Französische LCR geht
weiter nach rechts


Von Peter Schwarz
02/06

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Der 16. Kongress der Ligue Communiste Révolutionnaire, der vom 19. bis 22. Januar im Pariser Vorort Saint-Denis stattfand, kennzeichnet eine weitere Stufe der Integration dieser pseudotrotzkistischen Organisation in den bürgerlichen Herrschaftsapparat.

Im Mittelpunkt des Kongresses stand der Aufbau einer politischen Sammlungsbewegung, die die diskreditierten offiziellen Linksparteien stärken soll. In einer vom Kongress verabschiedeten Resolution heißt es dazu: "Es ist offensichtlich, dass der Zeitpunkt für eine Grundsatzentscheidung gekommen ist. Viele blicken auf die politischen, gewerkschaftlichen und Alterglobalisierungskräfte, die während der Kampagne gegen die europäische Verfassung vereint für den antiliberalen und antikapitalistischen Kampf mobil gemacht haben, und wünschen, dass wir alle vereint sein könnten, auch in den kommenden Wahlen. Diese Hoffnung ist legitim und wir teilen sie. Um sie zu erfüllen, müssen wir eine einheitliche Sammlungsbewegung aufbauen..."

Die Rolle einer derartigen Sammlungsbewegung bestünde darin, eine unabhängige politische Bewegung der Arbeiterklasse zu unterbinden und die bedrängte französische Bourgeoisie mit einer neuen Stütze auf der Linken zu versehen, sollte die gegenwärtige Rechtsregierung in Schwierigkeiten geraten.

Die fünfjährige Regierungszeit der "Pluralen Linken" - einem Bündnis aus Sozialistischer Partei, Kommunistischer Partei, Bürgerbewegung und bürgerlichen Linksradikalen unter dem sozialistischen Premierminister Lionel Jospin - hatte 2002 in einem Wahldebakel geendet. Jospin landete damals bei der der Präsidentenwahl auf dem dritten Platz hinter dem Faschisten Jean-Marie Le Pen. Seither befinden sich die Parteien der "Pluralen Linken" in der Krise. Nun will die LCR einen politischen Mechanismus schaffen, der es ihnen erlaubt, an die Macht zurückzukehren.

Eine Kongressresolution betont zwar, dass die LCR nicht die Absicht habe, "mit den Sozial-Liberalen eine Alternative aufzubauen oder ein Regierungsprogramm zu entwickeln". Es gebe "zwei Linke", die sich unversöhnlich gegenüber ständen, eine "antikapitalistische" und eine "sozial-liberale" - wobei der Begriff "liberal" für Wirtschaftsliberalismus, für eine Politik des freien Marktes steht. Doch das ist Augenwischerei. Die LCR steht längst mit beiden Beinen im Lager der bürgerlichen Linken.

Das zeigt sich schon daran, dass sie die Kommunistische Partei als bevorzugter Partner in der angestrebten Sammlungsbewegung heftig umwirbt. Die KPF ist seit den Volksfrontregierungen der 30er Jahre und dem Eintritt ihres Führers Maurice Thorez in die erste Nachkriegsregierung General de Gaulles eine verlässliche Stütze der bürgerlichen herrschaft. Kommunistische Minister saßen seit 1981 in sämtlichen sozialistisch geführten Regierungen. Marie-George Buffet, die gegenwärtige Vorsitzende der KPF, bekleidete unter Jospin ein Ministeramt und ist für dessen "sozial-liberale" Politik in vollem Umfang mitverantwortlich - ein Umstand, den die LCR gerne verschweigt.

Seit 2002 arbeiten die Führungsspitzen von LCR und KPF eng zusammen. Sie treffen sich in regelmäßigen Abständen, um gemeinsame Initiativen und Aktivitäten abzusprechen, und treten zusammen auf Versammlungen auf.

Die KPF wiederum unterhält enge Beziehungen zur Führung der Sozialistischen Partei und bemüht sich, die LCR in dieses Verhältnis einzubeziehen. So wollte Marie-George Buffet die LCR gegen den Widerstand der Sozialistischen Partei zu einem Treffen am 8. Februar einladen, auf dem die Parteien der ehemaligen "Pluralen Linken" über ein gemeinsames Vorgehen bei den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen 2007 diskutieren. "Ist die Kommunistische Partei plötzlich zur besten Verteidigerin der Trotzkisten von der LCR geworden?", spottete le monde über Buffets Bemühungen.

Die LCR beendete den Streit schließlich, indem sie aus eigenen Stücken auf die Teilnahme verzichtete. Sie lehne es ab, über ein gemeinsames Regierungsprogramm zu verhandeln, verlautbarte sie, ließ aber gleichzeitig durchblicken, dass sie durchaus zu einer Zusammenarbeit mit den Sozialisten bereit sei.

LCR-Sprecher Olivier Besancenot sagte dem Magazin L’Express : "Arrogant wie sie sind, wollen die Sozialisten nur über ein gemeinsames Regierungsprogramm diskutieren. Aber wir sind heute ebenso wenig wie gestern bereit, den Ärger einer Pluralen Linken II zu schlucken oder ihr einen Blankoscheck auszustellen. Würden wir eingeladen, um konkrete gemeinsame Initiativen gegen die Rechte zu ergreifen, gingen wir hin."

