Wie ATTAC endlich Unterstützung bekommt:
Schröder und Chirac wollen mit der Tobin-Steuer eine andere Welt möglich machen

von Red. GegenStandpunkt
02/05

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Der Vorschlag, auf die Transaktionen des international agierenden spekulativen Kapitals eine Steuer zu erheben - die so genannte Tobin-Steuer -, zirkuliert schon ziemlich lange, wird von dem einen oder anderen Politiker oder Wirtschaftssachverständigen vorgebracht, am hartnäckigsten aber von der Organisation ATTAC, die sich sogar nach dieser Steuer benannt hat. Die Idee hat anscheinend etwas Bestechendes:

  • Die Summen, die das Finanzkapital täglich durch die Welt bewegt, sind gigantisch. Auch wenn man davon bloß einen winzig kleinen Prozentsatz abzweigt - ein Promille ist in der Diskussion -, kommt schon ein sehr ansehnlicher Betrag zustande. Und die Besteuerten merken das praktisch nicht!

  • Mit diesem Geld kann etwas für die armen Leute in der "3. Welt" getan werden. Denen geht es nicht nur so schlecht wie eh und je, es droht sogar noch weitere Verschlechterung, weil die Staaten der "1. Welt" unter Verweis auf ihre klammen Haushalte immer weniger von der früher so einmal genannten "Entwicklungshilfe" spendieren. Diese Lücke könnte die Tobin-Steuer ausfüllen und das Werk der "Armutsbekämpfung" kann weitergehen.

  • Diese Steuer kommt aber auch den "internationalen Finanzmärkten" selbst zu gute. Da nur die kurzfristigen, zumeist Währungsspekulationen besteuert werden sollen, werden die Spekulanten davon abgehalten, riesige Geldsummen bloß wegen kurzsichtiger Gewinninteressen hin und her zu schieben und dabei ganze Volkswirtschaften, aber auch ihr eigenes Vermögen in Gefahr zu bringen. Stattdessen stecken sie ihr Geld in langfristige Kapitalanlagen, mit denen auch langfristig was aufgebaut werden kann, und das dient wiederum der "Stabilität der Finanzmärkte".

Man weiß: Auch wenn sie sich um die "Stabilität der Finanzmärkte" besorgt geben - Freunde des internationalen Finanzkapitals sind die Leute von ATTAC nicht. In ihren Schriften sprechen sie eher verächtlich über eine Ansammlung von Verrückten, die sich in ihrem "Kasino-Kapitalismus" und mit ihrem "Spielgeld" gegenseitig ständig wachsende Gewinne zuschanzen - wie und warum das geht, wird einem freilich nicht erklärt - und die dabei der so genannten "Realwirtschaft" eine Menge Schaden zufügen können. Zum Feind des internationalen Geldes wird ATTAC deswegen aber nicht. Das ist erstens darum nicht möglich, weil es sich bei ATTAC um einen realistischen Verein handelt: Der befasst sich zwar nicht damit, warum es dieses "Kasino" gibt und worin seine kapitalistische Unverzichtbarkeit besteht, aber er weiß, dass es dieses "Kasino" samt "Spielgeld" gibt und "man" sich deswegen realistischerweise darauf einzulassen hat. Aber zweitens unterwirft sich ATTAC dieser Realität nicht unkritisch, sondern verpasst ihr raffiniert eine ungeahnte neue Stoßrichtung - eben mit der Tobin-Steuer. Die macht nämlich aus den niederen Motiven der Währungsspekulanten, ob sie es wollen oder nicht, eine gute Tat: Ein paar Milliarden werden von dem "Spielgeld" abgeschöpft und an die Armen weitergeleitet, wodurch es sich schlagartig in menschenfreundliches Geld verwandelt. Dafür braucht ATTAC nur eine Unterstützung, die der Staaten - ohne die geht freilich nichts.

