Die rechtsradikale Szene in der DDR

von Jochen Hippler
02/05

trend

onlinezeitung

"Wir machen weiter! Wir sind Rebellen und dienen einer gerechten Sache. Skins voran. Wir sind Elite. Terror gegen Terror. Die Rache ist unser, denn Rache ist gerecht. Wir stehen wie ein Bollwerk, wie eine eiserne Wand schaffen wir es. Alle zusammen. Mann für Mann. ... So wie sie gegen uns sind dürfen sie nichts anderes erwarten, als das Blut fließt. Ihres und Unseres. ... Wir sind die Götter. Und wer nicht mit uns ist, ist gegen uns. Immer mehr werden sich zusammenraffen. Sie werden uns einsperren, sie werden uns zermürben, aber kapitulieren werden wir nicht und wenn es Rückschläge gibt, für uns ist es das Stahlbad das die starken zurückläst und die schwachen vernichtet. Übrig bleibt der kern."

Bemerkenswert an diesem Text sind nicht allein sein Inhalt und seine eigenwillige Rechtschreibung. Es handelt sich um Teile eines Kassibers, der von einem 23-jährigen Nazi-Skinhead aus dem Gefängnis an seinen "Gauleiter" geschmuggelt werden sollte. In Ost-Berlin, Hauptstadt der DDR. Er stammt aus dem Herbst 1988.

Das war zu einer Zeit, als Neo-Faschismus und Rechtsradikalismus in der DDR offiziell nicht existierten, als die bloße Existenz der DDR schon der Beweis für den zutiefst anti-faschistischen Charakter der DDR-Gesellschaft war. Seitdem sind die Dinge weiter in Bewegung gekommen. Die rechte und rechtsradikale Szene in der DDR hat seit der "Wende" in der DDR und der Öffnung der Grenze einen bemerkenswerten Aufschwung genommen. Sie reicht von unorganisierter Ausländerfeindlichkeit über Parteien wie die REPublikaner bis hin zu bewaffneten Faschistengruppen. Diese Entwicklung wird durch Hilfe aus dem Westen gefördert, aber sie ist in der DDR selbst entstanden und hat sich seit Anfang der achtziger Jahre entwickelt.

Die rechte Szene in den 80er Jahren

Die ersten Kerne einer rechtsradikalen Szene ließen sich in der DDR etwa seit 1980/81 beobachten. Dies soll nicht implizieren, daß es auch zuvor keine radikal rechten oder sogar neo-faschistischen Tendenzen in der DDR gegeben habe - organisiert oder politisch relevant waren sie aber bis zum Ende der siebziger Jahre nicht. Rechtsradikalismus blieb bis zu diesem Zeitpunkt sozial unauffällig, eher eine "Privatsache", der man im Familien- oder Bekanntenkreis anhing.  In der DDR datiert man den Beginn des strafrechtlich relevanten Neo-Nazismus und verwandter Aktivitäten offiziell auf 1981, und diese Terminierung kann durchaus als realistisch angesehen werden.

Der Beginn rechtsradikaler Tendenzen zu Anfang der achtziger Jahre speiste sich aus zwei miteinander verknüpften Phänomenen: jugendlichen Freundescliquen und Fußballfans. Es handelte sich also nicht von Beginn an um ein organisiertes politisches Handeln, eine reflektierte politische Ideologie war in dieser Phase noch sehr unterentwickelt oder fehlte ganz. Junge oder sehr junge Leute mit starkem Gruppengefühl und diffusem, noch ungerichteten politischem und sozialen Unbehagen fingen an, in Opposition zur DDR-Gesellschaft und in Protest gegen bestimmte gesellschaftlichen Minderheiten oder konkrete Mißstände rechte oder rechtsradikale Parolen zu rufen und, nicht selten unter Alkoholeinfluß, Sachbeschädigungen oder Schlägereien anzuzetteln.

Die Skinheads

Ein Papier der DDR-Kriminalpolizei (bzw des Innenministeriums) formulierte Anfang dieses Jahres: "Aus diesen Kreisen Jugendlicher rekrutierten sich etwa seit 1982 Skinheads, die mit nationalistischen, rassistischen und antisemitischen Parolen auftraten und aus solchen Motivlagen bei verschiedenen Gelegenheiten, insbesondere Sport- u.a. Veranstaltungen lokal öffentlichkeitswirksam Straftaten begingen" - wobei allerdings darauf hinzuweisen ist, daß diese Skinheads im Verlauf der achtziger Jahre eine deutliche Weiterentwicklung durchmachten, was ihren Organisationsgrad, ihre interne Differenzierung und ihre Ideologie betrifft.

