Venezuela: Fünf Hebel im Aufbau des Sozialismus, ArbeiterInnenräte und die Rolle der ArbeiterInnenklasse

von Luis Primo

02/07

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Das ist die deutsche Übersetzung eines Artikels von Luis Primo, einem führenden Vertreter der UNT, in welchem er die kommenden Aufgaben der venezolanischen ArbeiterInnenklasse und der revolutionären Gewerkschaftsbewegung beleuchtet. Er betont dabei ausgehend von den jüngsten Vorschlägen von Chávez die zentrale Rolle der ArbeiterInnenklasse im Kampf für den Sozialismus.

Es gibt vier sehr wichtige Elemente in den jüngsten Reden und Handlungen von Präsident Chávez. Das erste ist die Einheitspartei: Die PSUV (Sozialistische Einheitspartei Venezuelas). Die Revolutionär-Marxistische Strömung (CMR) stimmt mit dem Gedanken überein, dass eine Partei aufgebaut werden muss, um die Bolivarische Revolution zu führen. Es ist ein wichtiger Schritt vorwärts in der Demontage der "elektoralen" Parteien, die eine Parteiorganisation als Selbstzweck verstehen und nicht als Mittel, um das politische Bewusstsein der ArbeiterInnen und des Volkes zu entwickeln. Das Bewusstsein muss auf eine Weise entwickelt werden, die es erlaubt, die Enteignung der KapitalistInnen und die Transformation der kapitalistischen Gesellschaft in eine sozialistische Gesellschaft durchzuführen.

Außerdem würde die Sozialistische Einheitspartei Venezuela den ArbeiterInnen eine breitere Plattform für eine Diskussion über den Aufbau des Sozialismus bieten.

Die PSUV muss durch die BasisaktivistInnen aufgebaut werden, die die Führung der Partei wählen sollen. Das bedeutet nicht, dass diese Maßnahme alleine die Kontrolle über die Bürokratie garantiert. Die Gefahr wird immer existieren und nur eine partizipative Demokratie innerhalb der Organisation selbst kann das Problem der Bürokratie und der Korruption lösen.

Verstaatlichung und der Aufbau des Sozialismus

Der zweite Punkt, der vom Präsidenten vorgeschlagen wurde, betrifft die Verstaatlichung von strategischen Industrien und Betrieben wie CANTV und anderen. Das ist eine korrekte Entscheidung, aber sie bedarf auch der aktiven Teilnahme der ArbeiterInnen und der ganzen Gesellschaft in der sozialen Kontrolle und im Management dieser verstaatlichten Betriebe. Ansonsten würden wir nur eine Art Staatskapitalismus errichten, über den nur eine kleine Schicht von TechnokratInnen die Kontrolle hätte und daraus Nutzen ziehen würde.
Der Präsident schlug die Verstaatlichung von allem vor, das privatisiert worden ist, was bedeutet, dass SIDOR (Stahlindustrie, Anm.) und andere Betriebe auch unter ArbeiterInnenkontrolle verstaatlicht werden müssen.

Das muss auch für alle Betriebe gelten, die entweder geschlossen wurden, sich in einer Krise befinden oder von den ArbeiterInnen besetzt worden sind, wie Sanitarios Maracay, Transportes Caroni, SelFex und andere. Eine andere Frage, mit der sich die Regierung bis jetzt noch nicht befasst hat, die aber geklärt werden muss, ist die Frage nach der Verstaatlichung der Banken, die für die Entwicklung unseres Landes und den Aufbau des Sozialismus essenziell ist.

Der dritte Punkt, der von Chávez vorgeschlagen wurde, hat mit der Entwicklung der Kommunalen Räte als Element der authentischen Partizipation des Volkes in den Entscheidungen über die Bedürfnisse der Gemeinschaft zu tun, aber auch mit dem Aufbau des revolutionären Staates.

Der vierte Punkt, den wir für außerordentlich wichtig erachten, betrifft die Gehälter der Staatsbeamten. Hier geht es nicht nur um die Ausrottung der Armut, sondern auch um das Bedürfnis nach Gleichheit in der Gesellschaft. Es geht nicht darum, den Gehältern der Beamten eine Grenze zu setzen, sondern es geht darum die Gehaltsunterschiede quer durch die venezolanische Gesellschaft zu überprüfen und eine progressive Lösung vorzuschlagen, die der gegenwärtigen Ungleichheit Herr wird.

