Frankreich:
Zwischen Solidarität und patriotischem Kitsch - Mobilisierung für im Irak festgehaltene Journalistin

von Bernhard Schmid

02/05

trend
onlinezeitung

Was würde die Irak entführte Florence Aubenas wohl dazu sagen, wenn sie es könnte? Wäre Ihr diese, jedenfalls in Teilbereichen ausgesprochen selbstgefällige und entpolitisierende Solidarity-Show Recht gewesen? Das ist zumindest nicht sicher.  

Die Journalistin der linksliberalen Pariser Tageszeitung ’Libération' (das vor 32 Jahren gegründete Blattprojekt galt dereinst als "große Kusine" und Vorbild der Berliner tageszeitung) wird seit dem 5. Januar im Irak vermisst. Ebenso fehlt seitdem jegliches Lebenszeichen von ihrem Fahrer und Dolmetscher, Hussein Hanoun Al-Saadi. Ohne solche ortskundigen Begleiter können sich ausländische Journalisten derzeit im Zweistromland nicht mehr bewegen. Aber selbst zusammen mit Irakern genießen sie derzeit offenkundig keine Sicherheit mehr.  

Zunächst sollen einige Worte zur Rolle von Florence Aubenas und ’Libération' in der französischen politischen und Medien-Landschaft verloren werden, bevor auf die aktuelle Medienkampagne eingegangen und eine Bewertung versucht wird. (Zur Gründungsgeschichte von "Libération" siehe folgenden Beitrag, der aus Anlass des 25jährigen Bestehens der Zeitung erschien: http://www.nadir.org/nadir/periodika/jungle_world/_98/22/30b.htm)  

Die Rolle von Florence Aubenas und ’Libération'  

Vor wenigen Jahren hatte die Reporterin Florence Aubenas, zusammen mit dem einst aus Argentinien nach Frankreich geflohenen Philosophen Miguel Benasayag, ein Buch über <La fabrication de l¹information> (1999) herausgegeben. Darin nimmt sie die mediale Kulturindustrie und ihre Ideologie kritisch unter die Lupe. In einem anderen gemeinsamen Buch ­ <Résister, c¹est créer> ­ beschreiben Aubenas und Benasayag innovative oder suberversive Praktiken sozialer Bewegungen, von Erfahrungen alternativer Psychiatrie über landlose Bauern in Lateinamerika bis hin zur französischen Sans papiers-Solidaritätsbewegung. Eine typische Vertreterin des Jet-Set- oder Infotainment-Journalismus war Florence Aubenas also nicht.  

Dennoch trifft es gleichzeitig auch zu, Florence Aubenas selbst und mehr noch die Zeitung, für die sie arbeitet, als Bestandteil des französischen Establishments und Instrument seiner Außenpolitik zu bezeichnen. Und das in mitunter frappierendem Ausmaß.  

Florence Aubenas war als Journalistin wiederholt in Krisenzonen wie Algerien, dem Kosovo, Afghanistan und jetzt eben dem Irak beschäftigt. Dabei sticht negativ ins Auge, dass sie nach übereinstimmender Aussage ehemaliger Kontakte zum Beispiel kein Arabisch spricht. Zwar lässt sich in Algerien leicht aufs Französische ausweichen, im Irak u.U. aufs Englische; der Bezug zur gesellschaftlichen Realität ist aber nicht derselbe wie der einer des Arabischen als gesellschaftlicher Alltagssprache kundigen Person. Damit bleibt eine Journalistin notwendig ein Stück weit außerhalb des sozialen Beziehungsgeflechts und in einem "offiziellen" Verhältnis zu ihrer vorübergehenden Umgebung verhaftet. Ferner bietet das "Hüpfen" von einem Krisenschauplatz zum nächsten (Kosovo, Afghanistan, Irak...) nicht unbedingt die Gewähr dafür, dass die Beobachterin die spezifischen Bedingungen und Mechanismen jedes Konflikts ­ jeweils für sich genommen ­ wahrnimmt, selbst wenn man den allerbesten Willen bei ihr voraussetzt.  