Ein anderes Papier ("Studie über Erkenntnisse der Kiminalpolizei zu neofaschistischen Aktivitäten in der DDR") aus der gleichen Zeit hat insbesondere die Skinheads soziologisch untersucht und auch deren Ideologie zum Gegenstand gemacht. Diese Studie hat umfangreiches Material (z.B. 1800 Verhörprotokolle, Zeugenaussagen und andere Befragungen) vom Herbst 1987 bis zum November 1989 ausgewertet.

Sie kommt zu dem Ergebnis, daß die Nazi-Skins insgesamt geschafft haben, sich aus den diffusen und "private" Cliquen zu einem Organisationsgrad zu entwickeln, der auf der einen Seite nach innen (also innerhalb einzelner Gruppen) durch oft straffe Führung gekennzeichnet ist, andererseits aber auch Kommunikationsstrukturen und Zusammenarbeit auf Landesebene und sogar darüber hinaus (in die BRD, nach Ungarn, das Baltikum, etc.) umfaßt. Das Organisationsniveau der Skinheads ist dabei weiter uneinheitlich, es schwankt zwischen noch existierenden Cliquen ohne landesweite Vernetzung (z.T. "Schmuddelskins" genannt) und einer verdeckten zentralen Kommandostruktur.

"Skinhead-Gruppierungen haben seit 1985/86 die am besten entwickelten Organisationselemente, aber nur ein Teil den Anhänger ist in stabile informelle Gruppen eingebunden. ... Die Beziehungen innerhalb der einzelnen Gruppierungen beruhen auf persönlichen Bekanntschaften, also auf Direktkontakten zwischen Personen, vermittelt durch ein fixiertes Minimum an gemeinsamen Interessen."

Die Ideologie der Skinheads gruppierte und gruppiert sich um die Propagierung traditioneller "deutscher Werte" wie Fleiß, Sauberkeit und ähnlichem. Ein 18-jähriger Bauarbeiter formulierte: "Ich gehe regelmäßig meiner Arbeit nach und bin der Meinung, daß ich fleißig bin und eine gute Arbeit leiste. Das ist der Punkt, der einen echten Skin auszeichnet. ... Insgesamt sind wir fleißig und können Arbeitsbummelei und Schmarotzertum  nicht ausstehen. ... Ich bin dieser Gruppierung zugehörig, um wieder mal Ideale zu schaffen. Ich meine damit Zucht und Ordnung einkehren zu lassen und aufrechte, harte Menschen zu erziehen." Ein Lehrling ergänzt: "Ich finde auch solche Dinge wie Kameradschaft und Disziplin gut. Ich bin einfach der Meinung, daß in einem Staat Ordnung herrschen muß und nicht Anarchie. Deshalb lehne ich Punks ab. Die könnten auch in der Mülltonne leben. Ich bin der Meinung, daß man ordentlich lernen soll, einen Beruf erlernen muß und regelmäßig arbeiten geht."

Faschos

Ausgehend von diesen Vorstellungen von Recht und Ordnung, Fleiß und Sauberkeit entwickelte sich im Verlauf der achtziger Jahre eine ideologische "Verfeinerung". Ausländerfeindlichkeit, Rassismus und insbesondere eine entwickelte neo-faschistische Ideologie traten stärker hervor. Im Zuge dieser Weiterentwicklung bildete sich vermutlich 1987/88 aus den Skins eine weitere Strömung heraus, die sich selbst als "Fascho" bezeichnete. Diese systematisierte die Ideologie im Sinne des klassischen Faschismus, wobei sich eine Vorliebe für den ehemaligen Strasser-Flügel der NSDAP abzuzeichnen scheint. Diese Faschos sind heute die ideologische und organisatorische Elite des harten Kerns der Rechtsextremismus in der DDR. Sie verfügen über ein entsprechendes Elitebewußtsein und haben sich in ihrem Auftreten von den Skinheads abgesetzt: unauffällig und äußerlich angepaßt nach außen, streng konspirativ nach innen.

