Die Chefkollaborateure der beiden
großen faschistischen Parteien, Marcel Deat und Jacques Doriot,
die freiwillig und ohne Vorbehalt Hitler in die Hände
arbeiteten, kamen weder aus dem extrem
nationalistischen Lager der «Croix de Feu», noch aus der
radikal-konservativen Schule der von Charles Maurras geprägten
«Action Frangaise». Beide waren führende Männer der Linken, der
Sozialisten und der Kommunistischen Partei gewesen.Der
Metallarbeiter Jacques Doriot, der der «erste Faschist
Frankreichs» genannt worden ist, war in der Tat nicht irgendein
kommunistischer Funktionär. 1923 in der Moskauer Parteischule
ausgebildet, arbeitete er sich in stürmischem Tempo in der
kommunistischen Hierarchie bis fast an die Spitze hoch. 1924
wurde er als Generalsekretär der Kommunistischen Jugend
Frankreichs ins Parlament gewählt und gleichzeitig in das
Moskauer Exekutivkomitee der Komintern berufen. Als ungemein
temperamentvoller Redner und rücksichtsloser Taktiker von den
Pariser Arbeitern gefeiert, galt er bereits 1925 als der
populärste Führer der Kommunistischen Partei Frankreichs. Schon
sprach man von ihm als dem «Roten Kronprinzen», dem
wahrscheinlichen Nachfolger seines Rivalen Maurice Thorez. Da
schickte ihn Stalin, für den er sich rechtzeitig gegen Trotzki
entschieden hatte, 1926 nach China. Nachdem er im Juli 1927
zurückgekehrt war, wagte er an der Unfehlbarkeit der Moskauer
Führung zu zweifeln und stellte außerdem fest, daß seine
Machtposition in der Partei abbröckelte. Es fehlte nur noch, daß
dieser erfolgreiche «rote Bürgermeister» der Pariser
Arbeitervorstadt St. Denis mit seiner selbständigen Politik
einer sozialistisch-kommunistischen Einheitsfront gegen die
Direktiven der Parteiführung und der Komintern verstieß! Im Juni
1934 würde er von seinem Rivalen Maurice Thorez überspielt, aus
der Partei, und damit auch aus der Dritten Internationale
ausgeschlossen.
Zutiefst getroffen, entwickelte er einen blindwütigen Haß
gegen die Kommunistische Partei und begann, in der von ihm 1936
gegründeten Französischen Volkspartei die Enttäuschten aller
Lager in einer Massenbewegung neuen Stils zu sammeln.
Nach dem deutsch-russischen Nichtangriffspakt wurde Doriots
Partei dann tatsächlich zu einem Sammelbecken enttäuschter
Kommunisten. 1556 Delegierte beim Kongreß seiner faschistischen
Partei im November 1942 hatten der kommunistischen Partei
angehört. Selbst so prominente ehemalige Kommunistenführer wie
Parteisekretär Marcel Gitton, Fernand Soupe, ein Mitglied des
Zentralkomitees, Albert Clement, der Chefredakteur der
Kommunistischen Gewerkschaftszeitung, Emile Nedelec, der
Vizepräsident des Kommunistischen Frontkämpferverbandes, sowie
ein Senator und mehrere Abgeordnete stießen zu Doriot.
Die Enttäuschung und der Haß der Abtrünnigen verliehen
Doriots Partei eine kolossale antikommunistische Schwungkraft.
Er selbst, einst ein gemäßigter Antisemit, steigerte sich in
einen leidenschaftlichen Judenhaß hinein, und der
Deutschlandgegner, der noch 1939 erklärt hatte, daß mit Hitler
keine Zusammenarbeit möglich sei, entwickelte sich rasch zu
einem skrupellosen Chefkollaborateur.
Wie die anderen Faschistenführer im besetzten Europa rechnete
auch Doriot damit, daß er von deutscher Seite tatkräftig
unterstützt werde. Aber obwohl er bei vielen führenden Männern
des Dritten Reiches in hohem Ansehen stand und seine Partei
sogar für die einzige gehalten wurde, die mit «der NSDAP in
Deutschland verglichen werden könnte», entschied sich Hitler
gegen ihn: Doriot komme als Regierungschef nicht in Betracht.
Wie der deutsche Botschafter in Paris, Otto Abetz, einmal
unumwunden feststellte, lag es nämlich im Interesse der
deutschen Politik, die Gründung einer französischen NSDAP oder
einer ähnlichen Organisation zu unterbinden und nur «einigen
kleinen Gruppen faschistischer Tendenz die Möglichkeit einer
Tätigkeit» einzuräumen. Man hatte sich ohnehin schon der
übereifrigen Kollaborationspolitik der Regierung in Vichy zu
erwehren.
Daß aber die deutsche Unlust, sich mit Doriot einzulassen,
sogar so weit reichte, daß man seinen paramilitärischen
Parteiverbänden die Ausrüstung mit Handfeuerwaffen, in denen sie
ausgebildet worden waren, verweigerte, hätte Doriot eigentlich
nachdenklich machen müssen.
Immerhin durfte er dem Dritten Reich gewisse Dienste leisten.