Auch in den Kongressresolutionen wird die Bereitschaft der LCR betont, mit "allen Kräften der Arbeiterbewegung, Gewerkschaften, Parteien und Vereinigungen" (d.h. auch mit der Sozialistischen Partei) zusammenzuarbeiten, um "die Rechte, den Liberalismus und das Unternehmertums matt zu setzen". Mit dieser Einladung wertet die LCR die Sozialistische Partei auf, deren Vertreter es in den vergangenen Jahren oft nicht mehr gewagt hatten, auf Arbeiterdemonstrationen zu erscheinen.

Dass sich die LCR lediglich verbal vom "sozial-liberalen" Lager abgrenzt, zeigt auch der Umstand, dass sie alle, die beim Referendum vom 29. Mai vergangenen Jahres für ein Nein zur europäischen Verfassung eintraten, zum antikapitalistischen Lager zählt. Sie unterscheidet routinemäßig zwischen der "Linken des Nein" und der "Linken des Ja".

In Wirklichkeit waren viele politische Tendenzen, die gegen die Verfassung auftraten, alles andere als antikapitalistisch. Zu den prominentesten Befürwortern eines Nein gehörte neben der KPF auch Laurent Fabius, ein notorisch rechter Sozialist. Fabius brach mit der Parteimehrheit, die für ein Ja eintrat, weil er sich davon bessere Chancen für eine Präsidentschaftskandidatur im kommenden Jahr versprach.

Bezeichnenderweise gehört Fabius jetzt zu den Sozialisten, die zur Zusammenarbeit mit der LCR bereit sind. Im Streit um das Treffen vom 8. Februar stellte er sich auf die Seite von Buffet, die die LCR einladen wollte. Er trat für "eine Sammlung der Linken" ein, "die niemanden ausschließt", also auch nicht die LCR, während die Führung der Sozialistischen Partei nur Parteien einladen wollte, die auch "zusammen regieren wollen".

Fabius hofft offensichtlich auf das Wählerpotential der LCR, deren Kandidat Olivier Besancenot bei der letzten Präsidentenwahl 1,2 Millionen Stimmen erhalten hatte. Etwa dieselbe Stimmenzahl war auf Arlette Laguiller von Lutte Ouvrière entfallen.

Die LCR ihrerseits hat sich bereits darauf festgelegt, bei kommenden Wahlen im zweiten Wahlgang Kandidaten der offiziellen Linken zu unterstützen. In einer vom Kongress beschlossenen Resolution heißt es: "Bei den nächsten Wahlen wird die LCR ihrer ständigen Tradition treu bleiben, in der zweiten Runde zur Wahl der Kandidaten der Linken aufzurufen, wenn diese einem Kandidaten der extremen Rechten gegenüberstehen, auch wenn unsere politische Organisation sich der Grenzen (oder Illusionen) des Sozial-Liberalismus bewusst ist."

Bei der Präsidentenwahl 2002 hatte die LCR allerdings nicht zur Wahl eines "Sozial-Liberalen", sondern eines rechten Gaullisten aufgerufen. Als Jacques Chirac in der zweiten Wahlrunde dem Kandidaten der Nationalen Front, Jean-Marie Le Pen, gegenüberstand, engagierte sie sich aktiv für seine Wiederwahl. Es ist daher leicht abzusehen, wie sich die LCR bei der nächsten Wahl verhalten wird, zu der voraussichtlich der derzeitige Innenminister Nicolas Sarkozy als Kandidat der konservativen Regierungsmehrheit antreten wird. Da Sarkozy viele Aspekte von Le Pens Politik übernommen hat, wird sie sich spätestens im zweiten Wahlgang energisch für den "sozial-liberalen" Kandidaten einsetzen.

Die von der LCR angestrebte Sammlungsbewegung erweist sich so als Vehikel, um der "Pluralen Linken" zurück an die Macht zu verhelfen. Neben der KFP will die LCR dafür auch andere Organisationen gewinnen, die eine lange Tradition der Verteidigung des französischen Kapitalismus haben: Die Gewerkschaften und die so genannten "Alterglobalisierungskräfte".

Letztere lehnen nicht den Kapitalismus ab, sondern nur einige seiner internationalen Erscheinungsformen, die sie durch einen national ausgerichteten Kapitalismus ersetzen wollen. Insbesondere Attac unterhält dabei enge Beziehungen zur Sozialistischen Partei. Ein weiterer prominenter Vertreter der "Alterglobalisierungskräfte" ist der Bauerngewerkschafter José Bové, der durch seinen militanten Antiamerikanismus zu Ruhm gelangte. Bové gilt als möglicher gemeinsamer Präsidentschaftskandidat einer linken Sammlungsbewegung.

Eine derart buntgescheckte Bewegung, die sich an überholten reformistischen und nationalistischen Konzepten orientiert, kann keine Antwort auf die sozialen und politischen Probleme geben, mit denen die Arbeiterklasse in Frankreich und international konfrontiert ist.