Diese äußere Anpassung bezog sich zum Ende der 80er Jahre nicht nur auf die Faschos, sondern partiell auch für einen Teil der Skinheads. Diese hatten bis Anfang 1988 versucht, den "offiziellen staatlichen und gesellschaftlichen Organisationen" (FDJ, FDGB, etc.) der DDR fernzubleiben oder auszutreten. Dies änderte sich im Laufe des Jahres, was zwar nicht die gesamte Skinheadszene betraf, aber doch umfangreich und flächendeckend genug war, um als zentrale Strategie erkennbar zu werden. Das war nicht alles. Im DDR-Innenministerium wird vorsichtig über die Infiltrationsversuche von Skins und Faschos in Polizei und Militär berichtet. "Ausgehend von der Orientierung von Anhängern rechtsradikal-neofaschistischer Gruppierungen auf Dienstverhältnisse in der Volkspolizei, der NVA und der Zollverwaltung, kann nicht sicher ausgeschlossen werden, daß in diesen Organen schon jetzt Anhänger und Sympathisanten tätig sind."

Anzeichen für rechtsautoritäre und sogar faschistoide Tendenzen in Volkspolizei, Stasi und NVA wurden kürzlich von Dr. Manfred Behrend vom Ost-Berliner IPW erwähnt, und auch verhaftete und mißhandelte Demonstranten aus dem Oktober 1989 berichteten von entsprechenden Beobachtungen, etwa rassistischen Beschimpfungen.

Neo-Faschismus hausgemacht

Die Regierung der DDR hatte bis zu ihrem Fall im Herbst rechtsradikale und neo-faschistische Tendenzen in ihrem Land stets ignoriert, geleugnet oder auf den ideologischen Einfluß des Westens zurückgeführt. Solche Erscheinungen hätten in der DDR keinen Nährboden, sie seien ausschließlich importiert. Diese Position war nicht nur sachlich falsch, sie war zugleich politisch verharmlosend und gefährlich, gerade weil sie mit großem anti-faschistischen Gestus vorgetragen wurde.

Rechtsradikale Ideologien bis him zum Neofaschismus sind und werden noch immer von westlichen Gruppen gefördert. Dies wäre aber ein völlig aussichtsloses Bemühen, wenn es in der DDR keine dafür günstigen Auftreffbedingungen gäbe. Der Dokumentarfilmer und Mitbegründer von "Demokratie Jetzt", Konrad Weiß, hatte im März 1989 in einem Aufsatz diese Probleme untersucht. Dabei betonte er, daß die politische Kultur der DDR in weiten Teilen autoritären und rechten Ideologien entgegenkommen.

"Nicht Originalität und Innovation haben den höchsten Stellenwert, sondern Unterordnung und Konvention. Nicht Widerspruch und Kritik sind wirklich geschätzt, sondern Anpassung und Duckmäusertum. ... Die kommunistische Kaderpartei beförderte nicht die Entwicklung demokratischer Tugenden, sondern schuf ein System neuer Privilegien zur Belohnung von Maulheldentum, Untertanengeist und und Parteidisziplin. Das Führerprinzip, das sich für die Deutschen als verhängnisvoll erwiesen hatte, erlebte unter anderem Vorzeichen eine Renaissance: erst der Stalinkult, dann der unbedingte Anspruch der kommunistischen Partei, Avantgarde und Vorhut zu sein. Eine basisdemokratische Kontrolle der Mächtigen und ihrer Organe gab es nicht und wird bis heute nicht geduldet. ... All das ist nicht Faschismus. Aber die grundsätzliche Bejahung von Gewalt und der Mangel an demokratischer Kultur haben den Propagandisten der neuen faschistischen Bewegung ein leicht zu beackerndes Feld bereitet. Menschen, die hierzulande aufgewachsen und in unseren Schulen erzogen sind, sind ungenügend gegen den Bazillus (rechts-)radikaler Ideologien immunisiert."

Damit ist ein Teil des Problems benannt, aber noch nicht alles. Um politisch im rechtsradikalen Sinne wirksam werden zu können, mußten zwei weitere Faktoren hinzutreten: einmal das ökonomische Scheitern der SED, die das Land weitgehend verfallen ließ. Von einer ausreichenden Erfüllung auch berechtigster materieller Bedürfnisse der Bevölkerung konnte nicht die Rede sein, was sich politisch zunehmend niederschlug. Zweitens wurde diese wirtschaftliche Stagnation flankiert von einem Maß an Bevormundung, Bespitzelung und Repression, das aus wirtschaftlicher Unzufriedenheit bald politische Apathie und dann offenen Haß werden ließ. Dieser Haß gegen SED und (in gewissem Sinne) DDR schlummerte unter der Oberfläche von Resignation und Opportunismus, bis er 1989/90 offen hervorbrach.

