Ein Teltschik gegen 80 Millionen Studierende?
Über Kapitalismus, Opernball und Schrauben

von gruppe 8. mai [ffm]

02/07

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Am Mai 2006 startete in Frankfurt eine Studierendenbewegung, die sich stark von ihren Vorgängern unterschied: kein lucky strike, wenige bunt-kreative Aktionen, kaum personalisierende Attacken auf Banken, Börsen, Bonzen. Stattdessen ziviler Ungehorsam in breitem Maße, Autobahnblockaden und Bahnhofsbesetzungen. Betrachtet man diese Aktionsformen, könnte man von einer Verweigerung des konstruktiven Dialogs und von einem generellen Angriff auf die soziale und ökonomische Infrastruktur ausgehen. Das ist überraschend. Ebenso wie der lange Atem der Bewegung. Doch das gern gezeichnete Bild der erfreulich kompromisslosen Studierenden trübt sich bei genauer Hinsicht: An keiner Stelle wurde von ihnen der eigene Betrieb, der Wissenschaftsbetrieb, irritiert oder gar unterbrochen. Der einzige ernsthafte Versuch, die Blockade des Turms der Frankfurter Gesellschaftswissenschaften, wurde nach 10 Tagen von einem fanatischen Studi-Mob niedergestimmt, dem die produzierte Panik ebenso wie der Wille, jede Lüge zu vertreten und im Notfall auch zuzuschlagen, solange Lüge und Schlag vermeintlich im Dienste des eigenen Fortkommens stehen, überdeutlich ins Gesicht geschrieben stand. Und bei einer Besetzung des Wissenschaftsministeriums in Wiesbaden wurde nicht etwa dessen Abschaffung gefordert, sondern die Einführung einer Vermögenssteuer – die Staatsfans von attac lassen grüßen. Auch auf den Demos dominierten, abgesehen von einigen erfrischenden Redebeiträgen und Sprechchören, idealistische Forderungen an die Politik sowie die neosozialdemokratischen Flugblätter des linksreformistischen Spektrums. Die in der Praxis punktuell an den Tag gelegte Radikalität fand also keine inhaltliche Entsprechung. Und so wurde etwa während der WM entgegen der volksgemeinschaftlichen Direktive von der nationalen Gastfreundschaft und gegen den Willen der Polizei zwar die Innenstadt geentert, zugleich aber die Tore der deutschen Mannschaft im Protestcafe der früheren Vernichtungsschaltzentrale IG Farben- Gebäude von einem widerwärtig bunten Studikonglomerat bejubelt.

Die radikale Linke konnte der ideologischen Beliebigkeit, der Sozialromantik, der Affirmation des universitären Alltags in der Bewegung wenig entgegensetzen – nun setzt sie sich mit an die Spitze der Reaktion. Statt den allseitigen Glauben, der Kapitalismus sei eine Verschwörung der Reichen und Mächtigen gegen das ‚einfache Volk’, als gefährlichen Fetisch zu negieren, treibt sie diesen Irrglauben noch voran, indem sie mit sogar drei Aufrufen gegen jene Veranstaltung mobilisiert, die in der Region von Äppelwoi und Handkäs Reichtum und Macht symbolisiert: den Frankfurter Opernball. Besonders aufmüpfig gibt sich ein Papier, das viele Gruppen aus dem beschaulichen Hanau unterzeichnet haben, aber auch die Frankfurter ‚Schurken ohne Staaten’, eine schlagende Burschenschaft mit dem für Burschenschaften typischen ideologischen Kernstück des Antisemitismus. Im erwähnten Papier wird mutig gewettert gegen die „gelackten Profiteure“, „gegen das große Fressen der Elite“ und die „spalte und herrsche“- Strategie der „Oberen“. Unter den „Oberen“ macht der Aufruf einen Ober-Fiesling aus. Er heißt Horst Teltschik. Horst war langjähriger Berater Helmut Kohl, hat ein Faible für Diktaturen und tätigt gerne Rüstungsgeschäfte, was ihn für die Leitung der Nato-Sicherheitskonferenz zu München qualifizierte. Fürwahr ein übler Schurke (ohne Staat, denn er trieb laut Aufruf auch Privatisierungen voran!).