Wenn es eine zentrale Lehre aus den Kämpfen und Auseinandersetzung der vergangenen Jahre gibt, so ist es der vollständige Bankrott der alten reformistischen Abeiterorganisationen. Sozialdemokraten, Stalinisten und Gewerkschaften haben auf jede soziale Auseinandersetzung reagiert, indem sie weiter nach rechts rückten. Die Regierungen Jospin in Frankreich, Blair in England, Schröder in Deutschland und D’Alema in Italien haben mit Unterstützung der Gewerkschaften soziale Angriffe verwirklicht, die keine konservative Regierung hätte wagen können, ohne eine offene Klassenkonfrontation zu riskieren.

Die Arbeiterklasse kann keinen Schritt vorwärts machen, ohne mit diesen Organisationen zu brechen und sich einer internationalen sozialistischen Perspektive zuzuwenden. Eben das versucht die LCR zu verhindern.

Dabei arbeitet sie eng mit den Kräften zusammen, die sie in ihren öffentlichen Verlautbarungen als "sozial-liberal" brandmarkt. So unterzeichnete sie am 4. Oktober letzten Jahres gemeinsam mit Sozialisten, Kommunisten, Grünen und Linken Radikalen ein Flugblatt für eine Gewerkschaftsdemonstration. Zwei Monate später präsentierten LCR-Führer Alain Krivine und Dominique Strauss-Kahn vom rechten Flügel der Sozialistischen Partei einer Pressekonferenz eine gemeinsame Petition. Sie richtet sich gegen ein Gesetz der Regierung, das die französische Kolonialgeschichte verherrlicht.

Diese Zusammenarbeit ist von hohem symbolischem Wert. Dementsprechend wurde sie in der Presse kommentiert. Sie macht deutlich, dass die LCR auch zum letzten Schritt bereit ist, wenn sich die politische Krise in Frankreich weiter zuspitzt: zum Eintritt in eine bürgerliche Regierung. In Brasilien haben ihre Gesinnungsgenossen diesen Schritt bereits hinter sich. Dort sitzt ein Mitglied der Sektion des Vereinigten Sekretariats, dem auch die LCR angehört, in Brasilia als Minister am Kabinettstisch.

Die Rechtsentwicklung der LCR verläuft nicht ohne innere Spannungen. Die 180 Kongress-Delegierten vertraten fünf verschiedene Tendenzen, die jeweils eine eigene Plattform vorlegten. Die Meinungsverschiedenheiten zwischen den verschiedenen Strömungen drehen sich nicht um die politische Richtung - über den Aufbau einer linken Sammlungsbewegung herrscht weitgehende Übereinstimmung -, sondern über das Tempo, mit dem diese eingeschlagen werden soll.

Seit dem hohen Stimmenergebnis Besancenots bei der Präsidentenwahl 2002 hat die Organisation ihre Mitgliederzahl nach eigenen Angaben auf 3.000 verdoppelt. Vor allem den neuen Mitgliedern geht die Liquidation der LCR in ein linkes Sammelbecken nicht schnell genug. Viele von ihnen waren während der Kampagne gegen die EU-Verfassung zur LCR gestoßen, bei der diese eng mit der KPF, den Grünen und verschiedenen Globalisierungsgegnern zusammenarbeitete. Sie lehnen alles ab, was einem völligen Verschmelzen mit diesen Organisationen im Wege steht.

Wortführer dieser Tendenz ist das Politbüromitglied Christian Picquet, dessen Plattform von rund einem Viertel der Delegierten unterstützt wurde. Die Tendenz von Léonce Aguirre, die in dieselbe Richtung geht, erhielt weitere 9 Prozent.

Erstmals in der Geschichte der LCR war die Tendenz von Alain Krivine, dem historischen Führer der Organisation, und Olivier Besancenot in der Minderheit. Sie erhielt nur noch 49 Prozent der Delegiertenstimmen, neun weniger als beim letzten Kongress. Krivine und Besancenot wollen zumindest den Anschein einer gewissen organisatorischen Selbständigkeit aufrechterhalten, damit sich das radikale Image der LCR und ihre Rolle als linkes Feigenblatt nicht zu schnell abnutzen.

Konkret drehte sich die Auseinandersetzung zwischen den Tendenzen um die Frage, ob die LCR zur Präsidentenwahl 2007 wieder mit einem eigenen Kandidaten antritt, oder ob sie jetzt schon zugunsten einer möglichen linken Einheitskandidatur darauf verzichtet. Krivine wollte die Option einer eigenen Kandidatur offen halten, während Picquet eine solche Kandidatur als Hindernis für die Entwicklung einer umfassenden linken Sammlungsbewegung betrachtet.

Man einigte sich schließlich auf einen Kompromiss. Die Frage wurde vertagt. In sechs Monaten soll ein Sonderkongress darüber entscheiden.

Editorische Anmerkungen

Der Artikel ist eine Spiegelung von
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www.wsws.org/de/2006/jan2006/lcr-j27.shtml