Hammerhart
Antikommunistische Resolution des Europarats erzielte Mehrheit, aber verfehlte die Zweidrittelmehrheit

von Bernhard Schmid.

02/06

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Nein, das Kürzel PACE steht in diesem Fall nicht für Frieden und Regenbogenfahnen, sondern für die Parlamentary Assembly des Europarats. Dem Gremium gehören Abgeordnete aus derzeit 46 Staaten des europäischen Kontinents an. Der Europarat ist kein Gremium der Europäischen Union, sondern ein Organ der kontinentweiten Kooperation, ihm gehören etwa auch Russland und die Türkei an.

Am Donnerstag voriger Woche hatten die Parlamentarier beim Europarat über einen Resolutionsentwurf zu entscheiden, der im Vorfeld heftig umstritten war und zu größeren Straßenprotesten etwa in Griechenland führte. Er hatte die „internationale Verurteilung der Verbrechen totalitärer kommunistischer Regime“ zum Gegenstand - doch enthält der Text der Beschlussvorlage nicht nur Ausführungen über real existierend habende Regime, sondern auch über die „kommunistische Ideologie“ als solche. Letztere wird dabei in einen engen Zusammenhang mit angeblichen oder tatsächlichen historischen Verbrechen gerückt. Die Beschlussvorlage hatte am 14. Dezember vorigen Jahres die mehrheitliche Zustimmung des Politischen Ausschusses der Parlamentarierversammlung gefunden, der an jenem Tag in Paris zusammentrat. Ihr Berichterstatter war der konservative schwedische Reichtstagsabgeordnete und Parlamentarier beim Europarat, Göran Lindblad. Am vergangenen Donnerstag stimmte die Parlamentary Assembly selbst, die zu einer Sitzungswoche in Strasbourg zusammengetreten war, mit 99 zu 42 Stimmen dem Resolutionsentwurf zu. Dieser verfehlte damit jedoch die nötige Zweidrittelmehrheit, die erforderlich gewesen wäre, damit die Resolution für die Mitgliedsstaaten des Europarats verbindlich wird. Es bleibt also im Moment bei einem politischen Symbol, das gesetzt worden ist.

„Kommunismus“ und NS-Verbrechen 

In dem Resolutionstext selbst, vor allem aber in den Erläuterungen des Berichterstatters Lindblad wird eine Parallele zwischen „dem Kommunismus“ und dem verbrecherischen System des Nationalsozialismus gezogen: Letzteres sei international verurteilt und geächtet worden, aber „ähnliche, im Namen des Kommunismus begangene Verbrechen“ seien dem bisher entgangen. Noch schlimmer aus Sicht der Autoren: „Obwohl kaum nachvollziehbar, hat bisher nicht einmal eine ernsthafte und eingehende Debatte über die Ideologie stattgefunden, die hinter (…) dem Tod von Millionen Menschen und der Not ganzer Völker stand“, so Lindblad. Diese Ideologie wird kurz als „Theorie des Klassenkampfs“ charakterisiert, und als „Wesensmerkmal kommunistischer Herrschaft“ nennt der schwedische Berichterstatter unter anderem: „Die Verstaatlichung der Wirtschaft (…) engt das Privateigentum und die wirtschaftliche Aktivität des Einzelnen ein.“ Damit werden zielsicher jene Punkte herausgegriffen, für die so genannte kommunistische Herrschaft – aus emanzipatorischer Perspektive – zu allerletzt zu kritisieren ist. Zwar wäre statt der real in Ländern wie der Sowjetunion erfolgten Verstaatlichung eine tatsächliche Kollektivierung wirtschaftlicher Macht, eine basisdemokratische Vergesellschaftung der Produktionsmittel zu fordern. Aber diese Diskussion ist sinnvoll nicht mit den Lindblads dieser Welt zu führen.

