Nein, das Kürzel PACE steht in
diesem Fall nicht für Frieden und Regenbogenfahnen, sondern für
die Parlamentary Assembly des Europarats. Dem Gremium
gehören Abgeordnete aus derzeit 46 Staaten des europäischen
Kontinents an. Der Europarat ist kein Gremium der Europäischen
Union, sondern ein Organ der kontinentweiten Kooperation, ihm
gehören etwa auch Russland und die Türkei an.
Am Donnerstag voriger Woche
hatten die Parlamentarier beim Europarat über einen
Resolutionsentwurf zu entscheiden, der im Vorfeld heftig
umstritten war und zu größeren Straßenprotesten etwa in
Griechenland führte. Er hatte die „internationale Verurteilung
der Verbrechen totalitärer kommunistischer Regime“ zum
Gegenstand - doch enthält der Text der Beschlussvorlage nicht
nur Ausführungen über real existierend habende Regime, sondern
auch über die „kommunistische Ideologie“ als solche. Letztere
wird dabei in einen engen Zusammenhang mit angeblichen oder
tatsächlichen historischen Verbrechen gerückt. Die
Beschlussvorlage hatte am 14. Dezember vorigen Jahres die
mehrheitliche Zustimmung des Politischen Ausschusses der
Parlamentarierversammlung gefunden, der an jenem Tag in Paris
zusammentrat. Ihr Berichterstatter war der konservative
schwedische Reichtstagsabgeordnete und Parlamentarier beim
Europarat, Göran Lindblad. Am vergangenen Donnerstag stimmte die
Parlamentary Assembly selbst, die zu einer Sitzungswoche
in Strasbourg zusammengetreten war, mit 99 zu 42 Stimmen dem
Resolutionsentwurf zu. Dieser verfehlte damit jedoch die nötige
Zweidrittelmehrheit, die erforderlich gewesen wäre, damit die
Resolution für die Mitgliedsstaaten des Europarats verbindlich
wird. Es bleibt also im Moment bei einem politischen Symbol, das
gesetzt worden ist.
„Kommunismus“ und NS-Verbrechen
In dem Resolutionstext selbst,
vor allem aber in den Erläuterungen des Berichterstatters
Lindblad wird eine Parallele zwischen „dem Kommunismus“ und dem
verbrecherischen System des Nationalsozialismus gezogen:
Letzteres sei international verurteilt und geächtet worden, aber
„ähnliche, im Namen des Kommunismus begangene Verbrechen“ seien
dem bisher entgangen. Noch schlimmer aus Sicht der Autoren:
„Obwohl kaum nachvollziehbar, hat bisher nicht einmal eine
ernsthafte und eingehende Debatte über die Ideologie
stattgefunden, die hinter (…) dem Tod von Millionen Menschen und
der Not ganzer Völker stand“, so Lindblad. Diese Ideologie wird
kurz als „Theorie des Klassenkampfs“ charakterisiert, und als
„Wesensmerkmal kommunistischer Herrschaft“ nennt der schwedische
Berichterstatter unter anderem: „Die Verstaatlichung der
Wirtschaft (…) engt das Privateigentum und die wirtschaftliche
Aktivität des Einzelnen ein.“ Damit werden zielsicher jene
Punkte herausgegriffen, für die so genannte kommunistische
Herrschaft – aus emanzipatorischer Perspektive – zu allerletzt
zu kritisieren ist. Zwar wäre statt der real in Ländern wie der
Sowjetunion erfolgten Verstaatlichung eine tatsächliche
Kollektivierung wirtschaftlicher Macht, eine basisdemokratische
Vergesellschaftung der Produktionsmittel zu fordern. Aber diese
Diskussion ist sinnvoll nicht mit den Lindblads dieser Welt zu
führen.
