Kollaboration in Frankreich
Marcel Deat und Jacques Doriot arbeiten freiwillig und ohne Vorbehalt den Faschisten in die Hände

von Werner Rings
02/07

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Die Chefkollaborateure der beiden großen faschistischen Parteien, Marcel Deat und Jacques Doriot, die freiwillig und ohne Vorbehalt Hitler in die Hände arbeiteten, kamen weder aus dem extrem nationalistischen Lager der «Croix de Feu», noch aus der radikal-konservativen Schule der von Charles Maurras geprägten «Action Frangaise». Beide waren führende Männer der Linken, der Sozialisten und der Kommunistischen Partei gewesen.

Der Metallarbeiter Jacques Doriot, der der «erste Faschist Frankreichs» genannt worden ist, war in der Tat nicht irgendein kommunistischer Funktionär. 1923 in der Moskauer Parteischule ausgebildet, arbeitete er sich in stürmischem Tempo in der kommunistischen Hierarchie bis fast an die Spitze hoch. 1924 wurde er als Generalsekretär der Kommunistischen Jugend Frankreichs ins Parlament gewählt und gleichzeitig in das Moskauer Exekutivkomitee der Komintern berufen. Als ungemein temperamentvoller Redner und rücksichtsloser Taktiker von den Pariser Arbeitern gefeiert, galt er bereits 1925 als der populärste Führer der Kommunistischen Partei Frankreichs. Schon sprach man von ihm als dem «Roten Kronprinzen», dem wahrscheinlichen Nachfolger seines Rivalen Maurice Thorez. Da schickte ihn Stalin, für den er sich rechtzeitig gegen Trotzki entschieden hatte, 1926 nach China. Nachdem er im Juli 1927 zurückgekehrt war, wagte er an der Unfehlbarkeit der Moskauer Führung zu zweifeln und stellte außerdem fest, daß seine Machtposition in der Partei abbröckelte. Es fehlte nur noch, daß dieser erfolgreiche «rote Bürgermeister» der Pariser Arbeitervorstadt St. Denis mit seiner selbständigen Politik einer sozialistisch-kommunistischen Einheitsfront gegen die Direktiven der Parteiführung und der Komintern verstieß! Im Juni 1934 würde er von seinem Rivalen Maurice Thorez überspielt, aus der Partei, und damit auch aus der Dritten Internationale ausgeschlossen.

Zutiefst getroffen, entwickelte er einen blindwütigen Haß gegen die Kommunistische Partei und begann, in der von ihm 1936 gegründeten Französischen Volkspartei die Enttäuschten aller Lager in einer Massenbewegung neuen Stils zu sammeln.

Nach dem deutsch-russischen Nichtangriffspakt wurde Doriots Partei dann tatsächlich zu einem Sammelbecken enttäuschter Kommunisten. 1556 Delegierte beim Kongreß seiner faschistischen Partei im November 1942 hatten der kommunistischen Partei angehört. Selbst so prominente ehemalige Kommunistenführer wie Parteisekretär Marcel Gitton, Fernand Soupe, ein Mitglied des Zentralkomitees, Albert Clement, der Chefredakteur der Kommunistischen Gewerkschaftszeitung, Emile Nedelec, der Vizepräsident des Kommunistischen Frontkämpferverbandes, sowie ein Senator und mehrere Abgeordnete stießen zu Doriot.

Die Enttäuschung und der Haß der Abtrünnigen verliehen Doriots Partei eine kolossale antikommunistische Schwungkraft. Er selbst, einst ein gemäßigter Antisemit, steigerte sich in einen leidenschaftlichen Judenhaß hinein, und der Deutschlandgegner, der noch 1939 erklärt hatte, daß mit Hitler keine Zusammenarbeit möglich sei, entwickelte sich rasch zu einem skrupellosen Chefkollaborateur.

Wie die anderen Faschistenführer im besetzten Europa rechnete auch Doriot damit, daß er von deutscher Seite tatkräftig unterstützt werde. Aber obwohl er bei vielen führenden Männern des Dritten Reiches in hohem Ansehen stand und seine Partei sogar für die einzige gehalten wurde, die mit «der NSDAP in Deutschland verglichen werden könnte», entschied sich Hitler gegen ihn: Doriot komme als Regierungschef nicht in Betracht.

Wie der deutsche Botschafter in Paris, Otto Abetz, einmal unumwunden feststellte, lag es nämlich im Interesse der deutschen Politik, die Gründung einer französischen NSDAP oder einer ähnlichen Organisation zu unterbinden und nur «einigen kleinen Gruppen faschistischer Tendenz die Möglichkeit einer Tätigkeit» einzuräumen. Man hatte sich ohnehin schon der übereifrigen Kollaborationspolitik der Regierung in Vichy zu erwehren.

Daß aber die deutsche Unlust, sich mit Doriot einzulassen, sogar so weit reichte, daß man seinen paramilitärischen Parteiverbänden die Ausrüstung mit Handfeuerwaffen, in denen sie ausgebildet worden waren, verweigerte, hätte Doriot eigentlich nachdenklich machen müssen.