An solchen Stellen wird überdeutlich, dass es den Urhebern der Resolution nicht darum geht, den eklatanten Widerspruch aufzuzeigen, der zwischen dem Anspruch des Kommunismus – eine Gesellschaft ohne Ausbeutung und Unterdrückung, ohne Herrschaft zu schaffen – und der Praxis bestimmter Regime klafft. „Kommunistischer“ Regime, die unter spezifischen historischen Umständen entstanden, etwa in unterentwickelten Ländern mit staatsdespotischer Tradition wie Russland und China, und in ihrer konkreten geschichtlichen Form kaum wiederkehren dürften. Ein solcher Widerspruch bestand beim Nationalsozialismus, der fälschlich mit dem „Kommunismus“ parallel gesetzt wird, keinesfalls: Er kündigte von Anfang an seine Vorhaben – Dominanz einer „Herrenrasse“ und Vernichtung –an, die er, einmal an die Macht gekommen, in die Tat umzusetzen begann. Daher betreibt die Resolution nackten Geschichtsrevisionismus. Entstanden war die Idee durch eine Reaktion konservativer und osteuropäischer Parlamentarier auf die Diskussionen zu 60 Jahren Kriegsende, sowie über die Ächtung von Rassismus und Antisemitismus im vorigen Jahr. Nunmehr haben sie ein Gegenfeuer entzündet.

Gegenwärtige „Gefahren“

Der schwedische Berichterstatter sieht auch die „Gefahr, dass in manchen Ländern Kommunisten an die Macht kommen“. Lindblad empört sich ferner über die Fortexistenz „kommunistischer Regierungen“, besonders in China, ohne dass er ein Wort darüber verlöre, dass die dortigen Verhältnisse sich besonders durch ein extremes kapitalistisches Akkumulationsregime auszeichnen. Unter die vergangenen kommunistischen Regimes verbucht er neben den Ländern des sowjetischen Blocks und dem ultrastalinistischen Albanien (vor 1991) auch Jugoslawien, wo es jedenfalls keinen der Stalinära vergleichbaren Massenterror gab. Und selbst Moçambique, wo in Wirklichkeit eine marxistisch beeinflusste nationale Befreiungsbewegung regierte, die erst gegen das portugiesische Kolonialimperium und später gegen das benachbarte Apartheid-Südafrika kämpfen musste.

 Lindblad und Konsorten zeigen sich besorgt darüber, dass „sich nach wie vor viele Politiker (…) von verschiedenen Elementen dieser Ideologie, z.B. Gleichheit oder soziale Gerechtigkeit, verführen (lassen)“. Demgegenüber fordern sie eine „öffentliche Aufklärungskampagne“, und insbesondere eine „Aufklärung junger Menschen“ (so der Resolutionstext), über die schlimmen Gefahren des Kommunismus. Anscheinend handelt es sich bei dem Kommunismus, der vielfach als „tot“ beschworen wird, um eine verdammt lebendige Leiche. Vielleicht, weil die Realität der kapitalistischen Verhältnisse die Frage nach einer möglichen Alternative aufdrängt

Proteste: teilweise fragwürdiges Profil

Nicht von dieser notwendigen Frage abhalten sollte einen die Feststellung, dass sich insbesondere die rückwärtsgewandtesten und borniertesten Elemente, die sich ideologisch auf „den Kommunismus“ beziehen, im Kampf gegen den Resolutionsentwurf lautstark hervorgetan haben. So trug einen wesentlichen Teil der Kampagne, die in einer Demonstration vor dem Europaratsgebäude gipfelte, die belgische „Partei der Arbeit“ (PTB/PvdA). Bei ihr handelt es sich um eine Partei mit extrem binärem Gut-Böse-Weltbild, die nicht nur Stalin kritiklos verteidigt, sondern in der heutigen Welt für eine aktive Unterstützung sämtlicher Regime eintritt, die politische Probleme mit den USA haben – von Saddam Hussein gestern bis Nordkorea aktuell.