An solchen Stellen wird
überdeutlich, dass es den Urhebern der Resolution nicht darum
geht, den eklatanten Widerspruch aufzuzeigen, der zwischen dem
Anspruch des Kommunismus – eine Gesellschaft ohne Ausbeutung und
Unterdrückung, ohne Herrschaft zu schaffen – und der Praxis
bestimmter Regime klafft. „Kommunistischer“ Regime, die unter
spezifischen historischen Umständen entstanden, etwa in
unterentwickelten Ländern mit staatsdespotischer Tradition wie
Russland und China, und in ihrer konkreten geschichtlichen Form
kaum wiederkehren dürften. Ein solcher Widerspruch bestand beim
Nationalsozialismus, der fälschlich mit dem „Kommunismus“
parallel gesetzt wird, keinesfalls: Er kündigte von Anfang an
seine Vorhaben – Dominanz einer „Herrenrasse“ und Vernichtung
–an, die er, einmal an die Macht gekommen, in die Tat umzusetzen
begann. Daher betreibt die Resolution nackten
Geschichtsrevisionismus. Entstanden war die Idee durch eine
Reaktion konservativer und osteuropäischer Parlamentarier auf
die Diskussionen zu 60 Jahren Kriegsende, sowie über die Ächtung
von Rassismus und Antisemitismus im vorigen Jahr. Nunmehr haben
sie ein Gegenfeuer entzündet.
Gegenwärtige „Gefahren“
Der schwedische Berichterstatter
sieht auch die „Gefahr, dass in manchen Ländern Kommunisten an
die Macht kommen“. Lindblad empört sich ferner über die
Fortexistenz „kommunistischer Regierungen“, besonders in China,
ohne dass er ein Wort darüber verlöre, dass die dortigen
Verhältnisse sich besonders durch ein extremes kapitalistisches
Akkumulationsregime auszeichnen. Unter die vergangenen
kommunistischen Regimes verbucht er neben den Ländern des
sowjetischen Blocks und dem ultrastalinistischen Albanien (vor
1991) auch Jugoslawien, wo es jedenfalls keinen der Stalinära
vergleichbaren Massenterror gab. Und selbst Moçambique, wo in
Wirklichkeit eine marxistisch beeinflusste nationale
Befreiungsbewegung regierte, die erst gegen das portugiesische
Kolonialimperium und später gegen das benachbarte
Apartheid-Südafrika kämpfen musste.
Lindblad und Konsorten zeigen
sich besorgt darüber, dass „sich nach wie vor viele Politiker
(…) von verschiedenen Elementen dieser Ideologie, z.B.
Gleichheit oder soziale Gerechtigkeit, verführen (lassen)“.
Demgegenüber fordern sie eine „öffentliche Aufklärungskampagne“,
und insbesondere eine „Aufklärung junger Menschen“ (so der
Resolutionstext), über die schlimmen Gefahren des Kommunismus.
Anscheinend handelt es sich bei dem Kommunismus, der vielfach
als „tot“ beschworen wird, um eine verdammt lebendige Leiche.
Vielleicht, weil die Realität der kapitalistischen Verhältnisse
die Frage nach einer möglichen Alternative aufdrängt?
Proteste: teilweise
fragwürdiges Profil
Nicht von dieser notwendigen
Frage abhalten sollte einen die Feststellung, dass sich
insbesondere die rückwärtsgewandtesten und borniertesten
Elemente, die sich ideologisch auf „den Kommunismus“ beziehen,
im Kampf gegen den Resolutionsentwurf lautstark hervorgetan
haben. So trug einen wesentlichen Teil der Kampagne, die in
einer Demonstration vor dem Europaratsgebäude gipfelte, die
belgische „Partei der Arbeit“ (PTB/PvdA). Bei ihr handelt es
sich um eine Partei mit extrem binärem Gut-Böse-Weltbild, die
nicht nur Stalin kritiklos verteidigt, sondern in der heutigen
Welt für eine aktive Unterstützung sämtlicher Regime eintritt,
die politische Probleme mit den USA haben – von Saddam Hussein
gestern bis Nordkorea aktuell.
