „auch" hinzu: "Auch" außerparlamentarische Aktivitäten seien nötig. Denn 90% der Linken legen den politischen Schwerpunkt auf Wahlen, Parlamente und Regierungsbeteiligungen. Darüber soll ein "Politikwechsel" erfolgen. Der "Marsch durch die Institutionen" führt aber nicht zur Verhinderung bürgerlicher Politik, sondern - wie viele Beispiele zeigen - zur Beteiligung und Mitverantwortung der Linken an ihr. Der Aufbau einer Außerparlamentarischen Opposition ersetzt nicht die Beteiligung von LinkssozialistInnen an Wahlen, sondern ist die Alternative zur Sackgasse einer angeblichen Gesellschaftsveränderung auf parlamentarischem Wege.

Parlamente sind die Klassenorgane der Bourgeoisie. Dort wird nicht nur einfach bürgerliche „Politik" gemacht, sondern sie sind entsprechend sozial von einer abgehobenen „politischen Klasse" besetzt. Es ist kein Zufall, dass kaum ein MdB oder MdL jemals HartzIV-Empfängerin, Schlosser, Dreher oder Verkäuferin war. Mit der parlamentarischen Kaste selbständiger Anwälte, Geschäftsführer, Unternehmensberater und hoher Beamter ist nur die jeweils aktuelle Politik des Kapitals umsetzbar, ganz abgesehen vom bürgerlichen Verwaltungs-, Rechts- und Repressionsapparat.

Sozialistische Wahlbeteiligungen können zur Verbreitung der politischen Ziele, zum Aufbau der Organisation und zur Abschätzung der Kräfteverhältnisse genutzt werden. Eine revolutionäre Organisation kann die Parlamente gegebenenfalls als Tribüne nutzen, um den Klassenstandpunkt populär zu machen. Die historischen Vertretungsorgane der ArbeiterInnenklasse sind aber nicht die Parlamente, sondern Räte.

2. APO bedeutet Eigenaktivität

Fast 90 % der Bevölkerung der BRD gehören im weitesten Sinne zur ArbeiterInnenklasse (ArbeiterInnen, Angestellte, BeamtInnen, Erwerbslose und ihre Familien). In ihrem Bewusstsein beziehen sich eigenständige Strukturen von Interessenvertretung allenfalls auf unmittelbare, betriebliche Interessen (Betriebsräte). Ihre „politischen" Interessen sehen sie mehrheitlich über Wahlen, Parlamente und Regierungswechsel vertreten. Unter Parteien werden Wahlparteien verstanden, nicht aber Kampforganisationen wie etwa in Frankreich die LCR, die systematisch außerparlamentarisch wirken.

Diese Haltung bedeutet den weitgehenden Verzicht auf Selbstaktivität, auf Streiks, auf Demonstrationen und Proteste gegen die Reformpolitik. Zwar ist die „konkrete Utopie" durchaus bewusst, die lautet: „Kämpfen wie in Frankreich!". Aber sogleich wird hinzugefügt: „Deutschland ist nicht Frankreich!".

Außerparlamentarische Opposition bedeutet, die Ohnmacht, die Passivität und die Mutlosigkeit aufzubrechen, selbsttätig zu werden und konkrete Aktionsperspektiven zu entwickeln. Ohne eine solche "Mentalitätsänderung" kann der Neoliberalismus nicht geschlagen werden.

3. APO als Opposition

In den letzten zwei, drei Jahren gab es Dutzende von Betriebskämpfen, Tarifauseinandersetzungen und sozialen Protesten, die Widerstand öffentlich machten und neue Kampfformen hervorbrachten. Bei Alstom in Mannheim dauerte eine Betriebsversammlung fünf Tage, beim Streik der Unikliniken in NRW bildeten sich Streikeinsatzkommandos, die täglich bekannte PolitikerInnen aufstöberten und zur Rede stellten, bei Phoenix in Aachen wurde das Werkstor des Mutterbetriebes besetzt. Aber all diese Kämpfe standen miteinander nicht in Verbindung. War die eine Auseinandersetzung zu Ende, flackerte woanders der Widerstand auf. Es entstand keine einheitliche Kampffront. Schüchterne Versuche, den Widerstand über den Betrieb hinaus auf eine breitere Grundlage zu stellen, scheiterten, wie z.B. der Marsch der BSH-KollegInnen von Berlin nach München am eilig herbeigeführten Abschluss der Gewerkschaftsbürokratie oder die Aktivitäten um die Mannheimer Erklärung gegen Sozialkahlschlag, weil sie auf die Region beschränkt blieb. Verallgemeinernde Forderungen wie das Verbot von Entlassungen, das die KollegInnen von Alstom forderten, fanden kein ausreichendes Echo.

Ähnliches trifft auch auf den Kampf gegen Studiengebühren zu. War die Auseinandersetzung in Hessen im vollen Gange, so hatten die Proteste der Studierenden in NRW oder Hamburg bereits ihren Höhepunkt überschritten. Die Verbindung mit den Kämpfen der Lohnabhängigen blieb dünn.

Es genügt nicht, im Betrieb und auf der Straße Widerstand zu leisten. Der Betrieb ist Einzelbetrieb, auf der Straße können verschiedene Proteste aneinander vorbeilaufen. APO heißt: Alle außerparlamentarischen Aktivitäten zu einer gemeinsam handelnden Opposition zusammenzufassen. APO bedeutet den Aufbau einer organisierten Opposition, die sich von unten her verbindet, strukturiert und die Aktivitäten demokratisch koordiniert. APO heißt politische Vereinheitlichung auf der Grundlage von solchen Aktionsforderungen, die wie die des Frankfurter und des Mannheimer Appells die dringendsten Bedürfnisse im Kampf gegen die neoliberalen Reformen politisch ausdrücken.