Um als Beispiel die Algerien-Berichterstattung von ’Libération' herauszugreifen, an der Florence Aubenas zeitweise mitgewirkt hat (wenngleich als die eigentliche angebliche "Algerienspezialistin" der Zeitung José Garçon gilt, die auch älter ist als Florence Aubenas), so lässt sich ihre Funktionalität für die französische Außenpolitik deutlich aufzeigen.  

Beispiel: Aubenas, ’Libération', der französische Imperialismus und Algerien  

Hinsichtlich der 1992 aufgebrochenen Krise in Algerien bestanden von Anfang zwei Linien im französischen Establishment, die selbstverständlich beide dazu dienen sollten, die Interessen des französischen Imperialismus in Nordafrika wahrzunehmen. Auf der bürgerlichen Rechten dominierte eine Linie (zu der es freilich auch innerhalb der Rechten immer wieder Abweichungen gab), die auf die algerischen Militärs setzte und eine "Krisenlösung" durch das Vorgehen der Armee befürwortete. Spiegelbildlich verkehrt, setzte die Mehrheitsfraktion der Mitterrand-"Sozialisten" und auch der späteren Sozialdemokratie unter Lionel Jospin auf eine "politische Lösung" unter Einbindung der islamistischen Partei (des FIS) ins Regierungsgeschäft. Selbstverständlich nicht aus demokratisch-humanistischen Gründen und pazifistischer Abneigung gegen die Militärs (Mitterrand hatte u.a. Frankreich 1991 am Golfkrieg teilnehmen lassen und 1994 ein Genozid-Regime in Ruanda protegiert). Sondern weil man sich von den Islamisten versprach, dass sie "die Leute zurück an die Arbeit bringen" (so drückte es der angebliche "Islamspezialist" Bruno Etienne, der dieser politischen Fraktion angehört, im Januar 1992 in einem Interview mit der "taz" unverblümt aus). Es handelte sich also um zwei konkurrierende Herrschaftsstrategien, um zwei Varianten autoritärer Krisenlösung.  

Beide strategischen Linien wurden nach 1992 bruchlos fortgesetzt und konkurrierten miteinander darum, welche besser den Interessen des französischen Imperialismus diene. Die konservative Rechte setzte mehrheitlich auf die Militärs und die regierende Elite in Algier, die ab dem Umschuldungsabkommen von 1994 auch (nicht zuletzt unter französischem Druck) brav die IWF-Auflagen erfüllte. Umgekehrt setzte ein Teil des Staatsapparats, (nicht nur) die Fraktion unter sozialdemokratischer Führung, darauf, das algerische Regime des "mangelnden Dialogs" mit den radikalen Islamisten zu beschuldigen und deren Einbindung zu fordern. Zu derselben Zeit wurde die algerische Bevölkerung mehrheitlich zum Opfer beider autoritärer Akteure, zwischen deren Agieren sie "eingeklemmt" war.  