Immerhin durfte er dem Dritten Reich gewisse Dienste leisten. Der erbitterte Gegner der «reaktionären» Vichy-Politik konnte von Berlin verschiedentlich als Druckmittel verwendet werden, wenn es darum ging, Marschall Petain und seine Mitarbeiter gefügig zu machen. Im Herbst 1941 ging Doriot an die Ostfront und diente mit Unterbrechungen anderthalb Jahre lang in deutscher Uniform als Unteroffizier, dann als Leutnant in der von ihm mitbegründeten «Antibolschewistischen Freiwilligenlegion». Zwischendurch beteiligte er sich an den mit äußerster Brutalität geführten Kämpfen gegen die französische Resistance.

Erst als Frankreich für das Dritte Reich schon verloren war, bot Hitler ihm, dem faschistischsten aller französischen Faschisten, die Machtübernahme in einem erträumten Satellitenstaat an, den es nicht mehr geben konnte.

Doriot starb bei einem Tieffliegerangriff im Februar 1945.

Marcel Deat, der andere bedeutende Chefkollaborateur Frankreichs, war kein proletarischer Kraftmensch, kein Draufgänger, kein von wildem Temperament besessener politischer Abenteurer wie Doriot, sondern ein Intellektueller: der Sohn eines Beamten, seit seinem zwanzigsten Lebensjahr Mitglied der Sozialistischen Partei Frankreichs, schon als Sechs-undzwanzigjähriger Professor für Philosophie an der Ecole Normale Su-perieure in Paris, Präsident des sozialistischen Studentenverbandes. 1926 wurde er als sozialistischer Abgeordneter ins Parlament gewählt und übernahm zwei Jahre darauf das Verwaltungssekretariat der sozialistischen Parlamentsfraktion unter Leon Blum. In den folgenden Jahren löste er sich allmählich von der Sozialistischen Partei, bis er 1933 zusammen mit achtundzwanzig Abgeordneten und sieben Senatoren ausgeschlossen wurde. Er gründete eine «Sozialistische Partei Frankreichs». 1936 gehörte er fünf Monate lang als Luftfahrtsminister dem Kabinett Sarraut an.

Sein «Marsch in den Faschismus» war die Folge einer langjährigen theoretischen Auseinandersetzung mit den sozialistischen Ideen in einer sich rasch wandelnden Gesellschaft, bedingt durch die schweren Funktionsstörungen der parlamentarischen Demokratie in den Zwischenkriegsjahren. Deat gelangte zu der Überzeugung, daß der Sozialismus nur verwirklicht werden könne, wenn nicht nur eine Klasse, sondern die breiten Mittelschichten die Macht ergreifen würden, sowie durch die bedenkenlose Anwendung auch totalitärer Kampfmethoden. Begriffe wie «Autorität» und «Nation» begannen eine große Rolle zu spielen. Deat näherte sich den faschistischen Gedankengängen so weit, daß er in dem alle Strukturen niederreißenden Nationalsozialismus einen natürlichen Verbündeten erblickte, mit dem zu kollaborieren nicht nur zweckmäßig, sondern auf weite Sicht ein Gebot politischer Weisheit war. Die Bedingungslose Kollaboration seiner 1941 gegründeten Partei «Rassemblement National Populaire», die es in einem Jahr auf 50000 Mitglieder brachte, gründete sich auf eine Ideologie, die man in Anbetracht ihrer Herkunft als die eines Linksfaschismus bezeichnen kann.51

Auch Deat mußte die Erfahrung machen, daß seine unbedingte Kollaborationsbereitschaft von der deutschen Besatzungsmacht nicht wie erwartet honoriert wurde, obwohl er sich ganz auf die Seite Lavais gestellt und dadurch eine stärkere Position gewonnen hatte als Doriot. Als er im Sommer 1941, gemeinsam mit diesem und den Führern anderer weniger bedeutender faschistischer Kollaborationsparteien, im Einverständnis mit der Deutschen Botschaft in Paris die «Antibolschewistische Freiwilligenlegion» gründete, reagierten Hitler und die Besatzungsbehörden eher lau. Hitler wollte es bei einem symbolischen Beitrag Frankreichs zum Ostfeldzug bewenden lassen. Er beschränkte die Zahl der Legionäre auf höchstens zehn- bis fünfzehntausend Mann.

Die Wehrmacht war noch weniger geneigt, sich mit den radikalen Kollaborateuren aus der Gefolgschaft Doriots und Deats einzulassen. Von 13400 Freiwilligen wurden in den ersten Monaten nur rund 3000 angenommen. Nach deutschen Angaben sollen bis Mai 1943 insgesamt nur 6400 Freiwillige rekrutiert worden sein. Im übrigen durften die Legionäre keine französischen Uniformen tragen. Auf Hitler vereidigt, wurden sie in deutscher Uniform als Soldaten eines deutschen Infanterieregiments eingesetzt. Die Helden der Kollaboration verschwanden anonym und unerkennbar in Hitlers Millionenarmee.

Marcel Deat entzog sich der französischen Säuberungsjustiz nach Ende des Krieges. Er fand Zuflucht in Italien.

Editorische Anmerkungen

aus: Werner Rings, Leben mit dem Feind - Anpassung und Widerstand in Hitlers Europa, 1939-1945, München 1979, S. 152ff

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