Der Aufstand der "Unanständigen"
Über die Heuchelei der staatsoffiziellen "Anti-Antisemiten"

von Max Brym
02/05

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Die Presse und der Kanzler rufen zu einem neuen "Aufstand der Anständigen" auf. Anlaß ist der Auszug der NPD-Abgeordneten aus dem sächsischen Landtag während einer Gedenkminute für die "Opfer des Nationalsozialismus". Die Parteien der großen Koalition der sozialen Kälte, bestehend aus CDU/CSU, FDP, SPD und Grünen bekunden ihren "Antifaschismus". Das Ganze ist jedoch nichts anderes als eine miese Schmierenkomödie. Der Hauptgrund für die Aufregung ist: "Das Ansehen Deutschlands sei international gefährdet". Klar in einer Zeit in der Deutschland sich anschickt einen Sitz im Weltsicherheitsrat zu erhalten, sind Bilder mit Naziglatzen in der Weltpresse unpassend. Die deutsche Wirtschaft ist Exportweltmeister, diese Exportquoten gilt es zu halten und auszubauen. Das zentrale Motiv der seltsamen "antifaschistischen Kampagne" ist die Sicherung der neuen Weltgeltung Deutschlands sowie die Sicherstellung der internationalen Ambitionen des deutschen Kapitals. Im Rahmen der schärfer gewordenen internationalen Konkurrenz zwischen den monopolistischen Giganten, könnte ein NPD Aufmarsch durch das Brandenburger Tor am 8. Mai diesen Jahres durchaus von Konkurrenten gegen Produkte aus "Made in Germany" instrumentalisiert werden. Das läßt die deutsche politische Kaste in nervöse Zuckungen und Heuchelei verfallen. Die Heuchelei wird besonders deutlich, wenn der NPD nazistische Positionen (zurecht) unterstellt werden In der Tat, gibt es jedoch in vielen Bereichen ideologische Nähe zu den Positionen der NPD.

Geschichtsentsorgung und Rassismus

Der NPD wird zurecht vorgeworfen, den Hitlerfaschismus rehabilitieren zu wollen. Dies bestätigen gegenwärtig auch die "Anständigen". Allerdings verschweigen sie, wie sie selbst Geschichte entsorgen und relativieren. Die "Gedenkstättenkultur", vor allem in den ostdeutschen Bundesländern, ist nichts weniger als eine Verharmlosung der Verbrechen des Nazismus. Zunehmend soll an den Orten nazistischer Untaten den "Verbrechen der SED Diktatur" gedacht werden. Diese ungeheuerliche "Gedächtniskultur" veranlaßte den "Zentralrat der Juden" zur Aufkündigung der Mitarbeit in diversen ostdeutschen Kuratorien. Der NPD wird seitens der Anständigen vorgeworfen, im sächsischen Parlament mit Begriffen wie "Bombenholocaust" zu hantieren. Verschwiegen wird, dass im gefeierten Bestseller (Der Brand) des Herrn Friedrich erschienen Herbst 2002 diese Begrifflichkeit einige Male auftaucht. Keinem "Anständigen" viel es ein, dagegen zu protestieren. Ganz im Gegenteil, Friedrich wurde wegen "seiner bahnbrechenden Arbeit" abgefeiert. Es ist pure Heuchelei den "Anständigen "zu spielen, wenn die NPD die selben abgefeimten Begrifflichkeiten verwendet, wie der hochverehrte Herr Friedrich. Die nazistische NPD führt momentan eine Propagandaoffensive gegen den "deutschen Schuldkult" anläßlich des 8. Mai durch. Auch darüber empören sich die "Anständigen". Auch hier ist nichts als Scheinheiligkeit geboten. Im Herbst 1998 bejubelte die gesamte bundesdeutsche Elite die Paulskirchenrede von Martin Walser. Walser verwahrte sich damals, "gegen die Dauerrepräsentanz unserer Schande" und wandte sich gegen die "Moralkeule Auschwitz". Nur der Jude Ignatz Bubis hatte damals den Anstand, dem "Literaten vom Bodensee" den Applaus zu verweigern. Einige Jahre später gab Martin Walser in dem Buch" Tod eines Kritikers" einen bekannten jüdischen Rezensenten mit einem wahren Feuerwerk von antisemitischen Ressentiments zum Abschuß frei. Er machte aus Goethes: Schlagt ihn Tod den Hund, er ist ein Rezensent. - Schlagt ihn Tod den Hund, er ist ein Jud. Die Mehrheit des bundesdeutschen Feuilletons verteidigte den widerwärtigen Text von Martin Walser. Jetzt sind die gleichen Leute natürlich beteiligt an der Schmierenkomödie "Aufstand der Anständigen". Auch werden sie nicht müde, sich als "Anti-Antisemiten" auszugeben. Wiederum zurecht bezichtigen Sie die NPD antisemitisch zu sein. Aber diese "Anständigen" haben mit dem neuen Zuwanderungsgesetz nicht nur die Grenzen für "Ausländer" noch dichter gemacht, nein, sie unterbanden de facto auch die Zuwanderung von Juden aus Rußland. In Deutschland hat nach den "Anständigen" nur noch ein Jude oder ein anderer Emigrant die Chance auf Aufenthalt, wenn er entweder Knete hat oder als Spezialist für die deutsche Industrie verwertbar ist. Die staatlichen rassistischen Gesetze und die offiziellen historischen Diskurse bereiten in Wahrheit den Nazis den Weg. Die braunen Banditen können auf das Gedankengut in der Mitte der Gesellschaft setzen. Die Hysterie der "Anständigen" bezüglich der NPD ist verlogen und heuchlerisch. Die Reden und Taten der "Anständigen" nützen den Nazis in zweierlei Hinsicht. Erstens, die NPD benützt das Ganze um sich als einzige Systemopposition zu verkaufen und zweitens, die NPD nimmt das patriotische Gehabe der "Anständigen", ihr Geschwätz über "deutsche Leitkultur", "Islamgefahr" und "Asylverfahren" auf, um sich als Original statt als Kopie innerhalb der "Leitkulturdebatte" auszugeben.