Als 1996 bis 1998 die von Teilen der bewaffneten Islamistengruppen (denen ihre soziale Basis definitiv wegbzubrechen begann) verübten Kollektivmassaker an der Zivilbevölkerung für Schlagzeile sorgten, da versteifte die zweitgenannte Fraktion sich darauf, dass Islamistengruppen nicht für diese Massaker verantwortlich seien. Vielmehr handele es sich um eine bloße Inszenierung durch das bestehende Regime in Algerien, das "Todesschwadronen" agieren lasse und deren Operationen für Taten von Islamisten ausgebe. Diese Behauptung ist zwar im Ergebnis völlig unhaltbar, wenn man sich zu Recherchen vor Ort begibt. Sie erfüllte allerdings ihre strategische Funktion in der französischen Außenpolitik jener Jahre: Seit 1995 begann die US-Administration (die zunächst einen Machtwechsel zugunsten der Islamisten favorisiert hatte und entsprechende Initiativen Saudi-Arabiens unterstützte) diese Option fallen zu lassen und sich an das bestehende Regime anzunähern. Umgekehrt hatten sich Algerien und Paris seit 1995 und einigen diplomatischen Patzern von Präsident Jacques Chirac zunehmend verkracht. In dieser Phase bildete die öffentlich lancierte Behauptung, vielleicht seien die bewaffneten Islamisten an den Massakern unschuldig und die Armee inszeniere sie nur, das Schwenken eines roten Tuches: Algerien wurde mit seiner Herabstufung zum "Paria-Regime", seiner internationalen Isolierung gedroht. Und das in einer Phase, in der (wegen der noch bis 1999 extrem niedrigen Ölpreise) das Regime in Algier dringend nach Krediten lechzte ­ und deswegen zur Hinnahme extrem ungünstiger Konditionen notgedrungen bereit war. Die Kampagane eines Teils des französischen Establishments, die Algier der Inszenierung der Massaker beschuldigte, erhöhte den entsprechenden Druck auf Algier.  

Die beiden Journalistinnen Florence Aubenas ebenso wie José Garçon (die erste arbeitete zeitweise in Algerien, die zweitere vorwiegend von Paris aus) unterstützten diese politisch-ideologische Kampagne, was das Zeug hielt. Entsprechend wurde Stimmen aus Algerien, die solche Behauptungen wie erwünscht belegen sollten, regelmäßig das Wort erteilt. Anderslautende Stimmen (und viele Überlebende der Massaker haben den Darlegungen, wonach bewaffnete Islamisten nichts damit zu tun haben, explizit und vehement widersprochen) kamen in ’Libération' nicht zu Wort. Stattdessen wurde im Frühsommer 2001 in einem Gastbeitrag dem französischen Verleger François Gèze, der zu den intellektuellen Köpfen der geschilderten Kampagne zählt, das Wort für seine teilweise delirierenden Ausführungen erteilt.  

Dabei hing die Kampagne von ’Libération', die unter dem in jedem einzelnen Artikel der Zeitung über Algerien wiederkehrenden Stichwort "La sale guerre" als Chiffre die Behauptung der Alleinverantwortung des Regimes für die Massaker (und damit die Entlastung der bewaffneten Islamistengruppen GIA) platzierte, beständig mit den Interessen einer Fraktion im Staatsapparat des französischen Imperialismus zusammen. Wie eng, sollte sich am 30. Oktober 2002 zeigen.  

An diesem Tag veröffentlichte "Libération" ein Dossier von einem halben Dutzend Seiten über "Die verborgene Seite des Khalifa-Imperiums" (La face cachée de l¹empire Khalifa). Rafik Abdelmoumem Khalifa ist ein algerischer Milliardär, der mittlerweile durch Interpol mit internationalem Haftbefehl gesucht wird und in London bleibt, weil der britische Staat kein Auslieferungsabkommen mit Algier hat. Vor seinem jähen Sturzflug zum Jahreswechsel 2002/03 hatte Khalifa jedoch als eine Art ökonomisches Wunderkind Algeriens gegolten: der erfolgreichste Privatunternehmer des Landes, Beispiel für die tollen Erfolge des endlich erfolgenden "Übergangs zur freien Marktwirtschaft" (so die französische Wochenzeitung "Le Canard enchaîné" in einem extrem positiven Artikel über ihn aus dem Jahr 2002). Doch das Wirtschaftswunder war auf Sand gebaut: Der Anfangserfolg Khalifas beruhte darauf, dass sein Name dazu diente, illegal akkumulierte Vermögen von Angehörigen der algerischen Nomenklatura legal zu investieren, also zu "waschen" und in die legale Ökonomie zu recyceln. Später profitierte Khalifa von dem Vertrauen, das ihm viele einfache BürgerInnen Algeriens entgegen brachten, die ihre Spargroschen in seiner vermeintlich florierenden Khalifa Bank deponierten. Tausende von ihnen sind heute um ihre Spragroschen geprellt.  