Einige, vor allem extrem „orthodoxe“ kommunistische Kräfte mobilisierten am Samstag, 21. Januar zu einer „Notkonferenz“ in Brüssel. Aus Frankreich mobilisierten dazu besonders zwei neostalinistische Absplitterungen der französischen KP, nicht aber die Partei selbst. Letztere ist anscheinend der Auffassung, sich in de Öffentlichkeit besser mit lauten Wortmeldung zurückzuhalten, um nicht mehr so stark wie in der Vergangenheit mit der Bilanz der vergangenene Regime unter „kommunistischen“ Vorzeichen idenfiziert zu werden. Dies mag man als Fehler betrachten, allerdings ist die Aktivität „ultraorthodoxer“ Kräfte ihrerseits dazu angetan, den Eindruck zu erwecken, als gehe es um eine lückenlose Verteidigung der Vergangenheit und der historisch existenten Regimes – statt um die Abwehr einer gefährlich ideologischen Offensive bei gleichzeitigem (selbst)kritischem Blick auf die reale Geschichte.

An einer Demonstration in Strasbourg am Dienstag, 24. Januar nahmen rund 500 Personen teil. Das wohl gröβte Kontingent unter ihnen stellte, mit 150 Teilnehmern, die orthodox-kommunistische KKE aus Griechenland (aus diesem Land gehören alle drei unterschiedliche politische Bewegungen oder Parteien der Fraktion der „Europäischen Vereinigten Linken“, in der die KPen sitzen, im Europaparlament an). In Griechenland selbst, wo die Kommunisten gesamtgesellschaftlich ein erhebliches Prestige durch ihre Teilnahme am antifaschistischen Widerstandskampf errrungen haben, ging der Protest gegen das antikommunistische Papier des Europarats teilweise deutlich über die Grenzen der kommunistischen Sympathisantenbasis hinaus. Teilweise wurde er dort aber – jedenfalls von orthodox-kommunistischer Seite – mit merkwüdig klingenden Tönen begründet, insbesondere wurde oft eine nuancenlose Assimilierung von bürgerlichem Antikommunismus einerseits und dem Hitlerfaschismus und seinen Zielen andererseits vorgenommen. In einer Stellungnahme, die am 03. Januar 06 durch die Berliner Tageszeitung junge Welt publiziert wurde, setzt der griechische Ex-Widerstandskämpfer und Komponist Mikis Theodorakis so jeglichen Antikommunismus mit aktivem Hitler-Nacheiferertum gleich: „Vielleicht beschlieβen sie morgen, die kommunistischen Parteien zu verbieten, und auf diese Weise die Tür zu öffnen für den Geist von Hitler und Himmler (...). Aber die Herren im Europarat sind nicht die ersten in ihrem Verlangen, da ihnen schon ihr groβer Bruder zuvorgekommen ist, die USA, die mit Hitler-Methoden ganze Völker hinopfern wie im Irak (...). Über dieses groβe Verbrechen gegen die Menschlichkeit verliert der Europarat kein Wort, und ebensowenig über das moderne hitlerische Folterlager von Guantanamo.“ (Übersetzung nach jW) Das klingt, man muss es ehrlich sagen, schon reichlich durchgeknallt. Hätte er geschwiegen, hätte man ihn weiterhin für einen groβen Denker halten können...

Von solchen Missklängen sollte man sich nicht beeindrucken lassen, um energisch gegen den Versuch zu kämpfen, antikommunistische Geschichtsbilder per Resolution zwingend vor- und festzuschreiben: Der Kommunismus von (über)morgen wird nicht dem von vorgestern ähneln, auch wenn letzterer noch seine verbliebenen Anhänger zu mobilisieren vermag.

Editorische Anmerkungen

Bernhard Schmid stellte uns seinen Artikel in der vorliegenden Fassung am 30.1.06 zur Verfügung.