Vor diesem Hintergrund einer politisch und ökonomisch bankrotten Staatsführung mit weiterem Allmachtsanspruch gewannen rechte, rechtsradikale und neo-faschistische Ideologien gerade bei jungen Leuten (meist Männer) an Attraktivität. Ein früherer Fascho und jetzige REP aus Ost-Berlin erklärte mir, daß er sich aus einem Hauptgrund den Faschisten angeschlossen hatte: es seien die konsequentesten Anti-Kommunisten gewesen. Wenn die SED die Nazis so hasse, dann müßte doch etwas gutes dran sein. Rechtsradikale und faschistische Reden und Symbole waren in einer (individuellen oder kollektiven) Übergangsphase nur Mittel, seinen Protest gegen die SED und Stasi auszudrücken, der Versuch, provokativ seinen völligen Bruch mit dem System zu symbolisieren. Anschließend entstand dann oft ein Begründungsnotstand zu erklären, warum man statt "SED ist Scheiße" ausgerechnet ein Hakenkreuz gesprüht hatte. An dieser Stelle setzte dann eine Ideologisierung der eigenen Handlungen ein, der Versuch, die eigene Provokation nun in einen politischen Rahmen zu stellen und die Ansätze eines eigenen Konzeptes zu entwickeln. Und genau hier wurden dann die von Konrad Weiß beschriebenen Mechanismen wirksam, die eine Fundamentalopposition eher nach rechtsaußen, als nach links verschoben.

Die Grenze ist offen

Nach der Öffnung der Grenze und den anderen politischen Veränderungen seit Anfang November 1989 änderten sich die Bedingungen, unter denen Rechtsradikale in der DDR operieren konnten, schlagartig. Dabei erwiesen sich drei Faktoren als von besonderer Bedeutung. Erstens: die allgemeine politische Öffnung mit ihrer neuen Rede- und Versammlungsfreiheit erweiterte den politischen Spielraum aller Parteien, und damit auch der radikalen Rechten. Zweitens: Die Grenzöffnung erleichterte die Möglichkeiten einer Zusammenarbeit mit Gesinnungsfreunden im Westen. Und drittens: das neue politische Klima in der DDR, insbesondere der nationale Taumel um Wiedervereinigung und Westmark erweiterten den Spielraum und vergrößerten die Legitimität nationalistischer Parolen von ganz rechtsaußen.

Im Zuge dieser geänderten Rahmenbedingunen änderten sich zugleich die Gewichte innerhalb der rechten Szene. Parteien aus der BRD begannen im unterschiedlichen Maße und mit unterschiedlichem Erfolg, Einfluß auf die DDR-Rechte zu nehmen, insbesondere die DVU, NPD, FAP, NF und - besonders engagiert - die REPUBLIKANER. In einem Papier des Westberliner Landesamtes für Verfassungsschutz ("Aktivitäten von Berliner Rechtsextremisten in der DDR") wird in diesem Zusammenahng etwa auf Bemühungen der NPD, zur NDPD der DDR freundschaftliche Beziehungen zu knüpfen berichtet. "Einige Bezirksverbände der NDPD haben die deutschlandpolitischen Vorstellungen der NPD begrüßt während sich die Parteiführung der NDPD von der NPD auf Distanz hielt." Im Abschnitt "Neo-Nazismus und deutsche Einheit" des gleichen Papiers wird im Zusammenhang mit der FAP und der "Nationalistischen Front" (NF) von Hinweisen berichtet, "daß Berliner Neonazis zunehmend Aktivitäten entwickeln, gezielt Einfluß auf potentielle Interessenten in Ost-Berlin und in der DDR zu nehmen, um neue gesamtdeutsche neonazistische Organisationen zu bilden."