4. APO gegen die Große Koalition des Neoliberalismus

Eine APO entsteht nicht unter allen Umständen. Sie hat dann Chancen, wenn es unter den „etablierten Kräften" kaum eine Opposition gegen die herrschende Politik gibt. Die Große Koalition des Neoliberalismus ist fast allumfassend. Zu ihr gehören die Regierung von CDU/CSU-SPD, die Opposition von FDP und Grünen, Unternehmerverbände, bürgerliche Medien und Kirchen. Sie reicht bis hinein in die L.PDS, soweit sie an Landesregierungen beteiligt ist, und bis in die Gewerkschaftsapparate, soweit sie die Politik des Standorts Deutschland unterstützen.

Dagegen den Widerstand zu organisieren, kann nicht die Aufgabe einer linken Organisation, eines sozialen Bündnisses, einer betrieblichen oder einer gewerkschaftlichen Struktur sein. APO bedeutet die Zusammenfassung aller Kämpfe, die Herstellung einer gemeinsamen Front, um durch organisierte Massenproteste gegen die Große Koalition des Neoliberalismus die Kräfteverhältnisse grundlegend zu verändern.

5. APO: Systemschreck, Systemopposition und Systemkritik

Die erste Außerparlamentarische Opposition gab es vor fast 40 Jahren, aber für die Herrschenden wie für den rechten Flügel der Gewerkschaftsbürokratie symbolisiert der Begriff APO den Teufel in Bewegungsgestalt. Immer wieder wird eine Außerparlamentarische Opposition als Gespenst an die Wand gemalt.

Der Schrecken der alten APO sitzt deshalb den Herrschenden noch in den Knochen, weil sie zu großen gesellschaftspolitischen Erschütterungen führte und konkrete Aktionen mit der Kritik am Kapitalismus verband.

Und in der Tat genügt es nicht, einzelne Reformen zu bekämpfen und den Neoliberalismus zu kritisieren. Neoliberale Politik ist kapitalistische Politik. Eine außerparlamentarische Opposition muss Opposition gegen das kapitalistische Gesellschaftssystem sein, um nachhaltige Wirkung zu erzielen. Dafür gibt es so viele Ansatzpunkte, dass selbst die etablierten Parteien hin und wieder für einen antikapitalistischen Scherz (in Sachen Managergehälter, Heuschreckendebatte, Betriebsschließungen) gut sind.

6.  Ansatzpunkte für eine APO

Jede Form von außerparlamentarischem Widerstand gegen den Neoliberalismus bietet eine neue Basis für die Bildung einer außerparlamentarischen Opposition. Sie fängt nicht bei Null an, denn immerhin gibt es mit der Gewerkschaftslinken und dem Bündnis 3. Juni auf dem linken Flügel der sozialen Bewegung organisierte Zusammenhänge, die bereits schwerpunktmäßig außerparlamentarisch auf radikaler Grundlage wirken. Diese Ansätze gilt es weiter zu entwickeln und durch eine gezielte Bündnispolitik zu verbreitern.

Dafür sind besonders die Gewerkschaften anzusprechen, die Millionen organisieren. Obwohl der Gewerkschaftsapparat außerordentlich eingefahren ist, steht er bei der Renten- und Gesundheitsreform unter dem Druck der eigenen Mitglieder. Wieweit sich das in Protesten ausdrücken wird, wird die Bilanz des 30. Januar 2007 zeigen. Um darauf einzuwirken, muss die soziale Bewegung von Außen an die Gewerkschaften herantreten, sich in die Proteste einschalten, um dort mit Inhalten und Aktionsvorschlägen wirken zu können, während die Gewerkschaftslinke von Innen her das Bündnis mit der sozialen Bewegung einfordern muss.

7. APO und Parteien

Der Aufbau einer APO ersetzt nicht die Notwendigkeit des Aufbaus einer Sozialistischen ArbeiterInnenpartei (SAP). Mitte der 60er Jahre wurde nicht etwa der SDS als „Ersatzpartei" durch die Bildung der Außerparlamentarischen Opposition überflüssig gemacht. Vielmehr bildete er ihr politisches Rückgrat, wie umgekehrt die APO den Wirkungsbereich des SDS vergrößerte. Wenn heute eine APO entsteht, kann das durchaus die Einsicht in die Notwendigkeit einer antikapitalistischen Partei fördern, die über kleine revolutionär-sozialistische Organisationsansätze hinausgeht. Eine solche Entwicklung wird davon abhängig sein, welchen Umfang die außerparlamentarischen Proteste gegen die Regierungs- und Kapitalpolitik annehmen.

8. Wofür APO steht

Der Name APO (Außerparlamentarische Opposition) ist nicht beliebig. Er symbolisiert bereits über die Linke und die soziale Bewegung hinaus bis in Gewerkschaftskreise und die bürgerliche Öffentlichkeit hinein Protest und Protestformen gegen die Herrschenden. Es geht nicht bloß einfach darum, im Kampf gegen den Neoliberalismus faktisch an einem Strang zu ziehen. Es geht auch um das Bewusstsein, dass damit das Zusammengehörigkeitsgefühl und das Empfinden einer gemeinsamen Frontstellung bestärkt wird. Mit der Bezugnahme auf den gemeinsam verwendeten Begriff wird verdeutlicht, dass wir uns als gemeinsame Opposition gegen den neoliberalen Kapitalismus verstehen und dieses Verständnis verbreiten wollen.

Editorische Anmerkung

erstveröffentlicht in Avanti Nr. 140, www.rsb4.de