Dies ist nicht ein Problem, das mit einem Federstrich gelöst werden kann. Aber die Geschichte zeigt, dass die ArbeiterInnenbewegung, die Pariser Kommune zum Beispiel, bereits in der Vergangenheit solche Maßnahmen getroffen hat:

1. Staatsbeamte dürfen nicht mehr verdienen als den durchschnittliche FacharbeiterInnenlohn.
2. Demokratische Wahl aller Staatsbeamten.
3. Das Recht der Abwahl aller Staatsbeamten.

Bezüglich der Entwicklung der Kommunalen Räte hat das Arbeitsministerium die Schaffung von ArbeiterInnenräten empfohlen. Diese ArbeiterInnenräte müssen ein Werkzeug werden, um mit der kapitalistischen Produktionsweise zu brechen und eine sozialistische Produktionsweise zu schaffen, in der ArbeiterInnendemokratie und –partizipation die zentrale Rolle spielen.

Die ArbeiterInnenräte müssen Organe der Entscheidung der ArbeiterInnen über alle wichtigen die Gesellschaft betreffenden Fragen werden.

Das ist das Wesen des neuen revolutionären Staates. Diese ArbeiterInnenräte müssen jede Fabrik und jeden Betrieb organisieren, auf einer lokalen, regionalen und nationalen Ebene und in Verbindung mit den kommunalen Räten, müssen sie die Struktur des neuen sozialistischen Staates bilden.

Wir müssen bei den ArbeiterInnenräten genauso wie im Fall der Kommunalen Räte Maßnahmen treffen, dass sie nicht in den Einflussbereich des Staates geraten, weil sie dann eine leichte Beute der Bürokratie wären. Die ArbeiterInnen müssen die politische Kontrolle und die Kontrolle der Produktion in jedem einzelnen ArbeiterInnenrat ausüben. Diese hätten schon längst in allen Betriebeen, die geschlossen haben oder nicht voll produzieren, aufgebaut werden müssen. Es existiert bereits ein Zensus von 700 Betrieben, die geschlossen wurden und die von den ArbeiterInnen in Hinblick auf eine mögliche Besetzung überprüft werden sollen. Die UNT hat in der Organisierung dieser Besetzungen und der Entwicklung von ArbeiterInnenräten eine essentielle Rolle zu spielen.

ArbeiterInnenräte und ArbeiterInnenkontrolle

Was das Arbeitsministerium bemerkte ist richtig: Die ArbeiterInnenkontrolle muss errichtet werden in der Nahrungsmittelindustrie, speziell, wenn mensch bedenkt, dass in dieser Industrie die Anzahl der Betriebe zwischen 2001 und 2005 um 12,21 % zurückgegangen ist. Aber die ArbeiterInnenkontrolle muss auch in alle anderen Industriezweige ausgeweitet werden. Die grundlegende strategische Linie muss die des ArbeiterInnen- und Volksmanagements sein. Diese Linie muss von den BasisaktivistInnen der Gewerkschaften und den ArbeiterInnen umgesetzt werden. Die ArbeiterInnenräte haben fünf hauptsächliche Aufgaben:

1) Die Kontrolle der hierarchischen Arbeitsorganisation und Schaffung einer neuen demokratischen und partizipatorischen Struktur.

2) Die Ausübung der Kontrolle über die Arbeitsteilung auf Betriebsebene sowie in den verschiedenen Sektoren der Gesamtwirtschaft.

3) Die Kontrolle der Finanzen, der Buchhaltung und der Investitionen der Betriebe.

4) Die Kontrolle von Entlassungen und Werksschließungen.

5) Die Kontrolle über die Entscheidungsstrukturen in den Betriebe.

6) Kontrolle über das Einkommen, um einen Teil des Profits für Dienste an der Gemeinschaft einzusetzen.

Präsident Chávez hat gesagt, dass es notwendig wäre, den existierenden Staat, den er als bürgerlich bezeichnete, zu demontieren und einen Staat zu schaffen, um zum Sozialismus vorwärts zu schreiten. Den neuen Staat bezeichnete Chávez als Kommunalen Staat, weil er sich auf Organe der direkten Demokratie wie die Kommunalen Räte stützen sollte.