Die Skinheadszene war mit diesen Entwicklungen natürlich nicht bedeutungslos geworden, sondern profilierte sich weiter durch eine Reihe einzelner, militanter Aktionen, wie beispielsweise der Jagd auf linke Demonstranten in Leipzig, dem Verprügeln von VoPos in Ost-Berlin und anderswo. Aber durch das verstärkte Hinzutreten insbesondere der REPs gelang es Teilen der Szene, zusätzlich zur konspirativen Arbeit auch noch legale oder teillegale Arbeitsmöglichkeiten zu eröffnen, die ihre Wirksamkeit und Propagandamöglichkeiten verbesserten. Neben den Schlägertrupps der Skins und den hochkonspirativen Fascho-Gruppen trat damit eine Gruppierung mit "respektablem" Anspruch und Parteicharakter auf die Bühne.

Die REPublikaner

Dabei wurde es zunehmend klar, daß in der DDR von einer strengen Trennung der REPs von den Skinheads und Faschos keine Rede sein kann. Große Teile dieser Gruppen betrachten die REPs nicht nur mit Sympathie, sondern unterstützen sie organisatorisch und personell - etwa bei Aktionen am Rande der Leipziger Montagsdemos.

Andererseits wäre es falsch, die REPs ungebrochen als parteiliche Repräsentaion der alten Fascho und Skin-Szene zu betrachten. Bereits ab Februar 1990 gab es öfter deutliche Kritik an den REPs, einschließlich dem Vorsitzenden Schönhuber, und andererseits waren und sind die REPs auch in der DDR alles andere als eine homogene Organisation. Sie funktionieren vielmehr als das, was man eine "rechtsradikale Volkspartei" nennen könnte, als Koalition unterschiedlicher radikal rechter Strömungen, die von demokratisch-nationalkonservativ bis militant neo-faschistisch reichen. Es ist klar, daß sich in diesem Spektrum in Zukunft Klärungsprozesse abspielen werden. Auf der öffentlichen Ebene bemühen sich die REPs, jede mögliche Form von Mäßigung zu demonstrieren. Wichtigster Ausdruck dieses Bemühens ist das im Februar vorgelegte "Wahlprogramm" zur Volkskammerwahl ("Für einen deutschen Weg in die Zukunft") - ein Text, der sich bereits bei der Verabschiedung erledigt hatte, da die REPs inzwischen von der Volkskammer verboten worden waren.

Dieses Programmpapier verschmelzt drei Tendenzen zu einer für DDR-Verhältnisse attraktiven Mischung: Durchkapitalisierung der DDR, um so "den gleichen Lebensstandard, wie er für unsere Landsleute in der Bundesrepublik selbstverständlich geworden ist" zu erreichen; zweitens ein Warenhausangebot ebenso unterschiedlicher wie sinnvoller Forderungen (Menschenrechte, Gewährung von Rechtssicherheit, Verbesserung der Alterssicherung, generelle Trinkwasserkontrollen, alternative Energiequellen, etc.); und drittens ein deutsch-nationaler Gefühlsbrei, der allerdings so dosiert wird, daß das Programm noch als "seriös" durchgehen kann. Trotzdem werden hier die nötigen Stichworte gegeben, die auch dem harten Kern der Rechtsextremen noch symbolisiert, daß die REPs ihnen durchaus nahestehen. "Das Ende des II. Weltkrieges markiert eine gemeinsame Niederlage aller Deutschen" - und nicht nur des Faschismus. "Abzug aller ausländischen Besatzungstruppen vom Gebiet ganz Deutschlands". Schön auch die Textstelle, daß "in deutschem Namen anderen Völkern etwas angetan" wurde (hier läßt der gesamtdeutsche Kohl grüßen), während auch "andere Völker ... nicht frei von Schuld sind".

Die DDR-REPs sind von ihren Praktiken, ihrer Mitgliedschaft und ihrer Programmatik her zweifellos keine neo-faschistische Partei, sie sind vielmehr ein politisches Scharnier zwischen rechts-demokratischen und rechtsextrem-faschistischen Strömungen und bemühen sich, um nationale und nationalistische Positionen herum eine wirksame soziale Koalition des entsprechenden Spektrums zu integrieren. Diese Einschätzung ist allerdings keine politische Entwarnung - im Gegenteil macht diese Scharnierfunktion die REPs politisch noch gefährlicher, als wenn es sich um eine weitere, rechtsextreme Splittergruppe unter anderen handeln würde. Auch die gegenwärtige Krise der REPs ändert daran nichts.