Doch, so fragen wir uns, was ist an Lack schlecht und was gegen ausschweifende kulinarische Vergnügen einzuwenden? Wichtiger aber noch: welches Verständnis von Gesellschaft, von Herrschaft steht hinter solchen Aufrufen und den entsprechenden Aktionsformen? Kann es wirklich sein, dass, wie in diesem Aufruf suggeriert, eine Elite, also grob geschätzt 1% der Gesellschaft, gestützt auf einen gewalttätigen Repressionsapparat – nochmals 1% der Gesellschaft – ein ganzes Volk von 98% niederhält? (Und, wieso machen die Sicherheitskräfte, die ja vom großen Fressen nichts als den Bratenduft bzw. einige Spritzer von der Hackfleischsauce abbekommen, dabei eigentlich mit?). Ohne dass diesem Volk etwas von diesen üblen Machenschaften gewahr wird? Oder, so beschleichen uns erste Zweifel, weiß dieses Volk, wissen die Menschen da draußen gar um Krieg, Ausbeutung, Leistungswahn, Rassismus? Haben sie etwa gar nichts dagegen? Erfreuen sie sich am Ende noch an all den Sauereien? Denn: Was ist mit den geschätzt 2.000 anderen Teltschiks der Republik neben ihrem Namensvetter Horst, etwa mit Horsts Frau oder Horsts Cousin, oder mit Andreas Teltschik, google zufolge beschäftigt mit der Motoransteuerung für bürstenlose Niederspannungsmotoren, und Robert Teltschik, google zufolge Architekt als in Waldenbuch (vermutlich ein noch kleineres Dorf als Hanau) tätig? Versteckt Andreas in seiner Freizeit Illegalisierte vor der Polizei, und betätigt sich Robert beim ladyfest oder in einer autonomen Gewerkschaft? Mag sein. Wir möchten aber, und sehen uns da durchaus durch statistische Erkenntnisse bestätigt, nahe legen, dass Robert und Andreas ebenso wie Horst, dessen Frau mitsamt Cousin und die 1.996 anderen Teltschiks der Republik die WM mit einem kühlen Bierchen und einem Fähnchen in der Hand in der PublicViewing-Area genossen haben, gar nicht allzu viel gegen Abschiebungen (hallo, liebes Bündnis gegen Abschiebungen!) einzuwenden haben und tagein tagaus nörgelnd und voller Missgunst gegen Chef wie Kollegen, aber doch prinzipiell einverstanden zur Arbeit sich schleppen.

Und das ist nicht mal verwunderlich, denn, surprise surprise, der Kapitalismus ist nicht mehr der Feudalismus, denn sonst hieße er Feudalismus und nicht Kapitalismus, wie er ja heißt. Im Kapitalismus gibt es zwar durchaus wie im Feudalismus Machtkonzentration, direkte Herrschaft z. B. in der Familie, der Schule oder auf der Straße, und ungleiche Reichtumsverteilung in extremen Maßstab – während die Einen hungern, schlemmen die Anderen. Klassen im modernen Sinne hat der Kapitalismus sogar erst hervorgebracht. Wesentlich gekennzeichnet ist er jedoch durch ein Diktat der Verwertung, dass kein einzelner Teltschik in die Welt gesetzt hat oder wieder aus ihr setzen, aussetzen, kann. Es gibt also keine individuelle Verantwortung des Teltschiks für die Kriege, den Arbeitszwang, den rassistischen (und antisemitischen!) Terror. Die Oberen sind eine Fiktion. Zwar eignen ihnen qua Position im Gesellschaftsgefüge bestimmte institutionelle Ressourcen, doch ihre scheinbar grenzenlose Macht bewegt sich nur in dem engen Rahmen, den ihnen die Sachzwänge des Kapitalismus vorgeben. Die Teltschiks führen Kriege nicht allein aus bösem Willen, weil ihnen gerade eben die Lust danach steht oder sie Rache für den Tod ihres geliebten Kaninchens nehmen wollen – wie jede Verkäuferin und jede Studentin tun sie auf ihrer Position eben das, was ihnen der Standort/das Vaterland abverlangt. In Wahrheit haben sie nicht einmal die Macht, sich bei chronischer Überarbeitung einfach mal 3 Monate nach Goa abzusetzen, denn sofort sähen sie sich nach einem medialen Aufschrei durch andere, effizientere PolitkoordinatorInnen ersetzt. Das Imago der uneingeschränkt durchregierenden, Faden um Faden ziehenden Oberen ist also nur das Negativ der Ohnmacht der Einzelnen, der kleinen Teltschiks, die sich eine ominöse Allmacht der ‚Bonzen’ fantasieren.

