Kommentare zum Zeitgeschehen
Eine notwendige Korrektur „ökonomischer Wissenschaft“: nicht Wachstum, sondern Moral schafft Lohnarbeitsplätze!

von Peter Trotzig
02/05

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Seit vielen Jahren ziehen die „Sachverständigen“ und ökonomische Experten jeder Couleur durch das Land und wollen die kapitalistische Lohnarbeitslosigkeit beseitigen. Gebetsmühlenartig verkünden sie ihr einzeigartiges „Knowhow“ in Sachen sozialer, kapitalistischer Wohlfahrt:

Das Wachstum ist zu schwach! Um die Lohnarbeitslosigkeit zu beseitigen brauchen wir einfach mehr Wachstum! Damit mehr Wachstum entsteht, müssen die Unternehmen höhere Gewinne machen, um investieren zu können.

Wie das alles zu bewerkstelligen ist, weiß ein Mensch mit ökonomischem Sachverstand natürlich auch:

Durch längeres Arbeiten, durch niedrigere Löhne, durch Abbau von sozialen Leistungen etc.

Spätestens die Kohl-Genscher-Wende hat dafür gesorgt, dass diese Rezepte zum Leitfaden der Politik wurden. Die rot-grüne Bande machte da weiter, wo ihre Vorgänger aufgehört hatten, sogar noch „nachhaltiger“. (Grün stand ja schon immer für „Nachhaltigkeit“ in der Politik!)

Ende 2004 las ich auf einer Internetseite:

„Gut 62 Milliarden Euro werden die 30 im Dax gelisteten Firmen nach Schätzungen der Analysten von Thomson Financial am Jahresende eingefahren haben. Topscorer ist der DaimlerChrysler-Konzern, der seine Gewinne im Vergleich zu 2003 um 677 Prozent steigern konnte. Die Deutsche Telekom folgt mit 238 Prozent, die Münchener Rück macht vor Steuern voraussichtlich 136 Prozent mehr Geld, bei ThyssenKrupp werden es 94 Prozent sein. Insgesamt stieg der Vorsteuer-Gewinn aller 30 Unternehmen um 112 Prozent.“

Wenn das keine Gewinne sind!? Das sind stolze Zahlen und sie lassen sich leicht durch andere stolze Zahlen ergänzen. 

Jetzt aber geht ein Aufschrei durchs Land! Der Wert(ab)schöpfer Ackermann von der Deutschen Bank legte die beeindruckenden Zahlen des Gewinnwachstums (fast 90%) dieser „segensreichen“ ebenso deutschen wie kapitalistischen Institution vor und kündigte gleichzeitig an, dass über 6000 MitarbeiterInnen von der Last der Lohnarbeit „befreit“ werden sollen, damit es auch künftig so ein beeindruckendes Gewinnwachstum geben wird.

Ackermanns Adjutant, der „Chefvolkswirt“ der Deutschen Bank, Norbert Walter, möchte die Gemüter beruhigen, in dem er darauf verweist, dass die meisten der Lohnarbeitsplätze ja nicht in Deutschland, sondern im Ausland wegfallen! (FR vom 09.02.2005) Damit hat er das deutsch-nationale Gemüt schon fast für sich eingenommen und die NPD wird erfreut sein! Und merke: Wenn Franzosen, Engländer etc. lohnarbeitslos werden, dann soll das den deutschen Michel nicht jucken!

Auch der ach so liberale Olaf Henkel, ehemals BDI-Chef, gibt sich deutsch-national und findet die Debatte um Ackermanns Entscheidung „verlogen und unberechtigt“. Schließlich wolle der Herr Ackermann die Deutsche Bank nur vor Übernahme aus dem Ausland bewahren. Wenn das keine deutsch-nationale Gesinnung ist, obendrein noch von einem Schweizer demonstriert! Sozial sein heißt eben deutsch sein! Das kommt uns bekannt vor! 

Wie war das noch? Durch höhere Gewinne zu mehr Investition und Wachstum und so mehr Lohnarbeitsplätze. Selbst eine Zeitung wie die FR bemerkt dazu:

„Dieser Leitsatz stimmt nicht mehr: Wenn Unternehmen Gewinne machen, investieren sie und es gibt genügend Wachstum, damit sie Arbeitslose einstellen. Für diesen Glaubenssatz spricht die Hoffnung, sonst nichts.“ (FR vom 15.02.2005)

Und in einem weiteren Kommentar der FR heißt es:

„Wer nicht das System als ganzes in Frage stellen will, sollte deshalb prüfen, ob Ackermann dessen eigenen ökonomischen Ansprüchen genügt.“ (FR vom 11.02.2005)

Und wer will das schon, das System als ganzes in Frage stellen? Niemand, denn alle, um die es hier geht, leben wie die Maden im Speck in diesem System, die Politiker und die Manager!

Irgendwie blamieren die Ackermanns die bürgerliche Politik bis auf die Knochen! Besser noch, diese „Pragmatiker“ strafen ihre eigenen hohlen Phrasen und die der bürgerlichen Politik als Ideologie in ihrer blödesten Form lügen. Ja, ja, die Gewinne von heute sind die Investitionen und Lohnarbeitsplätze von morgen ... aber das kann dauern! 