Staatsapparat und rechte Szene

Die Reaktion des Staatsapparates auf den Aufschwung der radikalen Rechten war von Widersprüchlichkeit und Hilflosigkeit gekennzeichnet. Auf der politischen Ebene war die Reaktion klar und unmißverständlich: Anfang Februar sprach sich der Runde Tisch für ein Verbot der REPs aus, die Volkskammer entsprach dieser Position und faßte einen entsprechenden Beschluß. Auch die Tätigkeit von Skins und Faschos fand bei Parteien und Parlament keinerlei Billigung. Anders sah das auf der Ebene der polizeilichen Umsetzung aus. In bestimmten Bereichen der Staatsorgane (wie auch in Teilen der Bevölkerung) gab es traditionell eine stille Sympathie den Skinheads und anderen Rechtsradikalen gegenüber - nicht so sehr deren politischen Ideologien wegen, sondern aufgrund der dort vertretenen Sekundärtugenden Fleiß, Sauberkeit, Ordnung etc, und wegen z.T. gemeinsamer Feindbilder (etwa Punks, Schwule, Ausländer, andere Minderheiten). Es hatte in der DDR schon vor der "Wende" Fälle gegeben, in denen die Polizei oder Stasi sich bewußt passiv verhalten hatten, wenn etwa eine Gruppe Skins gewaltsam gegen Punks ("faul, undeutsch, dreckig") vorgegangen war. Dies war aber nur eine Nebensache. Zugleich waren weite Bereiche des DDR-Staatsapparates - und gerade auch der "Sicherheitsorgane" - seit November/Dezember gelähmt und kaum noch funktionsfähig. Diese Ordnungskräfte waren - und fühlten sich - durch ihre Rolle bis zum Oktober/November weitgehend diskreditiert. Die Rechtslage war unsicher, das alte DDR-Recht praktisch kaum noch anwendbar, neue juristische Grundlagen der Arbeit nicht in Sicht. Es war völlig unklar, ob ein weiteres Durchsetzen von DDR-Recht im Verlauf der bald erwarteten Wiedervereinigung und der Übernahme des Rechtssystems der BRD nicht unerwünscht oder gar riskant sei. Besonders galt das im politischen Bereich. Polizei und andere Organe bemühten sich nach Kräften, jede Handlung im Feld politischer Betätigung zu unterlassen, um nicht selbst in Schwierigkeiten zu kommen. Dazu kam die Tatsache, daß gerade die Polizei in hohem Maße eingeschüchtert war. Selbst bei gewaltsamen Angriffen auf Polizisten (etwa am Prenzlauer Berg in Ost-Berlin) wurde oft schon gar nicht mehr ermittelt, Auseinandersetzungen mit Skinheads lieber aus dem Weg gegangen (- daß diese oft besser durchtrainiert waren, kam hinzu).

Beschlüsse des Runden Tisches oder der Volkskammer wurden daher in bestimmten Bereichen nicht mehr durchgesetzt, etwa das Verbot bundesdeutscher Politiker, am DDR-Wahlkampf teilzunehmen - oder das Verbot der REPs. Dies wiederum hatte ideologische Konfusion zur Folge: zwei DDR-Volkspolizisten in Leipzig erklärten dem Verfasser auf mehrfache Frage, warum sie eigentlich die REPs trotz des Verbotes bei ihren Aktivitäten unbelästigt ließen, diese seien doch eigentlich gar nicht verboten, nur Gesetze dürften sie nicht brechen.

Der nationale Taumel

Das Problem in der DDR heute ist, trotz des unübersehbaren Aufschwungs der verschiedenen rechtsradikalen Gruppen, nicht deren bevorstehende Machtergreifung oder ein ähnliches Szenario. Dazu sind diese Gruppen weiterhin zu schwach, zu klein, zu wenig verankert. In diesem Sinne sollten diese Gruppen zwar nicht verharmlost werden, von ihnen selbst geht aber erst in zweiter oder dritter Linie eine Gefahr aus. Das gilt auch für die REPs, die noch am ehesten das Potential aufweisen, mittelfristig massenwirksam werden zu können. Das Hauptproblem besteht vielmehr in der Entwicklung der politischen Atmosphäre in breiten Kreisen der Bevölkerung, insbesondere im Süden der Republik. Hier hat sich eine breite nationalistische Besoffenheit herausgebildet, die der in rechtsradikalen Kreisen kaum nachsteht - selbst wenn man sich nach wie vor von diesen Gruppen distanziert.