Der Absturz Khalifas hängt wohl eng damit zusammen, dass er mächtigen Wirtschaftsinteressen und Kapitalfraktionen in Frankreich in die Quere kam. Einerseits waren diese daran interessiert, den algerischen Binnenmarkt zu beherrschen und also eine "einheimische" Konkurrenz auszuschalten (wofür ihnen das 2002 abgeschlossene und demnächst ratifizierte Freihandelsabkommen zwischen Algerien und der EU, das den "Freihandel" garantiert, eine prächtige Grundlage bietet). Andererseits wurde Khalifa auch noch frech und mischte in Frankreich kräftig mit: Er kaufte den Marseiller Fußballclub OM auf und lud zu Feten französische Prominenz wie Gérard Dépardieu und Catherine Deneuve ­ die jetzt vor Gericht stehen, weil sie sich ihr Kommen durch fette Geldzahlungen versüßen ließen. (Catherine Deneuve hat nach dem, was sie bisher zugegeben hat, über 150.000 Euro für ihr Kommen zu einer Abendveranstaltung kassiert.)  

Journalistisch interessant ist nun, wie "Libération", deren Enthüllungen mit zum Sturzflug Khalifas durch "Vertrauensverlust" beigetragen haben dürften, ihre Informationen erhalten hatte und darbot. Völlig ungeniert nämlich baut das Dossier der Tageszeitung fast ausschließlich auf Quellen wie den folgenden auf: "Ein internes Dokument der französischen Regierung"; bis dahin unveröffentlichte Informationen aus dem Außenministerium; "ein internes Dokument der DGSE" (Direction générale de la sécurité extérieure, es handelt sich um den wichtigsten französischen Auslandsgeheimdienst); "ein Polizist der RG" (Renseignements généraux, diese entsprechen grob den deutschen Verfassungsschutzämtern). Daneben kommen noch anonym bleibende "Experten" zu Wort.  

Anders ausgedrückt: Das Dossier der angeblich so rückhaltlos (jedenfalls gegenüber den Machthabern in Algier...) kritischen, linksliberalen Tageszeitung beruht darauf, dass sie aus den Zentren des Staatsapparats des französischen Imperialismus mit Informationen gefüttert wurde. Aus den o.g. Gründen ist offenkundig, dass ihre Veröffentlichung den Interessen mächtiger französischer Kapitalfraktionen diente.  

Florence Aubenas und José Garçon als angebliche "Algerienkennerinnen" sind zwei der vier JournalistInnen, die ihren Namen unter dieses Dossier setzten. Entsprechend sollte man alles, aber auch alles, was aus der Feder dieser AutorInnen stammt, mit äußerst spitzen Fingern anfassen.  

Nun aber zur aktuellen französisch-irakischen Geiselaffäre...  

Florence Aubenas, Gefangene im Irak  

Zuletzt hatten sich, vom 20. August vergangenen Jahres bis kurz vor Weihnachten 04, die beiden französischen Journalisten Christian Chesnot und Georges Malbrunot im Irak in Geiselhaft befunden. Zu ihrer Entführung hatte sich eine bewaffnete Islamistengruppe bekannte, die zunächst die Abschaffung des seit März 2004 geltenden Kopftuchverbots für moslemische Schülerinnen in Frankreich ­ die aber nicht erfolgte ­ und später Geld von der Pariser Regierung forderte. Nach offiziösen Angaben (denen der "Canard enchaîné" ein Echo gab, ohne dementiert zu werden) sollen insgesamt rund 15 Millionen Euro in dieser Angelegenheit geflossen sein, davon aber ein bedeutender Teil an ­ angebliche oder auch tatsächliche ­ Mittelsmänner.  