Einige, vor allem extrem
„orthodoxe“ kommunistische Kräfte mobilisierten am Samstag, 21.
Januar zu einer „Notkonferenz“ in Brüssel. Aus Frankreich
mobilisierten dazu besonders zwei neostalinistische
Absplitterungen der französischen KP, nicht aber die Partei
selbst. Letztere ist anscheinend der Auffassung, sich in de
Öffentlichkeit besser mit lauten Wortmeldung zurückzuhalten, um
nicht mehr so stark wie in der Vergangenheit mit der Bilanz der
vergangenene Regime unter „kommunistischen“ Vorzeichen
idenfiziert zu werden. Dies mag man als Fehler betrachten,
allerdings ist die Aktivität „ultraorthodoxer“ Kräfte ihrerseits
dazu angetan, den Eindruck zu erwecken, als gehe es um eine
lückenlose Verteidigung der Vergangenheit und der historisch
existenten Regimes – statt um die Abwehr einer gefährlich
ideologischen Offensive bei gleichzeitigem (selbst)kritischem
Blick auf die reale Geschichte.
An einer Demonstration in
Strasbourg am Dienstag, 24. Januar nahmen rund 500 Personen
teil. Das wohl gröβte Kontingent unter ihnen stellte, mit 150
Teilnehmern, die orthodox-kommunistische KKE aus Griechenland
(aus diesem Land gehören alle drei unterschiedliche politische
Bewegungen oder Parteien der Fraktion der „Europäischen
Vereinigten Linken“, in der die KPen sitzen, im Europaparlament
an). In Griechenland selbst, wo die Kommunisten
gesamtgesellschaftlich ein erhebliches Prestige durch ihre
Teilnahme am antifaschistischen Widerstandskampf errrungen
haben, ging der Protest gegen das antikommunistische Papier des
Europarats teilweise deutlich über die Grenzen der
kommunistischen Sympathisantenbasis hinaus. Teilweise wurde er
dort aber – jedenfalls von orthodox-kommunistischer Seite – mit
merkwüdig klingenden Tönen begründet, insbesondere wurde oft
eine nuancenlose Assimilierung von bürgerlichem Antikommunismus
einerseits und dem Hitlerfaschismus und seinen Zielen
andererseits vorgenommen. In einer Stellungnahme, die am 03.
Januar 06 durch die Berliner Tageszeitung junge Welt
publiziert wurde, setzt der griechische Ex-Widerstandskämpfer
und Komponist Mikis Theodorakis so jeglichen Antikommunismus mit
aktivem Hitler-Nacheiferertum gleich: „Vielleicht beschlieβen
sie morgen, die kommunistischen Parteien zu verbieten, und auf
diese Weise die Tür zu öffnen für den Geist von Hitler und
Himmler (...). Aber die Herren im Europarat sind nicht die
ersten in ihrem Verlangen, da ihnen schon ihr groβer Bruder
zuvorgekommen ist, die USA, die mit Hitler-Methoden ganze Völker
hinopfern wie im Irak (...). Über dieses groβe Verbrechen gegen
die Menschlichkeit verliert der Europarat kein Wort, und
ebensowenig über das moderne hitlerische Folterlager von
Guantanamo.“ (Übersetzung nach jW) Das klingt, man muss
es ehrlich sagen, schon reichlich durchgeknallt. Hätte er
geschwiegen, hätte man ihn weiterhin für einen groβen Denker
halten können...
Von solchen Missklängen sollte
man sich nicht beeindrucken lassen, um energisch gegen den
Versuch zu kämpfen, antikommunistische Geschichtsbilder per
Resolution zwingend vor- und festzuschreiben: Der Kommunismus
von (über)morgen wird nicht dem von vorgestern ähneln, auch wenn
letzterer noch seine verbliebenen Anhänger zu mobilisieren
vermag.
Editorische Anmerkungen
Bernhard Schmid
stellte uns seinen Artikel in der vorliegenden Fassung am
30.1.06 zur
Verfügung.
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