Ausländerfeindlichkeit ist beispielsweise in einem schockierenden Maße in der DDR verbreitet. Dies ist um so bemerkenswerter, als in der DDR nur rund 90.000 Ausländer leben. Trotzdem ist es schon keine Ausnahme mehr, wenn Arbeiter aus Angola, Mosambik oder Vietnam, oder wenn Kleinhändler oder Touristen aus Polen zusammengeschlagen werden. Rassismus und Sozialneid sind hier die beiden wichtigsten Triebfedern. Der knappe Wohnraum oder der Mangel an Waren werden oft als Grund für die Feinschaft gegen Ausländer vorgebracht, die Ausländer würden angeblich bevorzugt, wofür aber keine Anhaltspunkte vorliegen. Eher im Gegenteil: auch staatlicherseits wird Diskriminierung praktiziert. Schwarze oder asiatische Ausländer haben offensichtlich am meisten unter rassistisch motivierter Verfolgung zu leiden, Polen und Türken (oft aus Westberlin oder der BRD) wird insbesondere angekreidet, daß sie (im Gegensatz zu vielen DDR-Bürgern) über Westmark verfügen. Ausländer und Westmark: das ist offensichtlich eine besondere Provokation. Schließlich spielt eine Rolle, daß die meisten ausländischen ArbeiterInnen (aber auch StudentInnen) in der DDR in einer Art Kasernierung gehalten werden und zugleich relativ jung sind. Wenn dieser soziale (und sexuelle) Druck dieser Lebensverhältnisse in DDR-Diskotheken auf die einheimische Konkurrenz trifft, sind Konflikte oft programmiert, rechte Ideologen bemühen sich, dies politisch auszunutzen.

Ähnlich mit dem heute verbreiteten nationalen Taumel. Noch ist schwer festzustellen, inwieweit die nationalistischen Stimmungen tatsächlich "nationale" ideologische Wurzeln aufweisen. Zwei Dinge vor allem wollen DDR-Bürger schell: die Zerschlagung all dessen, was nach SED (oder auch nur nach DDR) riecht, und ein wirtschaftliches Niveau wie in der BRD. Antikommunismus und - z.T. verständliche - wirtschaftliche Gier sind die Triebfedern des Nationalismus, die nationale Einheit die Legitimation, möglichst schnell an Westmark zu kommen. In gutem deutschen Geiste wird dieses Bedürfnis nach Wohlstand dann ideologisch überhöht, verkitscht und emotional überfrachtet, und tritt uns dann als nationaler Taumel entgegen. Der Kern dieser nationalen Frage liegt im Scheitern der DDR-Ökonomie, am knappsten auf die Formel gebracht, die auf einem Leipziger Transparent zu lesen war: "Kommt die D-Mark bleiben wir, kommt sie nicht, geh'n wir zu ihr".

Jenseits der noch winzigen rechtsradikalen Organisationen hat sich in der DDR inzwischen ein breites und diffuses rechtsradikales Ideologiepotential aufgebaut, dessen weitere Entwicklung noch schwer abzuschätzen ist.

Dr. Wolfgang Brück vom Zentralinstitut für Jugendforschung in Leipzig schätzt aufgrund empirischer Studien, daß 10-15 % der DDR-Bevölkerung über ein festgefügtes "rechtsradikales Denkmuster" verfügen, und daß insgesamt bis zu 50% "rechtsradikale Gefühlsstrukturen" entwickelt hätten. Als Kriterien nennt er Ausländerfeindlichkeit, Nationalismus, Autoritätsdenken, Gewaltbereitschaft, Intoleranz, Sozialdarwinismus und anderes, wobei die "rechtsradikalen Gefühle" diese Elemente eher diffus und unreflektiert, das "rechtsradikale Denken" die gleichen aber systematisiert, durchdacht und in einem Zusammenhang enthalten.

Diese Beobachtungen sind durchaus realistisch, die Veränderungen der Leipziger Montagsdemonstration von anti-diktatorischem Protest zu chauvinistischem Geschrei und nationalistischer Hetze nur ein Indiz von vielen.

