Seit
vielen Jahren ziehen die „Sachverständigen“ und ökonomische Experten jeder
Couleur durch das Land und wollen die kapitalistische Lohnarbeitslosigkeit
beseitigen. Gebetsmühlenartig verkünden sie ihr einzeigartiges „Knowhow“ in
Sachen sozialer, kapitalistischer Wohlfahrt:
Das
Wachstum ist zu schwach! Um die Lohnarbeitslosigkeit zu beseitigen brauchen
wir einfach mehr Wachstum! Damit mehr Wachstum entsteht, müssen die
Unternehmen höhere Gewinne machen, um investieren zu können.
Wie das
alles zu bewerkstelligen ist, weiß ein Mensch mit ökonomischem Sachverstand
natürlich auch:
Durch längeres Arbeiten, durch niedrigere Löhne, durch Abbau von sozialen
Leistungen etc.
Spätestens die Kohl-Genscher-Wende hat dafür gesorgt, dass diese Rezepte zum
Leitfaden der Politik wurden. Die rot-grüne Bande machte da weiter, wo ihre
Vorgänger aufgehört hatten, sogar noch „nachhaltiger“. (Grün stand ja schon
immer für „Nachhaltigkeit“ in der Politik!)
Ende
2004 las ich auf einer Internetseite:
„Gut 62 Milliarden Euro werden die 30 im Dax gelisteten Firmen nach
Schätzungen der Analysten von Thomson Financial am Jahresende eingefahren
haben. Topscorer ist der DaimlerChrysler-Konzern, der seine Gewinne im
Vergleich zu 2003 um 677 Prozent steigern konnte. Die Deutsche Telekom folgt
mit 238 Prozent, die Münchener Rück macht vor Steuern voraussichtlich 136
Prozent mehr Geld, bei ThyssenKrupp werden es 94 Prozent sein. Insgesamt
stieg der Vorsteuer-Gewinn aller 30 Unternehmen um 112 Prozent.“
Wenn
das keine Gewinne sind!? Das sind stolze Zahlen und sie
lassen sich leicht durch andere stolze Zahlen ergänzen.
Jetzt
aber geht ein Aufschrei durchs Land! Der Wert(ab)schöpfer Ackermann von der
Deutschen Bank legte die beeindruckenden Zahlen des Gewinnwachstums (fast 90%)
dieser „segensreichen“ ebenso deutschen wie kapitalistischen Institution vor
und kündigte gleichzeitig an, dass über 6000 MitarbeiterInnen von der Last der
Lohnarbeit „befreit“ werden sollen, damit es auch künftig so ein
beeindruckendes Gewinnwachstum geben wird.
Ackermanns Adjutant, der „Chefvolkswirt“ der Deutschen Bank, Norbert Walter,
möchte die Gemüter beruhigen, in dem er darauf verweist, dass die meisten der
Lohnarbeitsplätze ja nicht in Deutschland, sondern im Ausland wegfallen! (FR
vom 09.02.2005) Damit hat er das deutsch-nationale Gemüt schon fast für sich
eingenommen und die NPD wird erfreut sein! Und merke: Wenn Franzosen,
Engländer etc. lohnarbeitslos werden, dann soll das den deutschen Michel nicht
jucken!
Auch
der ach so liberale Olaf Henkel, ehemals BDI-Chef, gibt sich deutsch-national
und findet die Debatte um Ackermanns Entscheidung „verlogen und unberechtigt“.
Schließlich wolle der Herr Ackermann die Deutsche Bank nur vor Übernahme aus
dem Ausland bewahren. Wenn das keine deutsch-nationale Gesinnung ist,
obendrein noch von einem Schweizer demonstriert! Sozial sein heißt eben
deutsch sein! Das kommt uns bekannt vor!
Wie
war das noch? Durch höhere Gewinne zu mehr Investition und Wachstum und so
mehr Lohnarbeitsplätze. Selbst eine Zeitung wie die FR bemerkt dazu:
„Dieser Leitsatz stimmt nicht mehr: Wenn Unternehmen Gewinne machen,
investieren sie und es gibt genügend Wachstum, damit sie Arbeitslose
einstellen. Für diesen Glaubenssatz spricht die Hoffnung, sonst nichts.“ (FR
vom 15.02.2005)
Und
in einem weiteren Kommentar der FR heißt es:
„Wer
nicht das System als ganzes in Frage stellen will, sollte deshalb prüfen, ob
Ackermann dessen eigenen ökonomischen Ansprüchen genügt.“ (FR vom
11.02.2005)
Und
wer will das schon, das System als ganzes in Frage stellen? Niemand, denn
alle, um die es hier geht, leben wie die Maden im Speck in diesem System, die
Politiker und die Manager!
Irgendwie blamieren die Ackermanns die bürgerliche Politik bis auf die
Knochen! Besser noch, diese „Pragmatiker“ strafen ihre eigenen hohlen Phrasen
und die der bürgerlichen Politik als Ideologie in ihrer blödesten Form lügen.
Ja, ja, die Gewinne von heute sind die Investitionen und Lohnarbeitsplätze von
morgen ... aber das kann dauern!
Und
so bleibt besonders den „Spezialdemokraten“ in Partei und Gewerkschaften nicht
viel mehr als die moralische Empörung. Frau Simonis beispielsweise, 1.
