Der Entführungsfall Susanne Osthoff:
Vom Pech, als Staatsbürger durch die Welt zu reisen
02/06

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Warum sich im Irak an menschlichem Eigentum der Bundesrepublik Deutschland vergriffen wird und wie Regierung und Öffentlichkeit mit Geiseln und Entführern verfahren

Nach Susanne Osthoff sind jetzt zwei sächsische Ingenieure von irakischen Aufständischen in Geiselhaft genommen wurden. Erstens, um auf sich und ihre Sache aufmerksam zu machen, und zweitens, um von der deutschen Regierung Geld und/oder politische Zugeständnisse zu erpressen. Selbstverständlich ist die Empörung groß über die Verbrecher: Sie vergreifen sich an Leuten, die ihnen wirklich nichts getan haben, sich ganz im Gegenteil - wie es heißt - in "humanitärer" Absicht in den Irak begeben haben, zum Wohle des irakischen Volkes unterwegs waren. Die Sache mit dem "humanitär" kann man sich im Fall der Susanne Osthoff, mit ihrer ausgewiesenen Liebe für den Irak, noch einleuchten lassen, aber wenn Außenminister Steinmeier den "Cyrotec"-Ingenieuren andichtet, ihre Aufgabe sei es gewesen, "zur Verbesserung der Lebensverhältnisse beizutragen", trägt er schon ein wenig dick auf - schließlich sind sie dort, um zur Verbesserung des Bankkontos ihres Chefs beizutragen. Aber es ist auch völlig egal, mit welchen mehr oder weniger ehrenhaften Motiven sich Osthoff und die Ingenieure in den Irak begeben haben bzw. welche ihnen zugeschrieben werden. Den Entführern ist es nämlich völlig egal, um was für Menschen es sich bei ihren Geiseln handelt und welche Absichten sie verfolgen. Alles, was sie an ihren Gefangenen interessiert, ist: Das sind deutsche Staatsbürger. Das ist für die Entführer deren erste und entscheidende Eigenschaft, dadurch bekommen sie einen "Wert", nämlich den, als Verhandlungsgegenstand benutzt werden zu können, und zwar gleich auf der höchsten Etage. Die Entführer wenden sich nicht an die Familien der Entführten oder an deren Chef, vielmehr gehen sie ganz selbstverständlich davon aus, dass der deutsche Staat ihr Verhandlungspartner ist. Mit voller Absicht haben sie dessen Verfügungsrecht über diese deutschen Menschen angegriffen und sie gehen davon aus, dass ihm das nicht gleichgültig ist.

Der deutsche Staat gibt ihnen Recht. Zwar wartet ein Steinmeier mit moralisierenden Sprüchen über die edlen Anliegen der Entführten auf, aber er und sein Amt haben nicht deren Gesinnung überprüft und sich nach deren polizeilichem Führungszeugnis erkundigt, bevor sie in Aktion treten. Sie gehen vielmehr von genau derselben Abstraktion aus, mit der die Entführer operieren: Hier hat ein Übergriff gegen Eigentum des deutschen Staates stattgefunden. Mit den Entführten wird er angegriffen: Zu seinem unabdingbaren nationalen Besitzstand gehört sein Volk, die Entführten repräsentieren - ob sie nun zufälligerweise eine Archäologin namens Osthoff sind oder den Beruf des Ingenieurs ergriffen haben - ein Stück deutsche Hoheit in fremden Landen. Wenn er sich für den Schutz der Entführten für zuständig erklärt, dann deswegen, weil er damit seine Souveränität, also sich selbst, schützt, was für die Entführten heißt: Geschützt werden sie, weil und sofern der Staat sie als sein Mittel ansieht. Aus diesem Grund kommt es für ihn nicht in Frage, bloß, um das Leben der Geiseln zu bewahren, seine Prioritätenliste, also die Zwecke, die er sich kraft seiner souveränen Gewalt als die vorrangigen gesetzt hat, über den Haufen zu werfen. Mit dem Leben deutscher Staatsbürger kann man ihn nicht dazu erpressen, seine Außenpolitik - und damit auch das, was er sich gegenüber dem Irak vorgenommen hat - zu revidieren. Wenn Außenminister Steinmeier jeden Tag fast mantrahaft verkündet, dass er und seine Schreibtischtäter im Außenministerium "alles, wirklich alles tun werden, um unsere Landsleute baldmöglichst heil und unversehrt nach Hause bekommen!", so handelt es sich dabei um eine jener ehrbaren Lügen, die dem Staatsmann zur Berufsehre gereichen. Der Minister, und so versteht ihn schon jeder, meint nämlich, dass seine Regierung entschlossen ist, dem Anschlag auf ihre Hoheit durch den Diebstahl an Staatsbürgermaterial keinesfalls eine weitere Beleidigung ihrer Souveränität folgen zu lassen, die in einem Nachgeben bestünde. Darum stellt die Kanzlerin sofort klar: "Eines ist klar: Diese Regierung und, ich denke, auch dieses Parlament - wir lassen uns nicht erpressen." Die außenpolitischen Ziele der Hoheit zur Disposition zu stellen, um das Material der Hoheit zu schonen, das kommt nicht in Frage. Auf das Rechtsgut "meine Staatsbürger" verzichtet der Staat dennoch nicht. Unterhalb der "hohen" politischen Ebene sucht er nach einem Weg, sich mit den Entführern ins Benehmen zu setzen. Einen Rechtsanspruch darauf haben die Entführten nicht. Das Konsulargesetz klärt darüber auf: Aus ihm lässt sich "nur herleiten, dass, aber nicht wie der Bürger zu unterstützen ist. Üblich ist die Beschaffung von Informationen und Herstellung von Kontakten zu den Entführern". (SZ, 28.12.) Aber wenn die Entführer einmal akzeptiert haben, dass sich der Staat zu einem politischen Zugeständnis nicht erpressen lässt, dann kann man sich immerhin noch über den Preis für einen deutschen Staatsbürger unterhalten - und es beginnt das große Feilschen, bei dem Staat und Entführer austesten, wer von ihnen mehr Brutalität aufbringt. Dass dieses Feilschen stattfindet, ist ein offenes Geheimnis, aber der Staat besteht darauf, dass es sich dabei um ein Staatsgeheimnis handelt - und er stellt denjenigen, die dazu etwas vermelden, eine Strafe in Aussicht: Nichts wäre nämlich entsetzlicher, so die von den Experten gebotene Begründung, als ein sich in Entführerkreisen herumsprechender Eindruck, die Regierung der deutschen Bundesrepublik wäre womöglich mit der leiblichen Unversehrtheit von Menschen zu Lösegeld erpressbar, bloß weil sie ihre Staatsbürger sind.