Zu bezweifeln ist aber, drittens, ob ATTAC weiß, was für einen zynischen Aberwitz es da propagiert. Jetzt ist es nämlich so, dass die Armen der Welt auf das Geld der - soeben noch geschmähten - "Kasino"-Kapitalisten angewiesen sind. Ohne den ungeheuren Reichtum, der in dieser Sphäre produziert wird, geht nichts. Und zum Realismus, den ATTAC von Anfang an den Tag legt, gehört auch der winzige Prozentsatz der Steuer: Die darf die Agenten dieser Sphäre nämlich nicht schädigen, muss möglichst unmerklich sein, denn diese Sphäre muss möglichst gut funktionieren, damit was in Sachen "Armutsbekämpfung" geht. Ob den Leuten von ATTAC schon mal in den Kopf gekommen ist, dass sie als - angebliche - Kritiker des internationalen Finanzkapitals das Überleben der weltweiten Elendsbevölkerung hiermit zum Anhängsel dieses Finanzkapitals erklärt haben? Der Hinweis, dass diese Elendsbevölkerung vielleicht das Resultat des Wirkens - unter anderem - dieses Finanzkapitals ist, ist wahrscheinlich für die Katz ...

Auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos haben die Tobin-Anhänger eine dicke Anerkennung erfahren: Schröder und Chirac haben sich - zumindest der Idee nach - für ihre Steuer eingesetzt. Diese Herren machen sich auch Sorgen um den Zustand in den vielen elendigen Weltgegenden - sie denken dabei allerdings mehr an die Staaten, die dort die Hoheit ausüben. Diese Staaten haben mittlerweile einen eigenen Namen verpasst bekommt: "failing states", sinngemäß: versagende Staaten. Diese Staaten haben ihre Karriere mal als "Entwicklungsland" angefangen, sie wollten sich am Weltmarkt beteiligen und sich in ihm ein steigendes Einkommen erwirtschaften - unterstützt wurden sie dabei von den weltmarktführenden Nationen, nicht zuletzt mit der "Entwicklungshilfe". Entwickelt hat sich dabei nur der Reichtum der Nationen, die diese "Entwicklungshilfe" spendiert haben, also war diese "Hilfe" offensichtlich nichts anderes als ein wirkungsvoller Hebel, sich die "natürlichen Reichtümer" der "Entwicklungsländer" zu Konditionen anzueignen, die nur den "Gebernationen" nützten und die "Empfänger" immer ärmer machten, bis hin zum Endpunkt ihrer Karriere: Zerfall der staatlichen Ordnung, "failing states" eben.

Die Nutznießer dieser schönen "Entwicklung" haben damit nur noch ein Problem, das aber schon: Störungen der imperialistischen Geschäfte, z.B. Bürgerkriege mit anschließenden Flüchtlingsströmen, sollen von diesen Staaten nicht ausgehen, es braucht einen Restbestand an staatlicher Ordnung, einen Hausmeister bzw. eine Adresse, an die man sich im Bedarfsfall wenden kann. Erstens gibt es in diesen Staaten aber keine ökonomische Grundlage mehr, die eine Staatsmacht finanzieren könnte. Zweitens gibt es für die weltmarktführenden Nationen keinen Grund, sozusagen den Rückwärtsgang einzulegen und diesen Staaten wieder eine ökonomische Grundlage hinzustellen, und dazu gehört auch: "Entwicklungshilfe" lohnt sich einfach nicht mehr. Mit der hat man sie ja für den Weltmarkt, also für sich, hergerichtet, die Entwicklungshilfe hat ihren Dienst getan und diese Staaten sind ausgepowert. Es kann also nur noch eine Frage geben: Wie viel an allernotwendigsten Kosten will man für einen Rest an Staatlichkeit noch aufbringen, welche Almosen braucht es für Staaten, damit sie eine Polizei, ein bisschen Militär und ein paar Straßen unterhalten können? Und - wichtiger noch: Wer soll diese Kosten aufbringen?

Und da kommen Schröder und Chirac mit der Tobin-Steuer. Die Idee, die sie dabei im Kopf haben, ist: Könnte man nicht die Finanzkapitalisten als prominente kapitalistische Nutznießer der Weltmarktentwicklung, die ihnen die imperialistische Staatenwelt während der letzten 50 Jahre so blendend zurechtpräpariert hat, dazu bewegen, ein Scherflein beizutragen? Ein Scherflein für eine geordnete Staatenwelt, an deren weiterem Bestand sie doch irgendwie auch ein Interesse haben sollten? Kaum haben sie diese Idee in die Landschaft geworfen, ist sie auch schon wieder vom Tisch: Es geht nicht! Dem äußerst empfindlichen internationalen Finanzkapital kann man eine solche Zumutung nicht aufbürden, und wenns auch nur ein Promille ist. Dann geht es sofort dort hin, wo es nicht belastet wird. Das ließe sich wiederum nur unterbinden, wenn sich alle relevanten Staaten in dieser Sache einig wären. Sind sie aber nicht! Denn es gibt keinen gemeinsamen imperialistischen Umgang mit diesem Finanzkapital, sondern nur lauter konkurrierende Interessen daran.