Die Hintergründe der derzeitigen Entführung scheinen aber andere zu sein: Bisher gibt es weder ein öffentliches Bekenntnis irgendeiner identifizierbaren Gruppe zu der Tat noch offizielle Forderungen. Doch alle politisch oder ideologisch begründeten Kidnappingfälle im Irak waren bisher, im Abstand von drei bis höchstens 13 Tagen, vom Auftreten einer sich als dafür verantwortlich bezeichnenden Gruppe und der Formulierung ihrer Forderungen gefolgt. Deswegen geht ’Libératio'n-Herausgeber Serge July nach seinen derzeitigen (öffentlichen) Angaben davon aus, dass die Hintergründe des bisher spurlosen Verschwindens von Florence Aubenas und ihres Begleiters eher in Kriminalität und Banditentum zu suchen seien.  

Seit dem Verschwinden von Aubenas und Hanoun Al-Saadi hat die Redaktion einige Anstrengungen unternommen, die Besorgnis um ihr Leben auf die öffentliche Bühne zu tragen. Ihre beiden Portraits schmücken seit dem 26. Januar die seit längerem verhüllte Statue auf der Place de la République, einem der meist befahrenen Plätze in der französischen Hauptstadt, von dem aus der Sitz von ’Libératio'n nur eine Seitenstraße entfernt ist. Dem Anbringen der beiden überlebensgroßen Fotographien wohnten einige hundert Personen, viele von ihnen selbst Bild- oder Textjournalisten, sowie die Eltern von Florence Aubenas bei. Der Radiosender France Info strahlte seine Livesendung darüber, im Rahmen seines Rund-um-die-Uhr-Nachrichtenprogramms, noch bis tief in die Nacht hinein aus. (Seit kurzem wurden die beiden Portraits um jene der linken italienischen Journalistin Giuliana Sgrena, die für die kommunistische Tageszeitung "Il Manifesto" arbeitete und am 4. Februar in Baghdad entführt wurde, ergänzt.)  

Davor und danach bekundeten Pressevertreter, Intellektuelle und Künstler ihre "Solidarität mit Florence Aubenas" auch in mehreren Saalveranstaltungen, über die Printmedien und Fernsehen wiederum ausführlich berichteten. Bereits am 13. Januar fanden sich so mehrere hundert Menschen im Institut du Monde arabe (IMA), einem prominenten Kulturinstitut unweit des Stadtzentrums, ein.  

Die Medienszene bebauchpinselt sich selbst  

Dabei war jedoch auffällig, wie sich das journalistische Milieu selbstgefällig bebauchpinselte. In meist inhaltsleeren und mitunter pathetisch vorgetragenen Beiträgen wurde der Gedanke an Florence Aubenas beschworen. Christian Chesnot, die seit dem 22. Dezember wieder in Frankreich befindliche Ex-Geisel und Mitarbeiter von Radio France International, beschwor die "nationale Einheit" und den "Schulterschluss von Links und Rechts" in der Solidarität mit der bedrohten Kollegin. Was genau das bezwecken soll außer der Erzeugung eines patriotischen Gefühls, wurde dabei aber nicht klar. So legitim das Bekunden von Solidarität mit einer möglicherweise an Leib und Leben gefährdeten, mutigen Journalistin ist, so sehr blieb es in vielen Beiträge bei heißer Luft ­ und als davon genug abgesondert war, ging man zum geselligen Teil und zum Schnittchenbüffet über.  

Ein Aktivist der linken Vereinigung <Solidarité Irak>, der ein paar Flugblätter verteilte, wurde am Rande der Veranstaltung in polizeilichen Gewahrsam genommen und nach peinlich genauer Personalienkontrolle vor die Tür gesetzt. Die ehemalige Gruppe von Gegnern des 2003er Irakkriegs bezieht sich vor allem auf soziale Bewegungen und Frauenvereinigungen sowie auf die irakischen Arbeiterkommunisten, während sie den islamistischen Djihad-Aktivismus und andere reaktionäre "Widerstands"kräfte explizit ablehnt. Bereits während der vorherigen Geiselaffäre hatte sie sich mit den entführten Journalisten solidarisch erklärt. Anlässlich der IMA-Veranstaltung mühte die Gruppe sich darum, das Augenmerk auch auf das Schicksal der irakischen Bevölkerung zwischen Besatzung, Privatisierung und Terror zu lenken.  