Der erbitterte Gegner der «reaktionären» Vichy-Politik konnte
von Berlin verschiedentlich als Druckmittel verwendet werden,
wenn es darum ging, Marschall Petain und seine Mitarbeiter
gefügig zu machen. Im Herbst 1941 ging
Doriot an die Ostfront und diente mit Unterbrechungen anderthalb
Jahre lang in deutscher Uniform als Unteroffizier, dann als
Leutnant in der von ihm mitbegründeten «Antibolschewistischen
Freiwilligenlegion». Zwischendurch beteiligte er sich an den mit
äußerster Brutalität geführten Kämpfen gegen die französische
Resistance.
Erst als Frankreich für das Dritte Reich schon verloren war,
bot Hitler ihm, dem faschistischsten aller französischen
Faschisten, die Machtübernahme in einem erträumten
Satellitenstaat an, den es nicht mehr geben konnte.
Doriot starb bei einem Tieffliegerangriff im Februar 1945.
Marcel Deat, der andere bedeutende Chefkollaborateur
Frankreichs, war kein proletarischer Kraftmensch, kein
Draufgänger, kein von wildem Temperament besessener politischer
Abenteurer wie Doriot, sondern ein Intellektueller: der Sohn
eines Beamten, seit seinem zwanzigsten Lebensjahr Mitglied der
Sozialistischen Partei Frankreichs, schon als
Sechs-undzwanzigjähriger Professor für Philosophie an der Ecole
Normale Su-perieure in Paris, Präsident des sozialistischen
Studentenverbandes. 1926 wurde er als sozialistischer
Abgeordneter ins Parlament gewählt und übernahm zwei Jahre
darauf das Verwaltungssekretariat der sozialistischen
Parlamentsfraktion unter Leon Blum. In den folgenden Jahren
löste er sich allmählich von der Sozialistischen Partei, bis er
1933 zusammen mit achtundzwanzig Abgeordneten und sieben
Senatoren ausgeschlossen wurde. Er gründete eine «Sozialistische
Partei Frankreichs». 1936 gehörte er fünf Monate lang als
Luftfahrtsminister dem Kabinett Sarraut an.
Sein «Marsch in den Faschismus» war die Folge einer
langjährigen theoretischen Auseinandersetzung mit den
sozialistischen Ideen in einer sich rasch wandelnden
Gesellschaft, bedingt durch die schweren Funktionsstörungen der
parlamentarischen Demokratie in den Zwischenkriegsjahren. Deat
gelangte zu der Überzeugung, daß der Sozialismus nur
verwirklicht werden könne, wenn nicht nur eine Klasse, sondern
die breiten Mittelschichten die Macht ergreifen würden, sowie
durch die bedenkenlose Anwendung auch totalitärer Kampfmethoden.
Begriffe wie «Autorität» und «Nation» begannen eine große Rolle
zu spielen. Deat näherte sich den faschistischen Gedankengängen
so weit, daß er in dem alle Strukturen niederreißenden
Nationalsozialismus einen natürlichen Verbündeten erblickte, mit
dem zu kollaborieren nicht nur zweckmäßig, sondern auf weite
Sicht ein Gebot politischer Weisheit war. Die Bedingungslose
Kollaboration seiner 1941 gegründeten Partei «Rassemblement
National Populaire», die es in einem Jahr auf 50000 Mitglieder
brachte, gründete sich auf eine Ideologie, die man in Anbetracht
ihrer Herkunft als die eines Linksfaschismus bezeichnen kann.51
Auch Deat mußte die Erfahrung machen, daß seine unbedingte
Kollaborationsbereitschaft von der deutschen Besatzungsmacht
nicht wie erwartet honoriert wurde, obwohl er sich ganz auf die
Seite Lavais gestellt und dadurch eine stärkere Position
gewonnen hatte als Doriot. Als er im Sommer 1941, gemeinsam mit
diesem und den Führern anderer weniger bedeutender
faschistischer Kollaborationsparteien, im Einverständnis
mit der Deutschen Botschaft in Paris die «Antibolschewistische
Freiwilligenlegion» gründete, reagierten Hitler und die
Besatzungsbehörden eher lau. Hitler wollte es bei einem
symbolischen Beitrag Frankreichs zum Ostfeldzug bewenden lassen.
Er beschränkte die Zahl der Legionäre auf höchstens zehn- bis
fünfzehntausend Mann.
Die Wehrmacht war noch weniger geneigt, sich
mit den radikalen Kollaborateuren aus der Gefolgschaft Doriots
und Deats einzulassen. Von 13400 Freiwilligen wurden in den
ersten Monaten nur rund 3000 angenommen. Nach deutschen Angaben
sollen bis Mai 1943 insgesamt nur 6400 Freiwillige rekrutiert
worden sein. Im übrigen durften die Legionäre keine
französischen Uniformen tragen. Auf Hitler vereidigt, wurden sie
in deutscher Uniform als Soldaten eines deutschen
Infanterieregiments eingesetzt. Die Helden der Kollaboration
verschwanden anonym und unerkennbar in Hitlers Millionenarmee.
Marcel Deat entzog sich der französischen
Säuberungsjustiz nach Ende des Krieges. Er fand Zuflucht in
Italien.
Editorische Anmerkungen
aus: Werner Rings, Leben mit dem Feind -
Anpassung und Widerstand in Hitlers Europa, 1939-1945, München
1979, S. 152ff
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