Vorsitzende des Landes Schleswig-Hostein etwa hat ja (ökonomisches)
Verständnis dafür, dass ein existenziell bedrohtes, mittelständisches
deutsches Unternehmen in ein Land geht, wo der Stundenlohn bei 5 und nicht bei
15 Euro liegt. (Interview mit der FR vom 07.02.2005) Aber in Anbetracht dieser
Gewinne? Das sei zynisch und habe mit sozialer Marktwirtschaft nichts mehr zu
tun. Ist Hartz IV etwa weniger zynisch und asozial, möchte man fragen?
Herr
Bütikofer von den Grünen wird ganz streng, wirft Ackermann
Verantwortungslosigkeit vor und verlangt von ihm, „er müsse auch ein guter
Staatsbürger sein“. (In der ARD, zitiert nach FR vom 09.02.2005) Dem armen
Ackermann wird der Schreck in die Glieder gefahren sein!
Politik will ja Ausbeutung und Sozialraub mitgestalten (sie nennen das
Verantwortung für das Gemeinwesen) und dafür die Zustimmung der Lohnabhängigen
einholen. Da ist es ärgerlich, wenn die pragmatisch-blöden Phrasen
„ökonomischer Vernunft“ und „soziale Wohlfahrt“ auf diese Weise brüskiert
werden. Das macht den eigenen Auftrag, der Ausbeutung die demokratische
Legitimation zu verschaffen, nicht eben leicht.
Selbst ein Mann wie DGB-Chef Sommer hat nun erkannt (erstaunlich,
erstaunlich), dass die Politik sich durch Hartz IV entschieden hat und die
Würfel somit gefallen seien. Da man daran nichts mehr ändern könne, müsse man
die „Reformen“ nun „mittragen“. (FR vom 13.02.2005) Bravo! Man hört Herrn
Sommer förmlich ächzen unter der Last der Verantwortung, die so schwer mit zu
tragen ist, wenn man DGB-Chef ist.
In
einem jedenfalls hat Olaf Henkel recht: die aktuelle Debatte um die soziale
Verpflichtung des kapitalistischen Eigentums ist „verlogen“! Wirtschaft und
Politik ziehen an einem Strang. Die Maßnahmen der Deutschen Bank und Hartz IV
sind voll kompatibel und beides zusammen entlarvt das blödsinnige Gerede von
der sozialen Verpflichtung des kapitalistischen Eigentums. Die Musik wird
gespielt von der Dynamik der Kapitalakkumulation:
„Je größer der gesellschaftliche Reichtum,
das funktionierende Kapital, Umfang und Energie seines Wachstums, also auch
die absolute Größe des Proletariats und die Produktivkraft seiner Arbeit,
desto größer die industrielle Reservearmee. Die disponible Arbeitskraft wird
durch dieselben Ursachen entwickelt wie die Expansivkraft des Kapitals. Die
verhältnismäßige Größe der industriellen Reservearmee wächst also mit den
Potenzen des Reichtums. Je größer aber diese Reservearmee im Verhältnis zur
aktiven Arbeiterarmee, desto massenhafter die konsolidierte Übervölkerung,
deren Elend im umgekehrten Verhältnis zu ihrer Arbeitsqual steht. Je größer
endlich die Lazarusschichte der Arbeiterklasse und die industrielle
Reservearmee, desto größer der offizielle Pauperismus. Dies ist das
absolute, allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation. Es wird
gleich allen andren Gesetzen in seiner Verwirklichung durch mannigfache
Umstände modifiziert, deren Analyse nicht hierher gehört.
Man begreift die Narrheit der ökonomischen
Weisheit, die den Arbeitern predigt, ihre Zahl den Verwertungsbedürfnissen
des Kapitals anzupassen. Der Mechanismus der kapitalistischen Produktion und
Akkumulation paßt diese Zahl beständig diesen Verwertungsbedürfnissen an.
Erstes Wort dieser Anpassung ist die Schöpfung einer relativen Übervölkerung
oder industriellen Reservearmee, letztes Wort das Elend stets wachsender
Schichten der aktiven Arbeiterarmee und das tote Gewicht des Pauperismus.
... Es folgt daher, daß im Maße wie
Kapital akkumuliert, die Lage des Arbeiters, welches immer seine Zahlung,
hoch oder niedrig, sich verschlechtern muß. Das Gesetz endlich, welches die
relative Übervölkerung oder industrielle Reservearmee stets mit Umfang und
Energie der Akkumulation in Gleichgewicht hält, schmiedet den Arbeiter
fester an das Kapital als den Prometheus die Keile des Hephästos an den
Felsen. Es bedingt eine der Akkumulation von Kapital entsprechende
Akkumulation von Elend. Die Akkumulation von Reichtum auf dem einen Pol ist
also zugleich Akkumulation von Elend, Arbeitsqual, Sklaverei, Unwissenheit,
Brutalisierung und moralischer Degradation auf dem Gegenpol, d.h. auf Seite
der Klasse, die ihr eignes Produkt als Kapital produziert.“
(Karl Marx, Das Kapital Bd.1, S.
673 ff)
Editorische Anmerkungen
Peter
Trotzig schreibt ab der Nr. 1-05 in unregelmäßigen Abständen seine
Kommentare zum Zeitgeschehen. Dieser wurde am 19.02.2005 erstellt.
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