Ein Versuch, das eigene Anliegen als gesamtgesellschaftliches zu definieren  

Seitdem hat das Journalistenmilieu, das sich für Florence Aubenas und Hussein Hanoun Al-Saadi einsetzt, sich allerdings darum bemüht, sein Eintreten stärker mit einem gesamtgesellschaftlichen Interesse und allgemeinen Prinzipien zu verbinden.  

So wird in einem Manifest, das von Vertretern fast aller größeren Medien unterzeichnet worden ist, auf die "Verteidigung der Pressefreiheit als Grundrecht" Bezug genommen. Dabei knüpft es an den Schlagabtausch zwischen Präsident Jacques Chirac und ’Libération'-Herausgeber July zu Beginn der Entführungsaffäre an: Bei der Vorstellung seiner Neujahrswünsche an die französische Presse hatte Chirac diese aufgefordert, keine Journalisten mehr in den Irak zu schicken, da deren Auslösen dem Staat und der Nation zu teuer zu stehen komme. Darauf hatte July in einem Leitartikel erwidert: "An dem Tag, an dem keine Journalisten mehr in Bagdad sind, werden US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld und der Vertreter von Al-Quaïda im Irak (...) die hauptsächlichen Informationsquellen sein." Bereits während des Irakkrieges seien, durch die weitgehende Beschränkung der journalistischen Präsenz auf das embeddement in kämpfenden Einheiten, eine historisch neue Stufe der Kanalisierung von Information erreicht worden.  

In diesem Punkt ist dem "Libération"-Herausgeber (und ehemaligen Maoisten) Serge July zweifelsohne Recht zu geben. Bei späteren Großveranstaltungen, die durch "Libération" und die in der Linken umstrittene Vereinigung Reporters sans frontières (RSF, Reporter ohne Grenzen) gemeinsam organisiert wurden, überwog jedoch erneut das entpolitisierende Pathos. So etwa am 31. Januar in einem Theater nahe der Champs-Elysées und am 14. Februar im Konzertsaal "L¹Olympia". Bei beiden Anlässen wurde ein mehrere Tausend zählendes Publikum durch kostenlosen Eintritt und die Auftritte zahlreicher, auch hochrangiger KünstlerInnen angezogen. Vor dem "Olympia" gab es sogar ein heftiges Gerangel, weil zahllose BesucherInnen nach längerem Schlangestehen abgewiesen wurden, da die vorhandenen Plätze bei weitem nicht ausreichten.  

Bis vor kurzem war "Libération" mit 10 JournalistInnen im Irak vertreten, die sich seit Kriegsbeginn 2003 d ortabwechselten.DerzeitistdieZeitung nicht vor Ort vertreten, sieht man von der unfreiwillig präsenten Florence Aubenas ab. Doch wollte Serge July in seiner Antwort an Chirac explizit nicht ausgeschlossen wissen, dass man erneut in den Irak reise, wenn es denn zur Freilassung seiner Redaktionskollegin förderlich sein könne.  

Editorische Anmerkungen

Der Autor stellte uns seinen Text am 16.2.2005 zur Veröffentlichung zur Verfügung. Ungefähr die Hälfte des vorliegenden Textes erschien als Kurzfassung in "Jungle World" vom 02. Februar. Er wurde sowohl aktualisiert als auch um einige Aspekte erweitert, namentlich um das Kapitel, in dem die Funktionalität des "Libération"-Journalismus für den französischen Imperialismus erläutert wird.