Die ArbeiterInnenräte sind genau das Instrument, das die Demontage des alten bürgerlichen Apparats initiieren kann. Der Aufbau des "Sozialismus des 21 Jahrhunderts" passiert durch die Transformation der sozialen Beziehungen der kapitalistischen Produktion, das heißt der Produktions-, der Macht- und Herrschaftsbeziehungen und der geistigen Beziehungen, die von der gesellschaftlichen Arbeitsteilung durchdrungen sind.
Wenn diese Beziehungen transformiert werden, können die ArbeiterInnen und die Volksmassen ihr eigenes Schicksal selbst bestimmen und die Produktionsmittel dazu benutzen neue kollektive soziale Beziehungen zu schaffen. Damit dies passieren kann, muss ein neues Modell des Produktionsmanagements eingeführt werden, das sich auf Demokratie Partizipation und Solidarität stützt; ein neuer revolutionärer Staat und schlussendlich brauchen wir einen neuen Menschen, ein neues Alltagsleben, das die neuen sozialistischen und kollektivistischen Werte reproduziert.

Diese Aspekte sind dialektisch miteinander verwoben.

Die Rolle der ArbeiterInnenklasse ist essentiell. Ohne ihr ist keine Revolution möglich. Das ist kein sonderlicher Pessimismus oder Fatalismus gegenüber anderen revolutionären Schichten der Gesellschaft. Die ArbeiterInnenklasse ist aber die einzige Klasse, die in der Lage ist die anderen Schichten der Gesellschaft zu befreien und den Kapitalismus zu zerstören.

Gleichzeitig hebt sie sich selbst als Klasse auf, indem sie die Teilung der Arbeit definitiv aufhebt, die Menschen von der Entfremdung emanzipiert und schlussendlich eine einzige Rasse schafft: die menschliche Rasse.

Die Aufgaben der UNT

Die UNT könnt in diesem Augenblick das entscheidende Element im Aufbau der PSUV, der ArbeiterInnenräte, des revolutionären Staates und im Kampf für die Enteignung der KapitalistInnen werden. Die Revolutionär-Marxistische Strömung (CMR) macht die folgenden Vorschläge:

1) Die UNT muss sich an die Spitze des Kampfes von Sanitarios Maracay und anderer geschlossener oder besetzter Betriebe stellen und eine nationale Kampagne zur Verstaatlichung dieser Betriebe unter ArbeiterInnenkontrolle initiieren.
2) Eine nationale Konferenz aller Strömungen der UNT muss einberufen werden, um die Vorschläge der ArbeiterInnenklasse für den Aufbau des Sozialismus zu diskutieren und einen konkreten Plan zu organisieren für die Verstaatlichung jedes einzelnen Betriebes, der geschlossen worden ist oder sich in einer Krise befindet.
3) Die UNT muss gemeinsam mit anderen Gruppen – wie den ArbeiterInnen der besetzten Fabriken, die von der FRETECO organisiert werden oder den LandarbeiterInnen und KleinbäuerInnen der BäuerInnenfront Ezechiel Zamora - einen nationalen Aktionstag zur Besetzung der Fabriken und des Landes organisieren, um die Enteignungen und die ArbeiterInnen- und Volksmacht vorwärts zu treiben.


Das zentrale Problem, vor dem die UNT jetzt steht, ist nicht die Frage der internen Wahlen, sondern die Frage, wie die ArbeiterInnenklasse die Kämpfe um die Transformation der Gesellschaft und um den Aufbau des Sozialismus führen soll. Teilkämpfe sind wichtig so lange sie dem allgemeinen Kampf für den Sozialismus untergeordnet werden. Ein Element im Aufbau des Sozialismus ist genau die Kontrolle über das Management privater und öffentlicher Betriebe und die Verstaatlichung der Banken und der großen Monopole unter ArbeiterInnenkontrolle. Dass würde es der ArbeiterInnenklasse erlauben das politische Bewusstsein zu erhöhen und den Aufbau eines neuen sozialistischen Produktionsmodells und eines neuen revolutionären Staates zu beginnen. Auf diese Weise wird der Sozialismus aufgebaut. Die FührerInnen der UNT dürfen die Gewerkschaft nicht als Selbstzweck betrachten, sondern als eine Maschine, die gesteuert werden muss. Die UNT, die organisierten ArbeiterInnen und ihre FührerInnen müssen entschieden vorgehen und nach Möglichkeiten im revolutionären Prozess Ausschau halten. Sie müssen verstehen, dass wir die Gesellschaft von Venezuela und von Lateinamerika verändern können. Alles was wir benötigen ist eine kollektive Anstrengung der ArbeiterInnenklasse und das notwendige Verständnis ihrer Führung.

Editorische Anmerkung

Der Artikel wurde von DER FUNKE gespiegelt.
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