Die Öffentlichkeit nimmt sich der Entführungsfälle selbstverständlich mit großem Nachdruck an. Aber auch sie interessiert sich für die Entführten nur, weil das Leben Deutscher in Gefahr ist. Wenn Staatsbürger anderer Nationalität entführt werden, ist ihr das vielleicht eine Meldung wert, mehr aber auch nicht. So sehr die abstrakte Auskunft "deutscher Staatsbürger" Grundlage und Ausgangspunkt des von der Öffentlichkeit dann betriebenen Aufwands ist, so wenig gibt sie sich damit aber zufrieden. Mit großem investigativem Eifer wird nun alles Mögliche über die Entführten ans Licht der Öffentlichkeit gezerrt, von den Motiven ihrer Anwesenheit im Irak bis hin zum "familiären Hintergrund" - was nebenbei dazu führte, dass zutiefst solidarische Berichterstatter die Familie Osthoff so sehr drangsalierten, dass sie fast zusammenbrach. Der ansonsten so berühmte unbestechliche kritische Blick der Öffentlichkeit hat in dieser investigativen Phase zunächst einmal Pause: Den Entführten steht ein positives Vorurteil zu. Und zwar erstens, weil "wir" in ihnen - egal, was sie selber denken - Repräsentanten Deutschlands sehen, das, gerade im Irak, nur Gutes tut; und zweitens, weil Deutschland eben in Gestalt seiner Repräsentanten ein Unrecht angetan wurde, diesen Repräsentanten also prinzipiell die Unschuldsvermutung und darüber hinaus "unser aller" Sympathie zusteht. Anschließend stehen sie als Deutschlands Repräsentanten freilich auch in der Pflicht: Sie müssen sich dieses national-moralischen Vorurteils würdig erweisen, damit die gute deutsche Sache auch so rundum gelungen ist, sie müssen das zurückspiegeln, was die Nation in sie hineingespiegelt hat.

Und da hat Susanne Osthoff die ihr zugedachte Rolle nicht so recht erfüllt. Sie hat sich demonstrativ und aktiv als Fan von Land & Leuten geoutet; sie hat nicht genügend Dankbarkeit und sogar kritische Distanz zur Politik ihrer Regierung gezeigt. Das trug ihr nach der Freilassung den üblen Verdacht ein, womöglich mit den Verletzern der deutschen Hoheitsrechte im Irak kollaboriert zu haben. Das nationale Vorurteil hielt die ersten bohrenden Fragen nach ihren familiären Umständen noch aus. Aber seit die Frau im Fernsehen, statt vor Dankadressen an Merkel und Steinmeier überzulaufen, Ungereimtheiten bei ihrer Entführung und Freilassung andeutet, entspricht sie eben nicht mehr dieser positiven Prämisse: Sie gibt nicht das Bild ab, das man von einer guten Deutschen erwarten kann. Seither redet sie "wirr" daher, ist also "irr" (Bild), und "verunsichert" ihre anteilnehmende Landsmannschaft durch Anbiederung an arabische Sitten und Gebräuche in der Kleiderfrage. "So nicht!", sagt die Öffentlichkeit und überlegt laut, wie man diese unwürdige Repräsentantin "unserer" gerade in ihrem Fall so großzügigen Nation daran hindern könnte, weiterhin im Irak tätig zu sein. Um den Deutschen sympathisch zu sein, hätte Osthoff eben ihre Klappe halten müssen. Aber auch so hat die nörgelnde Osthoff gute Dienste für die patriotische Erbauung geleistet, dass Volk und Führung zusammenhalten wie Pech und Schwefel. Sie bestätigt als Ausnahme die Regel. Und dann haben "wir" ja noch unseren Ex-Staatssekretär Chrobog, der wenig später im Jemen entführt wird und weiß, was von einer Geisel erwartet wird. Er war auf Einladung des jemenitischen Präsidenten unterwegs, also nicht zum Vergnügen, sondern quasi im Staatsdienst und hat selber angeboten, sich am Lösegeld, welches für ihn gezahlt wurde, zu beteiligen. Damit hat er als Geisel schon eine ganz gute Figur gemacht; denn - da ist einem Journalisten ein geschmackvoller Witz gelungen -: "Deutschland sucht die Supergeisel".

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Ausg. 04-06 vom 22. Februar 06
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