Und es gibt doch eine individuelle Verantwortung, ein individuelles Zutun! Denn, wie gesagt, jedeR einzelne TeltschikIn bastelt mit am großen game. Die Eine stellt die Schrauben her, die Zweite fährt sie nach München. Die Dritte setzt sie dort mit anderen Schrauben, Metall und dem von Andreas Teltschik ersonnenen Niederspannungsmotor in der von Architekt Robert Teltschik geplanten Halle zu einem Tornado zusammen, der dann auf der Konferenz des großen Teltschiks angepriesen wird. Ebenso wie alle Teltschiks – und auch die Menschen mit abweichendem Nachnamen – in einem arbeitsteiligen Prozess die destruktive Produktion der Waren bewerkstelligen, ebenso vollziehen sie diese objektive Seite subjektiv nach: indem sie die Behinderten verspotten, die nicht so behände schrauben können, indem sie die Ausländer hassen, die mit dreckigen Händen schrauben (und sie dann mit diesen dreckigen Händen vergewaltigen bzw. ihnen die Frauen wegnehmen wollen), die Politiker, die nur über eifrigeres Schrauben reden anstatt selbst zu schrauben, die Juden, weil sie wegen ihres gerafften Reichtums gar nicht schrauben müssen – oder die Kinder beneiden, weil sie noch nicht (aber bald schon) schrauben müssen und die Alten milde belächeln, weil sie nicht mehr schrauben können, denn sie haben lange genug/zu lange geschraubt.

Wenn die Menschen weltweit vom falschen Zwang, schrauben (oder studieren) zu müssen, und von der falschen Trennung zwischen denen, die schrauben (Proletariat genannt), denen, die sie anleiten (Politiker/Kapitalisten genannt), und denen, die darüber nachdenken (Intellektuelle/Studierende genannt), frei werden sollen, genügt selbstverständlich der bauchgeleitete Protest gegen Studiengebühren nicht. Er hätte höchstens ein minikleiner Schritt sein können. Doch die Hatz auf den Opernball, also auf jene, die die Schraubenden anleiten oder sie entertainen sollen (und dennoch keineswegs ihr Leben genießen, wie man etwa an Kurt Cobain oder Berti Vogts sehen kann), führt wieder in die ganz falsche Richtung, die Richtung des falschen Ganzen. Nicht jene, die scheinbar selbst von Zwang befreit sind und nur Zwang gegen andere ausüben, sitzen an der Wurzel allen Übels. Die Wurzel des Übels sitzt in den Subjekten, in den Mitstudierenden, in der Professorin, und, vor allem: in der Struktur der Gesellschaft, die alles unter dem Maß der Verwertbarkeit misst. Da wir weder uns selbst verprügeln noch Menschen vom Essen abhalten möchten
– und heißen sie auch Teltschik – gilt es weiter, diese alles durchziehende Struktur in der abstrakten Form anzugreifen, in der sie auftritt: als Herrschaft der Dinge über die Menschen. Also als Zwang der Schraube, schnell geschraubt zu werden, als Zwang des Zuges, pünktlich den Bahnhof zu verlassen, und als Zwang der Universität, stumm zu funktionieren, unbesehen der als Privatsache verhöhnten Interessen der Schraubenden, Zugfahrenden oder Studierenden. In einem Angriff, der dieser Faktizität gerecht wird, anstatt sie bloß in einem Aufruf zu beschreiben, um dann das Gegenteil des Beschriebenen zu performen.
Darum werden wir am 24. 02. lieber einen Tag der Ruhe zelebrieren, als vergeblich jenen Ober-Teltschik und seine Mit-Helmuts in der Oper anzuschreien und sie durch solche AnRufung noch in ihrer Pseudo-Funktion als sozial beglaubigte Machthaber zu bestätigen.
 

Editorische Anmerkung

Wir erhielten das Flugblatt von den Autoren zur Veröffentlichung.
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Weiteres siehe: http://linksnavigator.de/drupal/go/to/opernball2007