Damit ist klar, was es mit dem Vorschlag einer Tobin-Steuer der Sache nach auf sich hat: Er ist unernsthaft und zielt gar nicht darauf ab, mit einer gemeinschaftlichen Geldsammelaktion für ein gemeinschaftliches Ordnungswerk zu sorgen. Der Kanzler sagt es gleich selbst: "Er sagte, zur Einführung einer Anti-Armuts-Steuer sei ein Konsens unter den großen Industrienationen nötig. Er selbst bezweifelte, dass sich eine solche Übereinstimmung erreichen lasse." (Spiegel Online 28.1.05) Ernst gemeint ist jedoch der Anspruch, mit dem die zwei europäischen Staatschefs auftreten und wofür sie die Idee einer Tobin-Steuer als Bebilderung heranziehen:

Damit hebt Europa erstens seine Zuständigkeit für eine globale Problemlage hervor und fordert von den Konkurrenten, eine europäische Führerschaft anzuerkennen. Unter der ließe sich doch - man weiß zwar nicht welches, aber egal - eine neues Weltfinanzregime vorstellen. Das richtet sich zweitens gegen die US-Vorherrschaft und ihr Kommando über die Weltfinanzströme. Drittens soll man sich dabei Europa im Kontrast zu den USA als eine gute und friedliche Weltordnungsmacht vorstellen, die z.B. das "Elend in Afrika" - nein, nicht selber mitverursacht hat, sondern - einfach nicht mehr mit ansehen kann. Der auf dem Feld des Gewalteinsatzes von den USA entschiedenen wirklichen imperialistischen Konkurrenz um die Weltordnung stellen also die Europäer nicht zum ersten und bestimmt nicht zum letzten Mal den Schein einer friedlichen Alternative entgegen: Sie präsentieren sich auf diesem ideologischen Nebenschauplatz als zuständige Adresse in Sachen verantwortliche "Hilfe", bauen sich berechnend im Gegensatz zum amerikanischen Kriegsprogramm mit ihrem "Eine andere Welt ist möglich" auf.

So kommen also die Ideen von ATTAC auf höchster imperialistischer Ebene zu Ehren. Mit ihnen lassen sich imperialistische Zuständigkeit und Verantwortung herausstreichen und bebildern. Die Leute von ATTAC fühlen sich wiederum bestätigt uns lassen sich gerne an die Diskussionstische der Großen einladen. Für Leute, in deren Denken es keinen Widerspruch, geschweige denn eine Schande darstellt, sich erstens sowieso immer nur einer "Armutsbekämpfung" zu verschreiben, sich diese zweitens immer nur in Abhängigkeit von den Kalkulationen der Großen und Mächtigen in der Welt vorstellen zu können - seien es nun die Finanzmärkte oder gleich die führenden Wirtschaftsnationen -, für solche Leute ist es tatsächlich ein Fortschritt, wenn auf einem Weltwirtschaftsforum ihr Slogan "Globalisierung ist kein Schicksal - Eine andere Welt ist möglich!" vorkommt. Aber haben sie es auch so gewollt? Dass die Europäer mit dieser Themenbesetzung die Amerikaner blamieren, ihnen ihre Legitimation auf Zuständigkeit beim verantwortlichen Weltordnen absprechen und ihren eigenen, konkurrierenden imperialistischen Interessen die höhere Weihen verleihen wollen?

Editorische Anmerkungen

Wir erhielten den Text zur weiteren Veröffentlichung von

G E G E N S T A N D P U N K T   A K T U E L L
Der eMail-Kurier für die aktuellen GEGENSTANDPUNKT-Analysen
Ausgabe 06-05 vom 20. Feb. 2005
Herausgeber: MSZ - Mailversand für sozialistische Zeitkritik
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