Und so bleibt besonders den „Spezialdemokraten“ in Partei und Gewerkschaften nicht viel mehr als die moralische Empörung. Frau Simonis beispielsweise, 1. Vorsitzende des Landes Schleswig-Hostein etwa hat ja (ökonomisches) Verständnis dafür, dass ein existenziell bedrohtes, mittelständisches deutsches Unternehmen in ein Land geht, wo der Stundenlohn bei 5 und nicht bei 15 Euro liegt. (Interview mit der FR vom 07.02.2005) Aber in Anbetracht dieser Gewinne? Das sei zynisch und habe mit sozialer Marktwirtschaft nichts mehr zu tun. Ist Hartz IV etwa weniger zynisch und asozial, möchte man fragen? 

Herr Bütikofer von den Grünen wird ganz streng, wirft Ackermann Verantwortungslosigkeit vor und verlangt von ihm, „er müsse auch ein guter Staatsbürger sein“. (In der ARD, zitiert nach FR vom 09.02.2005) Dem armen Ackermann wird der Schreck in die Glieder gefahren sein! 

Politik will ja Ausbeutung und Sozialraub mitgestalten (sie nennen das Verantwortung für das Gemeinwesen) und dafür die Zustimmung der Lohnabhängigen einholen. Da ist es ärgerlich, wenn die pragmatisch-blöden Phrasen „ökonomischer Vernunft“ und „soziale Wohlfahrt“ auf diese Weise brüskiert werden. Das macht den eigenen Auftrag, der Ausbeutung die demokratische Legitimation zu verschaffen, nicht eben leicht.

Selbst ein Mann wie DGB-Chef Sommer hat nun erkannt (erstaunlich, erstaunlich), dass die Politik sich durch Hartz IV entschieden hat und die Würfel somit gefallen seien. Da man daran nichts mehr ändern könne, müsse man die „Reformen“ nun „mittragen“. (FR vom 13.02.2005) Bravo! Man hört Herrn Sommer förmlich ächzen unter der Last der Verantwortung, die so schwer mit zu tragen ist, wenn man DGB-Chef ist. 

In einem jedenfalls hat Olaf Henkel recht: die aktuelle Debatte um die soziale Verpflichtung des kapitalistischen Eigentums ist „verlogen“! Wirtschaft und Politik ziehen an einem Strang. Die Maßnahmen der Deutschen Bank und Hartz IV sind voll kompatibel und beides zusammen entlarvt das blödsinnige Gerede von der sozialen Verpflichtung des kapitalistischen Eigentums. Die Musik wird gespielt von der Dynamik der Kapitalakkumulation:

„Je größer der gesellschaftliche Reichtum, das funktionierende Kapital, Umfang und Energie seines Wachstums, also auch die absolute Größe des Proletariats und die Produktivkraft seiner Arbeit, desto größer die industrielle Reservearmee. Die disponible Arbeitskraft wird durch dieselben Ursachen entwickelt wie die Expansivkraft des Kapitals. Die verhältnismäßige Größe der industriellen Reservearmee wächst also mit den Potenzen des Reichtums. Je größer aber diese Reservearmee im Verhältnis zur aktiven Arbeiterarmee, desto massenhafter die konsolidierte Übervölkerung, deren Elend im umgekehrten Verhältnis zu ihrer Arbeitsqual steht. Je größer endlich die Lazarusschichte der Arbeiterklasse und die industrielle Reservearmee, desto größer der offizielle Pauperismus. Dies ist das absolute, allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation. Es wird gleich allen andren Gesetzen in seiner Verwirklichung durch mannigfache Umstände modifiziert, deren Analyse nicht hierher gehört.

Man begreift die Narrheit der ökonomischen Weisheit, die den Arbeitern predigt, ihre Zahl den Verwertungsbedürfnissen des Kapitals anzupassen. Der Mechanismus der kapitalistischen Produktion und Akkumulation paßt diese Zahl beständig diesen Verwertungsbedürfnissen an. Erstes Wort dieser Anpassung ist die Schöpfung einer relativen Übervölkerung oder industriellen Reservearmee, letztes Wort das Elend stets wachsender Schichten der aktiven Arbeiterarmee und das tote Gewicht des Pauperismus.

... Es folgt daher, daß im Maße wie Kapital akkumuliert, die Lage des Arbeiters, welches immer seine Zahlung, hoch oder niedrig, sich verschlechtern muß. Das Gesetz endlich, welches die relative Übervölkerung oder industrielle Reservearmee stets mit Umfang und Energie der Akkumulation in Gleichgewicht hält, schmiedet den Arbeiter fester an das Kapital als den Prometheus die Keile des Hephästos an den Felsen. Es bedingt eine der Akkumulation von Kapital entsprechende Akkumulation von Elend. Die Akkumulation von Reichtum auf dem einen Pol ist also zugleich Akkumulation von Elend, Arbeitsqual, Sklaverei, Unwissenheit, Brutalisierung und moralischer Degradation auf dem Gegenpol, d.h. auf Seite der Klasse, die ihr eignes Produkt als Kapital produziert.“

(Karl Marx, Das Kapital Bd.1, S. 673 ff)

Editorische Anmerkungen

Peter Trotzig schreibt ab der Nr. 1-05 in unregelmäßigen Abständen seine Kommentare zum Zeitgeschehen. Dieser wurde am 19.02.2005 erstellt.