Die Elemente rechtsradikaler Ideologie sind in der DDR heute alle vorhanden und z.T. bereits scharf ausgeprägt. Zugleich ist es bemerkenswert, in welchem Maße rechtsradikale Gruppen einschließlich der REPs weiterhin auf massive Ablehnung stoßen. Diese Situation wurde symbolisiert durch eine Situation am Rande einer der Leipziger Montagsdemo: ZuhörerInnen, die sich vor der Oper in einen nationalistischen Taumel hineinschreien und abweichende Meinungen schon für "Volksverrat" halten, brechen 100 m weiter in rytmische "Nazis raus, Nazis raus!"-Sprechchöre aus (ergänzt von "Ihr seid das Letzte, ihr seid das Letzte"-Rufen), als sie ein Dutzend REPs mit einem Transparent sehen. (Die REPs rufen etwas kläglich zurück: "Wir sind keine Nazis, wir sind keine Nazis!")

Wenige Minuten später ist der anti-faschistische Spuk vorbei, die Deutschtümelei gewinnt wieder Oberhand, dann brechen "Helmut Kohl, das tut wohl" Sprechchöre aus, später "Rote raus". Etwas später höre ich: "Rote an die Wand!" Für nationalistische Amokläufe braucht man die REPs oder Skins hier wirklich nicht.

Die ideologische Situation in der DDR ist extrem unstabil. Der immer noch vorhandene anti-faschistische Impuls der großen Mehrheit der Bevölkerung (bis in Teile der REPs hinein) stellt kein Hindernis dar, zentrale Ideologieelemente der Rechtsradikalen selbst zu formulieren. Dies kann natürlich kein Dauerzustand sein, dieser labile Gefühlszustand wird nach einer Seite umkippen müssen. Der Verlauf der letzten Monate läßt es nicht ausgeschlossen erscheinen, daß dieses Umkippen nach Rechts erfolgen wird: der rasche und erdrutschartige Stimmungsumschwung von den 60 % SPD-Umfrageergebnissen bis zum Wahlsieg der CDU ist nur ein Indiz. Aufschlußreich auch, wie innerhalb dreier Wochen in Leipzig die Stimmung bezüglich der REPs verändert war: zuerst anti-faschistische und massivste Reaktionen (bis hin zum Verbrennen des ungelesenen Propagandamaterials), dann eine noch immer sehr skeptische Einstellung, die aber zunehmend dahin tendierte, das REP-Material einzustecken und lesen zu wollen. "Ich bin zwar irgendwie dagegen, aber ich nehm es mal mit. Will mir doch selbst eine Meinung bilden." So eine Reaktion wäre noch ein paar Wochen zuvor kaum denkbar gewesen.

Es geht hier nicht darum, ein völliges ideologisches Abgleiten nach Rechts für unvermeidbar zu halten. Diese Entwicklung ist zwar seit dem Jahresanfang in Gang gekommen, die Unstabilität der ideologischen Lage aber so beträchtlich, daß auch ein umgekehrter Pendelschlag nicht auszuschließen ist - das relativ gute Wahlergebnis der PDS deutet es an. Wichtig ist aber, die Bedeutung der kleinen rechtsradikalen Organisationen in der DDR vor dem Hintergrund der breiten Verankerung rechtsradikaler Gefühlbilder in der Bevölkerung zu betrachten. Wenn sich diese Stimmung nicht mildert wird mittelfristig die Bedeutung der harten Rechten in der DDR zunehmen oder - was noch wahrscheinlicher ist - diese rechten Ideologien werden den größten Teil des gesamten politischen Spektrums durchsetzen und es insgesamt radikal nach rechts verschieben. Die ideologische Substanz des Rechtsradikalismus würde noch weiter hoffähig gemacht und die politische Mitte umdefinieren, bei gleichzeitiger formelhafter Distanzierung von rechtsextremen Organisationen. Und ein Anschluß der DDR an die BRD auf dieser Grundlage wird auch das politische Klima bei uns weiter mit verschieben. Ein neues "Wirtschaftswunder" aufgrund der fälligen Modernisierung und Übernahme der DDR und anderer Teile des bisherigen Warschauer Paktes wird so möglicherweise von einer Wiederauflage der dumpfen Ideologien der fünfziger Jahre begleitet sein.

Editorische Anmerkungen

Der Artikel erschien erstmalig in:  Monatszeitung (Wien), November 1990, S. 27-31 unter dem Titel: Rechtsradikale im deutschen Osten - "Rache ist gerecht"

Er ist eine Spiegelung von der Website des Autors
http://www.jochen-hippler.de