Die "Anständigen" in der Praxis- Der Fall haGalil

Der "Anti-Antisemitismus" der Etablierten hält einer konkreten Überprüfung nicht stand. Wie heißt es doch so schön: An ihren Taten sollt ihr sie erkennen. Während schöne Phrasen zum Thema Antisemitismus abgelassen werden, werden jüdische antifaschistische Einrichtungen wie haGalil Online von den "Anständigen" kalt ignoriert und finanziell ausgeblutet. HaGalil ist die größte jüdische Onlinezeitung in deutscher Sprache. Monatlich hat haGalil 280.000 Leser. Hagalil hat ein riesiges Bildungs- und Informationsangebot zum Judentum, zur Shoah und zum Antisemitismus. HaGalil@haGalil.com wird täglich erneuert und berichtet u.a. über die Aktivitäten der Neonazis. HaGalil blendet auch den akzeptierten Antisemitismus in der Mitte der Gesellschaft nicht aus. Der erste "Aufstand der Anständigen" im Jahr 2000 bescherte haGalil für eine Rubrik einen regelmäßigen Zuschuß aus einem "gemeinnützigen Topf". Seit Januar 2005 erhält haGalil keinerlei öffentliche Unterstützung mehr. Der Aufstand der Anständigen finanziert lieber Filmabende für Eingeweihte oder Buntstifte zum Ausmalen kleiner Davidsterne. Es gibt hunderte solcher Vereine, die seit dem Jahr 2000 Bundesmittel erhalten. Je weniger solche Vereine in Erscheinung treten, um so mehr Geld gibt es erfahrungsgemäß. Im Gegensatz dazu hat haGalil sich im Spektrum des organisierten Nazismus einen berüchtigten Ruf erworben. Gerade in den letzten Monaten war haGalil Opfer einer von Nazis angezettelten Prozeßwelle. Genau in einer solchen Situation entzieht ein Bundesministerium haGalil jegliche finanzielle Unterstützung. Das Projekt haGalil ist extrem gefährdet und die Macher starteten eine Spendenkampagne, deren Ausgang ungewiß ist. Der Fall haGalil zeigt deutlich, was von den "Anständigen" zu halten ist. Ihr "Anti-Antisemitismus" ist billiges Geschwätz, ihr Kampf gegen den Neonazismus Humbug sowie eine ständige Fabrikation von Eigentoren.

 

Editorische Anmerkungen

Max Brym stellte uns diesen Artikel am 06.02.2005 zur Veröffentlichung zur Verfügung. Er lebt als freier Journalist in München.